„Das geregelte Leben“

CHW

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Französisch vorbei, Mathe vorbei, one down, Musik lernen.
Es ist nicht etwa so, als hätte ich Spaß bei der Arbeit! Aber es ist doch menschlich, sich in Eitelkeit wiegen zu dürfen, zu bestehen mit diesem verrückten Willen, es ihnen allen zu beweisen, auszubrechen.
Es ist ein verdienter Sieg, oft ein zu niedriger Lohn, und hinzu kommt die Aufladung, seine Zeit verschwendet zu haben für ein rasch beendetes Ziel.
Und man ist nicht im letzten Ziel, es bleibt Zeit zur Neuausrichtung.
Freier wird man, ohne völlig frei zu werden. Vielleicht nie! Und ist man es, ist Freiheit wunderschön und....

Viel zu grausam wird man sich nach allem Stress im Klaren darüber, wie viel Zeit verstrichen ist für ein allzu nichtiges Ziel. Und doch! Es ist durchaus reizvoll, dieser Weg, tief menschlich, Befehle auszuführen.
Ich bin der Freiheit näher gekommen. Zu den Bergen blicke ich auf. Zu den verschneiten Gipfeln, frostig und nebelverdichtet. Dort, in der Ferne, dort in meiner Zukunft. Ist mein Schreiben um des Schreibenswillen?
Bin ich nicht ein Kafka? Möchte zu den Bergen. Wie? Und wenn, mit wem?
Dass ich auch ganz die Berge erleben kann in ihrer mächtigen, unerschütterlichen Stille. Ohne Geschwätz, ohne ausgetretenen Weg. Mit welchen Beinen, welchen Knien? Die meinen, als ob sie mich hinauf trügen.
Und den Geist? Als ob er es für klug hielte. Wozu dort hinaufzuwandern?

Es steht mir aber frei, den Herbst zu kosten, den rauchigen Schneewind von den Bergen, auf denen ich als Kind wanderte. Und vielleicht das selbe fühlte, unbewusst- neugierig war ich schon immer- das ich nun hier fühle.
Allein, fern von der Zivilisation, von den Bergen, fern, was mich als Mensch so fehlerhaft fühlen ließ und unverständig. Fern auch dem See, dem Hotel und seinem Betrieb.

Ein Blatt, und ich finde darin den ganzen Wald, und im ganzen Wald auch keine Formeln, keine Formen. Unzählige, unnennbare eher, als dass er meiner würde.
Vor mir verschwimmen die Landmassen, und unbegreiflich allein diese Größe der Hänge, der zahllosen Bäume, zahlloser Farben. Und ich bin beides, Wunder und Mensch, ich bin real.





Ich gehe durch den Wald, ich beschaue die kupferne Alm, die strenge Bergstirne, und meine Erinnerung weckt der Wind. Doch Stock und Blatt rings um mich fällt. Und kaum könnt ich`s drehen, öffnen, verstehen- kann nicht sein, nur Unterwerfung für jetzt in diesem Wald voll fremder, altvertrauter Bäume,
voll freundlicher, wohlduftender Natur. Und wie ein Spiel, die Pilze ihr gepflückt, und mit den nackten Füßen klein und sorgsam durch das Moos.

Ich mag kein guter Mensch sein, hier aber bin ich nichts. Weil man nicht teilen kann, so bin ich alles außer Ich, kleinster Teil des Wunders, frei von Denken,
Sehen, nur Fühlen kann die Fülle völlig zeigen.

Der Dichter oder der Mathematiker, nein, der Philosoph, sie alle spielen nicht das Spiel. Sie suchen die Grundregel, ohne sich auf eine Sache festzulegen.
Ich drehe den Basketball auf meinem Finger- ungeschickt- und er fällt.
Nicht jeder kann ein Leben lang ein Spiel im Spiel spielen.
Ich war selber einmal Teil dieser Welt, deren oberstes Spiel die Wirtschaft ist.

Schule, Sport oder Wissenschaft? Ich kann mir nichts Erquickenderes und Sorgenfreieres als ein ernstes Training mit Schweiß, Kraft und Erfolg vorstellen und einen verdienten Sieg durch Teamplay. Und doch, es hält mich nicht.

Ich bin ein Verdränger, der erst recht aus dem Kleinen flieht, ewig fallend und haltlos, in jeder Sache neu gefangen, und von der Gesellschaft eingesperrt, nur um kurz darauf weiterzufallen. Aber heute fühle ich die verinnerlichte Ruhe, das Schweigen im regen Tatendrang, höchste Konzentration, geringe Haftung an Umgebung und Vergangenheit, auch starke Phantasie. Einfach wie damals beim Arbeiten im Hotel, als ich statt lächelnd zu stolpern lieber ernst versuchte, noch schneller zu laufen. Mein Herzschlag beruhigt. Mir ist fast schwindlig vor Spannung, aber darüber denke ich nicht nach. Ich existiere nur für eine Aufgabe. Ich lache und rede nicht, ich ruhe und arbeite und denke völlig effizient, komplett anders als sonst, da ich so einfach in alles Äußere eintauchen kann.

Menschen können sich ein Leben lang ändern, aber besonders Sport und Poesie prägen den gesamten Menschen. Wenn man keine Probleme erzeugt, gibt es keine Probleme. Ich muss nur vergessen, dass ich mehr weiß, und unversehens wird mein Leiden wider meinem Sinn wieder Illusion. Ich bin nur irgend so ein Typ, der für die Herbstmatura lernt, und in den Pausen versucht, den Basketball, den er aus dem Schuppen geholt und schon fast mit zwangsneurotischer Genauigkeit gewaschen hat, auf seinem Finger zu spinnen.



Ich denke nicht mehr darüber nach. Das ist der Sinn meines Schreibens.
Und trotzdem, hier schreibe ich zumindest noch. Was wäre, wenn ich selbst damit aufhörte, als hätte ein verzweifelter Jugendlicher versucht, mit Ernst nur ein lächerliches Tagebuch gegen die Welt zu schreiben, mit der er durch seine eigene Schuld nicht zurechtkommt? Wie auch die tiefen Verse von Hölderlin,
dem Wahnsinnigen, in der heutigen Zeit überspannt wirken. Nicht, dass sich hinter ihnen mehr Geheimnis verbergen würde als nur unerschöpflicher Wortschatz!

Ich würde erneut Wissen als den Herrscher der Welt erkennen, Wissenschaft und Sport betreiben und streben. Nur, dass ich nicht fortgehen könnte, würde noch das bisschen Maß zeigen, das mir von jener filigranen Scheinwelt geblieben wäre, in der ja ich lebte, nicht die anderen, die sich über die Bierkrüge und laute Musik hinweg überschreien, die nicht mal wert ist, gehört zu werden.
Ich würde zum Bildungsbürger werden, zu diesen Pseudointellektuellen und schließlich als ein solcher einfach eines Tages sterben.

Soll das schon alles gewesen sein, Leben?
 



 
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