Wunschkater (Eine Weihnachtsmärchengeschichte)

ketelwald

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Das kleine Kätzchen Kristina hatte einen sehnlichen Wunsch: einen hübschen, netten und auch durchaus handzahmen Kater.
Da Kater aber bekanntlich nicht auf Bäumen wachsen, hatte sie sich etwas ausgedacht: sie würde sich einen stricken. Das dafür erforderliche Material – Wolle, Stricknadeln und ein entsprechendes Ratgeberbuch – war schnell gekauft. Also setzte sich Kristina abends pünktlich zur „Katzenschau“ in ihren Sessel und begann ihre Handarbeit. Solange die Nachrichten der Katzenschau über den Bildschirm flimmerten, ließ sich die Sache auch ganz gut an. Die ersten Maschen gelangen ihr schon einmal sehr ordentlich, und zum Wetterbericht hatte sie bereits eine ganze Reihe geschafft. Dann begann allerdings der Abendkrimi. Kristina war dermaßen gebannt und in die Handlung vertieft, dass die Strickware keinen rechten Fortgang nehmen wollte. Das Glas Wein und die Schale mit Erdnüssen waren zum Filmende zwar geleert, aber die kümmerliche Reihe war eine kümmerliche Reihe geblieben.
Kristina lagerte mit der Wolle und den Stricknadeln noch für weitere zwei, drei Wochen unangetastet zunächst auf dem Tisch, später auf dem Beistelltisch und letztlich in einem Korb mit den Zeitungen, Fortgang war aber nicht mehr zu verzeichnen. Da sich Stricken offenbar auch nicht von Zauberhand selbst erledigte, legte Kristina das ambitionierte Projekt schließlich ganz auf Ablage.

Es gab aber noch andere Möglichkeiten, eine davon gerade zur Weihnachtszeit sehr beliebt: das Backen eines Katers. Zwar waren klassische Kater-Backrezepte selbst im Internet eher rar gesät – und die von Kristina aufgefundenen schienen aufgrund der empfohlenen alkoholhochprozentigen Teig-Zutaten einen eher scherzhaften Hintergrund zu haben – aber davon wollte sie sich nicht abhalten lassen. Sie entschied sich für ein einfaches Mürbeteigrezept, welches als „auch für Anfänger machbar“ ausgewiesen war. Das Zusammenrühren des Teigs gelang ihr mithilfe einer Küchenmaschine noch leidlich gut, und auch das Ausrollen machte keine größeren Probleme. Letztlich gelang es ihr sogar, daraus etwas annähernd Katerähnliches auszuschneiden. Die Probleme begannen aber, als sie das Kunstwerk von der Arbeitsplatte bekommen wollte, die vorher natürlich nicht gemehlt worden war. Einige Minuten später war der nunmehr arg derangierte Plätzchenteigkater erfolgreich im Backofen verstaut und dieser instruiert, bei 180 Grad das Backwerk zu vollenden.
Erschöpft ließ sich Kristina mit einer Tasse Kaffee auf die Couch fallen und klappte kurz die Katzenaugen zu. Plötzlich schreckte sie von einem energischen Piepen auf und sah sich von dichten Rauchschwaden umgeben. Panisch sprang sie auf und stürzte in Richtung der Rauchquelle, als es ihr siedendheiß einfiel: das Backwerk! Schnell schaltete sie den Ofen aus und riss die Backofen- sowie sämtliche weitere Türen der Wohnung auf. Nachdem sich der Rauch im wahrsten Sinne des Wortes verzogen hatte, inspizierte sie den inzwischen zwar tiefschwarzen, allerdings bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Kater.

Auch dieses Vorhaben war demnach wohl als gescheitert anzusehen und Heiligabend rückte unaufhaltsam näher, den sie nicht alleine verbringen wollte. Als letzter Ausweg fiel Kristina nur noch ein Wunschzettel per Eilpost an das Christkind ein, um an einen geschenkten Kater zu gelangen. Also griff sie zu Papier und Füller und schrieb mit sorgsam gesetzten Buchstaben:

„Liebes Christkind,
zum Fest wünsche ich mir von Dir einen schönen Kater. Er darf gerne kräftig sein und mir auch die Sinne verwirren, soll mich aber durch die Feiertage begleiten.
Hoffentlich kannst Du mir noch helfen.
Deine Kristina“

Schnell stürzte sie zur Post und gab den Brief mit Eilzuschlag ins bergische Engelskirchen auf. Ganz gespannt lauerte sie die nächsten Tage auf den Postboten, und tatsächlich: Am Morgen des 24.12. hielt das Postfahrzeug vor dem Haus und der freundliche Zusteller übergab der freudestrahlenden Kristina das ersehnte Päckchen. Sie konnte sich nur mühsam bezähmen und die Öffnung des Pakets auf den späteren Abend verschieben, nachdem sie die traditionelle Bescherung bei der Familie hinter sich gebracht hatte. Bereits während des Abendessens hatte sie nervös auf dem Stuhl hin- und hergehibbelt, bei der Verteilung der Geschenke ihre über Gebühr hastig aufgerissen und sich gerade noch mit solcher Intensität und Ernsthaftigkeit gefreut, dass man ihr abnahm, überhaupt bei der Sache zu sein.
Schwer bepackt ließ sie schließlich hinter sich die Haustür ins Schloss fallen, legte die Geschenke ab und wandte sich dem Paket zu.
Recht schwer war es, stellte sie prüfend fest. Aber gut, so ein stämmiger, hübscher Kater – wer weiß? Vorsichtig ritzte sie die Verpackung, um nur nichts zu beschädigen, klappte den Deckel um und erblickte…

Eine Kiste Wein.
Rotwein.
Französischen.

Sie kratzte sich mit der Pfote am Kopf, prüfte nochmals die Adresse, schüttelte sich und kramte schließlich eine schlichte Karte mit weihnachtlichem Motiv aus der Kiste.

„Liebe Kristina,

leider war es mir nicht möglich, Dir genau das zu schicken, was Du Dir bestimmt gewünscht hast. Ich habe aber versucht, dem Wunsch so nah wie möglich zu kommen und ihn jedenfalls buchstabengetreu zu erfüllen. Denk´ mal darüber nach ;-)

Liebe Grüße und ein frohes Fest für Dich

Dein Christkind“

Was für ein Betrug, dachte sich Kristina. Aber eigentlich hatte das Christkind ja recht.
Einen Kater würde diese Kiste, zügig getrunken, bestimmt ergeben. Sogar einen kräftigen, der ihr die Sinne berauschen würde.

Andererseits, wirklich weiterhelfen würde ihr das auf Dauer auch nicht. Leise seufzend entkorkte sie die erste Flasche, goss ein großes Glas ein, nahm einen kräftigen Schluck, goss nochmal nach und öffnete zur Ablenkung die App der Social Cat-Plattform „Chatter“.
 



 
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