lietzensee
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Zwölf Uhr Mittags
Der Holzfäller ist tot. Man hat ihn abends im Wald gefunden. Am Morgen schulterte er seine Motorsäge und verließ das Haus. Bevor er in sein SUV stieg, hat er mir noch gewunken.
Er lag vor der Eiche. Sein Finger, kalt und steif, krümmte sich zum dem Abzug der Säge hin. Rot blutete sein Kopf ins grüne Moos.
"Das muss ganz schnell gegangen sein", doziert der Landarzt und zieht bedächtig an seiner Pfeife. "Tückisch, sowas."
Niemand war Zeuge, als es passierte. Aber jetzt, mit einem Glas Whiskey in der Hand, sehe ich alles genau vor mir: Sein stoischer Blick, entschlossen zu tun, wofür er gekommen war. Wind flüsterte drohend in den Kronen. Sein Finger umspielte den Abzug. Da knackte es - genau zur Mittagsstunde.
Melancholisch putzt der Barmann seine Gläser. Der Landarzt pafft: "Er stand halt unglücklich neben der Eiche."
Die Eiche und er, korrigiere ich im Stillen, standen sich gegenüber. Duell zum High Noon und nur einer konnte stehen bleiben. Der Ast der Eiche brach. Ein Volltreffer! Ich leere mein Glas und sinniere über das Recht des Stärkeren.
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Angeregt von Ubertas Gedicht: https://www.leselupe.de/beitrag/aus-saegen-hacken-161764/#post-894044
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