zentrum (gelöscht)

G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo semanja,

wenn auch ein wenig spät, aber erst einmal ein herzliches Willkommen auf der Lupe.
Nun zu deinem Werk: Ich weiß, ein wesentliches Merkmal von Lyrik ist die Verdichtung, aber, wenn dann so verdichtet wird, dass der Leser die „Geschichte“ nur schwer oder gar nicht herauslesen kann, dann hat der Autor/die Autorin über das Ziel hinausgeschossen.
Ich für meinen Teil grübele seit der Einstellung und es bleiben mir einfach zu viele Fragezeichen. Du lässt mich als Leser im Regen stehen und das auch noch ohne Schirm.

Lieben Gruß
Franka
 

Duisburger

Mitglied
Hallo,

auch ich bin ein großer Freund der Verdichtung, der Reduktion. Doch ich muss mich hier Fraka anschliesen. Mir ist das zu viel, ich finde keinen Zugang zum Werk.
Das kann hier nur an einem Wort liegen, an einer Wendung.
So zum Bsp. das Wort "liebegeborene". Wie soll ich das ohne Kontext interpetieren?

-aus liebe geboren
-geborene liebe
-eine liebe geborene

Für mich geht es nicht.

lg
Duisburger
 

semanja

Mitglied
dank für die kommentare!

ja, es ist schon eine frage, wie weit man reduziert. eines meiner großen "vorbilder" dafür ist rose ausländer. und auch bei ihr frag ich mich oft, WAS ist WIE gemeint. doch lieber frage ich mich sowas, als dß ich mich gähnend durch phrasen wühle, oder durch banalworte, füllworte, zwangsreime am zeilenende - dann doch lieber wort für wort kargheit.

konkret jetzt noch:
es passt gar nichts zu meinem liebegeborene
so wie ich es meine

das eben ist ja das problem... denn in dem moment wo etwas dazu gesetzt wird, ist die gewollte mehrdeutigkeit beim teufel. das wort liebegeborene ist aber genau das zentrum - und soll mehrdeutig bleiben. nur dadurch ist leseraktivität möglich, oder wird doch zumindest stark angeregt, wenn einen ein text anspricht.
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo semanja,

also, gute Lyrik hat nichts mit Phrasen, Banalworten, Füllworten und Zwangsreime am Zeilenende zu tun, aber Lyrik soll den Leser erreichen, das passiert jedoch nicht, wenn nur die Autorin ihr Werk, die Geschichte dahinter. verstehen kann.
Ein Text, der die Leser nicht erreicht, ihn sogar teilweise bewusst außen vor lässt, ist für mich auch schlecht.

LG Franka,

die nach deinem Kommentar ein wenig das Gefühl hat, dass du mich als Leser nicht erreichen willst.
 

semanja

Mitglied
grübel grübel

hmmm - da hast du irgendwie recht und irgendwie auch nicht.
"nicht willst" ist falsch.
aber, nach jahrzehnten vor mich hinschreibens, fange ich jetzt erstmal überhaupt an, was zu veröffentlichen
und dieser kleine lyrikfurz ist tausend prozent (lache mal) ohne jeglichen gedanken an irgendeinen leser entstanden. ich denke an gar keinen menschen, wenn ich etwas (ver)dichte. ich denke nur, wie kriege ich es "leicht" und doch gehaltvoll hin...
soweit mal
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Moderation:

So weit, so gut, aber wir hier auf der Lupe haben schon einen gewissen Anspruch, dazu gehört, den Leser zu erreichen und danach ein Feedback in Form von Kommentaren oder Bewertungen zu bekommen, was du ja nun auch schon erlebt hast.
Wenn du beim Schreiben nicht an die Leser denkst, geht das noch in Ordnung, aber, bevor du deine Werke einer breiten Öffentlichkeit vorstellst, wird schon erwartet, dass du an deine zukünftigen Leser denkst. Vielleicht solltest du darüber noch einmal nachdenken, besonders, bevor du wieder hier einstellst.
 

semanja

Mitglied
wie ich schrieb. ich unterscheide zwischen der zeit der entstehung und der zeit der veröffentlichung. außerdem: an den leser denken kann ja ganz unmöglich heißen, für den leser so verständlich wie möglich zu schreiben - vielleicht ist das so bei einem wissenschaftlichen text oder einer gebrauchsanweisung für irgendwas - jedoch, bei einem gedicht? vielleicht sollte ich mehr in das forum experimentelles einstellen und hier nicht? allerdings glaube ich, es liegt auch immer am lesenden, was er versteht. ein jeder liest und versteht so, wie er kann. und dasselbe gilt auch fürs schreiben.
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo semanja,

nur noch als Abschluss,
es geht einfach darum sich in den Leser hineinzuversetzen, zu erspüren, ob trotz oder wegen der Verdichtung, der Leser noch zu erreichen ist, nicht mehr und nicht weniger. Was bringt es einem Autor, wenn seine Werke den Leser nicht erreichen, im schlimmsten Falle werden seine Bücher nicht gekauft.

LG Franka
 
P

penelope

Gast
hallo semanja,

ich wollte mich eigentlich nicht einmischen, aber nachdem, was ich hier zu lesen bekam, muss ich einfach meine meinung und mein lesen deines gedichtes hier niederschreiben:

zunächst, franka schreibt dir:

Wenn du beim Schreiben nicht an die Leser denkst, geht das noch in Ordnung, aber, bevor du deine Werke einer breiten Öffentlichkeit vorstellst, wird schon erwartet, dass du an deine zukünftigen Leser denkst.
das ist für mich, leider, was dichtung angeht, vollkommen falsch. denn: wenn ich an einen leser denke, wenn ich schreibe, dann brauche ich nicht zu schreiben, dann müssen wir rose ausländer, paul celan und viele andere deutsche oder anderssprachige dichter aus unseren lehrbüchern streichen oder eine bücherverbrennung vornehmen (aber das hatten wir ja schon einmal)...

als nächstes, du schreibst:

wie ich schrieb. ich unterscheide zwischen der zeit der entstehung und der zeit der veröffentlichung. außerdem: an den leser denken kann ja ganz unmöglich heißen, für den leser so verständlich wie möglich zu schreiben - vielleicht ist das so bei einem wissenschaftlichen text oder einer gebrauchsanweisung für irgendwas - jedoch, bei einem gedicht?
du entringst mir einen jubel, einen lustschrei aus meiner kehle. genau das muss dichtung nämlich leisten, und wenn es leser gibt, die eine bestimmte art von dichtung nicht lesen können, liegt es nicht an deinem gedicht, sondern an der leseerfahrung des lesers. du hast als dichter(in) das recht auch eine erwartung an deinen leser zu stellen, einen leser zu erwarten, der sich auch mit nicht realistischen texten auseinandersetzen kann (ich z.b. kann 90% der gedichte, die hier eingestellt werden nach wenigen zeilen nicht mehr weiterlesen, weil sie nichts als worthülsen darstellen und damit keine dichtung sind. verständlich sind sie, ja, auf jeden fall, aber sicherlich keine dichtung!)

und nun: möchte gerne einige worte zu deinem gedicht selbst sagen...

in den lüften, die mich das jahr über umgeben, uns im allgemeinen, ob im haus, auf dem balkon, der terrasse oder im garten, kommen die farben vor, die sich in deinem gedicht zunächst festsetzen, denn ein gedicht ist zunächst motivation und natürlich auch motiv. und ich sehe und lese zeile für zeile die bildkörper, denen nichts heilig ist außer sich selbst. deshalb: ich rede sie laut daher, sie überschlagen sich fast in einem asketischen wirbel, der sie so sehr in gegensatz bringt zu den durchbluteten wörtern, aus denen sie bestehen: fällt eine gelbe / fällt eine rote / fällt schnee auf / eine(...): da ist der gang vom sommer in den winter, das ist doch deutlich genug (gelb=sonnenblume, rot=blätter im herbst, und dann der schnee), und da frage ich mich, was ist da schwer zu verstehen, da bricht die kälte, die langsam auch bei mir ankommt, diese eisberge in meinem kopf, die zerspringen, zersplittern, werden zu partikelchen, denen ich nachgehen kann, wenn ich will. jedes partikelchen hat dann ein höfchen, ein bläschen, eine aura um sich herum, in die sich andere höfchen, bläschen und auren vorsichtig einmischen, in ihren zentren aber eigenständig bleiben. deshalb auch mitten im zentrum ein so wundersames, wunderbares wort, die du da erwählt hast: liebegeborene... damit ist auch dein titel erklärt, für mich jedenfalls, damit ergeben sich, wenn ich auch mal surrealistisch sein darf, bedeutungsschwangerschaften aus jedem deiner worte, aus jeder zeile, von denen einige sich leicht austragen lassen, andere vielleicht in der fehlgeburt enden oder im künstlichen abort, wer weiß. auf jeden fall aber bleiben schallende spuren, hörbare, fühlbare, in deinem fall knirschende: der lauschen zu / alle wesen / draußen / im knirschenden weiß... eine verwebung, ja waben, texturen, noppen, knoten, löcher, die sich schon selbst in ihren klanglichen strukturen abbilden lassen. und je länger ich mich diesem knirschen hingebe, sehe ich schuhe, füße, menschen, ich sehe die welt, diese kalte, verschneite, die du in dieser unglaublichen reduktion dennoch für mich sichtbar machen kannst... mehr brauche ich nicht, mehr braucht ein gedicht für mich als leser nicht zu leisten, da sie mir alles gegeben hat, um mich darin zu verlieren...

in diesem sinne

lg penelope
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo penelope,

so ganz kann ich mit deiner Antwort nicht mitgehen, (wobei du mich auch ein wenig falsch interpretiert hast, aber das nur am Rande) ich möchte als Leser schon ein wenig vom Autor an die "Hand genommen werden", er soll mir helfen seine "Geschichte" aus dem Werk zu lesen, es zu enträtseln.

LG Franka
 
P

penelope

Gast
liebe franka,

wenn ich dich falsch interpretiert haben sollte, möchte ich mich dafür ernsthaft entschuldigen. und wenn du sagst:

ich möchte als Leser schon ein wenig vom Autor an die "Hand genommen werden", er soll mir helfen seine "Geschichte" aus dem Werk zu lesen, es zu enträtseln.
finde ich das ok, klar, das will jeder von uns.
ich habe jedoch versucht durch meine analyse dir zu zeigen, dass dieser text den leser mehr als an die hand nimmt, und ich habe die befürchtung, du hast sie nicht ernsthaft gelesen, denn die zeichen und gefühle, die hier überaus geschickt gesetzt werden, sind für mich völlig klar... und man darf dabei nicht vergessen, dass es sich hier um poesie handelt, nicht um "irgendeine" geschichte zu erzählen oder zu erklären.
deshalb bin ich jetz doch gezwungen erklärend eine kurze definition über die surrealistische dichtung im allgemeinen zu geben, die ich in diesem werk empfinde, um es dir auch wirklich zu verdeutlichen, was wir hier gemeinsam gelesen haben.
danach aber verhalte ich mich still, da ich der meinung bin, dass wir so etwas gern diskutieren können, gern woanders, aber nicht auf dem rücken eines autors, der hier einstellt:

Das Wort „Surrealismus“ bedeutet wörtlich „über dem Realismus“ oder „jenseits des Realismus“ (bzw. über der Wirklichkeit; bzw. jenseits der Wirklichkeit). Die vom französischen Schriftsteller und Kritiker André Breton seit 1921 in Paris geführte surrealistische Bewegung suchte die eigene Wirklichkeit des Menschen im Unbewussten und verwertete Rausch- und Traumerlebnisse als Quelle der künstlerischen Eingebung und sie bemühte sich darum, das Bewusstsein und die Wirklichkeit global zu erweitern und alle geltenden Werte umzustürzen. Sie ist daher eine anarchistische, revolutionäre Kunst- und Weltauffassung. Der Begriff „neologistischer Klassizismus“ geht auf Guillaume Apollinaire zurück, der damit eine neuartige künstlerische Richtung bezeichnete. Ausgehend von der dadaistischen Bewegung in Paris stellte auch der Surrealismus eine aufrührerische Kunstbewegung dar, die gegen die unglaubwürdigen Werte der Bourgeoisie antrat, im Gegensatz zum negativ-destruktivistischen Dadaismus jedoch eine konstruktivere Sicht der Dinge propagierte. Beeinflusst vom Symbolismus, Expressionismus, Futurismus, den Schriften Lautréamonts, Jarrys und den Forschungen Sigmund Freuds stellt der Surrealismus eine nichtrationale und die Gefühle betonende Welt des Traums in den Vordergrund, lehnt jedoch logisch-rationale „bürgerliche“ Kunstauffassungen radikal und provokativ ab. Der Surrealismus verbreitete die Befreiung der „Wörter“ und eine Ästhetik der „kühnen Metapher“.
nachlesbar auf wikipedia!

um nichts anderes wird hier gekämpft: es geht um die kühne metapher, die mir in diesem falle sehr gelungen scheint...

aus und schluss...

lg penelope
 
T

Thys

Gast
penelope,

willst Du meine Kommentare schreiben? ;)
Und danke für Deine ausführliche Beschreibung. Der kann ich
mich nur anschließen. Den Text klicke ich immer wieder an und
lese ihn durch. Der hat, wie viele der semanja-Texte, für mich
einen ausgesprochenen Milko-Effekt. Als ich den zum ersten
Mal las, dachte ich: "Was ist das denn?" Reduktion pur.
Irgendwie die reine Schlichtheit. Irgendwie mag ich sowieso
mehr so die schlichte Eleganz. Die Barockengelchen sind nicht
so mein Ding. Und nach dem "Was ist das denn für eine
Schlichtheit" kam mir gleich der Gedanke "Vergehen/Verfall".
Außerdem "gucken" mich solche Texte an, hab ich jedenfalls das
Gefühl und ich muss die auch immer wieder angucken, bis ich
damit meinen Frieden gemacht habe. Naja, jetzt hat Du mein
unterschwelliges Bauchgefühl sehr schön bestätigt und beschrieben
und ich kann also auch meinen Frieden mit diesem "zentrum"
machen.

Gruß

Thys
 
M

mirami

Gast
hallo semanja,

ich habe dein gedicht gerade erst entdeckt. von mir ein großes kompliment.
professionell! gerade die nicht erklärende art. wohltuend und erfrischend so
etwas hier zu lesen.

mir fielen ad hoc mehrere szenarien dazu ein. das mir liebste:
eine beerdigung bei schneefall. :)

viele grüße und weiter so!
mirami

p.s. den diskussionsbeiträgen von penelope und thys stimme ich zu. denen ist wohl nichts mehr hinzuzufügen.
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo, semanja!

ich habe jetzt die Kommentare nicht gelesen. Das schaffe ich vielleicht in den nächsten Tagen.

[blue]Eine Liebgeborene[/blue] ja, das gibt es, Menschen, die wie Götterlieblinge sind ,Amadeus, sie verstreuen ihre Reichtümer verschwenderisch, weil sie sonst daran ersticken müssten. Sie sind nicht zu übersehen und zu überhören für alle, welche "einen Draht" zu diesen speziellen Reichtümern besitzen. Und so klingt ihr Sein noch fort, wenn es auf irdischer Ebene nicht mehr hörbar ist, es klingt fort für alle Wesen, die ohne Ohren zu hören pflegen, für Pflanzen, Steine usw. [blue]draußen im knirschenden weiß[/blue].

[blue]die rote,
die gelbe[/blue]

gehören möglicherweise nicht zu diesen Götterlieblingen, dennoch benennt Dein Text sie in einem Atemzug mit der Liebgeborenen, denn auch die Beiden teilen das Schicksal der Liebgeborenen und haben einen Anteil daran auf ihre Weise.

Ein geradezu umarmender Text. Ein Text, der von der Einheit allen Seins spricht, wie ich ihn schlichter noch nicht gelesen habe, glaube ich.

Auf diese Weise lese ich dieses lyrische Werk, nachdem Michael Lentz mir durch seine Texte eine nicht unerhebliche Lektion über Reduzierung erteilt hat. *lach*

Freue Dich dieses Textes, ich tue es jedenfalls auch.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

jon

Mitglied
"Zulauschen" gibt's nicht; man "hört zu/hin" oder "lauscht auf". Nur mal so angemerkt. Wenn es "lauschen zu" heißen soll, dann muss es einen über "lauschen" / "lauschen auf" hinausgehende Bedeutung haben (, die ich nicht erkennen kann, aber ich kann die Bedeutung der ersten zwei Zeilen auch nicht erkennen und sie sind trotzdem haargenau so gewollt).
 

semanja

Mitglied
zulauschen

gibt es nicht?
bei mir durchaus.
und das immer wieder.
ich lausche zu.
ich lausche zu dir.
ich lausche weg
und tauche ab
jetzt hier auch gleich wieder.

warum sollte es das nicht geben? für jon vielleicht nicht. für mich aber schon. tsssss
 
B

bluefin

Gast
hallo semanja,

mit dem lauschen liegst du leider daneben.

mit deinem gedichtlein aber ganz und gar nicht, und vor allem damit nicht, dass du dich standhaft weigerst, den bequemeren unter uns sowas zu liefern wie eine gebrauchsanweisung - so eine ruinierte alles.

es ist ohnehin schlchterdings völlig unmöglich, jenseits plattester botschaften etwas so zu vermitteln, dass der andere genau das versteht, was der urheber wirklich (und zwar in dem moment, in dem er's gesagt oder geschieben hat) gedacht, gewollt oder gemeint hat. das geht einem ja schon selber mit den eigenen texten so.

ich halt deine paar worte für ein hübsches weihnachtsgedicht. ob's nun blätter sein sollen oder glaskugeln, is wurscht - zeitgemäße farbe halt, und ob das, was da geboren wurde, männlich oder weiblich ist, auch - hauptsache liebe, und dass wer kommt und ihr zuhört, obwohls draussen schneit.

worte sind wie wollsocken: der soldat steckt seinen schweißfuß rein, die omi ihr geld, der nikolaus die plätzchen und der penner den kopf, wenn's kalt wird. ich hab sie sogar schon als driver-schoner gesehn.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 



 
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