hallo semanja,
ich wollte mich eigentlich nicht einmischen, aber nachdem, was ich hier zu lesen bekam, muss ich einfach meine meinung und mein lesen deines gedichtes hier niederschreiben:
zunächst, franka schreibt dir:
Wenn du beim Schreiben nicht an die Leser denkst, geht das noch in Ordnung, aber, bevor du deine Werke einer breiten Öffentlichkeit vorstellst, wird schon erwartet, dass du an deine zukünftigen Leser denkst.
das ist für mich, leider, was dichtung angeht, vollkommen falsch. denn: wenn ich an einen leser denke, wenn ich schreibe, dann brauche ich nicht zu schreiben, dann müssen wir rose ausländer, paul celan und viele andere deutsche oder anderssprachige dichter aus unseren lehrbüchern streichen oder eine bücherverbrennung vornehmen (aber das hatten wir ja schon einmal)...
als nächstes, du schreibst:
wie ich schrieb. ich unterscheide zwischen der zeit der entstehung und der zeit der veröffentlichung. außerdem: an den leser denken kann ja ganz unmöglich heißen, für den leser so verständlich wie möglich zu schreiben - vielleicht ist das so bei einem wissenschaftlichen text oder einer gebrauchsanweisung für irgendwas - jedoch, bei einem gedicht?
du entringst mir einen jubel, einen lustschrei aus meiner kehle. genau das muss dichtung nämlich leisten, und wenn es leser gibt, die eine bestimmte art von dichtung nicht lesen können, liegt es nicht an deinem gedicht, sondern an der leseerfahrung des lesers. du hast als dichter(in) das recht auch eine erwartung an deinen leser zu stellen, einen leser zu erwarten, der sich auch mit nicht realistischen texten auseinandersetzen kann (ich z.b. kann 90% der gedichte, die hier eingestellt werden nach wenigen zeilen nicht mehr weiterlesen, weil sie nichts als worthülsen darstellen und damit keine dichtung sind. verständlich sind sie, ja, auf jeden fall, aber sicherlich keine dichtung!)
und nun: möchte gerne einige worte zu deinem gedicht selbst sagen...
in den lüften, die mich das jahr über umgeben, uns im allgemeinen, ob im haus, auf dem balkon, der terrasse oder im garten, kommen die farben vor, die sich in deinem gedicht zunächst festsetzen, denn ein gedicht ist zunächst motivation und natürlich auch motiv. und ich sehe und lese zeile für zeile die bildkörper, denen nichts heilig ist außer sich selbst. deshalb: ich rede sie laut daher, sie überschlagen sich fast in einem asketischen wirbel, der sie so sehr in gegensatz bringt zu den durchbluteten wörtern, aus denen sie bestehen:
fällt eine gelbe / fällt eine rote / fällt schnee auf / eine(...): da ist der gang vom sommer in den winter, das ist doch deutlich genug (gelb=sonnenblume, rot=blätter im herbst, und dann der schnee), und da frage ich mich, was ist da schwer zu verstehen, da bricht die kälte, die langsam auch bei mir ankommt, diese eisberge in meinem kopf, die zerspringen, zersplittern, werden zu partikelchen, denen ich nachgehen kann, wenn ich will. jedes partikelchen hat dann ein höfchen, ein bläschen, eine aura um sich herum, in die sich andere höfchen, bläschen und auren vorsichtig einmischen, in ihren zentren aber eigenständig bleiben. deshalb auch mitten im zentrum ein so wundersames, wunderbares wort, die du da erwählt hast:
liebegeborene... damit ist auch dein titel erklärt, für mich jedenfalls, damit ergeben sich, wenn ich auch mal surrealistisch sein darf, bedeutungsschwangerschaften aus jedem deiner worte, aus jeder zeile, von denen einige sich leicht austragen lassen, andere vielleicht in der fehlgeburt enden oder im künstlichen abort, wer weiß. auf jeden fall aber bleiben schallende spuren, hörbare, fühlbare, in deinem fall knirschende:
der lauschen zu / alle wesen / draußen / im knirschenden weiß... eine verwebung, ja waben, texturen, noppen, knoten, löcher, die sich schon selbst in ihren klanglichen strukturen abbilden lassen. und je länger ich mich diesem knirschen hingebe, sehe ich schuhe, füße, menschen, ich sehe die welt, diese kalte, verschneite, die du in dieser unglaublichen reduktion dennoch für mich sichtbar machen kannst... mehr brauche ich nicht, mehr braucht ein gedicht für mich als leser nicht zu leisten, da sie mir alles gegeben hat, um mich darin zu verlieren...
in diesem sinne
lg penelope