Wie ich mich seltsam verändert habe

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In einer Zeit, in der das Miteinander und die Rhetorik von Tag zu Tag härter werden, habe auch ich mich verändert.
Das alles zehrt an den Nerven und geht nicht unbemerkt an einem vorüber.
„Es ist mir etwas geblieben“ könnte man sagen. Ich bin geschädigt.

Angefangen hatte es damals unter der Maske.
Damals, als allerorts so ein Stoffteil vor den Mund geschnallt werden musste, habe ich angefangen, unter dem Stoff leise vor mich hin zu murmeln oder zu summen; nicht zuletzt, um mich in der aufgeheizten Angststimmung ein bisschen runterzubringen.
So wusste ich die Maske bald zu meinem Vorteil zu nutzen: Selbstberuhigung einerseits und niemand hat das Plemplem-Gefasel hinter Stoff mitgekriegt.

Später dann, als die Angst vorm Virus bei mir schon wieder abgeflaut war und einem anderen Gefühl Platz machte, nämlich der Angst vor der allgemeinen Hetze, der Spaltung und der Enge, summte, sang und murmelte ich auch weiterhin meine Mantras in das nunmehr verordnete FFP2.
Gut konnte man hier auch seine Wut auslassen.
Ich gebe zu, wenn mir jemand im Supermarkt im Weg gestanden oder sonst wie blöd gekommen ist, habe ich unter der Maske oft leise geschimpft. Auf diese Weise habe ich mich abreagiert, ohne dass es derjenige mitbekommen hätte.

So manches davon hat sich bis heute gehalten, nur dass ich meine kleinen Verrücktheiten nicht mehr unter der Maske verstecken kann.
Das heißt, ich könnte schon, ich müsste einfach nur weiterhin überall Maske tragen, aber das wäre ja noch weitaus verrückter als nur vor sich hin zu motschkern.

Nachdem die Zeiten nicht und nicht besser werden, haben sich auch meine kleinen Ticks nicht gebessert.
Schlimmer wird es, das alles. Der Irrsinn der Welt schreitet voran.
Jetzt summe ich nicht nur gerne vor mich hin, sondern führe ich ständig schon Selbstgespräche.
Sogar draußen beim Spazierengehen.
Ich, die ich mich immer so beherrscht und betont unauffällig geben wollte, vergesse mich vor den Augen anderer und kann mein loses Mundwerk einfach nicht halten.
„Jetzt habe ich das Einkaufssackerl zu Hause vergessen“ erkläre ich öffentlich, als würde das jemanden interessieren, während ich in meiner Handtasche krame.
Und Selbstgespräche.
Dabei spiele ich manchmal Argumente und Gegenargumente zu einem Sachthema durch, über das ich später vielleicht schreiben will, das sind meist echt geistreiche Unterhaltungen und oft sprühend vor Witz - manchmal ist es aber auch nur inhaltsleeres Blabla. Natürlich, soweit muss ich relativieren, führe ich nicht das komplette Selbstgespräch in hörbar, sondern spreche meist nur vereinzelte Pointen laut aus.
Wenn mich besonders pfiffige Gedanken durchzucken, kann man mich auch schon mal unvermittelt grinsen sehen.

Draußen halte ich vor allem nach Tieren Ausschau.
Besonders den Vögelchen in den Bäumen gilt mein Augenmerk und nicht zu blöd bin ich mir, sie im Vorbeigehen anzusprechen und lieb zu grüßen, während ich um die Menschen lieber einen Bogen mache. Meine gefiederten Freunde, die sich praktisch überall finden, sind mir die liebsten. Aber auch mit einigen Nachbarskatzen, die Freigang haben, habe ich schon Bekanntschaft geschlossen.
Mit meinen Außer-Haus-Tieren, mit den Enten und Täubchen, die ich leidenschaftlich gern füttere, rede ich schon wie ganz normal und kaum noch schert es mich, wenn mir dabei einer zuhört.

Und wenn ich zuhause für mich bin:
Fast schon zwanghaft muss ich nun alles, was ich tue, irgendwie kommentieren oder meine Handlungen werden von oft sinnlosen Wortfolgen, lachhaften Reimen auf Pumuckl-Niveau oder seltsamen Lauten begleitet.
„Flaffi-Taffi“ nenne ich bei jeder Gelegenheit meine Hauskatze, zum Beispiel.
„Flinki-Winki“, „Klümpchen“ und „Punki-Bär“ und so Sachen sage ich nun zu ihr, die ich sie früher noch mit poetischen Ausdrücken wie „Seidenköpfchen“ bedacht hatte. Wie weit die Katze, die eigentlich ganz anders heißt, meine fortschreitenden Verrücktheiten registriert, ist unklar. Ihr ist es wohl egal, wie sie genannt wird, aber mit „Flaffi-Taffi“ fühlt sie sich, glaube ich, mittlerweile schon angesprochen.

Lautmalerisches wie ein kräftiges „Buja!“ entschlüpft mir oft, ohne dass ich es direkt will, zum Beispiel unter der Dusche. Das beunruhigt mich, dass sich das kaum noch kontrollieren lässt.
Lieder trällere ich auch nicht immer fröhlich und melodisch vor mich hin, sondern oft schon mutwillig falsch, brummig und grölend.
Oder ich plappere Werbeslogans nach, verfremde und entstelle sie und münze sie auf ganz was anderes um.
Wiederholt ertappe ich mich dabei, wie ich zum Beispiel auf dem Klo, wenn ich mich auch sicher unbeobachtet wähne, irre Verrenkungen mache oder Grimassen schneide.

Wenn es darum geht, eine Arbeit anzufangen, klatsche ich zuerst in die Hände, um mich anzufeuern.

Ob beim Putzen oder Kochen, immer muss ich den Mund offen haben, als könnte ich die Stille nicht ertragen. -Vielleicht ist das, weil man mir nun oft schon meine Meinung und meinen Mund verbieten will.
„Ich liebe meinen Mann, meinen Sohn, meine Katze, meine Täubchen, meine Enten…“ ist einer meiner wiederkehrenden Stehsätze, an denen ich mich vor allem nach dem Aufstehen oder vorm Zubettgehen festhalten kann, fallweise ergänzt um das eine oder andere Lebewesen, das mir nahesteht.
Hingegen mit Ausrufen wie „Mistkerl“ oder „Arsch mit Ohren“ (kurz: AmO) lasse ich übern Tag verteilt negativen Emotionen verbal freien Lauf.
Dann wieder: „So, jetzt schälen wir schön die Karotten, welche Schüssel für den Salat nehmen wir heute, hoppla, nicht runterfallen du blödes Teil…“ usw. unterhalte ich mich sogar schon mit leblosen Dingen.

So geht das jetzt mit mir.
Ich sollte das alles besser wohl gar nicht erst erzählen.
Für einen Jemand, der’s darauf angelegt hat, sind so Geständnisse ja nur weitere Gelegenheiten, um mich zu diskreditieren und als verrückt zu brandmarken, weil ich das Jetzt einfach nicht besser verkrafte.
Jetzt wo nur noch Resilienz und Härte gefragt ist, ist für feinfühligen Firlefanz ja schon gar keine Zeit.

Ganz ehrlich, ich hab das alles so nicht gewollt.
Eigentlich möchte ich auch gar nicht derart auffällig werden, schon gar nicht in der Öffentlichkeit als die komische Alte, die Selbstgespräche führt und Schlimmeres.
Und doch kann ich nicht anders.
Die inneren Spannungen müssen irgendwohin, müssen abgeleitet werden.
Es ist wohl eine nicht ganz ungesunde Strategie, um mit einer höchst ungesunden Realität fertig zu werden.
Jetzt habe ich nur Angst, dass das alles noch weiter eskaliert mit der Welt - und mit mir.


Nachsatz, ca. 5 Wochen später:
Nach dem Aufschreiben dieses Textes ist es mit mir - erstaunlicherweise - besser geworden.
 

Scal

Mitglied
Ich habe dir gerne "zugehört" und habe den Eindruck, dass du die Veränderungen der Gestimmtheit - bewirkt durch die vielerlei Merk- und Fragwürdigkeiten der jüngsten Jahre - hier recht "stimmig" zur Sprache gebracht hast.

Lieben Gruß
Scal
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Erdling,

ich hätte jetzt gerne geschrieben: Ach Du warst das!
Aber das wird geographisch nicht möglich sein.
Also glaube ich, Dein LyrI hat einen Haufen Schwestern ... neulich erst ... oder war ich das?

Gut zu wissen, dass es auch wieder besser werden kann :)

Liebve Grüße
Petra
 



 
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