Wie man auch noch die letzten Leser vergrault - Lektion 1

4,60 Stern(e) 9 Bewertungen

klaatu

Mitglied
***

Ich bin mir relativ sicher,
dass ich diese Worte hier
bloß in meiner Fantasie
in die Tastatur tippe

und mich in Wirklichkeit
in irgendeiner Psychiatrie befinde,

wo ich sie
mit den eigenen Fäkalien
an die Wände
des Gemeinschaftsraums schmiere,

nur um die Pfleger zu ärgern.

***

Ich weiß weder,
warum ich das hier kursiv schreibe
noch warum ich es überhaupt schreibe.


Aber die Finger
kriechen über die Tastatur

wie Maden
über eine offene Wunde

und

AUF EINMAL
SCHREIBE ICH
IN GROSSBUCHSTABEN!

"Stell dir nur mal vor", sagt plötzlich einer,
"in diesem sogenannten Gedicht
würde jetzt auch noch jemand
Wörtliche Rede verwenden!"


***

Das ist nicht philosophisch,
sondern pathologisch;

keine Kunst,
sondern Geisteskrankheit.

Wäre ich der Leser
und nicht der Autor,

würde ich ebenfalls denken,
dass ich sie nicht mehr alle habe.

Und würde ich
ein "R" verlieren,
wäre ich kein "Autor" mehr,
sondern ein "Auto"

und vielleicht
würden mir spontan
vier Räder wachsen.

Wer weiß?

IHR jedenfalls nicht!
Ihr wisst ja nicht mal,
ob ich eine Hose trage,
während ich schreibe

... und ihr werdet es
auch niemals erfahren.

***

Vielleicht
sollte ich meine Texte demnächst
auf Fünfzig-Euro-Scheine schreiben
und an Obdachlose verschenken.

Wäre das
ein guter Deal?

Denn selbst wenn

- und ich betone WENN -

noch irgendwer freiwillig
neue Gedichte lesen wollen würde,

wäre dies hier
doch mehr als überflüssig.

***

Ich
bin eben nur paar Pfund
getrocknete Scheiße,
die im Schädel eingesperrt
vor sich hin stinken.

Als Mensch
bin ich womöglich gescheitert,

aber vielleicht wäre ich ja
als Möbelstück glücklicher.

***
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Gefällt mir gut, und es erinnert mich an den Film 13 Monkeys.

Es ist wundervoll klar und absurd.
 

petrasmiles

Mitglied
Ich schaue schon immer ganz neidisch auf mein einfaches Gründerzeit-Nähtischchen. Es ist so klein und kleidsam lasiert, so klar strukturiert.
Auf mir würden ein bisschen Nippes stehen und meine Schubladen würden nicht allzuoft bemüht. Ein angenehmes Ausrufezeichen der Existenz, die nicht in Frage gestellt wird! Einfach sein.
Du bringst mich vielleicht auf Ideen!
Als Therapieform aber nicht unbedingt empfehlenswert.

Liebe Grüße
Petra
 

klaatu

Mitglied
Hallo miteinander!

@ Bernd
Auf den Zusammenhang wäre ich nie gekommen, aber den Film mag ich sehr, von daher freut mich der Vergleich.

@ Petra
Gute Wahl, das klingt nach einem Möbelstück mit Charakter. Besser als so ein 0815-Regal von IKEA.
Als Therapie könnte man es mal testen, einen Versuch ist es wert!

Danke &
LG
k
 

Ubertas

Mitglied
Lieber klaatu,
die 'Endung' auf Möbelstück ist formidabel. Was hilft es schon, zuhause die Schubladen sortiert zu haben?? So einigermaßen halt.
Mann, die Tassen.
Halt!
Da oben steht doch dein Gedicht plus unten: eins plus eins plus eins plus eins plus eins plus eins (geht jetzt echt so weiter, aber ich kann den Kommentarraum nicht kaufen) plus eins "Eins plus!"
Ja ich mag das Auto mit R und vergraulen kommt von ?
Gehöre zu den freiwilligen Lesern mit starbuttonie*****

Liebe Grüße
Ubertie
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Nach gründlichem Nachdenken habe ich es auf meine Empfehlungsliste gesetzt.
 

klaatu

Mitglied
Das unterstreicht meine Vermutung, dass “gründlichem Nachdenken“ nicht zu trauen ist. Trotzdem danke und

LG
k
 

sufnus

Mitglied
Ich glaube, ich habe diesen Text nicht gelesen, aber ich find ihn ganz gut (oder es ist genau anders herum).
LG!
S.
 

mondnein

Mitglied
nä, klaatu, mit so was Schmissigem vergraulst Du keinen, das macht man ganz anders: schreib ein Sonett, das klappt ausgezeichnet
 

mondnein

Mitglied
oder klassische Strophen (alkäische, sapphische), wie Hölderlin
wo ich sie
mit den eigenen Fäkalien
an die Wände
des Gemeinschaftsraums schmiere,
das Vergraulen klappt auch ganz gut mit Hexametern und elegischen Distichen, dann hast Du weder Leser noch Kommentatoren

überhaupt, die "festen Formen", es sei denn, Du schreibst Haikus, die sind so schön kurz, (kann doch jeder); alle "festen Formen" außer Haikus vergraulen sowohl die ersten als auch die letzten Leser höchst erfolgreich (das wäre dann Lektion 2)
 

Perry

Mitglied
Hallo klaatu,
einen "Wackelkontakt" im Denken haben vermutlich viele Geistesakrobaten, aber deswegen müssen sie kein "Möbelstück aus den 70ern" sein. ;)
LG
Manfred
 



 
Oben Unten