Who the F... is Frank

A.I. Brecht

Mitglied
Als Busfahrer nimmt man den ganzen Tag viele und noch mehr Menschen gar nicht wahr. Traurig ist es, im Endergebnis aber die Realität. Und das tut mir auch immer ein bisschen leid, weil ich ja ein ebenso leidenschaftlicher Verkäufer wie Fahrer bin.
Und jedem, der zu ‚mir‘ in den Bus kommt, würde ich gerne etwas mehr Aufmerksamkeit entgegenbringen. Vielleicht noch ein Stück Torte oder Kuchen und ein Kännchen Kaffee anbieten wie damals in meinem Café … so frei nach dem Motto: „Hätt‘ ich dich heut‘ erwartet, hätt‘ ich Kuchen da“ … aber … nee, das würde dann doch zu weit führen.
Ach, ich bin und bleibe halt ein Dienstleister …

Und deswegen liegt das natürlich nicht immer daran, dass man sich nicht für sie interessieren würde. Sondern sie sind bedauerlicherweise so ‚normal‘, dass wenig bis gar nichts von ihnen im Gedächtnis haften bleibt:
Sie steigen ein, sie steigen aus; sie schauen niemanden an und sprechen auch mit niemandem; sie starren auf ihr Handy oder aus dem Fenster; mal ist es nur eine einzige Station, mal ist es die ganze Fahrstrecke; doch bleiben sie während dieser Zeit komplett unscheinbar und nur in dem Moment, an dem ich die Türen für sie öffne, rücken sie kurzfristig in den Lichtkegel meiner Sorgfaltspflicht.

Traurig daran ist, dass sie damit schnell wieder aus den Augen sind und auf diese Weise erst recht aus dem Sinn. So sagt es ja schon der Volksmund.

Doch dann gibt’s da diejenigen Fahrgäste, die einem auch beim besten Willen nicht aus dem Kopf gehen. Und immer, wenn sie aus den Tiefen meiner Gehirnwindungen wieder auftauchen, huscht entweder ein kurzer Ausdruck des Lächelns oder des Wunderns, manchmal aber auch der Traurigkeit über das eigene Gesicht und man versinkt kurzfristig in einem Erinnerungsmahlstrom.

Aus dem sollte man sich als Busfahrer dann aber schnell wieder befreien, sonst könnten unschöne Zwischenfälle mit dem Fahrgerät oder Passanten auf Bürgersteigen geschehen, die auf gar keinen Fall auf diese Art mitfahren wollten.

Also Augen auf, Konzentration eingeschaltet und nur die Straße benutzen …

Und doch … da gab es diese junge Mutter, die am Busbahnhof Röthenbach zugestiegen war und deren skurrile Geschichte mich immer wieder lächeln lässt:
Mit einem Kinderwagen und einem Inhalt, den ich leider nicht erkennen kann, kommt sie schnaufend an. Kind oder Bierkiste? Ich weiß es nicht. Ein vielleicht weiteres Kind ... es könnte ja auch das Einzige sein ... wird an der zweiten Hand hinterhergezerrt und gleich hinter der Freifläche, die für Rollstühle, Rollatoren und andere Fahrgeräte vorgesehen ist, auf den Doppelsitz verfrachtet. Dann folgt ihr ein Stück Leine, an dessen Ende ein Mops hängt. Mit gelassenem Schritt und abschätzendem Blick nach rechts und links in die bis dato leeren Reihen folgt er seinem Frauchen in den Bus.

Nach einigem Hin- und Herruckeln des Kinderwagens, der ab diesem Zeitpunkt mit dem Gesicht zur Bordwand steht, setzt sie sich ebenfalls und erkennbar erschöpft auf den Sitz zu ihrem Kind.

Der Mops, der bisher etwas zögerlich die Situation betrachtete, nimmt just vor dem Kinderwagen Platz, sodass er einen guten Ausblick durch die Scheiben in der zweiten Tür hat. Und in dieser Stellung verharrt er. Ab diesem Moment hätte man meinen können, er sei nur ein Stofftier, das jemand dort hingestellt und vergessen hat; so ruhig verhält er sich. Aber ich kann mir ja ganz sicher sein, dass er genau das nicht ist. Denn ich habe ihn ja hereinlaufen sehen.

Trotz dem, dass die junge Mutter zuerst ein wenig ermattet scheint, fängt sie, nachdem die Türen sich schließen, eine kleine Unterhaltung an:

»Und Frank? Ist alles gut bei dir?«, stellt sie eine Frage in den Raum. Dabei spricht sich den Namen nicht deutsch, sondern englisch aus. [fræŋk] also ... und ich werde ihn jetzt der Einfachheit halber als Fränk weiterführen.

Das Kind, ein Junge, wenn man den althergebrachten Kleiderregeln heute noch ein bisschen Bedeutung beimisst, fühlt sich anscheinend nicht angesprochen. Das eventuelle Kind im Wagen gibt auch keinen Laut von sich. Der Mops starrt aus der Tür.

»Hm, Fränk? Hast du auch ordentlich Platz?«, folgt nach angemessenem Zeitraum eine zweite Frage.

Wieder keine Antwort von dem Jungen neben ihr oder dem eventuellen Geschwisterkind. Der Mops starrt aus der Tür.

Die öffne ich im Moment mit einem Knopfdruck, weil an der nächsten Haltestelle weitere Fahrgäste zusteigen. Der Mops verfolgt ihre Wege nach vorn in meine Richtung und nach einer langsamen Drehung des Kopfes in Richtung des Hecks jenseits des Drehgelenks. Und ich kann sein Verhalten gut beobachten, denn ich muss ja mit einem Blick in den Innenspiegel kontrollieren, ob alle gut hereingekommen sind und ich die Türen schließen und weiterfahren kann.

»Hm Fränk? Kommen doch noch ein paar Leute mit, gell?«, stellte die junge Mutter fest.

Der Junge neben ihr hat ihr Handy in seinen kleinen Händen und antwortet nicht. Aus dem Kinderwagen kommt kein Ton. Der Mops starrt aus der Tür.

Und wieder eine Haltestelle. Leute rein, Leute raus. Der Mops schaut hinterher. Erst links dann rechts. Dann starrt er aus der Tür.

»Fränk? Geh doch mal ein bisschen auf die Seite«, kommt jetzt die Aufforderung an wen auch immer. Erneut reagiert niemand. Der Junge spielt weiter mit dem Handy. Der Mops starrt aus der Tür.

Und dann macht es plötzlich ‚klick‘. Denn während ich gerade noch darüber sinniere, dass der Junge doch neben ihr sitzt und gar nicht den Weg freimachen kann, und das womögliche Kind im Kinderwagen schon gleich gar nicht, da merke ich:

Sie spricht mit dem Hund !!!

Der Hund heißt Fränk !!!

Mich schmeißt es fast vom Fahrersitz. Und im Moment, da ich das hier schreibe, bekomme ich das Grinsen nicht aus meinem Gesicht.

Was für eine Situation … noch eben denke ich, dass die Kinder aber auch mal antworten könnten … und dann ist das die ganze Zeit der Hund, mit dem sie spricht.

Aber Fränk, der Mops, ist fraglos ein cooler Zeitgenosse. Vor meinem geistigen Auge sehe ich direkt Clint Eastwood, der mich mit seiner Schauspielerei von jeher fasziniert hat. Genauso sitzt Fränk da: mit starrem Blick, keinerlei Grimassen ziehend und unverrückbar. Die ganze Fahrt bis Schwabach. Fahrgäste steigen weiter ein und wieder aus. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen um ihn herum. Aber Fränk sitzt da und schaut in aller Seelenruhe den um ihn herumtanzenden Menschen hinterher.

Keine Miene verziehend.

Nicht einen Zentimeter Platz hergebend.

Selbstbewusst und mit großem Hang zu stillem Pathos.

‚Was in diesem Hundekopf wohl gerade so vorgeht?‘


PS: Einige Wochen nach diesen Geschehnissen stellte ich fest, warum mir, bei allem Neuen der Situation, der Name Fränk für den Mops gar nicht mal so ungewöhnlich vorkam. Nein, er passte sogar wie die Faust aufs Auge.
Im Film „Men in Black 1 & 2“ aus den Jahren 1997 und 2002 spielt ein Außerirdischer in der Gestalt eines Mops mit dem Namen Frank eine Hauptrolle.
 
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