Welcome to Guatemala

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Tim van Laan

Mitglied
Als wir aus dem Flugzeug steigen, trifft uns die Luft wie ein Schlag ins Gesicht. Wir laufen durch einen langen Gang, klimatisiert und fast klinisch sauber. An den Wänden Werbung für Touristen. Halb auf englisch, halb auf spanisch bekommen wir Anweisungen von braungebrannten Sicherheitsmännern, alle Leute ums uns herum sind mindestens 10 cm kleiner als wir es aus Deutschland kennen. Wir greifen uns unsere Koffer vom Band und treten durch die Schiebetür in eine milde, guatemaltekische Nacht.

Zwischen Familien und Kindern steht mein Kumpel, in Sneakern und Jeans und mit Flieger-Sonnenbrille im Gesicht. Auch er ist kleiner als wir, und wirkt manchmal etwas ungeschickt in seinen Bewegungen, doch auf den ersten Blick sehe ich, dass er sich hier zu Hause fühlt. Er nickt uns zu und wir begleiten ihn zum Fond eines schwarzen SUV mit abgedunkelten Scheiben. Im Auto wartet sein Vater, er begrüßt uns mit einem unverständlichen Brummen und steuert uns durch die Straßen der Hauptstadt. Vorbei an amerikanischen Leuchtreklamen, unzähligen Motorrädern und maroden Wellblechhütten. Nach geraumer Zeit biegen wir von der Hauptstraße ab, zwischen zwei hohen Mauern steuern wir auf ein Tor zu. Über den Mauern prangt Stacheldraht, der Putz bröckelt an einigen Stellen. Mit einem Surren öffnet sich das Tor als wir näher kommen. Wir passieren es und Jorge grüßt einen Wachmann. Er trägt Armeestiefel, eine blaue Uniform und eine Mütze mit Abzeichen an der Krempe. An einem Gurt baumelt eine Schrotflinte über seine rechte Schulter, der Schaft zeigt auf den Boden. Freundlich grinst er dem Auto zu, greift sich an die Mütze und zieht sich wieder in sein Pförtnerhäuschen zurück.

Wir biegen noch zwei Mal ab, bis wir am Ziel sind. Die Straße schlängelt sich durch Häuser im europäischen Stil, nur kurz kann man sie erkennen, große Teile sind von hohen Mauern verdeckt. An einer Ecke deutet Jorge plötzlich auf ein Haus. Stolz thront es am Hang, ein Würfel mit großen Fenstern und ehemals weißen Wänden. Die Zeit hat ihre Spuren an der Fassade hinterlassen und auch die Fenster scheinen schon fast wie verschleiert. Schwache, gelbe Lichter beleuchten die Wände und die Haustür.

Haus und Garten befinden sich hinter einer Mauer, knapp 3 Meter ragt sie in die Höhe, darauf thront Stacheldraht, er sieht neu aus. An den Ecken leuchten alle paar Sekunden kleine, rote Lichter auf und verschwinden blitzschnell wieder in der Dunkelheit. “Kameras”; denke ich.

Wir packen unser Gepäck aus dem Kofferraum und stellen es in den Flur, in dem Haus riecht es nach gebackenem Käse und frischem Brot. Aus einem Radio in der Ecke plärrt leise ein Nachrichtensprecher, für mich klingt es als hätte jemand die Geschwindigkeit hochgestellt. Vom Kamin her blickt uns ein Geistlicher an, mit wirrem Blick und buschigem Bart, umgeben von einem schwarzen Bilderrahmen aus Holz. Auf Aufforderung setzen wir uns in tiefe, schwarze Sofas und man drückt uns ein Bier in die Hand. Als alle versorgt sind, hebt Jorges Vater seine Flasche und verkündet in heroisch anmutender Pose: “Welcome to Guatemala.”

Die oberste Schublade der Kommode ist einen Spalt geöffnet, im Halbdunkeln sehe ich einen Revolver liegen.
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Tim,

Deine 'Schreibe' gefällt mir sehr - aber erst einmal: Willkommen auf der Leselupe!

Deine Beschreibungen erzeugen einen permanenten Ton latenter Bedrohung, der dem Touristen auffällt, denn wer schützt sich so und ist ständig verteidigungsbereit, wenn nicht gegen eine Bedrohung. Der Besucher, also dein Protagonist, nimmt quasi nichts anderes wahr. Wie ein Paket wird er durch diese Situation 'getragen', wenn auch von Freunden. Aber wer sind diese 'Freunde' und warum ist der Protagonist dorthin gegangen, wo er sich offensichtlich nicht wohlfühlt und entspannen kann. Er scheint Teil dieses Szenarios zu sein oder zu werden und der Leser kommt mit mehr Fragen als Antworten aus dem Text zurück. So soll es sein.

Ein paar Sachen sind mir aufgefallen.
Im ersten Abschnitt' schlägt' dem Protagonisten noch 'die Luft ins Gesicht', an dessen Ende tritt er in die 'milde Nacht' - das geht für mein Gefühl nicht zusammen.
und auch die Fenster scheinen schon fast wie verschleiert
Das erscheint mir zu umständlich. 'Scheinen wie verschleiert' genügt für meine Begriffe.

Und mir fehlen 'die Augen' beim Betreten des Hauses - wie überhaupt wenig über die Natur erzählt wird; Wüste ist es nicht, denn Du sprichst von Gärten, aber sie bleiben 'unbelebt'; dass sie auf der Herfahrt im Dunklen nicht beschreibbar sind, leuchtet mir ein, aber sobald man etwas sehen kann, gehören sie zum Bild. Auch die Beschreibung des Inneren des Hauses wird auf einen Geruch und ein Bild beschränkt. Ich glaube, das erzeugt eine gewisse Distanz zur Szene, die nicht sein muss.
Und der letzte Satz ist ein bisschen ungenau - kann man durch einen 'Spalt' eine Pistole sehen, die ja bei nur einem Spalt im Dunklen läge? Bei mir leidet dadurch die Aussagekraft, denn eigentlich willst Du ja nur das Motiv der Verteidigungsbereitschaft=Bedrohung verstärken (oder abrunden), aber ich denke stattdessen darüber nach, ob man durch einen Spalt die Pistole sehen könnte. Und kann man von der 'der' Kommode sprechen, wenn sie noch nicht benannt wurde? Wäre es nicht 'eine' und was ist so wichtig, wenn es die obere Schublade ist? Der Protagonist sitzt auf einem tiefen Sofa und schaut in die oberste Schublade einer Kommode, die einen Spalt geöffnet ist und ihr Innenleben im Halbdunklen offenbart. Da ist zuviel Aufmerksamkeit auf Nebensächlichkeiten gelenkt, denn eigentlich sollte dieser Satz ein glatter Schubs mit 'Geschmacksverstärkung' aus der Geschichte heraus sein. Das hat nicht geklappt.

Ich hoffe, ich habe mich verständlich ausgedrückt.

Liebe Grüße
Petra
 

Tim van Laan

Mitglied
Hallo Petra,

Vielen, Vielen Dank für dein ausführliches Feedback. Da scheinen sich tatsächlich ein paar Ungenauigkeiten eingeschlichen zu haben.

m ersten Abschnitt' schlägt' dem Protagonisten noch 'die Luft ins Gesicht', an dessen Ende tritt er in die 'milde Nacht' - das geht für mein Gefühl nicht zusammen.
Hier ist gemeint, dass die Personen, wie an manchen Flughäfen üblich, direkt aus dem Flugzeug in einen Gang und dann ins Gebäude gehen, also beim Übergang Flugzeug-Flughafen nicht an der frischen Luft sind. Daher auch die weitere Beschreibung der klimatisierten Luft im Flughafen. Erst später geht es dann wirklich an die frische Luft.

Und mir fehlen 'die Augen' beim Betreten des Hauses - wie überhaupt wenig über die Natur erzählt wird; Wüste ist es nicht, denn Du sprichst von Gärten, aber sie bleiben 'unbelebt'; dass sie auf der Herfahrt im Dunklen nicht beschreibbar sind, leuchtet mir ein, aber sobald man etwas sehen kann, gehören sie zum Bild. Auch die Beschreibung des Inneren des Hauses wird auf einen Geruch und ein Bild beschränkt. Ich glaube, das erzeugt eine gewisse Distanz zur Szene, die nicht sein muss.
Diese Beschreibungen habe ich in diesem Fall als nicht wichtig für die Geschichte empfunden. Mir geht es viel mehr um die Beziehung der Akteure und den Gegensatz zwischen der Freundschaft und der trotzdem wahrgenommenen Bedrohung.
Und der letzte Satz ist ein bisschen ungenau - kann man durch einen 'Spalt' eine Pistole sehen, die ja bei nur einem Spalt im Dunklen läge? Bei mir leidet dadurch die Aussagekraft, denn eigentlich willst Du ja nur das Motiv der Verteidigungsbereitschaft=Bedrohung verstärken (oder abrunden), aber ich denke stattdessen darüber nach, ob man durch einen Spalt die Pistole sehen könnte. Und kann man von der 'der' Kommode sprechen, wenn sie noch nicht benannt wurde? Wäre es nicht 'eine' und was ist so wichtig, wenn es die obere Schublade ist? Der Protagonist sitzt auf einem tiefen Sofa und schaut in die oberste Schublade einer Kommode, die einen Spalt geöffnet ist und ihr Innenleben im Halbdunklen offenbart. Da ist zuviel Aufmerksamkeit auf Nebensächlichkeiten gelenkt, denn eigentlich sollte dieser Satz ein glatter Schubs mit 'Geschmacksverstärkung' aus der Geschichte heraus sein. Das hat nicht geklappt.
Die Beschreibung der Pistole als im Halbdunkeln liegen empfinde ich nicht als ungenau. Der tiefsitzende Akteur, der in die oberste Schublade schaut ist ein logischer Fehler, da hast du absolut recht. Ebenso muss es nicht die, sondern lediglich eine, Kommode sein, auch das ist unsauber von mir formuliert.

Liebe Grüße
Tim
 



 
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