Am Horizont zeichnete sich Land ab. Dort war ihm jedoch keine Insel und schon gar kein Kontinent bekannt. Zugegeben, er war noch niemals hier gewesen, doch die Informationen, die er von Tirson erhalten hatte und die in das Bild passten, das Santas–Gor von der Geographie MAGIRAs hatte, wiesen für dieses Gebiet kein Land auf.
Dennoch war dort Land. Rikyu entschloss sich, dort an Land, zu gehen und Erkundigungen einzuziehen. Der Wind stand günstig und die Fahrt ging flott vonstatten.
Das Einlaufen erwies sich als einfach, die Einfahrt war breit genug, um auch wesentlich größere Schiffe hinein– und hinauszulassen. Seine Nussschale machte keinerlei Schwierigkeiten. Er war noch niemals in seinem Leben hier gewesen, und doch, irgendwie kam ihm dies alles vertraut vor. Irgendwie gehörte diese Welt zu ihm und er zu diesem Leben hier.
Bekannte doch ungewohnte Laute drängten an sein Ohr. Ja, dies war die Sprache, die ihn Akimoto gelehrt hatte, dies war die Sprache, die die Sprache seines Volkes sein sollte, des Volkes der CHOSON!
Seltsame Empfindungen ergriffen Besitz von HOSHEI Rikyu.
Ein Schwindelgefühl ließ ihn taumeln, doch sofort bezwang er sich und hielt sein Augenmerk auf das Segel gerichtet, das er jetzt einholte. Einen freien Platz zum Anlegen hatte er auch schon ausgemacht und er hielt darauf zu.
Sacht knirschte der Bootsrumpf an der Mauer. Einer der CHOSON, denn solche mussten es wohl sein, griff nach der Bugleine und belegte sie. Rikyu selbst sprang mit der Heckleine an Land und befestigte auch diese. Dann richtete er sich auf und drehte sich langsam um.
JA! Hier war er zu Hause, hierhin gehörte er!
Er wandte sich wieder zu dem Boot, das ihn viele Tage getragen hatte, wohin er wollte. Es würde wohl nicht mehr gebraucht werden.
„Verzeiht, Fremder, wenn ich euch störe. Ihr seid soeben angekommen?“
Rikyu drehte sich langsam um, das Schwert mit der linken Hand in der Scheide haltend. Wie ungewohnt diese Worte waren, bekannt zwar die Laute, doch lange nicht gehört oder gesprochen.
„Ihr seht richtig.“ Er musste überlegen, wie er sich ausdrücken sollte. „Darf ich die Frage an euch richten, wo wir uns befinden? Wie heißt dieses Land?“
Der Hafenwächter lachte. „Ihr seid auf Kibiki gelandet, Fremder. Kibiki ist der Insel Tokara vorgelagert. Doch will ich Euch nicht mit allgemeinen Dingen langweilen. Ich habe euch nach Eurem Namen zu fragen. Nennt ihn mir bitte.“
Diese Art der Unterhaltung hatte Rikyu lange vermissen müssen. Auf irgendeine Weise gefiel ihm diese Höflichkeit, die nie zu aufdringlich wurde, besser als der rauhe, herzliche Umgangston der Seeleute in Tarcy oder Tanilorn. Die Worte der Korsaren waren überhaupt nicht damit zu vergleichen.
„Mein Name wird euch nichts sagen, denn ich stehe zum erstenmal auf diesem Boden. Ich gehöre zur Familie der HOSHEI.“
„HOSHEI? Ein HOSHEI seid Ihr?“ Die Ungläubigkeit stand dem Wächter auf der Stirn geschrieben.
„Ihr hört recht. Mein voller Name lautet HOSHEI Rikyu. So sagte es mir mein Lehrer.“ Er zögerte, weiterzusprechen.
„HOSHEI Rikyu“, wiederholte der Wächter langsam, als ob ihm dieser Name bekannt vorkäme. Rikyu antwortete nicht, er wartete.
Der Wächter wandte sich wieder an den Ankömmling. Sein Blick fiel auf die Waffe, die der CHOSON an der Seite trug.
Ehrerbietiger als vorher noch bat er, die Klinge sehen zu dürfen. Rikyu, der keinen Grund sah, ihm dieses Anliegen nicht zu erfüllen, zog halb blank und drehte sich dem Wächter zu. Dieser sah sich die Tsuba, das Stichblatt, an, sein Blick wanderte dann über die Ziselierung der Klinge, kam zurück und verweilte am Griff. Rikyu, der dem Blick gefolgt war, nahm die Hand kurz vom Griff, so dass der Wächter sie ohne Behinderung betrachten konnte, ließ dann aber das Schwert wieder in die Scheide zurückgleiten. Mit einem leisen Klick wurde es arretiert.
„Verzeiht einen Augenblick, Fremder!“ wandte sich der Hafenwächter an den HOSHEI. „Ich habe einige Anweisungen zu geben.“ Damit drehte er sich um und winkte zwei Soldaten, die in der Nähe gewartet hatten. Jetzt kamen sie heran. Einige leise, schnelle Worte, die Blicke der beiden wandten sich zu Rikyu, kehrten aber gleich wieder zum Wächter zurück, der weitersprach.
Rikyu hörte seinen Namen nennen, worauf die beiden Soldaten ihn wiederum anblickten, ungläubig, wie es schien. Doch sofort machten sie kehrt und strebten der Stadt zu.
„Ihr mögt euch etwas gedulden. In kurzer Zeit werdet Ihr abgeholt..“ Rikyu wollte schon fragen, wer ihn denn wohin bringen wolle, doch er unterdrückte diese Regung, denn er wollte nicht zu neugierig erscheinen. Außerdem schien der Wächter ihm nicht antworten zu wollen oder zu dürfen. Er wappnete sich also in Geduld.
Es dauerte wirklich nicht lange, bis ein Trupp Bewaffneter zum Hafen hinunterkam, geführt von den beiden Boten. Sie machten alle ein recht freundliches, erwartungsvolles Gesicht, keiner blickte finster drein.
Jetzt erst wandte sich der Wächter wieder an den HOSHEI. „Diese Männer werden euch zur Residenz des SHOGUN bringen: nach Shilla.
Sie haben Anweisung, für Euren Schutz zu sorgen.“ Er drehte sich den Ankommenden zu und sprach einige Sätze zu ihnen.
Der Anführer des Trupps sah Rikyu an. „Bitte habt die Güte, mir zu folgen. Ihr werdet auf dem schnellsten Wege nach SHILLA gebracht werden. Seid Ihr bereit dazu?“ - „Ich bin es.“ - „Dann folgt mir!“ Damit drehte er sich um, gefolgt von Rikyu, der wiederum von den Soldaten gefolgt wurde.
In einer Seitenstraße hatte der Trupp Pferde stehen. Auch an Rikyu war gedacht worden, auch für ihn war ein Pferd vorhanden. Sie saßen auf, ritten gleich darauf im Galopp aus der Stadt.
Über den Weg nun war nichts Besonderes zu berichten, der Trupp kam nach einigen Stunden wieder an eine Küste. Dort lag ein Boot bereit, in das Rikyu mit dem Hauptmann einstieg. Gleich darauf legte das Gefährt ab, die Segel wurden gesetzt.
Doch auch diese Fahrt dauerte nicht lange, bald war wieder Land in Sicht, die Insel Monoshi. Rikyu hatte während der bisherigen Reise kein Wort gesprochen, auch der Offizier hatte sich nicht an ihn gewandt, Jetzt aber sprach er ihn an. „Dort, auf dieser Insel, befindet sich die Residenz unseres Herrschers, dort befindet sich SHILLA. Ihr habt Glück, Fremder, dass KU'RITA U’rizzen sich augenblicklich dort aufhält. Ihr werdet wahrscheinlich schnell vorgelassen werden. Doch das“ schloss er, „obliegt nicht meiner Entscheidung.“
Das Boot legte an, die Soldaten stiegen an Land. Rikyu und der Offizier folgten ihnen.
Was mich angeht, so begleiten euch meine besten Wünsche zum SHOGUN. „Verzeiht, wenn ich Euch mit Fragen belästigen sollte“, beeilte sich der HOSHEI zu sagen, denn sein Gesprächspartner machte Anstalten, unverzüglich wieder in See zu stechen. „Es erscheint mir doch ungewöhnlich, dass einem Fremden solche Aufmerksamkeit erwiesen wird. Er wird unter Geleitschutz zum Herrscher gebracht; sein Name erregt Aufsehen; Offiziere, die ihn nicht kennen, wünschen ihm Glück. Was an meiner Person ist so besonders?“
„Ihr seht mich erstaunt“, bekam er als Antwort. „Wisst Ihr denn nicht um Eure Herkunft, um Euren Namen? Nein, richtet keine Fragen an mich, die ich nicht zu beantworten habe. Dies ist Sache des SHOGUN. Ich bitte Euch, geduldet solange.“
Der Offizier verneigte sich vor Rikyu, der es ihm natürlich nachtat, und ging dann endgültig zurück an Bord.
Als sich der junge CHOSON wieder dem Land zuwandte, sah er dort eine neue Eskorte auf sich zukommen. Auch sie ritt vollen Galopp. Vor ihm parierte der Reiter durch. „Verzeiht, doch tragt Ihr den Namen HOSHEI Rikyu?“ „Ihr irrt euch nicht, Ich bin HOSHEI Rikyu.“ – „Dann bitte ich Euch, mich in die Hauptstadt des Reiches nach SHILLA zu begleiten. Habt die Güte, aufzusitzen.“ Er wies auf ein lediges Pferd, das nach vorne gebracht wurde.
Rikyu warf noch einen letzten Blick zurück aufs Meer, wo er noch das Boot sehen konnte, das ihn hierher gebracht hatte, dann stieg er in den Sattel.
Die Truppe wendete und ritt im gleichen Tempo, in dem sie gekommen war, den Weg wieder zurück. Zwei, drei Stunden dauerte der Ritt, schätzte Rikyu später.
Bald tauchte die Silhouette der Stadt am Horizont auf, kam schnell näher und wurde immer größer. Einige Wachposten, an denen sie vorbeikamen, machten sofort Platz, als sie näher kamen. Auch Zivilpersonen, die den gleichen Weg hatten, traten zur Seite und ließen die Reiter vorbei. Ja, sogar andere Reiter unterbrachten ihre Reise, um ihnen den Weg nicht zu versperren. Auf diese Weise kamen sie sehr schnell voran und kurz darauf passierten sie die Stadtmauern. Rikyu war in SHILLA!
Doch auch jetzt gab es kein Verweilen, wenn auch kein Galopp mehr geritten wurde. Zielstrebig wandte sich der Offizier der Residenz zu.
Rikyu wurde allmählich etwas mulmig zumute. Kaum war er angekommen, wurde er erkannt, im nächsten Augenblick stand eine ganze Reihe von Transportmöglichkeiten für ihn bereit, nur um ihn so schnell wie möglich vor den Herrscher zu bringen. So eilig hätte er es nun wirklich nicht gehabt.
Sicher konnte diese Prozedur nicht für jeden Gelandeten gelten, also musste er irgendwie aufgefallen sein. Doch womit? Er hatte nur seinen Namen genannt und seine Waffe gezeigt. Doch auch darum war er gebeten worden. Blieb also nur der Name. Rikyu vermutete, dass es seine besondere Bewandtnis damit hatte, konnte sich aber nicht denken, in welche Richtung die Sache sich entwickelte.
„Würdet Ihr bitte absitzen!“ Er schrak zusammen. Ja, sie waren im Palast angekommen. Er gab sein Pferd einem wartenden Knecht in Obhut und schritt hinter seinem Führer her.
Schließlich wurden sie von zwei Palastwachen aufgehalten. Sein Führer blieb zurück, Rikyu wurde in ein Dampfbad geführt. Dort erwarteten ihn einige hübsche CHOSONAI, die sich ihres Auftrags, ihn zu baden, mit sichtlicher Freude widmeten.
Sie zogen ihm die Kleidung aus, geleiteten ihn in eine Kabine, in der er von Kopf bis Fuß eingeseift wurde, um unmittelbar darauf mit lauwarmem Wasser abgespült zu werden.
Dreimal wurde diese Prozedur vorgenommen, dreimal wurde er abgespült. Dann schien man mit ihm zufrieden zu sein und führte ihn in einen größeren Raum, in dem in einem großen Becken Wasser dampfte. Er ließ sich hineingleiten und entspannte sich.
Ah, das tat gut nach diesem Wahnsinnsritt! Das heiße Wasser entkrampfte die Muskeln und machte einen wohlig müde. Rikyu streckte sich aus und ließ seine Gedanken schweifen. Noch einmal durchlebte er die Geschehnisse seit seiner Landung, noch einmal fragte er sich nach dem Grund für diese seine Behandlung. Er kam sich fast vor wie ein Fürst.
Eine leise Stimme weckte ihn aus seinen Tagträumen. Er blickte unwillig hoch, lächelte aber sofort, denn eines seiner reizenden Bademädchen lachte ihn an und sofort war sein Unmut über die Störung verflogen.
„Wenn es euch recht ist, Herr, möchten wir euch für die Audienz vorbereiten.“ Sprach's, verbeugte sich und verschwand. Doch im gleichen Augenblick erschienen die beiden anderen Hübschen und brachten Handtücher mit. Rikyu entstieg dem nassen Element und ließ sich abtrocknen, auch wenn ihm manchmal etwas heiß wurde. Und das lag nicht an der Raumtemperatur!
Doch schließlich war kein Tropfen mehr an seinem Körper zu finden und er ging wieder in die Kabine, durch sie hindurch und fand seine Kleidung, sorgsam gereinigt und zusammengelegt, vor. Er kleidete sich an und harrte dann der Dinge, die da kommen sollten.
Und sie kamen.
**********
Es wird vor das Antlitz des SHOGUN gerufen: HOSHEI Rikyu! Tretet vor!“ Der CHOSON erhob sich und machte zwei Schritte auf den Sprecher zu.
„Folgt mir!“ Rikyu tat, wie ihm geheißen. Eine Shoji-Tür wurde aufgeschoben und er konnte die Fürsten des Reiches sehen, die im Audienzraum saßen. Und dort, im Hintergrund, dort auf dem kleinen Podest, saß ein großer stattlicher Mann, dem das Ornat, der Haori, nicht allzu gewohnt zu sein schien. Dies musste der Herrscher über das Volk der CHOSON sein, des Volkes, zu dem er gehörte, zu dem er jetzt heimgekehrt war.
Rikyu blieb im Eingang stehen und verbeugte sich. Er wagte nicht, sich ohne Auffordeung zu erheben, wusste er doch nicht, welche Etikette hier herrschte.
„Erhebt Euch!“, hörte er. Er richtete sich wieder auf und blickte sein Gegenüber abwartend an.
„Kommt näher und setzt Euch!“ Der Arm mit dem Fächer machte eine einladende Bewegung zu Rikyus Linken. Der junge CHOSON fasste dies mangels passender Anweisungen als Aufforderung auf, sich um die auf ihren Fersen hockenden Fürsten herum an der linken Seite des Raumes auf den Herrscher zuzubewegen.
Schräg hinter dem Herrscher saß ein junger Krieger, sein persönlicher Vertrauter und gleichzeitig seine Leibwache.
Soviel wusste Rikyu noch vom Unterricht durch Akimoto her. Dies war der Hatamoto des Herrschers.
Im Näherkommen fand Rikyu seinen ersten Eindruck bestätigt. Der Haori schien dem Ersten der CHOSON nicht sonderlich gewohnt zu sein, wahrscheinlich trug er viel lieber leichte Kleidung, die nicht einengte.
Fünf Schritte vor dem Podest blieb Rikyu wieder stehen. Erneut verbeugte er sich, erneut wurde er aufgefordert, näher zu treten.
Erst als er unmittelbar vor der Erhöhung des Bodens stand, wurde ihm bedeutet, sich niederzulassen: er bekam ein Sitzkissen zugeschoben. Es war eine weibliche Hand, doch Rikyu würde sich jetzt um nichts in der Welt gestatten, sich umzusehen. Schließlich hatte er Audienz!
„Nennt mir Euren Namen und Eure Herkunft, Fremder.“ Ein flüchtiges Lächeln der Augen begleitete das letzte Wort, so als ob es nicht ganz ernst gemeint sei, als wüsste der Sprecher eigentlich eine bessere Anrede.
Wieder verneigte sich Rikyu und antwortete dann. „Mein Name ist HOSHEI Rikyu, Sohn von HOSHEI Hirokazu. Von meiner Herkunft vermag ich nur zu sagen, dass ich dem Volk der CHOSON entstamme. So sagte mein Lehrer mir.“
„Wer ist Euer Lehrer?“ kam die nächste Frage. „MORJ Akimoto lebt nicht mehr. Er starb fern seiner Heimat.“
„Ihr sagt, dass Euer Lehrer Euch unterwies. Lebtet Ihr ebenfalls fern von hier? Wo seid Ihr aufgewachsen?“
„Verzeiht meine unvollständigen Antworten. Mein Vater und mein Lehrer befanden sich auf einer Schiffsreise, als sie von Korsaren überfallen wurden. Dabei kam mein Vater um. MORJ Akimoto unterwies mich in allem, was er mir zeigen konnte, in allem, was er wusste. In diesen Jahren lebten wir bei Korsaren an der Straße der Helden.“
„Al Marun?“ Die kurze Zwischenfrage stoppte den Redefluss des Jünglings nur kurz. Er nickte. „Ja, es war Marun. Mein Pflegevater erzog mich zu einem Korsaren, doch mein Lehrer unterwies mich in inneren Werten. Ich habe ihm viel zu verdanken.“
Er machte eine kurze Pause, sprach dann weiter. „Ich trennte mich von den Korsaren, kam nach Tanilorn und von dort aus hierher. Verzeiht, ich landete auf Kibiki.“
„Von dort erhielt ich Meldung, dass ein Fremder angekommen sei, der den Namen HOSHEI trüge.“ Der Herrscher setzte den Bericht für ihn fort.
„Ich ließ Euch auf dem schnellsten Weg hierher bringen, um mich persönlich von der Lage der Dinge zu überzeugen.“
Rikyu konnte es nicht mit Worten beschreiben, doch sein Gegenüber schlug ihn in seinen Bann. Dieser Mann war ein geborener Herrscher, er besaß natürliche Autorität, Charisma, das auf dem Schlachtfeld wohl noch stärker zu spüren sein würde. Ja, dieser Mann war Herrscher!
„Bitte lasst mich Euer Kenzen sehen und erzählt derweil, auf welche Weise Ihr nach Kibiki gelangt seid.“
Rikyu folgte der Aufforderung ohne Eile. Er löste die Sicherungsschnur, zog die Scheide aus dem Obi und reichte dem Hatamoto die Waffe mit der Scheide voran.
Dieser jedoch beugte sich etwas vor und drehte die Scheide, so dass sie sich quer vor ihm befand, um erst dann die Waffe in Empfang zu nehmen. Rikyu erschrak nicht, doch er würde sich diesen Punkt merken.
Dann berichtete er von seiner Fahrt in dem kleinen Boot. Als er die Mietdauer erwähnte, unterbrach ihn der Herrscher mit einer Handbewegung und fragte ihn dann: „Was gedenkt Ihr hier zu tun? Wollt Ihr bleiben oder zieht es euch wieder fort?“ - „Wenn Ihr gestattet, Herr, so möchte ich bleiben. Ich gehöre in dieses Volk.“ – „Dann benötigt Ihr das Boot nicht mehr.“ Dies war keine Frage, sondern eine Feststellung. Eine weitere Handbewegung ließ einen der Diener forteilen, er würde die Sache regeln.
Rikyu berichtete weiter. Er berichtete von jenem Drang aufs Meer, der ihn dazu veranlasst hatte, sich einem solch kleinen Fahrzeug anzuvertrauen. Der SHOGUN hörte zu, ohne ihn noch einmal zu unterbrechen.
Schließlich war der junge CHOSON mit seiner Geschichte zu Ende. Er verneigte sich und wartete dann ab.
KU'RITA U’rizzen saß eine Weile ruhig da und überdachte das Gehörte. Schließlich begann er zu sprechen.
„Wisset, HOSHEI Rikyu, Euer Name, der Name der Familie der HOSHEI, war lange Zeit nicht zu hören in diesem Reich. Euer Zweig schien erloschen zu sein. Euer Vater, Hirokazu-san, war mit seinem Sohn hinausgefahren, ohne weitere Nachkommen zu hinterlassen. Tokara, die Insel, der Kibiki vorgelagert ist, ist der Stammsitz der Familie der HOSHEI. Ihr seid, ohne es zu wissen, nahe Eurer Heimat gelandet. Die Zeitangaben in Eurem Bericht stimmen mit den hier vorliegenden Daten überein. Auch diese Waffe bestätigt Eure Worte.“
Mit diesen Worten überreichte er ohne Umweg über seinen Hatamoto Rikyu dessen Kenzen wieder, mit beiden Händen vor sich gehalten, und der junge CHOSON nahm die Klinge wieder an sich. Der Herrscher sprach weiter.
„Dies ist die Waffe, die in der Familie den HOSHEI vom Vater auf den Sohn weitergereicht wurde. Sie weist ein sehr hohes Alter auf. Es ist Euer Schwert.“
„Doch nicht der gesamte Name der HOSHEI war vergessen. Der Zweig des HOSHEI Hirokazu schien nicht mehr zu existieren, ein Irrtum, von dem wir uns heute glücklicherweise haben überzeugen können. AMIRADA-kami sei Dank!“ KU'RITA U’rizzen erhob seine Stimme unmerklich.
„HOSHEI Rikyu, Ihr werdet angewiesen, Euch nach Tokara zu begeben und euch dort bei eurer Familie zu melden. Ihr werdet bei HOSHEI Koichi bleiben und dort die Ausbildung erhalten, derer ihr noch bedürft.. Erweist Euch ihrer als würdig.“
Der SHOGUN erhob sich und augenblicklich verneigten sich alle Anwesenden mit Ausnahme des Hatamoto. Sie erhoben sich erst wieder, nachdem der Herrscher den Raum verlassen hatte.
**********
"Was mich betrifft, halte ich es für eine große Ehre, eine solche Audienz beim SHOGUN zu erhalten. Doch ich habe auch bisher noch keinen Grund gehabt, mich um ein Vorsprechen zu bemühen.“ Rikyus Führer, selbst ein HOSHEI aus einer der verbliebenen Seitenlinien, bemühte sich redlich, den ihm Anvertrauten auf andere Gedanken zu bringen. HOSHEI Junai, der die Gelehrtenlaufbahn eingeschlagen hatte, wusste jedoch bald keinen Rat mehr. Was er auch versuchte, welches Thema er auch anschnitt, sein Schützling gab, wenn überhaupt, nur einsilbige Antworten, die ein Gespräch wohl nicht in Gang zu halten vermochten.
Stets war ein nachdenkliches Gesicht zu finden, so als sinne er über etwas nach, ohne auf die Lösung zu kommen. Oder lauschte er vielleicht auf eine Weise der Umgebung, die Junai noch nicht kannte? Vielleicht hörte er ihm sogar zu und es war nur nicht seine Art, Worte zu machen, wo es auch ohne Worte ging. Junai wusste sich keinen Rat mehr.
Zugegeben, dieser HOSHEI ritt gut, er hielt seine Waffen so, als wüsste er damit umzugehen, und wenn er sich unbeobachtet glaubte, dann suchten seine flinken Augen die nähere Umgebung ab, als wäre da etwas verborgen, was er ergründen wollte. Doch gleich darauf stand wieder der nachdenkliche fast geistesabwesende Zug auf seinem Gesicht, den Junai nicht deuten konnte.
Er machte einen neuen Versuch. „Hinter diesem Wald werdet Ihr einen Hügel sehen, der den Eingang zu einer Schlucht verbirgt. Mit dieser hat es eine besondere Bewandtnis, kommt man doch durch sie zu einem weiteren Berg, der eine im ganzen Reich sehr bekannte Höhle aufweist.
In der Nähe entspringt springt ein Bach, der aber schon nach einigen Toro wieder in der Erde versinkt. In der Höhle kommt er wieder aus dem Fels heraus, jetzt allerdings durch heiße Gesteinsschichten stark aufgeheizt.
Diese Höhle, durchweg mit Sand bedeckt, weist etwa 45 Grad Wärme auf. Es ist die Höhle der Geburt. Vielleicht habt Ihr davon gehört.“
Diesmal schien er endlich Erfolg zu haben. HOSHEI Rikyu gab seine Nachdenklichkeit auf und hörte seinem Führer konzentriert zu. Sogleich verstärkte dieser seine Bemühungen noch, um vielleicht doch noch eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
„In dieser Höhle der Geburt kommen fast alle TOWAN-Jungen zur Welt. Die TOWAN-Weibchen legen ihre Eier auf dem heißen Sand ab und warten ab, bis die Hitze sie endgültig ausgebrütet hat. Zwar bleiben die Tiere in der Höhle, doch kümmern sie sich nicht sonderlich um Ihren Nachwuchs.
CHOSON und CHOSONAI, die das 12. Lebensjahr vollendet haben, werden zur Nacht der Eiwache zu dieser Höhle gebracht. Dies ist die Nacht, in der die jungen TOWAN ausschlüpfen. Wie ich hörte, wart ihr zu dieser Zeit nicht im Reichgebiet, so dass euch die Chance entging, einen jungen TOWAN zum Gefährten zu erhalten. Ich selbst war zweimal in der Höhle, doch die Jungen kümmerten sich nicht um mich.
Wenn Ihr Interesse habt, können wir vielleicht bei Gelegenheit die Höhle besuchen, damit Ihr zumindest die Örtlichkeit...“
HOSHEI Junai brach ab, er hatte bemerkt, dass Rikyu ihm schon nicht mehr zuhörte. Stattdessen machte sich bei ihn eine seltsame Unruhe bemerkbar.
Wiederholt blickte er zu dem Hügel hin, hinter dem die Schlucht zur Höhle begann. Wieder schien er die Umgebung einer genauen, peinlichen Prüfung zu unterziehen, kehrte aber mit den Augen immer wieder zur Höhle zurück. Der Wald lag hinter ihnen, der Eingang wurde sichtbar.
Plötzlich, offenbar einem inneren Impuls folgend, riss der junge CHOSON sein Pferd herum und lenkte dessen Schritte in Richtung Höhle. HOSHEI Junai hatte mit dieser Reaktion nicht gerechnet und deutete sie falsch.
„Herr! Ich muss befürchten, dass Ihr meine Worte falsch aufgefasst habt. Nicht jetzt ist die Zeit, um die TOWAN zu besuchen, die Nacht der Eiwache ist schon einige Monate verstrichen. Ihr werdet schwerlich zu dieser Zeit auch nur einen der Echsenhunde dort finden. Ich ersuche Euch, zurück auf den Weg zu kommen, um zu Eurem Sho–Ko zu gelangen.“
Zwecklos! Rikyu achtete überhaupt nicht auf ihn. Den Eingang zur Schlucht hatte er bereits erreicht und schickte sich gerade an, sie zu betreten, als er sein Pferd durchparierte und wie erstarrt im Sattel saß. Dann stieg er ab, blieb aber stehen.
Junai kam heran, stieg ebenfalls ab und suchte mit den Augen nach dem Grund für Rikyus seltsames Verhalten.
Rikyu selbst bewegte sich nicht, dennoch schien er sich bewegen zu wollen.
Im Gebüsch vor ihnen raschelte es, als würde sich ein großes Tier durch die Zweige zwängen. Junais Schwert lockerte sich fast automatisch und als er einen massigen Körper ausmachen konnte, wollte er seine Waffe auch ziehen.
Aber er bekam es nur etwa zur Hälfte aus der Scheide, als es ihm mit Nachdruck wieder hineingestoßen wurde. Jemand hatte ihm den Griff aus der Hand geschlagen, das Kenzen befand sich wieder an seinem Platz!
Junai versuchte nicht, die Waffe ein zweites Mal zu ziehen, denn er sah jetzt die Ursache des Raschelns: ein TOWAN! Er konnte nicht ausmachen, ob es sich bei diesem Exemplar um ein Weibchen handelte, das in der Nähe seine Behausung hatte oder ob es ein freilebendes Tier war, eines ohne festes Revier.
Der TOWAN blickte Rikyu unverwandt an und auch der CHOSON hatte nur Augen für die Echse.
Junai wagte keine Bewegung, er wollte diese Begegnung nicht stören.
„Wer bist du?“ Die Worte aus Rikyus Mund galten nicht ihm, nicht Junai, sie waren für das Wesen vor ihm bestimmt.
Junai kam aus dem Staunen nicht mehr heraus Offenbar war dieser CHOSON, gerade erst im Reich angekommen, in der Lage, sich mit diesem TOWAN zu unterhalten. Dieses Phänomen war ausgesprochen selten und Junai dankte AMIRADA-kami, dass er dies erleben durfte Für seine Forschungen würde diese Begegnung eine wichtige Hilfe sein.
Er schrak zusammen. Rikyu rührte sich wieder, stieg aufs Pferd und machte Anstalten, wieder auf den Weg zurückzukehren. Junai wendete ebenfalls, als er sah, wie sich der TOWAN ihnen anschloss. Er folgte Rikyu, als gehöre er zu ihm. Junai verstand die Welt nicht mehr.
Wieder auf dem Weg drängte es ihn, nach dem Grund zu fragen, warum sich alles so abgespielt hatte. Doch er bezwang sich, um nicht neugierig zu erscheinen. Rikyu würde sich schon erklären, wenn er es an der Zeit fände. Einige Zeit fiel kein Wort zwischen ihnen. Dann aber wandte sich Rikyu an seinen Führer. „Darf ich annehmen, dass Ihr nicht verstehen könnt, was sich abgespielt hat?“, fragte er freundlich. Er war wie ausgewechselt.
Junai beeilte sich, ihm zuzustimmen, damit Rikyu es sich nicht noch anders überlegte und sein Wissen doch noch für sich behielt. „Ihr habt recht, Herr! Diese Dinge vermag ich nicht zu begreifen. Doch wenn ihr so gütig sein wollt, mir einige Worte der Erklärung zu widmen, AMIRADA-kami würde es euch lohnen.“ Er blickte ihn erwartungsvoll an.
Rikyu ließ diese Worte auf sich einwirken. „Ja, ihr sollt Aufklärung, erhalten. Doch sprechen wir zunächst von meinem Eindruck auf euch auf dem ersten Teil dieser Reise. Sagt ehrlich, wie schätztet ihr mich bisher ein?“
„Nun, ihr wart sehr schwer zu beurteilen, immer erschient ihr von schweren Gedanken erfüllt. Immer schient ihr jemandem zu lauschen, ohne ihn verstehen zu können. Hätte ich euch nicht an jener Höhle gesehen, so würde ich jetzt meinen, dass ein anderer Mensch auf diesem Pferd sitzt.
So aber weiß ich, dass Ihr euch verändert haben müsst und ich mache den TOWAN dafür verantwortlich.“
„Ihr seid ein guter Beobachter, Junai-san. In vielen Dingen habt ihr Recht. Tatsächlich lauschte ich in meinen Gedanken einer Stimme, von der ich nicht wusste, woher sie kam. Ich versuchte, aus dem Gelände Rückschlüsse zu ziehen, doch es half nichts.
Schließlich erzähltet ihr von der Nacht der Eiwache bei den TOWAN. In diesem Augenblick wurde die Stimme lauter, die in meinem Kopf sprach. Und seit diesem Augenblick... doch ich muss etwas weiter ausholen, damit ihr mich verstehen könnt. Während meiner Audienz berichtete ich dem SHOGUN von einem merkwürdigen Drang, von einem Zug, der mich dazu bewegte, in Tanilorn mit einem Boot in See zu stechen und nach Kibiki zu kommen. Ich konnte mir diesen Drang bisher nicht erklären, ich hielt ihn für das Verlangen, zu meinem Volk zu gelangen, dem ich entstamme.
Doch auch nachdem ich hier gelandet war, verließ mich dieser Drang nicht, Er wurde zwar schwächer, doch gleichzeitig auch deutlicher. Es war wie eine Stimme in meinen Gedanken, eine Stimme, die mit mir sprach, ohne dass ich sie verstehen konnte.
Nun, vorhin, als ich den Weg verließ, rief mich diese Stimme. Ich konnte mich nicht dagegen wehren und wollte es auch gar nicht. Ja, HOSHEI Junai, ihr mögt es schon erraten haben: diese Stimme gehörte diesem Echsenhund hier, der uns nun begleitet.
Vorhin, bevor ich abstieg, hörte ich plötzlich die Worte: ‚Da bist Da ja endlich, lange genug hat es ja gedauert, Rikyu’. Ihr werdet es mir nachsehen, wenn ich zunächst nicht in der Lage war, zu antworten.
Schließlich fragte ich: ‚Wer bist Du?', erwartete aber eigentlich keine Antwort. Doch sie kam: ‚Oh. ich bin Issek. Bemühe dich nicht, dich vorzustellen, ich kenne dich gut genug. Schließlich warte ich seit einigen Jahren auf dein Kommen.’ Ich brauchte einige Zeit, um diese Worte zu verstehen. Mit dem Kopf meine ich, meine Ohren konnten mir da nicht helfen. Doch es ging noch weiter: ‚Allerdings solltest du über deinem Staunen deinen Auftrag nicht vernachlässigen. Gehen wir.’ Ich glaube, ich bin dann wieder aufs Pferd gestiegen und weitergeritten.“ Rikiyu unterbrach sich und lachte leise.
„HOSHEI Junai, ich habe die Ehre, Euch meinen TOWAN Issek vorzustellen, der seit geraumen Jahren auf mich wartete. Er war es, der in meinem Kopf sprach. Er zog mich hin zu diesen Inseln.
Ich wurde von einem TOWAN erwählt.“
Junai sagte nichts mehr. Die Rollen schienen vertauscht. Rikyu war jetzt in der Stimmung, sich zu unterhalten, Junai dagegen war sehr nachdenklich geworden. Er versuchte, das Geschehene zu verstehen, versuchte es zu erklären, doch es fiel ihm schwer.
Rikyu aber unterhielt sich mit Issek, seinem neugewonnen Gefährten, mit dem er sich gründlich auszusprechen schien.
**********
Wie lautet Euer Name?“ Der Sho–Ko der Familie HOSHEI lehnte sich zurück. „Ich bin HOSHEI Rikyu.“ Die Antwort kam ruhig aus dem Mund seines Gesprächspartners gegenüber.
„Und Eure Familie?“ – „Mein Vater war HOSHEI Hirokazu. Er starb in der Fremde. Mein Erziehung erhielt ich von einem CHOSON, der mich zu sich nahm.
Sein Name war MORJ Akimoto. Auch er lebt nicht mehr.“
Der Sho–Ko überlegte einen Augenblick. „Wie kamt ihr hierher, in das Reich?“
„Ich landete an einer Küste, ohne zu wissen, dass es sich um die Insel Kibiki handelte. Ich wusste nur, dass ich hier zu Hause bin.“
„Eure Jugend, HOSHEI Rikyu?“ Die Worte kamen gelassen aus dem Mund des Älteren. Ihm war keine Regung über das Gehörte zumerken.
„Ein merunischer Kaperer nahm mich bei sich auf. Der MORJ lehrte mich, ein CHOSON zu werden. Der Korsar lehrte mich, ein Korsar zu werden. Ich wurde ein CHOSON.“
Die nächste Frage: „Wie fandet Ihr Kibiki?“ – „Ich wusste nicht, wohin ich segelte. Ein unbestimmbares Verlangen trieb mich hierher. Ich konnte es mir nicht erklären. Heute weiß ich, dass es Issek war, mein TOWAN.“
Zum ersten Mal regte sich etwas im Gesicht des Ratsherrn. „Der TOWAN wies Euch den Weg, sagt Ihr?“
„Ihr hört recht. Auf dem Weg hierher trafen wir uns und er begleitet mich nun.“
Die Erregung war dem alten HOSHEI deutlich anzumerken. Er atmete schwer und konnte sich nur mit Mühe zur Ruhe zwingen.
Er blickte von dem CHOSON zum TOWAN und zurück, dann wieder zum Tier.
Issek, der natürlich genau wusste, worum es sich handelte, ‚grinste’ den Sho–Ko an. Außerdem versuchte er vorsichtig mit dem Schwanz zu wedeln, ganz leicht nur, um nichts zu zerstören.
Demgemäss blieb nicht allzu viel vom Wedeln übrig.
„HOSHEI Rikyu-san, ihr kommt aus SHILLA?? Ihr kommt vom SHOGUN?“ – „Ja, Herr. Ich habe eine Schriftrolle bei mir, die ich Euch zu übergeben habe. Sie stammt vom Herrscher. Erlaubt, dass ich sie Euch überreiche.“ Mit diesen Worten griff er in den Ärmel und holte eine versiegelte Rolle heraus, die er dem Sho–Ko mit beiden Händen überreichte. Dieser nahm sie, prüfte sorgfältig das Siegel und erbrach es schließlich. Er begann zu lesen.
Rikjyu saß derweil abwartend vor ihm und schien sich um nichts auf der Welt zu kümmern. Allerdings war er hellwach und ‚unterhielt’ sich wieder mit Issek.
Der Ratsherr ließ die Rolle sinken und schaute sein Gegenüber an. Die bisherige kaum wahrnehmbare Zurückhaltung war nun einem ebenso zurückhaltenden Wohlwollen gewichen. Der Grund dafür waren die warmen Worte auf der Schriftrolle und die Art, wie Rikyu die Fragen beantwortet hatte.
„Ich werde für Eure Ausbildung sorgen.“ Damit war das Gespräch beendet und Rikyu verneigte sich. Dann erhob er sich und verließ, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, den Raum, gefolgt von Issek.
Draußen jedoch, nachdem die Shoji–Türen wieder geschlossen waren, blieb er stehen und atmete ein paar Mal tief durch. Er war offenbar in die Familie, in die er gehörte, in die Familie der HOSHEI, aufgenommen worden.
**********
"Berichtet!“
HOSHEI Junai gehorchte nicht sofort. Er überlegte seine Worte, ehe er sprach.
„Herr, ich sprach während des Ritts hierher von der Höhle der Geburt, da wir in unmittelbarer Nähe vorbeikamen, wie Ihr wisst. Vorher hatte er kaum auf meine Worte geachtet, doch jetzt zeigte HOSHEI Rikyu plötzlich Interesse. Gleich darauf verließ er den Weg und lenkte sein Pferd zur Höhle, blieb jedoch am Eingang zur Schlucht stehen und stieg ab. Als ich ihm folgte, sah ich, wie er einem TOWAN gegenüber stand. Sie sahen sich an. Nur einmal hörte ich, wie der CHOSON sprach. ‚Wer bist Du?' waren seine Worte. Offenbar meinte er den Echsenhund. Dann reagierte er wieder auf meine Anwesenheit und setzte zusammen mit dem TOWAN den Ritt fort.
Unterwegs erklärte er mir das Geschehene. Er habe seinen TOWAN getroffen, der ihn seit Jahren erwartet hätte.
Herr, ein derartiges Vorkommnis ist mir bisher noch nicht bekannt gewesen. Erlaubt, dass ich daran zweifele, dass Derartiges überhaupt schon vorgekommen ist.
Dies ist mein Bericht.“
Er verneigte sich und wartete so, bis ihm ein leises Geräusch das Zeichen zum Erheben gab. Er stand auf und verließ den Raum.
Er hatte berichtet. Schlüsse daraus zu ziehen stand nur dem Sho–Ko zu, nicht aber ihm.
Nachdem Junai gegangen war, nahm der Ratsherr HOSHEI Koichi die Schriftrolle zur Hand, die HOSHEI Rikyu ihm im Auftrag des SHOGUN überreicht hatte.
Sie enthielt eine Empfehlung, dem Überbringer, eben jenen Rikyu, eine bevorzugte Ausbildung angedeihen zu lassen, damit dieser die Lücken, die er noch besaß, möglichst rasch schließen konnte. Allerdings wusste der Herrscher noch nichts vom TOWAN. Doch der Begleiter war eine normale Erscheinung in den Ausbildungsgängen. Manche Schüler hatten ein solches Tier bei sich; sie alle waren in der Nacht der Eiwache von einem Jungen erwählt worden. Es war jedoch das erste Mal, dass diese Wahl erst Jahre später stattfand, der TOWAN seinen Gefährten jedoch schon früher gekannt oder besser gefühlt hatte.
Er würde nach SHILLA berichten, mit einem Sonderkurier.
HOSHEI Koichi ließ sich Papier und Pinsel geben, rieb Tusche an und setzte den Bericht auf.
Er versiegelte die Rolle und ließ HOSHEI Junai herbeirufen, dem er die Nachricht übergab. Der Kurier machte sich sofort auf den Weg.
Dann kümmerte sich der Ratsherr um die Ausbildung Rikyus, die ihm angetragen worden war.
Er wies ihm die besten Lehrmeister an, die diesen hart forderten. Außerdem nahm Rikyu am normalen Unterricht teil, den die jüngeren Schüler erhielten.
Die Ausbildung bestand im Wesentlichen aus Übungen an den einzelnen Waffen, aus Erklärungen der Techniken und wieder Übungen. Dabei wurden die Schüler sowohl gegen Lehrer als auch gegen andere Schüler aufgestellt. Innerhalb kurzer Zeit gewannen sie so eine große Fertigkeit in der Handhabung des Kenzen, des langen wie des kurzen – auch gleichzeitig.
Aber auch im Gebrauch der Inata, der langen Schwertlanze wurden sie ausführlich unterwiesen. Die Erlangung des ersten Meistergrades in der Schwerttechnik war Pflicht für alle Teilnehmer und Voraussetzung für die Fortsetzung der Ausbildung.
Für die Schüler, denen ein TOWAN folgte, änderte sich die Ausbildung etwas, denn die besonderen Fähigkeiten der Echsenhunde mussten gebührend berücksichtigt werden. So wurden die Jungen an den Kampf gewöhnt, den sie zusammen mit einem nichtmenschlichen Partner führten und sie lernten, dessen Eigenheiten und Fähigkeiten richtig einzusetzen.
Rikyu als ‚Nachzügler’ in den Ausbildungsgängen hatte kaum Schwierigkeiten mit den Schwerttechniken, auch mit den Inata freundete er sich schnell an. Er war jedoch nicht daran gewöhnt, mit einem TOWAN zu arbeiten; diese Umstellung bereitete ihm die größten Probleme. Dazu kam noch, dass die Lehrer, dem Wunsch des Herrschers gemäß, dem Schützling des SHOGUN besondere Aufmerksamkeit zuwandten, so dass bei hm auch die allerkleinste Schwäche unerbittlich korrigiert wurde.
Doch soviel Rikyu auch aufgebürdet wurde, soviel bewältigte er auch. Er schien keine Grenzen zu kennen, jedes Wissen saugte er auf und wusste es erstaunlich kurze Zeit später folgerichtig anzuwenden und einzusetzen.
Ähnliches galt für die zeremoniellen Disziplinen. Nicht nur der Kampf mit dem Schwert, auch die Versenkung in sich selbst, die Vereinigung mit AMIRADA-kami wurde gelehrt. Und in dieser Versenkung wurde wieder gekämpft.
Zunächst nur formell, später mit der vollen Geschwindigkeit, die schon der Korsarenführer bestaunt hatte.
Ebenfalls nicht zu kurz kamen Übungen, die die grundsätzliche Handhabung der Waffen lehrten. Die Grundbewegungen wurden einstudiert und immer und immer wieder geübt. Rikyu war stets an vorderster Stelle zu finden.
Unermüdlich schien er zu sein, ob es nun bei den Kämpfen mit festgelegten Bewegungen, den Kata, oder im freien Kampf galt, sich zu behaupten.
Große Hilfe wurde ihm dabei durch seinen Gefährten zuteil, der ihm ständig zur Seite stand. Oft genug ‚rettete’ Issek Rikyu das Leben, wenn er einen Pfeil, der für ihn bestimmt war, zur Seite schlug – mit seinem Schwanz!
Er wusste Rikyu immer genügend Bewegungsfreiheit zu erhalten, indem er in einem Kreis um ihn herumsauste und jeden ‚Eindringling’ zurückdrängte.
Später, als geistige Disziplinen gelehrt wurden, war Issek seinem Freund ein treuer und geduldiger Wächter, auf den man sich verlassen konnte. Nichts würde Rikyus Konzentration stören können, solange Issek da war – und Issek war immer da.
Die Erfolge dieser Gemeinschaftsarbeit ließen denn auch nicht lange auf sich warten: Rikyu konnte sich immer besser auf die verschiedensten Anforderungen seiner Lehrmeister einstellen und sie besser erfüllen.
Er war damit nicht besser als andere Schüler, die ebenfalls von einem TOWAN begleitet wurden, doch er war älter und lernte vielleicht nicht mehr ganz so leicht und nicht ganz so schnell wie seine Kameraden. Doch die Ausdauer Rikyus glich dies aus.
**********
"Monate waren inzwischen vergangen, der Jahreskreis hatte sich fast wieder geschlossen.
KU'RITA U’rizzen, SHOGUN des Volkes der CHOSON, unternahm eine Rundreise durch das Land, um den direkten Kontakt zu seinen CHOSON zu vertiefen.
Natürlich kam er auch nach Kashowada auf die Insel Kasa'uchi. Dort ließ er es sich nicht nehmen, sich die Fortschritte von HOSHEI Rikyu anzusehen, von dem er fast nur Überdurchschnittliches berichtet bekommen hatte. Er wollte diese Berichte persönlich überprüfen.
HOSHEI Koichi, Ratsherr der Familie der HOSHEI, empfing den Herrscher, der gleich darauf auf sein Anliegen zu sprechen kam.
„Wann, Sho–Ko, wird HOSHEI Rikyu eine Probe seines Könnens ablegen können? Wann findet ein Kampf statt?“ Koichi antwortete nicht sogleich, sondern hob den Kopf und nickte einem Diener zu. Dieser eilte herbei und übergab Koichi eine Schriftrolle, die der Ratsherr aufrollte und studierte. Dann erst hub er zur Antwort an.
„Wenn ihr euch noch etwa eine Stunde gedulden möget, KU'RITA-sama, werdet ihr Gelegenheit haben, HOSHEI Rikyu zu beobachten. Ich werde Anweisung geben, einen Platz für euch herzurichten. Verzeiht, wenn ich euch dafür einen Augenblick nicht gebührend beachten kann.“
Er erhob sich und wollte zu einer Shoji–Tür gehen, als ihn die Stimme des Herrschers zurückrief .
„Es macht euch Ehre, so eifrig zu sein, doch hört zuvor meine Wünsche.“ Schon war der Ratsherr wieder an seinen Platz geglitten und lauschte dem SHOGUN.
„Ich habe nicht die Absicht, mit Wissen des Schülers seine Ausbildung zu begutachten. Ihr mögt mir einen Platz einrichten, an dem ich ihn sehen kann, ohne dass er meiner gewahr wird. Ich möchte sehen, aber nicht gesehen werden.“ Ein leichtes Nicken entließ den Sho–Ko.
Und so geschah es. Verborgen durch einen Bambusvorhang, der aber seinen eigenen Blicken keinen Widerstand entgegensetzte, nahm der Herrscher der CHOSON an den Übungskämpfen teil, die jedoch mit scharfen Waffen geführt wurden. Lediglich die Hiebe wurde nicht zu Ende geführt, die Technik wurde vorher gestoppt.
Der Kampf begann. HOSHEI Rikyu trat noch nicht vor. Sein TOWAN lag unbeweglich wie Rikyu selbst neben ihm. Nicht einmal seine Schwanzspitze zuckte.
Die beiden jungen CHOSON auf der Kampffläche zogen ihre Schwerter, stellten sich auf und warteten auf den Ruf des Kampfrichters.
Kaum war sein „Hajime !“ verklungen, prallten auch schon die Klingen gegeneinander, trennten sich wieder, nur um in einem neuen Angriff erneut aneinander entlang zu scharren.
Dann wurde der Kampf etwas ruhiger. Jeder der beiden Kontrahenten stand ruhig da, der eine in Waki, der andere mit erhobenem Schwert - jeder bereit, sofort zuzuschlagen, sobald er auch nur die geringste Schwäche des Gegners erkennen würde.
Plötzlich wieder ein Wirbel von Bewegungen. Die Kenzen klirrten, eines erwies sich als schwächer geführt und wurde zur Seite geschlagen. Unmittelbar danach, es lag keine messbare Zeitspanne dazwischen, zeigte die Kenzen–Spitze des anderen auf den Kehlkopf seines Gegners, sie zitterte nicht im Geringsten. Dann senkte sie sich langsam, kehrte in die Ausgangsposition zurück.
Auch der Besiegte nahm wieder seine Haltung ein. Sie ließen ihre Waffen gleichzeitig sinken, schoben sie wieder in die Scheiden und verneigten sich, wie schon vor Beginn des Kampfes, voreinander und vor dem Kampfrichter. Dieser zeigte den Sieger an.
Der nächste war HOSHEI Rikyu, der Zwei–Schwert–Techniken zeigen sollte. Hier hatte er sich immer schon schwer getan, hier musste er am meisten üben. Heute wollten seine Lehrmeister sehen, wie weit er damit gekommen war. Rikyu begab sich auf die Kampffläche, hockte sich nieder, den TOWAN neben sich. Seine Hände lagen locker auf den Oberschenkeln, er schien seine Umgebung nicht wahrzunehmen.
Eine kaum merkliche Handbewegung eines der Lehrer, ein kleines Glöckchen ertönte, in die Gestalt auf der Matte kam Leben. Plötzlich war das Schwert aus der Scheide, fuhr in einem weit ausholenden Halbkreis durch die Luft.
Der TOWAN war im gleichen Augenblick aufgesprungen und mit einem mächtigen Satz schräg nach vorne und zur Seite gesprungen, um den imaginären Gegner von der Seite her packen zu können.
Schon war die Scheide aus dem Gürtel gerissen, schon bildete sie mit der Klinge einen Kreuzblock. Der angenommene Gegner aber schien auch diese Abwehr durchbrechen zu können, denn Rikyu ließ die Scheide fallen, die, bevor sie auf den Boden aufschlug, von Issek mit einem Schwanzhieb zur Seite gefegt wurde.
Aber Rikyu war deswegen noch lange nicht waffenlos. Er zog sein zweites Kenzen, das er auf dem Rücken getragen hatte, nachdem er seine erste Klinge in die linke Hand gewechselt hatte.
Ein Stoß, kaum auszumachen, so schnell kam er, dann ein gewaltiger Kreisschlag mit dem rechtshändigen Kenzen – und der Gegner besaß keinen Kopf mehr.
Das Chiburi, das Abschlagen des Blutes von den Klingen; das Hineingleitenlassen der Waffen in ihre Scheiden; Rikyu ließ sich wieder nieder, alles war eine fließende Bewegung. Rikyu saß auf demselben Platz, von dem aus er die Vorführung begonnen hatte.
Auch er verneigte sich vor seinen Lehrern, drehte sich danach jedoch in Richtung des Bambusvorhangs, hinter dem sich der Herrscher befand und verneigte sich erneut.
Dann stand er auf und verließ, gefolgt von seinem Gefährten, die Kampffläche. KU'RITA U’rizzen war erstaunt. Woher konnte der junge Krieger wissen, dass sich hier jemand aufhielt? Mehr noch, er schien sogar zu wissen, wer hier saß.
Diesem Vorfall würde er später auf die Spur gehen. Jetzt wollte er sich die noch folgenden Kämpfe ansehen. Er konzentrierte sich wieder auf das Geschehen auf der Matte.
Jetzt war ein Kampf mit der Inata im Gange. Der junge Krieger konnte sich nur mit einem Kenzen gegen drei Angreifer wehren, welche die langen Schäfte mit den blattförmigen oder geraden Klingen trugen.
Der SHOGUN konnte sehen, wie einer der Angreifer elegant zur Seite geschleudert wurde, ohne dass das Schwert zum Einsatz gekommen war. Gleich darauf beschrieb die Klinge einen waagrechten Kreis, der durch die beiden Unterleibe der restlichen Angreifer schnitt. Sie hatten durch die Abwehr des ersten noch nicht selbst angreifen können. Das wurde ihnen jetzt zum Verhängnis. Zwar trug sie ihr Schwung noch einen Schritt weiter, doch der Angegriffene stand längst nicht mehr an diesem Platz. Er war seinem Schwert gefolgt, stand jetzt seitlich von seinen Kameraden, die er schon nicht mehr beachtete.
Er schlug das Blut ab und schob die Waffe wieder in die Scheide, das Saya. Dann erst drehte er sich um, verbeugte sich vor den drei Angreifern, die jetzt 'tot' waren, erwies auch dem Kampfrichter die gleiche Ehre und setzte sich wieder in seine Reihe.
Auch dieser Kampf war sehr schnell gewesen.
Es folgten noch mehrere Kämpfe ähnlicher Art, jedoch mit unterschiedlichen Zusammenstellungen der einzelnen Waffen. Nur der Oyomi kam nicht zum Einsatz.
Der Oyomi, der schwere Kriegsbogen, sollte erst nach Abschluss der Klingenkämpfe hervorgeholt werden.
Bald war es soweit.
Auch hier war HOSHEI Rikyu wieder dabei, diesmal trat er als erster an. Er kniete nieder, stellte ein Bein auf, es war das rechte, und legte sich dann 12 Pfeile gegen den Oberschenkel, die Spitzen auf der Erde, die Federn gen Himmel zeigend.
Er grüßte das Ziel, griff dann den Bogen und – wartete. Ein kurzes Brummen seitens seines Lehrers und Rikyu schoss.
aus. Noch im Ausziehen fast löste sich der Pfeil und sirrte davon. Doch schon hatte Rikyu den nächsten Pfeil in der Hand und schickte ihn dem ersten hinterher. Und so ging es mit sämtlichen Pfeilen, mit sämtlichen Geschossen.
Kaum eine Minute war vergangen und schon steckten sämtliche Pfeile im Ziel. Der Schütze nickte seinem Echsenhund zu, dieser sprang auf und setzte in weiten Sprüngen zur Scheibe. Er zog die Pfeile vorsichtig heraus, nahm sie auf und kam zurück. Vor Rikyu legte er sie auf den Boden und legte sich selbst wieder neben ihn. Rikyu nahm die Pfeile auf, grüßte wieder gegen das Ziel und verließ den Abschussplatz. Der nächste Schütze nahm seinen Platz ein, er hatte keinen Echsenhund bei sich. Auch er schickte sämtliche Pfeile ins Ziel, wenn er auch um einiges länger brauchte als Rikyu. Ebenso war es mit den anderen. Rikyu war der schnellste Schütze und gleichzeitig auch der sicherste.
„Verzeiht, KU'RITA-sama, wenn ich es wage, Euch zu stören.“
Der Herrscher, der das Herbeitreten von HOSHEI Koichi nicht bemerkt hatte, weil er sich völlig auf die Schüler konzentriert hatte, nickte.
„Es besteht der Wunsch eines unserer Schüler, euch weitere Proben seines Könnens zu zeigen. Er bittet darum, seine Schnelligkeit unter Beweis stellen zu dürfen.
Darf ich Ihm ausrichten, dass ihm sein Wunsch gewährt wird, Herr?“
„Sagt HOSHEI Rikyu, dass ich mir gerne sein Können weiter ansehen möchte.“ Erstaunen, nur schlecht verborgen, zeigte sich auf dem Gesicht des Sho–Ko.
Woher hatte der SHOGUN wissen können, um welchen Schüler es sich handelte? Doch dieser sprach schon weiter.
„Wo soll die Vorführung stattfinden?“
„Erlaubt, dass ich Euch führe, Herr!“ KURITA U’rizzen erhob sich und folgte dem Sho–Ko. Ein kleiner Übungsraum war das Ziel. Dort saß HOSHEI Rikyu und wartete. Der Herrscher setzte sich und sogleich erschienen zwei weitere Schüler. Sie trugen jeder ein Kenzen, während Rikyu unbewaffnet war. Der Towan war nicht zu sehen.
Der erste Schwertträger trat vor und Rikyu erhob sich. Beide verneigten sich vor dem Herrscher und dann voreinander. Das Schwert wurde blank gezogen. Mit einem wilden Schrei begann der Angriff. Rikyu wich elegant zur Seite aus, ergriff das Handgelenk seines Gegners und drehte es auswärts. Das Schwert hing in einem unnatürlichen Winkel zur Seite und fiel dann aus der kraftlos gewordenen Hand.
Doch Rikyu gab sich nicht mit der Abwehr des Angriffs zufrieden. Er führte seine Bewegung weiter und zwang so den Angreifer, sich über den Rücken abzurollen. In einer weich fließenden Bewegung stand der Abgewehrte wieder auf und holte sich seine Waffe wieder.
Rikyu stand immer noch auf dem Platz, den er vor dem Angriff innegehabt hatte. Er hatte sich nur einmal zur Seite bewegt, einen schnellen Ausfallschritt getan und so seine Abwehr organisiert.
Jetzt machte er einen Schritt zurück und wartete auf den zweiten Angriff, der auch augenblicklich erfolgte. Das Schwert wurde gezogen, um mit dem Griff voran gegen Rikyus Magen gestoßen zu werden. Doch auch diesmal wich Rikyu aus, führte aber die Stoßbewegung weiter und verwandelte sie in eine Fallbewegung nach vorne. Auch diesmal hatte der Angreifer keine Chance, diesen Gegenangriff, der im Grunde nur eine Abwehr war, seinerseits abzuwehren. Er rollte sich ab, kam wieder auf die Beine und setzte sich neben seinen Kameraden nieder. Auch Rikyu hatte bereits wieder seinen Platz genommen.
Gleichzeitig verneigten sich die drei vor KU'RITA U’rizzen, dann verschwanden die beiden anderen und nur der Ratsherr und HOSHEI Rikyu blieben bei dem Herrscher.
„Sprecht!“ kam es schließlich aus dem Mund von KU'RITA.
„Herr, ihr empfahlt mich seinerzeit dem ehrwürdigen Ratsherren der Familie der HOSHEI, dem Sho–Ko HOSHEI Koichi. Ich bemühte mich, Euren Erwartungen gerecht zu werden und wollte Euch hier zeigen, dass es auch durch bloßes Nachgeben und Fortführen der Angriffsbewegung möglich ist, abzuwehren. Es bedarf dazu keiner Waffe. Ich wollte mich Eures Vertrauens in mich würdig erweisen.“
Er verneigte sich.
“Der Herrscher ging mit keinem Wort auf die Ausführungen des jungen, hoffnungsvollen Kriegers ein. „Woher wusstet ihr von meiner Anwesenheit, HOSHEI–san?
„Issek, mein TOWAN, spürte eure Anwesenheit Er unterrichtete mich davon, dass ihr unsere Übungen beobachten würdet.“
Ein Zucken der Erkenntnis ging über das Gesicht des Ratsherren. Soeben hatte er verstanden, was er sich schon gefragt hatte, seit Rikyu ihm seinen Wunsch vorgetragen hatte.
Der Herrscher dagegen zeigte keine Reaktion. Er schien etwas Derartiges erwartet zu haben.
„Nun, Kashira, ich sehe, dass Ihr euren Kopf auch zum Denken zu benutzen vermögt. Doch möchte ich Euch sagen, dass diese Art der waffenlosen Verteidigung eine Kunst ist, die besonders in der Familie der MORJ gepflegt wird. Hier hättet ihr sie nicht erlernt.“
Er schwieg einen Moment. „Warum macht Ihr Euch solche Gedanken? Solltet Ihr nicht danach trachten, Eure Geschicklichkeit in der Handhabung der Waffen zu vergrößern? Der Stoß mit dem Schwertgriff war zu langsam. Ein schnellerer Gegner hätte euch den Arm abgetrennt.“
Rikyu senkte den Kopf. „Ich bin betrübt, wenn ich Eure Erwartungen nicht erfüllen konnte. Ich habe mich stets bemüht, allen Anforderungen gerecht zu werden. Ich werde meinen Fehler wiedergutmachen, um mich dann erneut euren Augen zu stellen. Dann mögt Ihr mich wieder prüfen.
Doch mache ich mir seit geraumer Zeit Gedanken über Möglichkeiten, wie sich jemand, der keine Waffen mehr zur Verfügung hat, dennoch seiner Angreifer erwehren kann.
Was ich die Ehre hatte, euch zeigen zu dürfen, waren einige Ergebnisse meines Nachdenkens. Wenn sie euch nicht überzeugt haben sollten, werde ich nicht mehr davon sprechen.“
Rikyu beendete seine kurze Rede und wartete dann die Antwort des SHOGUN ab.
„HOSHEI Koichi, ich bitte um eure Meinung.“
Der Angesprochene blickte auf Rikyu, der sich stumm erhob und den Raum verließ. Dann erst antwortete der Sho–Ko.
„Die Lehrer dieser Schule erkannten schon früh die Einstellung dieses Schülers. Sie bemühten sich nach Kräften, dieses Gerüst für innere Werte, für eine hohe geistige Einstellung, zu fördern und auszubauen. HOSHEI Rikyu zeigt größte Achtung vor dem Leben. Er kann es nur schwer vereinbaren, Leben mit Waffen zu bekämpfen, auch wenn er angegriffen wird. Aus dieser Einstellung heraus resultieren seine Gedanken über die waffenlose Selbstverteidigung. Wir gaben ihm nur die Gelegenheit dazu.“
Ein zustimmendes Brummen des Herrschers beendete die Ausführungen des Sho–Ko.
„Wann wird die Ausbildung von Rikyu beendet sein, HOSHEI–san?“
„Es wird nur noch wenige Tage dauern, dann ist er in der Lage, den ersten Meistergrad des Schwertes zu erlangen. Die Prüfungen werden bereits vorbereitet.“
„Gut. Danach werdet Ihr ihn anweisen, sich in SHILLA bei mir einzufinden. Ich werde für seine weitere Ausbildung Sorge tragen.“
Der Ratsherr verneigte sich bestätigend. „Ich höre und gehorche.“
**********
Sechs Jahre später war die Ausbildung von HOSHEI Rikyu beendet. Er hatte sich in der Kunst der waffenlosen Verteidigung ebenfalls zu einem Meister entwickelt.
Bald darauf entschloss sich der CHOSON HOSHEI Rikyu, das Reich der CHOSON für einige Zeit zu verlassen und MAGIRA zu bereisen. Natürlich begleitete ihn Issek dabei. Rikyu traf seinen Freund Tirson von Tanibar wieder und erlebte mit ihm gemeinsame Abenteuer. Doch darüber wurde schon an anderer Stelle berichtet.
Dennoch war dort Land. Rikyu entschloss sich, dort an Land, zu gehen und Erkundigungen einzuziehen. Der Wind stand günstig und die Fahrt ging flott vonstatten.
Das Einlaufen erwies sich als einfach, die Einfahrt war breit genug, um auch wesentlich größere Schiffe hinein– und hinauszulassen. Seine Nussschale machte keinerlei Schwierigkeiten. Er war noch niemals in seinem Leben hier gewesen, und doch, irgendwie kam ihm dies alles vertraut vor. Irgendwie gehörte diese Welt zu ihm und er zu diesem Leben hier.
Bekannte doch ungewohnte Laute drängten an sein Ohr. Ja, dies war die Sprache, die ihn Akimoto gelehrt hatte, dies war die Sprache, die die Sprache seines Volkes sein sollte, des Volkes der CHOSON!
Seltsame Empfindungen ergriffen Besitz von HOSHEI Rikyu.
Ein Schwindelgefühl ließ ihn taumeln, doch sofort bezwang er sich und hielt sein Augenmerk auf das Segel gerichtet, das er jetzt einholte. Einen freien Platz zum Anlegen hatte er auch schon ausgemacht und er hielt darauf zu.
Sacht knirschte der Bootsrumpf an der Mauer. Einer der CHOSON, denn solche mussten es wohl sein, griff nach der Bugleine und belegte sie. Rikyu selbst sprang mit der Heckleine an Land und befestigte auch diese. Dann richtete er sich auf und drehte sich langsam um.
JA! Hier war er zu Hause, hierhin gehörte er!
Er wandte sich wieder zu dem Boot, das ihn viele Tage getragen hatte, wohin er wollte. Es würde wohl nicht mehr gebraucht werden.
„Verzeiht, Fremder, wenn ich euch störe. Ihr seid soeben angekommen?“
Rikyu drehte sich langsam um, das Schwert mit der linken Hand in der Scheide haltend. Wie ungewohnt diese Worte waren, bekannt zwar die Laute, doch lange nicht gehört oder gesprochen.
„Ihr seht richtig.“ Er musste überlegen, wie er sich ausdrücken sollte. „Darf ich die Frage an euch richten, wo wir uns befinden? Wie heißt dieses Land?“
Der Hafenwächter lachte. „Ihr seid auf Kibiki gelandet, Fremder. Kibiki ist der Insel Tokara vorgelagert. Doch will ich Euch nicht mit allgemeinen Dingen langweilen. Ich habe euch nach Eurem Namen zu fragen. Nennt ihn mir bitte.“
Diese Art der Unterhaltung hatte Rikyu lange vermissen müssen. Auf irgendeine Weise gefiel ihm diese Höflichkeit, die nie zu aufdringlich wurde, besser als der rauhe, herzliche Umgangston der Seeleute in Tarcy oder Tanilorn. Die Worte der Korsaren waren überhaupt nicht damit zu vergleichen.
„Mein Name wird euch nichts sagen, denn ich stehe zum erstenmal auf diesem Boden. Ich gehöre zur Familie der HOSHEI.“
„HOSHEI? Ein HOSHEI seid Ihr?“ Die Ungläubigkeit stand dem Wächter auf der Stirn geschrieben.
„Ihr hört recht. Mein voller Name lautet HOSHEI Rikyu. So sagte es mir mein Lehrer.“ Er zögerte, weiterzusprechen.
„HOSHEI Rikyu“, wiederholte der Wächter langsam, als ob ihm dieser Name bekannt vorkäme. Rikyu antwortete nicht, er wartete.
Der Wächter wandte sich wieder an den Ankömmling. Sein Blick fiel auf die Waffe, die der CHOSON an der Seite trug.
Ehrerbietiger als vorher noch bat er, die Klinge sehen zu dürfen. Rikyu, der keinen Grund sah, ihm dieses Anliegen nicht zu erfüllen, zog halb blank und drehte sich dem Wächter zu. Dieser sah sich die Tsuba, das Stichblatt, an, sein Blick wanderte dann über die Ziselierung der Klinge, kam zurück und verweilte am Griff. Rikyu, der dem Blick gefolgt war, nahm die Hand kurz vom Griff, so dass der Wächter sie ohne Behinderung betrachten konnte, ließ dann aber das Schwert wieder in die Scheide zurückgleiten. Mit einem leisen Klick wurde es arretiert.
„Verzeiht einen Augenblick, Fremder!“ wandte sich der Hafenwächter an den HOSHEI. „Ich habe einige Anweisungen zu geben.“ Damit drehte er sich um und winkte zwei Soldaten, die in der Nähe gewartet hatten. Jetzt kamen sie heran. Einige leise, schnelle Worte, die Blicke der beiden wandten sich zu Rikyu, kehrten aber gleich wieder zum Wächter zurück, der weitersprach.
Rikyu hörte seinen Namen nennen, worauf die beiden Soldaten ihn wiederum anblickten, ungläubig, wie es schien. Doch sofort machten sie kehrt und strebten der Stadt zu.
„Ihr mögt euch etwas gedulden. In kurzer Zeit werdet Ihr abgeholt..“ Rikyu wollte schon fragen, wer ihn denn wohin bringen wolle, doch er unterdrückte diese Regung, denn er wollte nicht zu neugierig erscheinen. Außerdem schien der Wächter ihm nicht antworten zu wollen oder zu dürfen. Er wappnete sich also in Geduld.
Es dauerte wirklich nicht lange, bis ein Trupp Bewaffneter zum Hafen hinunterkam, geführt von den beiden Boten. Sie machten alle ein recht freundliches, erwartungsvolles Gesicht, keiner blickte finster drein.
Jetzt erst wandte sich der Wächter wieder an den HOSHEI. „Diese Männer werden euch zur Residenz des SHOGUN bringen: nach Shilla.
Sie haben Anweisung, für Euren Schutz zu sorgen.“ Er drehte sich den Ankommenden zu und sprach einige Sätze zu ihnen.
Der Anführer des Trupps sah Rikyu an. „Bitte habt die Güte, mir zu folgen. Ihr werdet auf dem schnellsten Wege nach SHILLA gebracht werden. Seid Ihr bereit dazu?“ - „Ich bin es.“ - „Dann folgt mir!“ Damit drehte er sich um, gefolgt von Rikyu, der wiederum von den Soldaten gefolgt wurde.
In einer Seitenstraße hatte der Trupp Pferde stehen. Auch an Rikyu war gedacht worden, auch für ihn war ein Pferd vorhanden. Sie saßen auf, ritten gleich darauf im Galopp aus der Stadt.
Über den Weg nun war nichts Besonderes zu berichten, der Trupp kam nach einigen Stunden wieder an eine Küste. Dort lag ein Boot bereit, in das Rikyu mit dem Hauptmann einstieg. Gleich darauf legte das Gefährt ab, die Segel wurden gesetzt.
Doch auch diese Fahrt dauerte nicht lange, bald war wieder Land in Sicht, die Insel Monoshi. Rikyu hatte während der bisherigen Reise kein Wort gesprochen, auch der Offizier hatte sich nicht an ihn gewandt, Jetzt aber sprach er ihn an. „Dort, auf dieser Insel, befindet sich die Residenz unseres Herrschers, dort befindet sich SHILLA. Ihr habt Glück, Fremder, dass KU'RITA U’rizzen sich augenblicklich dort aufhält. Ihr werdet wahrscheinlich schnell vorgelassen werden. Doch das“ schloss er, „obliegt nicht meiner Entscheidung.“
Das Boot legte an, die Soldaten stiegen an Land. Rikyu und der Offizier folgten ihnen.
Was mich angeht, so begleiten euch meine besten Wünsche zum SHOGUN. „Verzeiht, wenn ich Euch mit Fragen belästigen sollte“, beeilte sich der HOSHEI zu sagen, denn sein Gesprächspartner machte Anstalten, unverzüglich wieder in See zu stechen. „Es erscheint mir doch ungewöhnlich, dass einem Fremden solche Aufmerksamkeit erwiesen wird. Er wird unter Geleitschutz zum Herrscher gebracht; sein Name erregt Aufsehen; Offiziere, die ihn nicht kennen, wünschen ihm Glück. Was an meiner Person ist so besonders?“
„Ihr seht mich erstaunt“, bekam er als Antwort. „Wisst Ihr denn nicht um Eure Herkunft, um Euren Namen? Nein, richtet keine Fragen an mich, die ich nicht zu beantworten habe. Dies ist Sache des SHOGUN. Ich bitte Euch, geduldet solange.“
Der Offizier verneigte sich vor Rikyu, der es ihm natürlich nachtat, und ging dann endgültig zurück an Bord.
Als sich der junge CHOSON wieder dem Land zuwandte, sah er dort eine neue Eskorte auf sich zukommen. Auch sie ritt vollen Galopp. Vor ihm parierte der Reiter durch. „Verzeiht, doch tragt Ihr den Namen HOSHEI Rikyu?“ „Ihr irrt euch nicht, Ich bin HOSHEI Rikyu.“ – „Dann bitte ich Euch, mich in die Hauptstadt des Reiches nach SHILLA zu begleiten. Habt die Güte, aufzusitzen.“ Er wies auf ein lediges Pferd, das nach vorne gebracht wurde.
Rikyu warf noch einen letzten Blick zurück aufs Meer, wo er noch das Boot sehen konnte, das ihn hierher gebracht hatte, dann stieg er in den Sattel.
Die Truppe wendete und ritt im gleichen Tempo, in dem sie gekommen war, den Weg wieder zurück. Zwei, drei Stunden dauerte der Ritt, schätzte Rikyu später.
Bald tauchte die Silhouette der Stadt am Horizont auf, kam schnell näher und wurde immer größer. Einige Wachposten, an denen sie vorbeikamen, machten sofort Platz, als sie näher kamen. Auch Zivilpersonen, die den gleichen Weg hatten, traten zur Seite und ließen die Reiter vorbei. Ja, sogar andere Reiter unterbrachten ihre Reise, um ihnen den Weg nicht zu versperren. Auf diese Weise kamen sie sehr schnell voran und kurz darauf passierten sie die Stadtmauern. Rikyu war in SHILLA!
Doch auch jetzt gab es kein Verweilen, wenn auch kein Galopp mehr geritten wurde. Zielstrebig wandte sich der Offizier der Residenz zu.
Rikyu wurde allmählich etwas mulmig zumute. Kaum war er angekommen, wurde er erkannt, im nächsten Augenblick stand eine ganze Reihe von Transportmöglichkeiten für ihn bereit, nur um ihn so schnell wie möglich vor den Herrscher zu bringen. So eilig hätte er es nun wirklich nicht gehabt.
Sicher konnte diese Prozedur nicht für jeden Gelandeten gelten, also musste er irgendwie aufgefallen sein. Doch womit? Er hatte nur seinen Namen genannt und seine Waffe gezeigt. Doch auch darum war er gebeten worden. Blieb also nur der Name. Rikyu vermutete, dass es seine besondere Bewandtnis damit hatte, konnte sich aber nicht denken, in welche Richtung die Sache sich entwickelte.
„Würdet Ihr bitte absitzen!“ Er schrak zusammen. Ja, sie waren im Palast angekommen. Er gab sein Pferd einem wartenden Knecht in Obhut und schritt hinter seinem Führer her.
Schließlich wurden sie von zwei Palastwachen aufgehalten. Sein Führer blieb zurück, Rikyu wurde in ein Dampfbad geführt. Dort erwarteten ihn einige hübsche CHOSONAI, die sich ihres Auftrags, ihn zu baden, mit sichtlicher Freude widmeten.
Sie zogen ihm die Kleidung aus, geleiteten ihn in eine Kabine, in der er von Kopf bis Fuß eingeseift wurde, um unmittelbar darauf mit lauwarmem Wasser abgespült zu werden.
Dreimal wurde diese Prozedur vorgenommen, dreimal wurde er abgespült. Dann schien man mit ihm zufrieden zu sein und führte ihn in einen größeren Raum, in dem in einem großen Becken Wasser dampfte. Er ließ sich hineingleiten und entspannte sich.
Ah, das tat gut nach diesem Wahnsinnsritt! Das heiße Wasser entkrampfte die Muskeln und machte einen wohlig müde. Rikyu streckte sich aus und ließ seine Gedanken schweifen. Noch einmal durchlebte er die Geschehnisse seit seiner Landung, noch einmal fragte er sich nach dem Grund für diese seine Behandlung. Er kam sich fast vor wie ein Fürst.
Eine leise Stimme weckte ihn aus seinen Tagträumen. Er blickte unwillig hoch, lächelte aber sofort, denn eines seiner reizenden Bademädchen lachte ihn an und sofort war sein Unmut über die Störung verflogen.
„Wenn es euch recht ist, Herr, möchten wir euch für die Audienz vorbereiten.“ Sprach's, verbeugte sich und verschwand. Doch im gleichen Augenblick erschienen die beiden anderen Hübschen und brachten Handtücher mit. Rikyu entstieg dem nassen Element und ließ sich abtrocknen, auch wenn ihm manchmal etwas heiß wurde. Und das lag nicht an der Raumtemperatur!
Doch schließlich war kein Tropfen mehr an seinem Körper zu finden und er ging wieder in die Kabine, durch sie hindurch und fand seine Kleidung, sorgsam gereinigt und zusammengelegt, vor. Er kleidete sich an und harrte dann der Dinge, die da kommen sollten.
Und sie kamen.
**********
Es wird vor das Antlitz des SHOGUN gerufen: HOSHEI Rikyu! Tretet vor!“ Der CHOSON erhob sich und machte zwei Schritte auf den Sprecher zu.
„Folgt mir!“ Rikyu tat, wie ihm geheißen. Eine Shoji-Tür wurde aufgeschoben und er konnte die Fürsten des Reiches sehen, die im Audienzraum saßen. Und dort, im Hintergrund, dort auf dem kleinen Podest, saß ein großer stattlicher Mann, dem das Ornat, der Haori, nicht allzu gewohnt zu sein schien. Dies musste der Herrscher über das Volk der CHOSON sein, des Volkes, zu dem er gehörte, zu dem er jetzt heimgekehrt war.
Rikyu blieb im Eingang stehen und verbeugte sich. Er wagte nicht, sich ohne Auffordeung zu erheben, wusste er doch nicht, welche Etikette hier herrschte.
„Erhebt Euch!“, hörte er. Er richtete sich wieder auf und blickte sein Gegenüber abwartend an.
„Kommt näher und setzt Euch!“ Der Arm mit dem Fächer machte eine einladende Bewegung zu Rikyus Linken. Der junge CHOSON fasste dies mangels passender Anweisungen als Aufforderung auf, sich um die auf ihren Fersen hockenden Fürsten herum an der linken Seite des Raumes auf den Herrscher zuzubewegen.
Schräg hinter dem Herrscher saß ein junger Krieger, sein persönlicher Vertrauter und gleichzeitig seine Leibwache.
Soviel wusste Rikyu noch vom Unterricht durch Akimoto her. Dies war der Hatamoto des Herrschers.
Im Näherkommen fand Rikyu seinen ersten Eindruck bestätigt. Der Haori schien dem Ersten der CHOSON nicht sonderlich gewohnt zu sein, wahrscheinlich trug er viel lieber leichte Kleidung, die nicht einengte.
Fünf Schritte vor dem Podest blieb Rikyu wieder stehen. Erneut verbeugte er sich, erneut wurde er aufgefordert, näher zu treten.
Erst als er unmittelbar vor der Erhöhung des Bodens stand, wurde ihm bedeutet, sich niederzulassen: er bekam ein Sitzkissen zugeschoben. Es war eine weibliche Hand, doch Rikyu würde sich jetzt um nichts in der Welt gestatten, sich umzusehen. Schließlich hatte er Audienz!
„Nennt mir Euren Namen und Eure Herkunft, Fremder.“ Ein flüchtiges Lächeln der Augen begleitete das letzte Wort, so als ob es nicht ganz ernst gemeint sei, als wüsste der Sprecher eigentlich eine bessere Anrede.
Wieder verneigte sich Rikyu und antwortete dann. „Mein Name ist HOSHEI Rikyu, Sohn von HOSHEI Hirokazu. Von meiner Herkunft vermag ich nur zu sagen, dass ich dem Volk der CHOSON entstamme. So sagte mein Lehrer mir.“
„Wer ist Euer Lehrer?“ kam die nächste Frage. „MORJ Akimoto lebt nicht mehr. Er starb fern seiner Heimat.“
„Ihr sagt, dass Euer Lehrer Euch unterwies. Lebtet Ihr ebenfalls fern von hier? Wo seid Ihr aufgewachsen?“
„Verzeiht meine unvollständigen Antworten. Mein Vater und mein Lehrer befanden sich auf einer Schiffsreise, als sie von Korsaren überfallen wurden. Dabei kam mein Vater um. MORJ Akimoto unterwies mich in allem, was er mir zeigen konnte, in allem, was er wusste. In diesen Jahren lebten wir bei Korsaren an der Straße der Helden.“
„Al Marun?“ Die kurze Zwischenfrage stoppte den Redefluss des Jünglings nur kurz. Er nickte. „Ja, es war Marun. Mein Pflegevater erzog mich zu einem Korsaren, doch mein Lehrer unterwies mich in inneren Werten. Ich habe ihm viel zu verdanken.“
Er machte eine kurze Pause, sprach dann weiter. „Ich trennte mich von den Korsaren, kam nach Tanilorn und von dort aus hierher. Verzeiht, ich landete auf Kibiki.“
„Von dort erhielt ich Meldung, dass ein Fremder angekommen sei, der den Namen HOSHEI trüge.“ Der Herrscher setzte den Bericht für ihn fort.
„Ich ließ Euch auf dem schnellsten Weg hierher bringen, um mich persönlich von der Lage der Dinge zu überzeugen.“
Rikyu konnte es nicht mit Worten beschreiben, doch sein Gegenüber schlug ihn in seinen Bann. Dieser Mann war ein geborener Herrscher, er besaß natürliche Autorität, Charisma, das auf dem Schlachtfeld wohl noch stärker zu spüren sein würde. Ja, dieser Mann war Herrscher!
„Bitte lasst mich Euer Kenzen sehen und erzählt derweil, auf welche Weise Ihr nach Kibiki gelangt seid.“
Rikyu folgte der Aufforderung ohne Eile. Er löste die Sicherungsschnur, zog die Scheide aus dem Obi und reichte dem Hatamoto die Waffe mit der Scheide voran.
Dieser jedoch beugte sich etwas vor und drehte die Scheide, so dass sie sich quer vor ihm befand, um erst dann die Waffe in Empfang zu nehmen. Rikyu erschrak nicht, doch er würde sich diesen Punkt merken.
Dann berichtete er von seiner Fahrt in dem kleinen Boot. Als er die Mietdauer erwähnte, unterbrach ihn der Herrscher mit einer Handbewegung und fragte ihn dann: „Was gedenkt Ihr hier zu tun? Wollt Ihr bleiben oder zieht es euch wieder fort?“ - „Wenn Ihr gestattet, Herr, so möchte ich bleiben. Ich gehöre in dieses Volk.“ – „Dann benötigt Ihr das Boot nicht mehr.“ Dies war keine Frage, sondern eine Feststellung. Eine weitere Handbewegung ließ einen der Diener forteilen, er würde die Sache regeln.
Rikyu berichtete weiter. Er berichtete von jenem Drang aufs Meer, der ihn dazu veranlasst hatte, sich einem solch kleinen Fahrzeug anzuvertrauen. Der SHOGUN hörte zu, ohne ihn noch einmal zu unterbrechen.
Schließlich war der junge CHOSON mit seiner Geschichte zu Ende. Er verneigte sich und wartete dann ab.
KU'RITA U’rizzen saß eine Weile ruhig da und überdachte das Gehörte. Schließlich begann er zu sprechen.
„Wisset, HOSHEI Rikyu, Euer Name, der Name der Familie der HOSHEI, war lange Zeit nicht zu hören in diesem Reich. Euer Zweig schien erloschen zu sein. Euer Vater, Hirokazu-san, war mit seinem Sohn hinausgefahren, ohne weitere Nachkommen zu hinterlassen. Tokara, die Insel, der Kibiki vorgelagert ist, ist der Stammsitz der Familie der HOSHEI. Ihr seid, ohne es zu wissen, nahe Eurer Heimat gelandet. Die Zeitangaben in Eurem Bericht stimmen mit den hier vorliegenden Daten überein. Auch diese Waffe bestätigt Eure Worte.“
Mit diesen Worten überreichte er ohne Umweg über seinen Hatamoto Rikyu dessen Kenzen wieder, mit beiden Händen vor sich gehalten, und der junge CHOSON nahm die Klinge wieder an sich. Der Herrscher sprach weiter.
„Dies ist die Waffe, die in der Familie den HOSHEI vom Vater auf den Sohn weitergereicht wurde. Sie weist ein sehr hohes Alter auf. Es ist Euer Schwert.“
„Doch nicht der gesamte Name der HOSHEI war vergessen. Der Zweig des HOSHEI Hirokazu schien nicht mehr zu existieren, ein Irrtum, von dem wir uns heute glücklicherweise haben überzeugen können. AMIRADA-kami sei Dank!“ KU'RITA U’rizzen erhob seine Stimme unmerklich.
„HOSHEI Rikyu, Ihr werdet angewiesen, Euch nach Tokara zu begeben und euch dort bei eurer Familie zu melden. Ihr werdet bei HOSHEI Koichi bleiben und dort die Ausbildung erhalten, derer ihr noch bedürft.. Erweist Euch ihrer als würdig.“
Der SHOGUN erhob sich und augenblicklich verneigten sich alle Anwesenden mit Ausnahme des Hatamoto. Sie erhoben sich erst wieder, nachdem der Herrscher den Raum verlassen hatte.
**********
"Was mich betrifft, halte ich es für eine große Ehre, eine solche Audienz beim SHOGUN zu erhalten. Doch ich habe auch bisher noch keinen Grund gehabt, mich um ein Vorsprechen zu bemühen.“ Rikyus Führer, selbst ein HOSHEI aus einer der verbliebenen Seitenlinien, bemühte sich redlich, den ihm Anvertrauten auf andere Gedanken zu bringen. HOSHEI Junai, der die Gelehrtenlaufbahn eingeschlagen hatte, wusste jedoch bald keinen Rat mehr. Was er auch versuchte, welches Thema er auch anschnitt, sein Schützling gab, wenn überhaupt, nur einsilbige Antworten, die ein Gespräch wohl nicht in Gang zu halten vermochten.
Stets war ein nachdenkliches Gesicht zu finden, so als sinne er über etwas nach, ohne auf die Lösung zu kommen. Oder lauschte er vielleicht auf eine Weise der Umgebung, die Junai noch nicht kannte? Vielleicht hörte er ihm sogar zu und es war nur nicht seine Art, Worte zu machen, wo es auch ohne Worte ging. Junai wusste sich keinen Rat mehr.
Zugegeben, dieser HOSHEI ritt gut, er hielt seine Waffen so, als wüsste er damit umzugehen, und wenn er sich unbeobachtet glaubte, dann suchten seine flinken Augen die nähere Umgebung ab, als wäre da etwas verborgen, was er ergründen wollte. Doch gleich darauf stand wieder der nachdenkliche fast geistesabwesende Zug auf seinem Gesicht, den Junai nicht deuten konnte.
Er machte einen neuen Versuch. „Hinter diesem Wald werdet Ihr einen Hügel sehen, der den Eingang zu einer Schlucht verbirgt. Mit dieser hat es eine besondere Bewandtnis, kommt man doch durch sie zu einem weiteren Berg, der eine im ganzen Reich sehr bekannte Höhle aufweist.
In der Nähe entspringt springt ein Bach, der aber schon nach einigen Toro wieder in der Erde versinkt. In der Höhle kommt er wieder aus dem Fels heraus, jetzt allerdings durch heiße Gesteinsschichten stark aufgeheizt.
Diese Höhle, durchweg mit Sand bedeckt, weist etwa 45 Grad Wärme auf. Es ist die Höhle der Geburt. Vielleicht habt Ihr davon gehört.“
Diesmal schien er endlich Erfolg zu haben. HOSHEI Rikyu gab seine Nachdenklichkeit auf und hörte seinem Führer konzentriert zu. Sogleich verstärkte dieser seine Bemühungen noch, um vielleicht doch noch eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
„In dieser Höhle der Geburt kommen fast alle TOWAN-Jungen zur Welt. Die TOWAN-Weibchen legen ihre Eier auf dem heißen Sand ab und warten ab, bis die Hitze sie endgültig ausgebrütet hat. Zwar bleiben die Tiere in der Höhle, doch kümmern sie sich nicht sonderlich um Ihren Nachwuchs.
CHOSON und CHOSONAI, die das 12. Lebensjahr vollendet haben, werden zur Nacht der Eiwache zu dieser Höhle gebracht. Dies ist die Nacht, in der die jungen TOWAN ausschlüpfen. Wie ich hörte, wart ihr zu dieser Zeit nicht im Reichgebiet, so dass euch die Chance entging, einen jungen TOWAN zum Gefährten zu erhalten. Ich selbst war zweimal in der Höhle, doch die Jungen kümmerten sich nicht um mich.
Wenn Ihr Interesse habt, können wir vielleicht bei Gelegenheit die Höhle besuchen, damit Ihr zumindest die Örtlichkeit...“
HOSHEI Junai brach ab, er hatte bemerkt, dass Rikyu ihm schon nicht mehr zuhörte. Stattdessen machte sich bei ihn eine seltsame Unruhe bemerkbar.
Wiederholt blickte er zu dem Hügel hin, hinter dem die Schlucht zur Höhle begann. Wieder schien er die Umgebung einer genauen, peinlichen Prüfung zu unterziehen, kehrte aber mit den Augen immer wieder zur Höhle zurück. Der Wald lag hinter ihnen, der Eingang wurde sichtbar.
Plötzlich, offenbar einem inneren Impuls folgend, riss der junge CHOSON sein Pferd herum und lenkte dessen Schritte in Richtung Höhle. HOSHEI Junai hatte mit dieser Reaktion nicht gerechnet und deutete sie falsch.
„Herr! Ich muss befürchten, dass Ihr meine Worte falsch aufgefasst habt. Nicht jetzt ist die Zeit, um die TOWAN zu besuchen, die Nacht der Eiwache ist schon einige Monate verstrichen. Ihr werdet schwerlich zu dieser Zeit auch nur einen der Echsenhunde dort finden. Ich ersuche Euch, zurück auf den Weg zu kommen, um zu Eurem Sho–Ko zu gelangen.“
Zwecklos! Rikyu achtete überhaupt nicht auf ihn. Den Eingang zur Schlucht hatte er bereits erreicht und schickte sich gerade an, sie zu betreten, als er sein Pferd durchparierte und wie erstarrt im Sattel saß. Dann stieg er ab, blieb aber stehen.
Junai kam heran, stieg ebenfalls ab und suchte mit den Augen nach dem Grund für Rikyus seltsames Verhalten.
Rikyu selbst bewegte sich nicht, dennoch schien er sich bewegen zu wollen.
Im Gebüsch vor ihnen raschelte es, als würde sich ein großes Tier durch die Zweige zwängen. Junais Schwert lockerte sich fast automatisch und als er einen massigen Körper ausmachen konnte, wollte er seine Waffe auch ziehen.
Aber er bekam es nur etwa zur Hälfte aus der Scheide, als es ihm mit Nachdruck wieder hineingestoßen wurde. Jemand hatte ihm den Griff aus der Hand geschlagen, das Kenzen befand sich wieder an seinem Platz!
Junai versuchte nicht, die Waffe ein zweites Mal zu ziehen, denn er sah jetzt die Ursache des Raschelns: ein TOWAN! Er konnte nicht ausmachen, ob es sich bei diesem Exemplar um ein Weibchen handelte, das in der Nähe seine Behausung hatte oder ob es ein freilebendes Tier war, eines ohne festes Revier.
Der TOWAN blickte Rikyu unverwandt an und auch der CHOSON hatte nur Augen für die Echse.
Junai wagte keine Bewegung, er wollte diese Begegnung nicht stören.
„Wer bist du?“ Die Worte aus Rikyus Mund galten nicht ihm, nicht Junai, sie waren für das Wesen vor ihm bestimmt.
Junai kam aus dem Staunen nicht mehr heraus Offenbar war dieser CHOSON, gerade erst im Reich angekommen, in der Lage, sich mit diesem TOWAN zu unterhalten. Dieses Phänomen war ausgesprochen selten und Junai dankte AMIRADA-kami, dass er dies erleben durfte Für seine Forschungen würde diese Begegnung eine wichtige Hilfe sein.
Er schrak zusammen. Rikyu rührte sich wieder, stieg aufs Pferd und machte Anstalten, wieder auf den Weg zurückzukehren. Junai wendete ebenfalls, als er sah, wie sich der TOWAN ihnen anschloss. Er folgte Rikyu, als gehöre er zu ihm. Junai verstand die Welt nicht mehr.
Wieder auf dem Weg drängte es ihn, nach dem Grund zu fragen, warum sich alles so abgespielt hatte. Doch er bezwang sich, um nicht neugierig zu erscheinen. Rikyu würde sich schon erklären, wenn er es an der Zeit fände. Einige Zeit fiel kein Wort zwischen ihnen. Dann aber wandte sich Rikyu an seinen Führer. „Darf ich annehmen, dass Ihr nicht verstehen könnt, was sich abgespielt hat?“, fragte er freundlich. Er war wie ausgewechselt.
Junai beeilte sich, ihm zuzustimmen, damit Rikyu es sich nicht noch anders überlegte und sein Wissen doch noch für sich behielt. „Ihr habt recht, Herr! Diese Dinge vermag ich nicht zu begreifen. Doch wenn ihr so gütig sein wollt, mir einige Worte der Erklärung zu widmen, AMIRADA-kami würde es euch lohnen.“ Er blickte ihn erwartungsvoll an.
Rikyu ließ diese Worte auf sich einwirken. „Ja, ihr sollt Aufklärung, erhalten. Doch sprechen wir zunächst von meinem Eindruck auf euch auf dem ersten Teil dieser Reise. Sagt ehrlich, wie schätztet ihr mich bisher ein?“
„Nun, ihr wart sehr schwer zu beurteilen, immer erschient ihr von schweren Gedanken erfüllt. Immer schient ihr jemandem zu lauschen, ohne ihn verstehen zu können. Hätte ich euch nicht an jener Höhle gesehen, so würde ich jetzt meinen, dass ein anderer Mensch auf diesem Pferd sitzt.
So aber weiß ich, dass Ihr euch verändert haben müsst und ich mache den TOWAN dafür verantwortlich.“
„Ihr seid ein guter Beobachter, Junai-san. In vielen Dingen habt ihr Recht. Tatsächlich lauschte ich in meinen Gedanken einer Stimme, von der ich nicht wusste, woher sie kam. Ich versuchte, aus dem Gelände Rückschlüsse zu ziehen, doch es half nichts.
Schließlich erzähltet ihr von der Nacht der Eiwache bei den TOWAN. In diesem Augenblick wurde die Stimme lauter, die in meinem Kopf sprach. Und seit diesem Augenblick... doch ich muss etwas weiter ausholen, damit ihr mich verstehen könnt. Während meiner Audienz berichtete ich dem SHOGUN von einem merkwürdigen Drang, von einem Zug, der mich dazu bewegte, in Tanilorn mit einem Boot in See zu stechen und nach Kibiki zu kommen. Ich konnte mir diesen Drang bisher nicht erklären, ich hielt ihn für das Verlangen, zu meinem Volk zu gelangen, dem ich entstamme.
Doch auch nachdem ich hier gelandet war, verließ mich dieser Drang nicht, Er wurde zwar schwächer, doch gleichzeitig auch deutlicher. Es war wie eine Stimme in meinen Gedanken, eine Stimme, die mit mir sprach, ohne dass ich sie verstehen konnte.
Nun, vorhin, als ich den Weg verließ, rief mich diese Stimme. Ich konnte mich nicht dagegen wehren und wollte es auch gar nicht. Ja, HOSHEI Junai, ihr mögt es schon erraten haben: diese Stimme gehörte diesem Echsenhund hier, der uns nun begleitet.
Vorhin, bevor ich abstieg, hörte ich plötzlich die Worte: ‚Da bist Da ja endlich, lange genug hat es ja gedauert, Rikyu’. Ihr werdet es mir nachsehen, wenn ich zunächst nicht in der Lage war, zu antworten.
Schließlich fragte ich: ‚Wer bist Du?', erwartete aber eigentlich keine Antwort. Doch sie kam: ‚Oh. ich bin Issek. Bemühe dich nicht, dich vorzustellen, ich kenne dich gut genug. Schließlich warte ich seit einigen Jahren auf dein Kommen.’ Ich brauchte einige Zeit, um diese Worte zu verstehen. Mit dem Kopf meine ich, meine Ohren konnten mir da nicht helfen. Doch es ging noch weiter: ‚Allerdings solltest du über deinem Staunen deinen Auftrag nicht vernachlässigen. Gehen wir.’ Ich glaube, ich bin dann wieder aufs Pferd gestiegen und weitergeritten.“ Rikiyu unterbrach sich und lachte leise.
„HOSHEI Junai, ich habe die Ehre, Euch meinen TOWAN Issek vorzustellen, der seit geraumen Jahren auf mich wartete. Er war es, der in meinem Kopf sprach. Er zog mich hin zu diesen Inseln.
Ich wurde von einem TOWAN erwählt.“
Junai sagte nichts mehr. Die Rollen schienen vertauscht. Rikyu war jetzt in der Stimmung, sich zu unterhalten, Junai dagegen war sehr nachdenklich geworden. Er versuchte, das Geschehene zu verstehen, versuchte es zu erklären, doch es fiel ihm schwer.
Rikyu aber unterhielt sich mit Issek, seinem neugewonnen Gefährten, mit dem er sich gründlich auszusprechen schien.
**********
Wie lautet Euer Name?“ Der Sho–Ko der Familie HOSHEI lehnte sich zurück. „Ich bin HOSHEI Rikyu.“ Die Antwort kam ruhig aus dem Mund seines Gesprächspartners gegenüber.
„Und Eure Familie?“ – „Mein Vater war HOSHEI Hirokazu. Er starb in der Fremde. Mein Erziehung erhielt ich von einem CHOSON, der mich zu sich nahm.
Sein Name war MORJ Akimoto. Auch er lebt nicht mehr.“
Der Sho–Ko überlegte einen Augenblick. „Wie kamt ihr hierher, in das Reich?“
„Ich landete an einer Küste, ohne zu wissen, dass es sich um die Insel Kibiki handelte. Ich wusste nur, dass ich hier zu Hause bin.“
„Eure Jugend, HOSHEI Rikyu?“ Die Worte kamen gelassen aus dem Mund des Älteren. Ihm war keine Regung über das Gehörte zumerken.
„Ein merunischer Kaperer nahm mich bei sich auf. Der MORJ lehrte mich, ein CHOSON zu werden. Der Korsar lehrte mich, ein Korsar zu werden. Ich wurde ein CHOSON.“
Die nächste Frage: „Wie fandet Ihr Kibiki?“ – „Ich wusste nicht, wohin ich segelte. Ein unbestimmbares Verlangen trieb mich hierher. Ich konnte es mir nicht erklären. Heute weiß ich, dass es Issek war, mein TOWAN.“
Zum ersten Mal regte sich etwas im Gesicht des Ratsherrn. „Der TOWAN wies Euch den Weg, sagt Ihr?“
„Ihr hört recht. Auf dem Weg hierher trafen wir uns und er begleitet mich nun.“
Die Erregung war dem alten HOSHEI deutlich anzumerken. Er atmete schwer und konnte sich nur mit Mühe zur Ruhe zwingen.
Er blickte von dem CHOSON zum TOWAN und zurück, dann wieder zum Tier.
Issek, der natürlich genau wusste, worum es sich handelte, ‚grinste’ den Sho–Ko an. Außerdem versuchte er vorsichtig mit dem Schwanz zu wedeln, ganz leicht nur, um nichts zu zerstören.
Demgemäss blieb nicht allzu viel vom Wedeln übrig.
„HOSHEI Rikyu-san, ihr kommt aus SHILLA?? Ihr kommt vom SHOGUN?“ – „Ja, Herr. Ich habe eine Schriftrolle bei mir, die ich Euch zu übergeben habe. Sie stammt vom Herrscher. Erlaubt, dass ich sie Euch überreiche.“ Mit diesen Worten griff er in den Ärmel und holte eine versiegelte Rolle heraus, die er dem Sho–Ko mit beiden Händen überreichte. Dieser nahm sie, prüfte sorgfältig das Siegel und erbrach es schließlich. Er begann zu lesen.
Rikjyu saß derweil abwartend vor ihm und schien sich um nichts auf der Welt zu kümmern. Allerdings war er hellwach und ‚unterhielt’ sich wieder mit Issek.
Der Ratsherr ließ die Rolle sinken und schaute sein Gegenüber an. Die bisherige kaum wahrnehmbare Zurückhaltung war nun einem ebenso zurückhaltenden Wohlwollen gewichen. Der Grund dafür waren die warmen Worte auf der Schriftrolle und die Art, wie Rikyu die Fragen beantwortet hatte.
„Ich werde für Eure Ausbildung sorgen.“ Damit war das Gespräch beendet und Rikyu verneigte sich. Dann erhob er sich und verließ, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, den Raum, gefolgt von Issek.
Draußen jedoch, nachdem die Shoji–Türen wieder geschlossen waren, blieb er stehen und atmete ein paar Mal tief durch. Er war offenbar in die Familie, in die er gehörte, in die Familie der HOSHEI, aufgenommen worden.
**********
"Berichtet!“
HOSHEI Junai gehorchte nicht sofort. Er überlegte seine Worte, ehe er sprach.
„Herr, ich sprach während des Ritts hierher von der Höhle der Geburt, da wir in unmittelbarer Nähe vorbeikamen, wie Ihr wisst. Vorher hatte er kaum auf meine Worte geachtet, doch jetzt zeigte HOSHEI Rikyu plötzlich Interesse. Gleich darauf verließ er den Weg und lenkte sein Pferd zur Höhle, blieb jedoch am Eingang zur Schlucht stehen und stieg ab. Als ich ihm folgte, sah ich, wie er einem TOWAN gegenüber stand. Sie sahen sich an. Nur einmal hörte ich, wie der CHOSON sprach. ‚Wer bist Du?' waren seine Worte. Offenbar meinte er den Echsenhund. Dann reagierte er wieder auf meine Anwesenheit und setzte zusammen mit dem TOWAN den Ritt fort.
Unterwegs erklärte er mir das Geschehene. Er habe seinen TOWAN getroffen, der ihn seit Jahren erwartet hätte.
Herr, ein derartiges Vorkommnis ist mir bisher noch nicht bekannt gewesen. Erlaubt, dass ich daran zweifele, dass Derartiges überhaupt schon vorgekommen ist.
Dies ist mein Bericht.“
Er verneigte sich und wartete so, bis ihm ein leises Geräusch das Zeichen zum Erheben gab. Er stand auf und verließ den Raum.
Er hatte berichtet. Schlüsse daraus zu ziehen stand nur dem Sho–Ko zu, nicht aber ihm.
Nachdem Junai gegangen war, nahm der Ratsherr HOSHEI Koichi die Schriftrolle zur Hand, die HOSHEI Rikyu ihm im Auftrag des SHOGUN überreicht hatte.
Sie enthielt eine Empfehlung, dem Überbringer, eben jenen Rikyu, eine bevorzugte Ausbildung angedeihen zu lassen, damit dieser die Lücken, die er noch besaß, möglichst rasch schließen konnte. Allerdings wusste der Herrscher noch nichts vom TOWAN. Doch der Begleiter war eine normale Erscheinung in den Ausbildungsgängen. Manche Schüler hatten ein solches Tier bei sich; sie alle waren in der Nacht der Eiwache von einem Jungen erwählt worden. Es war jedoch das erste Mal, dass diese Wahl erst Jahre später stattfand, der TOWAN seinen Gefährten jedoch schon früher gekannt oder besser gefühlt hatte.
Er würde nach SHILLA berichten, mit einem Sonderkurier.
HOSHEI Koichi ließ sich Papier und Pinsel geben, rieb Tusche an und setzte den Bericht auf.
Er versiegelte die Rolle und ließ HOSHEI Junai herbeirufen, dem er die Nachricht übergab. Der Kurier machte sich sofort auf den Weg.
Dann kümmerte sich der Ratsherr um die Ausbildung Rikyus, die ihm angetragen worden war.
Er wies ihm die besten Lehrmeister an, die diesen hart forderten. Außerdem nahm Rikyu am normalen Unterricht teil, den die jüngeren Schüler erhielten.
Die Ausbildung bestand im Wesentlichen aus Übungen an den einzelnen Waffen, aus Erklärungen der Techniken und wieder Übungen. Dabei wurden die Schüler sowohl gegen Lehrer als auch gegen andere Schüler aufgestellt. Innerhalb kurzer Zeit gewannen sie so eine große Fertigkeit in der Handhabung des Kenzen, des langen wie des kurzen – auch gleichzeitig.
Aber auch im Gebrauch der Inata, der langen Schwertlanze wurden sie ausführlich unterwiesen. Die Erlangung des ersten Meistergrades in der Schwerttechnik war Pflicht für alle Teilnehmer und Voraussetzung für die Fortsetzung der Ausbildung.
Für die Schüler, denen ein TOWAN folgte, änderte sich die Ausbildung etwas, denn die besonderen Fähigkeiten der Echsenhunde mussten gebührend berücksichtigt werden. So wurden die Jungen an den Kampf gewöhnt, den sie zusammen mit einem nichtmenschlichen Partner führten und sie lernten, dessen Eigenheiten und Fähigkeiten richtig einzusetzen.
Rikyu als ‚Nachzügler’ in den Ausbildungsgängen hatte kaum Schwierigkeiten mit den Schwerttechniken, auch mit den Inata freundete er sich schnell an. Er war jedoch nicht daran gewöhnt, mit einem TOWAN zu arbeiten; diese Umstellung bereitete ihm die größten Probleme. Dazu kam noch, dass die Lehrer, dem Wunsch des Herrschers gemäß, dem Schützling des SHOGUN besondere Aufmerksamkeit zuwandten, so dass bei hm auch die allerkleinste Schwäche unerbittlich korrigiert wurde.
Doch soviel Rikyu auch aufgebürdet wurde, soviel bewältigte er auch. Er schien keine Grenzen zu kennen, jedes Wissen saugte er auf und wusste es erstaunlich kurze Zeit später folgerichtig anzuwenden und einzusetzen.
Ähnliches galt für die zeremoniellen Disziplinen. Nicht nur der Kampf mit dem Schwert, auch die Versenkung in sich selbst, die Vereinigung mit AMIRADA-kami wurde gelehrt. Und in dieser Versenkung wurde wieder gekämpft.
Zunächst nur formell, später mit der vollen Geschwindigkeit, die schon der Korsarenführer bestaunt hatte.
Ebenfalls nicht zu kurz kamen Übungen, die die grundsätzliche Handhabung der Waffen lehrten. Die Grundbewegungen wurden einstudiert und immer und immer wieder geübt. Rikyu war stets an vorderster Stelle zu finden.
Unermüdlich schien er zu sein, ob es nun bei den Kämpfen mit festgelegten Bewegungen, den Kata, oder im freien Kampf galt, sich zu behaupten.
Große Hilfe wurde ihm dabei durch seinen Gefährten zuteil, der ihm ständig zur Seite stand. Oft genug ‚rettete’ Issek Rikyu das Leben, wenn er einen Pfeil, der für ihn bestimmt war, zur Seite schlug – mit seinem Schwanz!
Er wusste Rikyu immer genügend Bewegungsfreiheit zu erhalten, indem er in einem Kreis um ihn herumsauste und jeden ‚Eindringling’ zurückdrängte.
Später, als geistige Disziplinen gelehrt wurden, war Issek seinem Freund ein treuer und geduldiger Wächter, auf den man sich verlassen konnte. Nichts würde Rikyus Konzentration stören können, solange Issek da war – und Issek war immer da.
Die Erfolge dieser Gemeinschaftsarbeit ließen denn auch nicht lange auf sich warten: Rikyu konnte sich immer besser auf die verschiedensten Anforderungen seiner Lehrmeister einstellen und sie besser erfüllen.
Er war damit nicht besser als andere Schüler, die ebenfalls von einem TOWAN begleitet wurden, doch er war älter und lernte vielleicht nicht mehr ganz so leicht und nicht ganz so schnell wie seine Kameraden. Doch die Ausdauer Rikyus glich dies aus.
**********
"Monate waren inzwischen vergangen, der Jahreskreis hatte sich fast wieder geschlossen.
KU'RITA U’rizzen, SHOGUN des Volkes der CHOSON, unternahm eine Rundreise durch das Land, um den direkten Kontakt zu seinen CHOSON zu vertiefen.
Natürlich kam er auch nach Kashowada auf die Insel Kasa'uchi. Dort ließ er es sich nicht nehmen, sich die Fortschritte von HOSHEI Rikyu anzusehen, von dem er fast nur Überdurchschnittliches berichtet bekommen hatte. Er wollte diese Berichte persönlich überprüfen.
HOSHEI Koichi, Ratsherr der Familie der HOSHEI, empfing den Herrscher, der gleich darauf auf sein Anliegen zu sprechen kam.
„Wann, Sho–Ko, wird HOSHEI Rikyu eine Probe seines Könnens ablegen können? Wann findet ein Kampf statt?“ Koichi antwortete nicht sogleich, sondern hob den Kopf und nickte einem Diener zu. Dieser eilte herbei und übergab Koichi eine Schriftrolle, die der Ratsherr aufrollte und studierte. Dann erst hub er zur Antwort an.
„Wenn ihr euch noch etwa eine Stunde gedulden möget, KU'RITA-sama, werdet ihr Gelegenheit haben, HOSHEI Rikyu zu beobachten. Ich werde Anweisung geben, einen Platz für euch herzurichten. Verzeiht, wenn ich euch dafür einen Augenblick nicht gebührend beachten kann.“
Er erhob sich und wollte zu einer Shoji–Tür gehen, als ihn die Stimme des Herrschers zurückrief .
„Es macht euch Ehre, so eifrig zu sein, doch hört zuvor meine Wünsche.“ Schon war der Ratsherr wieder an seinen Platz geglitten und lauschte dem SHOGUN.
„Ich habe nicht die Absicht, mit Wissen des Schülers seine Ausbildung zu begutachten. Ihr mögt mir einen Platz einrichten, an dem ich ihn sehen kann, ohne dass er meiner gewahr wird. Ich möchte sehen, aber nicht gesehen werden.“ Ein leichtes Nicken entließ den Sho–Ko.
Und so geschah es. Verborgen durch einen Bambusvorhang, der aber seinen eigenen Blicken keinen Widerstand entgegensetzte, nahm der Herrscher der CHOSON an den Übungskämpfen teil, die jedoch mit scharfen Waffen geführt wurden. Lediglich die Hiebe wurde nicht zu Ende geführt, die Technik wurde vorher gestoppt.
Der Kampf begann. HOSHEI Rikyu trat noch nicht vor. Sein TOWAN lag unbeweglich wie Rikyu selbst neben ihm. Nicht einmal seine Schwanzspitze zuckte.
Die beiden jungen CHOSON auf der Kampffläche zogen ihre Schwerter, stellten sich auf und warteten auf den Ruf des Kampfrichters.
Kaum war sein „Hajime !“ verklungen, prallten auch schon die Klingen gegeneinander, trennten sich wieder, nur um in einem neuen Angriff erneut aneinander entlang zu scharren.
Dann wurde der Kampf etwas ruhiger. Jeder der beiden Kontrahenten stand ruhig da, der eine in Waki, der andere mit erhobenem Schwert - jeder bereit, sofort zuzuschlagen, sobald er auch nur die geringste Schwäche des Gegners erkennen würde.
Plötzlich wieder ein Wirbel von Bewegungen. Die Kenzen klirrten, eines erwies sich als schwächer geführt und wurde zur Seite geschlagen. Unmittelbar danach, es lag keine messbare Zeitspanne dazwischen, zeigte die Kenzen–Spitze des anderen auf den Kehlkopf seines Gegners, sie zitterte nicht im Geringsten. Dann senkte sie sich langsam, kehrte in die Ausgangsposition zurück.
Auch der Besiegte nahm wieder seine Haltung ein. Sie ließen ihre Waffen gleichzeitig sinken, schoben sie wieder in die Scheiden und verneigten sich, wie schon vor Beginn des Kampfes, voreinander und vor dem Kampfrichter. Dieser zeigte den Sieger an.
Der nächste war HOSHEI Rikyu, der Zwei–Schwert–Techniken zeigen sollte. Hier hatte er sich immer schon schwer getan, hier musste er am meisten üben. Heute wollten seine Lehrmeister sehen, wie weit er damit gekommen war. Rikyu begab sich auf die Kampffläche, hockte sich nieder, den TOWAN neben sich. Seine Hände lagen locker auf den Oberschenkeln, er schien seine Umgebung nicht wahrzunehmen.
Eine kaum merkliche Handbewegung eines der Lehrer, ein kleines Glöckchen ertönte, in die Gestalt auf der Matte kam Leben. Plötzlich war das Schwert aus der Scheide, fuhr in einem weit ausholenden Halbkreis durch die Luft.
Der TOWAN war im gleichen Augenblick aufgesprungen und mit einem mächtigen Satz schräg nach vorne und zur Seite gesprungen, um den imaginären Gegner von der Seite her packen zu können.
Schon war die Scheide aus dem Gürtel gerissen, schon bildete sie mit der Klinge einen Kreuzblock. Der angenommene Gegner aber schien auch diese Abwehr durchbrechen zu können, denn Rikyu ließ die Scheide fallen, die, bevor sie auf den Boden aufschlug, von Issek mit einem Schwanzhieb zur Seite gefegt wurde.
Aber Rikyu war deswegen noch lange nicht waffenlos. Er zog sein zweites Kenzen, das er auf dem Rücken getragen hatte, nachdem er seine erste Klinge in die linke Hand gewechselt hatte.
Ein Stoß, kaum auszumachen, so schnell kam er, dann ein gewaltiger Kreisschlag mit dem rechtshändigen Kenzen – und der Gegner besaß keinen Kopf mehr.
Das Chiburi, das Abschlagen des Blutes von den Klingen; das Hineingleitenlassen der Waffen in ihre Scheiden; Rikyu ließ sich wieder nieder, alles war eine fließende Bewegung. Rikyu saß auf demselben Platz, von dem aus er die Vorführung begonnen hatte.
Auch er verneigte sich vor seinen Lehrern, drehte sich danach jedoch in Richtung des Bambusvorhangs, hinter dem sich der Herrscher befand und verneigte sich erneut.
Dann stand er auf und verließ, gefolgt von seinem Gefährten, die Kampffläche. KU'RITA U’rizzen war erstaunt. Woher konnte der junge Krieger wissen, dass sich hier jemand aufhielt? Mehr noch, er schien sogar zu wissen, wer hier saß.
Diesem Vorfall würde er später auf die Spur gehen. Jetzt wollte er sich die noch folgenden Kämpfe ansehen. Er konzentrierte sich wieder auf das Geschehen auf der Matte.
Jetzt war ein Kampf mit der Inata im Gange. Der junge Krieger konnte sich nur mit einem Kenzen gegen drei Angreifer wehren, welche die langen Schäfte mit den blattförmigen oder geraden Klingen trugen.
Der SHOGUN konnte sehen, wie einer der Angreifer elegant zur Seite geschleudert wurde, ohne dass das Schwert zum Einsatz gekommen war. Gleich darauf beschrieb die Klinge einen waagrechten Kreis, der durch die beiden Unterleibe der restlichen Angreifer schnitt. Sie hatten durch die Abwehr des ersten noch nicht selbst angreifen können. Das wurde ihnen jetzt zum Verhängnis. Zwar trug sie ihr Schwung noch einen Schritt weiter, doch der Angegriffene stand längst nicht mehr an diesem Platz. Er war seinem Schwert gefolgt, stand jetzt seitlich von seinen Kameraden, die er schon nicht mehr beachtete.
Er schlug das Blut ab und schob die Waffe wieder in die Scheide, das Saya. Dann erst drehte er sich um, verbeugte sich vor den drei Angreifern, die jetzt 'tot' waren, erwies auch dem Kampfrichter die gleiche Ehre und setzte sich wieder in seine Reihe.
Auch dieser Kampf war sehr schnell gewesen.
Es folgten noch mehrere Kämpfe ähnlicher Art, jedoch mit unterschiedlichen Zusammenstellungen der einzelnen Waffen. Nur der Oyomi kam nicht zum Einsatz.
Der Oyomi, der schwere Kriegsbogen, sollte erst nach Abschluss der Klingenkämpfe hervorgeholt werden.
Bald war es soweit.
Auch hier war HOSHEI Rikyu wieder dabei, diesmal trat er als erster an. Er kniete nieder, stellte ein Bein auf, es war das rechte, und legte sich dann 12 Pfeile gegen den Oberschenkel, die Spitzen auf der Erde, die Federn gen Himmel zeigend.
Er grüßte das Ziel, griff dann den Bogen und – wartete. Ein kurzes Brummen seitens seines Lehrers und Rikyu schoss.
aus. Noch im Ausziehen fast löste sich der Pfeil und sirrte davon. Doch schon hatte Rikyu den nächsten Pfeil in der Hand und schickte ihn dem ersten hinterher. Und so ging es mit sämtlichen Pfeilen, mit sämtlichen Geschossen.
Kaum eine Minute war vergangen und schon steckten sämtliche Pfeile im Ziel. Der Schütze nickte seinem Echsenhund zu, dieser sprang auf und setzte in weiten Sprüngen zur Scheibe. Er zog die Pfeile vorsichtig heraus, nahm sie auf und kam zurück. Vor Rikyu legte er sie auf den Boden und legte sich selbst wieder neben ihn. Rikyu nahm die Pfeile auf, grüßte wieder gegen das Ziel und verließ den Abschussplatz. Der nächste Schütze nahm seinen Platz ein, er hatte keinen Echsenhund bei sich. Auch er schickte sämtliche Pfeile ins Ziel, wenn er auch um einiges länger brauchte als Rikyu. Ebenso war es mit den anderen. Rikyu war der schnellste Schütze und gleichzeitig auch der sicherste.
„Verzeiht, KU'RITA-sama, wenn ich es wage, Euch zu stören.“
Der Herrscher, der das Herbeitreten von HOSHEI Koichi nicht bemerkt hatte, weil er sich völlig auf die Schüler konzentriert hatte, nickte.
„Es besteht der Wunsch eines unserer Schüler, euch weitere Proben seines Könnens zu zeigen. Er bittet darum, seine Schnelligkeit unter Beweis stellen zu dürfen.
Darf ich Ihm ausrichten, dass ihm sein Wunsch gewährt wird, Herr?“
„Sagt HOSHEI Rikyu, dass ich mir gerne sein Können weiter ansehen möchte.“ Erstaunen, nur schlecht verborgen, zeigte sich auf dem Gesicht des Sho–Ko.
Woher hatte der SHOGUN wissen können, um welchen Schüler es sich handelte? Doch dieser sprach schon weiter.
„Wo soll die Vorführung stattfinden?“
„Erlaubt, dass ich Euch führe, Herr!“ KURITA U’rizzen erhob sich und folgte dem Sho–Ko. Ein kleiner Übungsraum war das Ziel. Dort saß HOSHEI Rikyu und wartete. Der Herrscher setzte sich und sogleich erschienen zwei weitere Schüler. Sie trugen jeder ein Kenzen, während Rikyu unbewaffnet war. Der Towan war nicht zu sehen.
Der erste Schwertträger trat vor und Rikyu erhob sich. Beide verneigten sich vor dem Herrscher und dann voreinander. Das Schwert wurde blank gezogen. Mit einem wilden Schrei begann der Angriff. Rikyu wich elegant zur Seite aus, ergriff das Handgelenk seines Gegners und drehte es auswärts. Das Schwert hing in einem unnatürlichen Winkel zur Seite und fiel dann aus der kraftlos gewordenen Hand.
Doch Rikyu gab sich nicht mit der Abwehr des Angriffs zufrieden. Er führte seine Bewegung weiter und zwang so den Angreifer, sich über den Rücken abzurollen. In einer weich fließenden Bewegung stand der Abgewehrte wieder auf und holte sich seine Waffe wieder.
Rikyu stand immer noch auf dem Platz, den er vor dem Angriff innegehabt hatte. Er hatte sich nur einmal zur Seite bewegt, einen schnellen Ausfallschritt getan und so seine Abwehr organisiert.
Jetzt machte er einen Schritt zurück und wartete auf den zweiten Angriff, der auch augenblicklich erfolgte. Das Schwert wurde gezogen, um mit dem Griff voran gegen Rikyus Magen gestoßen zu werden. Doch auch diesmal wich Rikyu aus, führte aber die Stoßbewegung weiter und verwandelte sie in eine Fallbewegung nach vorne. Auch diesmal hatte der Angreifer keine Chance, diesen Gegenangriff, der im Grunde nur eine Abwehr war, seinerseits abzuwehren. Er rollte sich ab, kam wieder auf die Beine und setzte sich neben seinen Kameraden nieder. Auch Rikyu hatte bereits wieder seinen Platz genommen.
Gleichzeitig verneigten sich die drei vor KU'RITA U’rizzen, dann verschwanden die beiden anderen und nur der Ratsherr und HOSHEI Rikyu blieben bei dem Herrscher.
„Sprecht!“ kam es schließlich aus dem Mund von KU'RITA.
„Herr, ihr empfahlt mich seinerzeit dem ehrwürdigen Ratsherren der Familie der HOSHEI, dem Sho–Ko HOSHEI Koichi. Ich bemühte mich, Euren Erwartungen gerecht zu werden und wollte Euch hier zeigen, dass es auch durch bloßes Nachgeben und Fortführen der Angriffsbewegung möglich ist, abzuwehren. Es bedarf dazu keiner Waffe. Ich wollte mich Eures Vertrauens in mich würdig erweisen.“
Er verneigte sich.
“Der Herrscher ging mit keinem Wort auf die Ausführungen des jungen, hoffnungsvollen Kriegers ein. „Woher wusstet ihr von meiner Anwesenheit, HOSHEI–san?
„Issek, mein TOWAN, spürte eure Anwesenheit Er unterrichtete mich davon, dass ihr unsere Übungen beobachten würdet.“
Ein Zucken der Erkenntnis ging über das Gesicht des Ratsherren. Soeben hatte er verstanden, was er sich schon gefragt hatte, seit Rikyu ihm seinen Wunsch vorgetragen hatte.
Der Herrscher dagegen zeigte keine Reaktion. Er schien etwas Derartiges erwartet zu haben.
„Nun, Kashira, ich sehe, dass Ihr euren Kopf auch zum Denken zu benutzen vermögt. Doch möchte ich Euch sagen, dass diese Art der waffenlosen Verteidigung eine Kunst ist, die besonders in der Familie der MORJ gepflegt wird. Hier hättet ihr sie nicht erlernt.“
Er schwieg einen Moment. „Warum macht Ihr Euch solche Gedanken? Solltet Ihr nicht danach trachten, Eure Geschicklichkeit in der Handhabung der Waffen zu vergrößern? Der Stoß mit dem Schwertgriff war zu langsam. Ein schnellerer Gegner hätte euch den Arm abgetrennt.“
Rikyu senkte den Kopf. „Ich bin betrübt, wenn ich Eure Erwartungen nicht erfüllen konnte. Ich habe mich stets bemüht, allen Anforderungen gerecht zu werden. Ich werde meinen Fehler wiedergutmachen, um mich dann erneut euren Augen zu stellen. Dann mögt Ihr mich wieder prüfen.
Doch mache ich mir seit geraumer Zeit Gedanken über Möglichkeiten, wie sich jemand, der keine Waffen mehr zur Verfügung hat, dennoch seiner Angreifer erwehren kann.
Was ich die Ehre hatte, euch zeigen zu dürfen, waren einige Ergebnisse meines Nachdenkens. Wenn sie euch nicht überzeugt haben sollten, werde ich nicht mehr davon sprechen.“
Rikyu beendete seine kurze Rede und wartete dann die Antwort des SHOGUN ab.
„HOSHEI Koichi, ich bitte um eure Meinung.“
Der Angesprochene blickte auf Rikyu, der sich stumm erhob und den Raum verließ. Dann erst antwortete der Sho–Ko.
„Die Lehrer dieser Schule erkannten schon früh die Einstellung dieses Schülers. Sie bemühten sich nach Kräften, dieses Gerüst für innere Werte, für eine hohe geistige Einstellung, zu fördern und auszubauen. HOSHEI Rikyu zeigt größte Achtung vor dem Leben. Er kann es nur schwer vereinbaren, Leben mit Waffen zu bekämpfen, auch wenn er angegriffen wird. Aus dieser Einstellung heraus resultieren seine Gedanken über die waffenlose Selbstverteidigung. Wir gaben ihm nur die Gelegenheit dazu.“
Ein zustimmendes Brummen des Herrschers beendete die Ausführungen des Sho–Ko.
„Wann wird die Ausbildung von Rikyu beendet sein, HOSHEI–san?“
„Es wird nur noch wenige Tage dauern, dann ist er in der Lage, den ersten Meistergrad des Schwertes zu erlangen. Die Prüfungen werden bereits vorbereitet.“
„Gut. Danach werdet Ihr ihn anweisen, sich in SHILLA bei mir einzufinden. Ich werde für seine weitere Ausbildung Sorge tragen.“
Der Ratsherr verneigte sich bestätigend. „Ich höre und gehorche.“
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Sechs Jahre später war die Ausbildung von HOSHEI Rikyu beendet. Er hatte sich in der Kunst der waffenlosen Verteidigung ebenfalls zu einem Meister entwickelt.
Bald darauf entschloss sich der CHOSON HOSHEI Rikyu, das Reich der CHOSON für einige Zeit zu verlassen und MAGIRA zu bereisen. Natürlich begleitete ihn Issek dabei. Rikyu traf seinen Freund Tirson von Tanibar wieder und erlebte mit ihm gemeinsame Abenteuer. Doch darüber wurde schon an anderer Stelle berichtet.