Werner

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Sammis

Mitglied
Werner

Im Westen flirrte noch immer die Hitze des ausklingenden Tages über der Stadt. Werner steckte sich eine Marlboro an und warf sie dann sogleich in den Rinnstein. Fest dazu entschlossen, endlich mit dem Rauchen aufzuhören, ärgerte ihn der erneute Rückfall, aber der Anspannung des bevorstehenden Treffens wegen, fiel ihm sein Vorhaben schwer. Er fingerte eine angebrochene Packung Nicoretten aus der Gesäßtasche seiner Jeans und steckte sich eines der Kaudragees in den Mund. Er hasste den undefinierbaren Geschmack der zähen Masse bereits, obwohl er die Dinger erst gestern gekauft hatte.
Werner stand vor seinem Wagen und blinzelte in die untergehende Sonne, als die Frau neben ihn trat.
»Siehst müde aus«, sagte sie ohne Begrüßung. Etwas vertraut Mütterliches wohnte ihrer Stimme bei.
Werner antwortete nicht, sah sie noch nicht einmal an.

»Gut«, meinte die Frau und lächelte, »dann direkt zu den Details.«
Er spuckte das Kaubonbon aus und wandte sich dem Auto zu. »Den Namen«, sagte er beiläufig und öffnete die Wagentür, »mehr brauche ich nicht.«
»Eric«, sagte die Frau und Werner erstarrte mitten in der Bewegung.
Jetzt sah er sie direkt an. Ein großes Fragezeichen prangte auf seiner Stirn.
»Frag nicht«, sagte sie kopfschüttelnd und wandte sich ab.
Werner verweilte ein, zwei Sekunden bei der offenen stehenden Wagentür, dann stieg er kommentarlos ein und fuhr davon.

***

Am nächsten Morgen betrat Werner den Diner, ging an einer Reihe Tische entlang und setzte sich auf einen Platz weit hinten. Er nickte dem Mann hinter dem Tresen zu, der kurz darauf Richtung Küche verschwand. Im Diner war kaum Betrieb. In der Nähe der Tür saßen drei Arbeiter von den Docks, am Tisch neben dem Tresen frühstückten die Kellnerin und die Reinigungskraft.
»Hallo, Werner«, sagte Eric, als er an den Tisch kam. Er stellte ein Tablett mit Kaffee, Speck und Eiern vor Werner ab. »Siehst blass aus.«
Werner griff nach der Tasse und nippte von dem Kaffee.
»Hast du zu tun?«, fragte Eric und setzte sich auf den Platz gegenüber.
Werner zog das Tablett zu sich und begann zu essen. »Hab was in Aussicht«, sagte er.
»Gut«, meinte Eric und rieb sich die Stirn, »das ist gut«
Werner schob sich eine Gabel mit Rührei in den Mund, kaute und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er, »das ist es ganz und gar nicht.«
»Was meinst du?«, fragte Eric irritiert.
Werner legte die Gabel beiseite, schob den Teller von sich und blickte Eric in die Augen. »Hab sie getroffen und sie hat mir deinen Namen genannt.«
Eric lehnte sich zurück, wirkte wenig überrascht. »Da geht gerade ne Menge Scheiße ab«, sagte er und starrte auf seine Hände, die er nebeneinander auf die Tischplatte gelegt hatte. »Besser, du fragst erst gar nicht!«
»Hatte ich nicht vor«, sagte Werner und trank von dem Kaffee. »Und jetzt?«, fragte er, sah sein Gegenüber noch immer an.
»Ich könnte dir Geld geben«, sagte Eric.
»Wofür?«
Eric winkte ab, räusperte sich, wies mit dem Kinn auf die Straße hinaus.
»Du könntest abhauen«, sagte er wenig überzeugend, »den ganzen Scheiß einfach hinter dir lassen.«
Werner zuckte die Schultern. »Dann wird es ein anderer machen.«
Dann schwiegen die beide Männer.

Als Werner den Diner verließ, begann es zu regnen. Er zog die Kapuze über den Kopf und ging die Straße hinunter bis zur Ecke, wo sich nachts Nutten und Stricher feilboten. Im Augenblick lief er allein auf dem Gehsteig, trotzdem konnte er die abgerissenen Figuren der Nacht regelrecht vor sich sehen, wie sich ihre dunklen Gestalten auf dem feuchten Straßenpflaster widerspiegelten. Abhauen. Ja, der Gedanke war ihm in letzter Zeit häufiger gekommen. Und was dann?

***

Werner eilte die wenigen Stufen zur angelehnten Tür hinunter und ging hinein. Am Billardtisch kreidete ein drahtiger Mann sein Queue, sah kurz zu ihm her. Werner ging an ihm vorüber und lehnte sich in dessen Rücken gegen die Wand. An den Tischen hockten derbe Typen, wortkarg und mürrisch. Ein paar spielten an den Dartautomaten, am Tresen lehnte ein riesiger Kerl, der Werner seit seiner Ankunft keine Sekunde aus den Augen ließ.
»Was willst du hier?«, fragte der Hagere am Billardtisch, legte die Kreide beiseite, beugte sich über den Tisch und machte seinen Stoß.
Werner antwortete nicht, versuchte lediglich alle Anwesenden im Blick zu behalten.
Die Kugel schoss über das Grün und versenkte knallend eine andere in einer der Ecktaschen. Der Mann legte das Queue auf den Tisch und drehte sich zu Werner um. »Besser, du hast einen verdammt guten Grund, hier unaufgefordert aufzukreuzen!«
Der Riese am Tresen hatte sich zu voller Größe aufgerichtet und war zwei Schritte näher gekommen. Werner fixierte ihn einen Augenblick, ehe er an unbestimmte Adresse sagte: »Klara hat Eric aufgerufen.«
Der Hagere wirkte einen Moment beeindruckt, ehe sich ein Grinsen auf sein kantiges Gesicht schlich und er amüsiert meinte: »Und ausgerechnet du sollst das machen.«
Werner stand da und wartete ab.
»Und was willst du nun von mir?«, wollte der Mann am Billardtisch wissen.
»Dein Wort«, antwortete Werner prompt, »dass keiner deiner Leute ihn anrühren wird.«
»Mach deinen Job«, entgegnete der Hagere grinsend, »und es gibt keine Veranlassung dazu.«
»Wir wissen beide, dass das nicht passieren wird.«
»Na dann.«
Werner senkte den Blick und nickte schnaubend mit dem Kopf. Er fixierte die dreckigen Steinfliesen und fragte: »Wo ist Richie?«
»Ich bin hier«, kam es von weiter hinten.
»Na dann sind ja alle da«, meinte Werner leise und zog den Splint aus der mitgebrachten Granate.
 
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petrasmiles

Mitglied
Na, das war ja mal eine spannende Geschichte!
Vor allem, wenn man keine Ahnung von diesen Millieus hat - so wie ich - spielt sie auf dem Grad der Vorstellungen.
Ich glaube sogar, jede gute Geschichte spielt mit Klischeés - das wäre mal eine interessante Frage, wie groß ihr Anteil ist, dass man sich in einer Geschichte 'zu Hause' fühlt.

Sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße
Petra
 

jon

Mitglied
Das hat mir sprachlich extrem gut gefallen. Top!

Warum hat er Zigaretten dabei, wenn er sich das Rauchen abgewöhnen will? Ich würde ihn nur danach fingern lassen.

Das Ganze ist natürlich nur das Rudiment einer Geschichte. Das wäre an sich okay für mich, wenn ich nicht am Ende das Problem hätte, dass mir Werners Entschluss nur bedingt einleuchtet. Warum denkt er, Eric wäre nun sicher? Als Profi sollte ihm klar sein, dass sich jederzeit jemand anderes finden wird. Da fehlen mir Informationen.
 

Sammis

Mitglied
Möchte an dieser Stelle anmerken, dass mein Text erkennbare Ähnlichkeiten zu einem Werk aufweist, welches bei den Wortkiegern unter dem Namen Terminus veröffentlicht worden ist. Der von Achillus verfasste Text inspirierte mich zum Schreiben dieser Kurzgeschichte. Wen interessiert, in wie weit mein Text benanntem ähnelt, darf sich gern selbst ein Bild machen. Das Lesen dieser Geschichte lohn auch ohne dies allemal.

@petrasmiles

Denke ebenfalls, dass je weniger der vorgefundene Rahmen vertraut ist, Klischees durchaus hilfreich sein können, den Leser einzufangen.

Danke fürs Lesen und Kommentieren.


@jon

Richtig, das ist eine dünne Geschichte, oder eben der Ausschnitt von etwas potenziell Umfangreicherem. Mir ging es vornehmlich um die Umsetzung.
Hat, deinen ersten wohlwollenden Worten nach, ein Stück weit geklappt. Danke dafür!
 

ahorn

Foren-Redakteur
Teammitglied
Moin Sammis,

mitreißend geschrieben. Sie gefällt mir. Ich finde etwas zu viel "Werner" und wie viel bekommst du von dem Zigarettenhersteller und dem des Ersatzproduktes.
Was mir noch fehlt, ist die Hauptgeschichte. Dein Text eignet sich hervorragend für eine Vorgeschichte. Erst danach geht es richtig los. Wer ist Werner und weshalb tat er es?

Gruß
Jörg
 

Sammis

Mitglied
Hallo ahorn!

Danke fürs Lob! Sind tatsächlich viele Werners, ist mir bisher gar nicht aufgefallen. Konnte ein paar davon tilgen. Jedoch nicht all zu viele, damit es eindeutig bleibt. Könnte dem Mann noch nen Nachnamen verpassen und dann wechseln. Mal schaun.
Zur Länge: Ja, hätte ich die Zeit und Ausdauer, könnte man darus vermutlich mehr machen. So is es halt ne klassische Kurzgeschicht: Fix rein und wieder raus, ohne viel drumrum.

Gruß,
Sammis
 



 
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