Zwei Strophen über die Abwesenheit

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Rui Luis

Mitglied
Ich ziehe das Schweigen dem Winter der Worte vor,
und ich weiß, das Meer wird nie mehr dasselbe sein.
Ich ziehe dieses Schweigen dem Morgen ohne dich vor,
der Nacht ohne dich,
und ich weiß, das Meer, das Land, die Stadt bedeuten nichts mehr.


Du entschwindest mir im Zwielicht der Dämmerung, wo wir einst unsere Hände lösten.
Ich bin der kämpfende Torso jener Schreie in der Nacht.
Doch ich ziehe dieses Schweigen der Nacht ohne dich vor, den Worten, dem Winter ohne dich,
und ich weiß nicht, an welchem Morgen wir zurückkehren werden.​
 

sufnus

Mitglied
Hey RL!
Das ist ein wirklich höchst gelungenes und eigenständig tönendes Eingangsgedicht (Willkommen in der Brennglaserei! :) ).
Schade, dass erstmal kein mehrstimmiges Feedback kam - ich hoffe sehr, das ändert sich noch, denn Deine Zeilen machen wirklich sehr zugewandte Gerneleseangebote!
Ich mag besonders:
- den Mut zur Lanzeiligkeit! Man könnte manchmal denken, es gelte bei ungereimten Dichtversuchen das Motto: Je kurzzeiliger, desto besser - aber das stimmt natürlich mitnichten (womit ich jetzt aber latürnich auch nicht die ebenso föllig-ferkehrte Thesenkeule schwingen will, dass es eine positive Korrelation von Zeilenlänge und Qualität gibt ;) )
- die eingewobene Ironie, dass hier so beredt von Schweigen gesungen wird
und
- die latent doppelte Genitivmetapher vom "Torso der Schreie (in) der Nacht"

... ach ich mag eigentlich noch mehr als nur das, aber damit solls erstmal gut sein. :)

LG & auf Weitereshoffend!

S.
 

Ubertas

Mitglied
Hallo @Rui Luis ,
auch von mir ein herzliches Willkommen auf der Leselupe. Sufnus hat es noch viel besser auf den Punkt gebracht: Brennglaserei! (Kurzes outtake ohne Erklärbärnachklapp)
Das ist wirklich ein ganz hervorragendes Gedicht. Ich habe mich bereits in die erste Verszeile verliebt:
Ich ziehe das Schweigen dem Winter der Worte vor,
Da will man einfach weiterlesen!
Was das Beste ist: hier wird keine Erwartung in Form eines Aufmachers geschürt. Ganz im Gegenteil! Dein Gedicht ist bis in die letzte Zeile eine Reise für jeden, der es mit Sinn liest. Es ist kein gekünsteltes Durchhalten - nach dem Motto: Mein Gedicht soll schön werden!
Es hat den Mut zur Authenzität. Das macht es aus und so wirkt es nicht gefällig, sondern persönlich. Etwas, das ich an Gedichten sehr schätze und damit bin ich sicher nicht allein.
Danke für dein Gedicht und in (Vor)Freude, von dir zu lesen!
Lieben Gruß ubertas
 



 
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