Willibald im Wald

molly

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Willibald im Wald

Willibald schritt langsam durch den Wald. Er schaute sich dabei gründlich um, blickte hinter jedes Gebüsch, ob da nicht eine Räuberhöhle versteckt lag. Doch er entdeckte keine Höhle und fand keine Spur, die zum Räuber Kunibert führte. Willibald seufzte laut, bückte sich von Zeit zu Zeit nach Kieselsteinchen und steckte sie in seine Hosentasche. Er war schon eine Weile gewandert, als zwischen hohen Farnkräutern eine Holzhütte auftauchte. Gebückt bahnte er sich einen Weg durchs Gestrüpp. Kurz vor der Hütte versteckte er sich hinter einem Baum. War das vielleicht die Räuberhöhle? Er nahm eine Handvoll Kieselsteine und warf sie gegen die Tür. Alles blieb ruhig und still, niemand öffnete. Willibald schlich auf Zehenspitzen zur Hütte und schaute durch das kleine Fenster. Doch so sehr er auch seine Nase an die Scheibe drückte, er sah nicht in die Hütte hinein. Das Fenster war voller Schmutz und Staub. Kurz entschlossen riss er die Hüttentür auf. Willibald merkte sofort, dass hier niemals der Räuber mit seiner Frau lebte. In einer Ecke lagen Säcke mit Mais. Den streute der Förster das ganze Jahr über für die Wildschweine aus. Dann blieben die Borstentiere im Wald und kamen nicht heraus, um in den Feldern und Gärten der Bauern nach den süßen Maiskörnern zu wühlen. Neben dem Mais lagerte der Förster Salzlecksteine, die legte er für die Rehe und Hirsche im Wald aus. Sie schleckten gerne Salz und brauchten es auch für ihre Gesundheit. Willibald entdeckte noch große Heckenscheren, Äxte, Handsägen und eine Motorsäge, das Handwerkzeug für die Waldarbeiter. Dafür interessierte sich Willibald nun wirklich nicht. Er wollte den Räuber Kunibert erwischen.
Kunibert saß in der Nähe auf dem Wipfel einer alten Eiche Er hatte den Riesen schon lange erspäht und beobachtete misstrauisch jeden seiner Schritte. Er fragte sich, warum der lange Kerl hinter alle Büsche schaute, wozu er wohl die Kieselsteine brauchte und was er in der Hütte suchte. Nachdenklich zwirbelte sich Kunibert seinen Schnurbart und beschloss, Kunigunde eine Botschaft zu senden. Sie sollte herausfinden, wer dieser Fremde war. Der Räuber kritzelte die Nachricht auf einen Zettel und faltete ihn zusammen. Nun hielt er die Hand vor den Mund und schrie dreimal wie eine Eule. Danach legte er den Zettel auf seine Waffe, die Tannenzapfenschleuder, und schoss. Der kleine Brief flog durch die Luft und die Nachricht landete vier Bäume weiter bei Kunigunde im Baumhaus. Sie schrie dreimal wie eine Eule und Kunibert wusste, dass seine Nachricht angekommen war. Kunigunde faltete den Brief auseinander und las:
„Vorsicht! Eindringling! Kennzeichen: Langer Lulatsch! Was will der hier?"
Kunigunde murmelte grimmig: „ das werden wir bald wissen.“ Sie bemalte ihr Gesicht, zog eine dicke schwarze Jacke an und band ein altes Tuch um den Kopf. Sie holte ihre Waffe, das Pusterohr, aus der Schatzkiste und steckte es in die Innentasche ihrer Jacke. Dann nahm sie die Milchkanne, kletterte vorsichtig aus dem Baumhaus und machte sich auf die Suche nach dem Fremden.
Willibald kehrte zum Waldweg zurück. Er kauerte auf dem Boden und pflückte Heidelbeeren. Bisher hatte er keinen Menschen getroffen, nicht einmal einen Waldarbeiter. Doch nun kam eine alte Frau auf ihn zu. Sie sammelte eifrig Heidelbeeren in ihre Milchkanne und achtete nicht auf Willibald. Nur noch wenige Schritte war sie von ihm entfernt. Willibald sprang auf und die Frau schrie erschrocken. Willibald ahnte nicht, dass Kunigunde vor ihm stand. Er sagte sanft:
"Hab keine Angst, Mütterchen, ich tu dir nichts.“ Die Frau starrte Willibald an und fragte: „Suchst du auch Heidelbeeren oder weshalb treibst du dich hier herum?" Willibald antwortete: „Eigentlich kam ich nicht zum Beeren suchen in den Wald." „So, so, dir ist es kalt. Warum gehst du dann nicht nach Hause?" fragte die Frau. Willibald rief nun sehr laut: „Mir ist nicht kalt, ich suche den Kunibert!“ Kunigunde tat, als würde sie ihn wieder nicht richtig verstehen und erwiderte: „Da kannst du lange suchen, hier gibt es keinen Kuniberg.“ Willibald schüttelte den Kopf. „Ich glaube, du bist ein wenig taub", sagte er. "Ja, ja, hier liegt viel Staub. Suchst du etwa Staub?" fragte sie neugierig. "Ich suche keinen Staub, ich suche den Kunibert", schrie Willibald laut. "Brüll mich nicht an, das kann ich gar nicht leiden", sagte sie und drohte Willibald mit dem Finger. Weshalb suchst du ihn denn? Ist der Kunibert dein Bruder oder dein Freund?" fragte sie. „Kunibert ist ein schlimmer Räuber und ich will ihn fangen", sagte Willibald laut und grimmig. Die Frau sprang auf Willibald zu und klammerte sich an ihm fest. "Oh Schreck und Graus, ein Räuber ist im Wald? Ich fürchte mich entsetzlich", jammerte sie. Willibald löste ihre Arme von seinem Hals und sagte: „ Hier habe ich keine Spur vom Räuber entdeckt, du kannst unbesorgt Heidelbeeren sammeln.“ Er bückte sich und pflückte Heidelbeeren, die er der Frau in die Milchkanne legte. "Suchst du noch weiter nach dem Räuber oder gehst du nun nach Hause?" wollte sie wissen. „Ich wandere bis zum kleinen See, vielleicht hat er dort seine Räuberhöhle“, sagte Willibald. Er legte noch ein paar Beeren in die Kanne, dann verabschiedete er sich von der Frau. „Hüte dich vor dem Räuber", sagte sie zum Abschied, Willibald nickte und eilte mit Riesenschritten davon.

Nun wusste der Räuber, was der Fremde im Wald suchte, denn Kunibert hatte alles mit angehört. Flink kletterte er vom Baum und lief zu Kunigunde, die noch immer bei den Heidelbeerbüschen stand. Er klopfte ihr kräftig auf den Rücken „Das hast du prima gemacht, Kunigunde“, lobte er. „Jetzt werden wir den langen Lulatsch vertreiben. Hast du genügend Tannenzapfen?" fragte sie ihren Räuber. "Ja, aber hast du auch genug Heidelbeeren?" erkundigte sich Kunibert. Kunigunde kicherte und sagte: „Der lange Kerl hat mir sogar noch welche gepflückt." Nun lachte auch der Räuber, leise natürlich, damit ihn niemand hörte. Flugs schlichen sie auf ihrem Geheimpfad hinunter zum See.
Willibald saß müde am Ufer und warf Kieselsteinchen ins Wasser. In dieser friedlichen Gegend hauste kein Räuber, sicher war Kunibert schon längst über alle Berge geflohen. Nicht weit von ihm kletterte Kunibert geräuschlos auf einen Baum, Kunigunde versteckte sich hinter einem Haselnussstrauch. Sie holte ihr Pusterohr aus der Jackentasche und legte drei Heidelbeeren hinein. Nun rief sie einmal wie eine Eule. Das war das Zeichen für den Räuber, die Schlacht konnte beginnen. Er legte einen Tannenzapfen auf die Schleuder und schoss ihn auf Willibalds Rücken. Als sich der Riese verwundert umdrehte, blies ihm Kunigunde die drei Heidelbeeren auf den Arm. Willibald stand auf und schaute in die Richtung, aus der die Heidelbeeren herangeflogen waren. Da traf ihn ein dicker Tannenzapfen am Hintern. "Aua", brüllte Willibald, doch gleich pustete ihm Kunigunde einige Heidelbeeren in den Mund und er hörte sofort auf zuschreien, bis ihm ein Tannenzapfen ans Schienbein klatschte. Es hagelte Heidelbeeren und Tannenzapfen auf den armen Willibald herab. Der Saft von den Heidelbeeren lief ihm über das Gesicht. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen. Er lief in den Wald zurück, rannte ohne Rast, bis er entkräftet das Haus der Pfeffermännchen erreichte.

Kunibert und Kunigunde rieben sich zufrieden die Hände. „Den wären wir los“, brummte der Räuber. Das wollen wir feiern", sagte Kunigunde. Sie hängte sich bei ihrem Räuber ein und gemeinsam gingen sie in ihr Baumhaus zurück. Sie legten sich in ihre Hängematten. Der Wind strich sacht durch die Blätter. Sie aßen die letzten Heidelbeeren und erzählten sich Geschichten, bis sie allmählich sanft einschlummerten.

Rätsel

Wisst ihr das noch?

Welch leckeren Schmaus,

streuen Förster für Wildschweine aus?
Wɐᴉs

©Monika Rieger
 



 
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