Wie der alte Griesgram fast dem Schimmer erlag

Krischan

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Es mochten zwanzig Schritte sein bis zu dem Ding, das vor ihm aus dem Boden wuchs.
Schlurfte er weiter wie bisher, vielleicht dreißig.
Zwanzig oder dreißig Schritte vor ihm gebar der frisch umgebrochene Acker einen Regenbogen.

Die Elfe blickte aus der Lichtöffnung in die Richtung, in die der alte Griesgram losgeschlurft war, sein Abendwerk zu erledigen.
Was für ein schöner Regenbogen dort, dachte sie. Wie groß er ist und wie er strahlt. Ob mein alter Griesgram ihn sehen kann oder ist er schon zu weit gegangen?

Der, den man den alten Griesgram nannte, lächelte.
„Ich kenne dich.“ sagte er. „Du hast gemacht, dass die Elfen wieder tanzen.“
Feine Eiskristalle klirrten in den Farben.
Nicht mehr lange, und es würde Nebel auf den Acker fallen.
„Du warst es.“ sagte der Regenbogen. „Du hast mich den Elfen gebracht.“
Der alte Griesgram wusste das wohl.
Als die Dunkelheit drei mal dreißig Tage nicht weichen wollte, hatte er das Elfenflügelein im weiten Pfuhl gefunden und zur Lichtung gebracht.
„Aber du hast mich geleitet.“
„Ach, Griesgram.“ sagte der Regenbogen. „Mach dich nicht kleiner, als du bist.“
„Warum bist du eigentlich so klein?“ fragte der alte Griesgram.
Wahrlich, der Regenbogen schimmerte in all seinen Farben.
Aber nur drei Mann hoch stieg er aus der Erde, leicht seinem Betrachter zugeneigt. Breit war er wie ein Rehlein, wenn es schussbereit vor dem Jäger steht.
Du siehst aus wie ein Stempel. dachte der alte Griesgram und kicherte in sich hinein.
Ein Leichtfuß rauschte auf seinem Rollrahmen heran. Vielleicht war er im Griesgramalter. Aber zum Unterschied nannte er ein kleines Bäuchlein sein eigen und es war sein Gesicht viel glatter. Manches Mal glänzte es und ließ seine runden Augengläser auf der Nase herum rutschen.
Ein Melancholiker, dachte der alte Griesgram und zog in seinen Gedanken das o verächtlich lang.
„Pass doch auf!“
Pass doch selber auf. dachte der Leichtfuß. Stehst da blöd rum und stierst.
Wir alle schieben in Laden. Nur Elfen tun das nicht.

„Pfft, Stempel. Ich bin ein Regenbogen.“ Der Regenbogen ließ dem Griesgram seinen Ärger nicht.
„Hörst du, was ich denke?“
„Natürlich. Schließlich bin ich ein Regenbogen.“
„Aber warum bist du so klein?“
„Warum bist du so klein.“
„Mach mich nicht nach.“
„Es ist das selbe. Ich bin, was du siehst.“
Manchmal muss man einen Regenbogen sehen, um sich für einen flüchtigen Gedanken seiner selbst zu erinnern.
Der alte Griesgram war ja nicht so auf die Welt gekommen. Er war ja nicht einmal jetzt einer, wie er da vor dem Regenbogen stand und stumme Zwiesprache mit sich selbst hielt. Unter seiner Griesgramschale verbarg er jemanden, den er zu schützen gedachte. Den er gefangen hielt, ohne es zu wollen.
So wie wir alle es tun, wohl wissend.

Der Regenbogen sah, wie die Grübelfalten auf der Stirn des alten Griesgram ihre Wellen schlugen.
„Du bist zu dicht.“
„Ich hatte Angst, dich zu zerstören, wenn ich weiter gehe.“
„Manchmal muss man zurücktreten, um die Dinge ganz zu sehen. Willst du dir das merken?“
„Ich will es versuchen.“
„Die Elfe hat mich gesehen. Ich bin ziemlich groß!“
„Hat der Leichtfuß dich auch gesehen?“
„Auf seinen Augengläsern. Sie sind beschlagen.
Genau wie du sucht er die Zeit.“
„Oh.“

Der alte Griesgram straffte sich. Gleich würde die Sonne untergehen. Er machte einen Schritt, einen zweiten, einen dritten und sah, wie der Regenbogen seine Farben verlor, bis er wie eine unsichtbare Säule in der Luft waberte. Er sah die Energie des Regenbogens. Bis auch sie verschwand.

Noch nie war er einem Regenbogen so nahe gekommen. Wie es wohl dahinter aussah?
Eines Tages würde der Regenbogen nicht verschwinden.
Aber noch nicht jetzt. Und auch nicht bald.
Morgen komme ich wieder und grabe dort. Vielleicht finde ich ja einen Topf mit Gold. Er lächelte immer noch.

Der große weiße Vogel, der auf dem Acker nach Mäusen und Würmern suchte, sah aus seinem Augenwinkel die Gestalt in ihren erdfarbenen Sachen.
Für ein paar Augenblicke blieb sie stehen und stierte. Aber sie beachtete den Vogel nicht, also entschied er, dass sie keine Gefahr darstellte.
Plötzlich richtete die Gestalt sich auf und ging ein paar raumgreifende Schritte. Einige nur, dann fielen ihre Schultern wieder vornüber.
Der Vogel flog auf. Er wollte seinen Schlafbaum aufsuchen, bevor der Nebel sein Gefieder vollends durchnässte.
Die Sonne war untergegangen.

Die Elfe sah ihm in sein Gesicht und strahlte. Und er strahlte zurück.
Für einen Moment war alles leicht.
 



 
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