Yara

Frodomir

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Yara

Einen Wassermelonenshake zu bestellen inmitten der ausgebrannten Häuserruinen und dem immer wieder aufschreienden Sirenengeheul über der Stadt war Frechheit und Wunder zugleich. „Fräulein!“ - und ich war mir sicher, der Ober würde nun wie üblich Nahrungsmittelknappheit und Lieferengpässe bedauern und dich mit einem Wasser vertrösten, das bei entsprechender Bezahlung mit ein paar kostbaren Tropfen aus den Tetrapakreserven Saft oder Wein verdickt wurde. „Fräulein – wie Sie wünschen!“

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Du befühltest das Glas, ob es auch kalt genug wäre. Eine Augenbraue des Obers entzog sich zuckend seiner Kontrolle, so als befürchtete er jeden Moment, du hättest die Chuzpe, etwas an deinem Getränk zu beanstanden. In einiger Entfernung hörte man eine Häuserfassade einstürzen, der Ober räusperte sich und befingerte vergeblich die Stelle, an der bei seiner früheren Uniform die Fliege befestigt war. Eine unerträglich lange Sekunde später führtest du den Strohhalm zwischen deine Lippen und ich schrieb auf den Rand meiner Zeitung: „Wie ein Sommereinbruch in eisigem Winter...“

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Als das Gedicht fertig war, winkte ich den Ober zu mir. Ich steckte ihm eine Münze und den Zeitungsschnipsel zu und nickte so diskret wie möglich in deine Richtung. „Mann“, zischte der Ober, „machen Sie sich nicht unglücklich!“ „Wie bitte?“, erwiderte ich und deutete wie ein Idiot auf mein Gedicht, das mir der Ober samt Münze in die Hand zurück drückte.
„Mensch, wissen Sie nicht, wer das ist?“
„Wie ein Farbklecks auf einem grauen Bild...“ entfuhr es mir und für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, dein Blick hätte mich berührt.
„Das ist die Schwester von diesem Typen, der den Hauptmann erschossen hat!“, flüsterte der Ober, während er so tat, als würde er meine Bestellung aufnehmen. „Stand doch überall in der Zeitung, was das für Leute sind! Vaterlandsverräter!“ Der Ober erschrak vor sich selbst, weil er das letzte Wort so laut gerufen hatte, dass sich einige umdrehten. Er machte eine entschuldigende Geste und fuhr fort: „Hören Sie, kommen Sie uns nicht in die Quere mit Ihren Sentimentalitäten, ich habe den Auftrag, diese Dame ohne Aufsehen festzuhalten, bis die Geheimpolizei eintrifft.“
„Sie können doch nicht!“, fuhr ich hoch, aber in diesem Moment drehtest du dich zu mir um und sahst mich an mit einem Blick, der alles zu wissen schien und nicht mehr fürchtete, was da kam. Ich setzte mich nieder, der Ober grinste triumphierend, dann lief er zur Tür, an der mit einem Schlagstock hämmernd Einlass verlangt wurde.

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Als man dich mitnahm, wehrtest du dich nicht. Zwei uniformierte Arme hoben dich unsanft vom Stuhl, während der Ober seinen Daumen durch ein Bündel Scheine gleiten ließ. An den anderen Tischen wurde getuschelt, ohne dabei mit dem stumpfen Zermalmen der Brotration innezuhalten. „Ist das nicht die Spionin?“ „Ja, die Saboteurin!“ „Ihr Bruder hat doch den Major erschossen, als der ihm den Einberufungsbefehl geben wollte!“ „Ja, aber es war ein General, mein Herr.“ „Unglaublich, anstatt für uns zu kämpfen, erschießt er den, der ihm die Waffen reicht!“ „Den hat man zu Recht gehängt, so ein Verräterschwein!“ „Und jetzt ist seine Schwester dran!“ Ein feister Glatzkopf am Nachbartisch quiekte vor unverhohlener Begeisterung. In meiner Hand zersprang mein Bierglas. Ich wollte aufspringen und rufen „Ihr Wahnsinnigen, wir haben den Krieg doch schon lange verloren!“, aber da sah ich dich, wie du weggezerrt wurdest. Und vor dir auf dem Boden kroch, unbemerkt von allen, ein Insekt, ein Käfer, und auf seinem Panzer schlug der Stiefel des Geheimpolizisten ein. Ich konnte aus der Entfernung nicht erkennen, ob das Tier augenblicklich tot war oder ob es das Glück hatte, in eine Rille der Stiefelsohle geraten zu sein. Aber ich werde niemals vergessen, wie du dann, vom Polizisten hinter sich hergezogen, diesen kleinen Hüpfer machtest über dieses Wesen, das keiner wahrnahm außer dir und mir.

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Als sich die Tür schloss, stimmte der Glatzkopf neben mir ein Kampflied an. Manche Gäste sangen kräftig mit, andere bewegten nur ergeben die Lippen. An deinen Tisch schlich sich eine ältere Dame und machte sich heimlich über den Rest deines Wassermelonenshakes her. Ich blickte leer auf den Zeitungsschnipsel mit meinem Gedicht und hielt ihn in die Flamme der Tischkerze. Dann gab ich dem Ober ein paar Münzen, nahm meinen Uniformmantel und meine Waffe und ging zurück ins Einberufungszentrum.
 

petrasmiles

Mitglied
Sehr gut eingefangen, dieses stumme Aufbegehren, wenn alle sich einig zu sein scheinen in ihrem Wahn.
Bis vor noch wenigen Jahren hätte ich es für einen Blick in die Vergangenheit gehalten, heute scheint es mir nicht unmöglich, ein Ausblick zu sein.

Liebe Grüße
Petra
 

Frodomir

Mitglied
Hallo Petra,

ich danke dir für deinen Kommentar. Ich befürchte auch, dass diese Thematik leider etwas Zeitloses an sich hat. Dennoch hoffe ich, dass der schlimmste Kelch an uns vorüber geht. Doch wenn zunehmend die Vorbilder fehlen, die eine Vision friedlichen Zusammenlebens abseits des infantilen "Der ist gut" und "Der ist böse" - Denkens vorleben, dann ... naja, lassen wir das.

Liebe Grüße
Frodomir
 



 
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