(f) Was macht das Faultier im Kühlschrank oder Ehekrise eines Drachentöter-Töters

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Pinky

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Die Praxis war exquisit eingerichtet: Teure Holzvertäfelungen zierten die Wände, kostspielige Teppiche bedeckten den Boden und auch die Vorhänge waren sicher nicht aus dem Diskonter. Hinter einem gewaltigen Schreibtisch aus echtem, kunstvoll bearbeitetem Mahagonie räkelte sich der Therapeut bequem und weit zurückgelehnt in seinem Stuhl aus echtem Leder. Manche seiner Patienten hatten sich wohl aus persönlichen Gründen über diesen erlesenen Bezug geärgert, doch aufgrund der Brillanz des Doktors auf jeglichen Kommentar verzichtet. Und brillant war er, unbestritten; sonst hätte er sich die Preise gar nicht erlauben können, mit denen er diese Einrichtung finanzierte.
Etwas gelangweilt blickte der Therapeut zur Tür seiner Praxis. Sie war aus echtem Ebenholz, ebenso aufwändig geschnitzt wie der Schreibtisch und groß wie ein Scheunentor. Doch mindestens genauso auffällig waren der gefüllte Futtertrog, der Strohhaufen, das Wasserbad und der glühende Schwefelkessel. Und ein großer Haufen aus allerlei kunstfertigen Gegenständen wie Becher, Pokale, Teller, Ketten, Münzen und Kronen, allesamt aus purem Gold. Die beiden verhältnismäßig einfachen Stühle gegenüber dem Schreibtisch und die satinbezogene Couch gingen da fast unter.
Der Therapeut ließ seinen Stuhl nach vorne fallen und drückte einen Knopf der Gegensprechanlage:
„Die nächsten können reinkommen!“
Er ließ sich wieder zurücksinken und wartete einige Augenblicke, dann öffneten sich beide Flügel der gewaltigen Praxistür und herein kamen zwei Drachen, einer in mattem Grün, der andere, etwas kleinere, in einem schillernden Violett. Der Therapeut hatte sich wieder erhoben, begrüßte die beiden und schloß die Tür hinter ihnen. Dann meinte er mit einer Geste auf den Goldhaufen:
„Bitte, nehmen Sie doch Platz!“
„Danke!“ erwiderte der große Grüne und ließ sich auf den Hort nieder. Der andere Drache tat es ihm gleich und auch der Therapeut begab sich wieder hinter seinen Schreibtisch. Dann sahen ihn die beiden Drachen erwartungsvoll an, wobei ihre Blicke immer wieder auf die zahlreichen Diplome schwenkten, die hinter ihm an der Wand hingen und ihn als mehrfach ausgezeichneten Eheberater auswiesen.
Und bis auf seine eigene, hatte er noch jede Ehe wieder in Ordnung gebracht.
Der Therapeut zog eine Akte heran, schlug sie auf und studierte sie kurz. Dann blickte er auf und sagte:
„Sie sind zum ersten Mal bei mir.“ Es war eine Feststellung, keine Frage, denn immerhin waren solche Dinge offensichtlich.
„Ja“, bestätigte der grüne Drache trotzdem. „Ihr Kollege ...“
„Ich weiß. Mein Kollege hat sie an mich verwiesen, weil ...“ Er sah wieder kurz in die Akten. „ - sie seine Praxis vernichtet haben.“ Konsternierte Überraschung klang in seiner Stimme mit. Fragend blickte er die beiden Drachen an.
„Wir sind dort auf einen der größten Drachentöter des Landes getroffen“, erklärte der große grüne Drache unbewegt.
„Wir hatten zufällig am gleichen Tag einen Termin“, fügte der violette Drache hinzu.
„Soso“, meinte der Therapeut und machte sich eine Notiz, Drachen und Drachentötern nicht am gleichen Tag einen Termin zu geben. Möglichst nicht einmal in der selben Woche.
„Aber kommen wir jetzt zu ihren Problemen!“ Mit einem Knall schloss er den Deckel der Akte und wandte sich den beiden Drachen auf dem Hort zu. „Weshalb sind Sie hier?“
„Wir haben Probleme“, meinte der grüne Drache.
„Das dürfte ihm selber klar sein, sonst wären wir nicht hier!“ schnappte der violette Drache.
„Das ist schon in Ordnung, gute Frau. Wir sollten ruhig langsam anfangen. Wie äußern sich diese Probleme denn?“
„Naja, einmal darin, dass wir ständig unsere Höhleneinrichtung erneuern müssen weil sie bei jedem Streit in Flammen aufgeht!“ klagte der Drache.
„Ich glaube kaum, dass den Herrn Doktor unsere Einrichtungsprobleme interessieren!“ schnappte die Drachin. „Immerhin ist er kein Innenarchitekt.“
„Ich halte das aber sehr wohl für ein Problem! Immerhin gehen diese ständigen Möbelkäufe ganz schön ins Geld. Weißt du überhaupt, wie groß mein Hort noch vor ein paar Wochen war? Ich kann kaum noch vernünftig drauf schlafen.“
„Pah! Wie wenn das bißchen Geld so wichtig wäre!“
„Es kostet mich auch jedesmal ganz schön Nerven, mit dir durch sämtliche Einrichtungsgeschäfte ziehen zu müssen! Und die Streiterei wird dabei auch nicht grade weniger!“
„Ich denk, die Möbelkäufe sind hier lediglich Symptome“, unterbrach der Therapeut, als der aufkeimende Streit besorgniserregende Triebe zu erreichen drohte. „Wollen wir lieber den Ursachen auf den Grund gehen: Weshalb streiten Sie? Oder wann haben diese Meinungsverschiedenheiten angefangen?“
„Nun“, ergriff die Drachin energisch das Wort, „angefangen haben sie eigentlich erst, als er damit begann, königliche Jungfrauen mit nach Hause zu bringen.“
„Hör mal, es gehört zum Job, Prinzessinen zu entführen, jeder Drache macht das.“
„Aber für gewöhnlich sucht man sich dann irgendeine einsame Schlucht oder einen Berg und kettet sie dort an einen Baum oder einen Felsen, aber man bringt sie nicht mit in die eigene Höhle!“
„Andere bringen abends auch noch Arbeit mit nach Hause, wenn sie untertags nicht fertig werden. Das ist ganz natürlich, sagen Sie es ihr, Herr Doktor!“
„Äh!“ machte der Therapeut nur, der eigentlich nie daran gedacht hatte, Patienten mit nach Hause zu nehmen. Sonst wäre er noch viel früher geschieden gewesen.
„Aber deren Frauen müssen diese Arbeit dann nicht auch bekochen!“ keifte die Drachin empört. „Weißt du, wie anspruchsvoll solche Prinzessinen sind? Verwöhnt und zickig, nichts ist ihnen recht!“
„Es stört Sie also, dass Ihr Mann abends noch Arbeit mit nach Hause bringt“, mischte sich der Therapeut nun wieder ein, um das Gespräch in die gewünschte Richtung zu lenken und nicht gänzlich in die Rolle des unbeteiligten Beobachters gedrängt zu werden. „Ist das wirklich notwendig?“ Der letzte Satz war an den Drachen gerichtet.
„Natürlich ist das notwendig“, meinte dieser. „Manchmal wird man eben, wie gesagt, nicht fertig. Ständig Dörfer und Burgen überfallen und majestätisch und bedrohlich am Himmel zu kreisen ist ganz schön zeitaufwändig. Es reicht nicht, sich nur kurz am Himmel blicken zu lassen und dann wieder zu verschwinden, wenn man einen gewissen Eindruck hinterlassen will.“
„Das ist das nächste Problem, Herr Doktor! Ständig müssen wir umziehen, weil er es sich mit der gesamten Nachbarschaft verscherzt. Jedesmal legt er wieder ihre Häuser in Schutt und Asche und bringt alle um. Und dann sind sie natürlich sauer und wollen uns töten.“
„Das ist aber leider notwendig, Liebes! Glaubst du, die Leute hätten sonst Angst vor uns und würden sieben Jungfrauen pro Jahr abliefern, damit ich sie in Ruhe lasse? Was glaubst du eigentlich, wo dein Mittagessen herkommt?“
„Aber wie soll man da seine Nachbarn richig kennenlernen oder gar Freundschaften aufbauen? Letzte Woche habe ich sogar schon mit den Flechten auf unserem Sofa geredet, so einsam bin ich! Ich will doch bloß einmal jemanden zum Kaffee einladen können, ohne dass sie gleich Fackeln und Heugabeln mitbringen!“
„Und warum ziehen Sie nicht einfach in die Umgebung von anderen Drachen?“ warf der Therapeut ein. „Mit ihnen könnten Sie sich doch leicht unterhalten.“
„Ach, Herr Doktor“; seufzte der Drache, „sie wissen ja nicht, wie Drachen sind. Einmal etwas zu laut gefaucht oder eine kreischende Prinzessin mitgebracht, schon regen sie sich auf, dass man sie aus ihrem tausendjährigen Schlaf gerissen hat und sind stocksauer. Das führt dann immer zu häßlichen Streitereien.“
„Aber du könntest doch ruhig die Dörfer in der näheren Umgebung in Ruhe lassen und die etwas weiter weg terrorisieren“, schlug die Drachin vor.
„Und jeden Tag zwei Stunden zur Arbeit fliegen? Nein, danke, das interessiert mich wirklich nicht!“
„Also wirklich, so etwas von einem Sturkopf!“
„Kommen wir doch zurück zu den jungfräulichen Prinzessinen“, meinte der Therapeut, der hier ein noch ungelöstes Problem sah; und er löste gerne ein Problem nach dem anderen, da das die Atmosphäre meistens entspannte. Außerdem gefiel ihm dieses Thema.
„Ooh, diese schrecklichen jungen Gören, die er ständig herbeischleppt!“ stöhnte die Drachin. „Und dann komm irgend so ein Möchtegernheld und will sie befreien. Und ich darf dann ständig den Dreck vor der Höhle wegputzen und die Rüstung entsorgen! Und wenn wir schon beim Thema sind: Deinen Hort könntest du auch mal wieder aufräumen!“
„Wozu? Es ist ja ohnehin fast nichts mehr da!“
Mit einem stillen Seufzer stand der Therapeut auf und ging etwas entnervt zum Kühlschrank, der unsichtbar in einen Schrank eingebaut war. Als er ihn öffnete, hing darin ein Faultier. Es fror ein wenig, aber sonst ging es ihm ganz gut.
„Möchten Sie auch ein Glas Milch?“ fragte er seine Patienten. Ihn beruhigte das für gewöhnlich.
„Nein, danke. Aber wenn sie vielleicht eine Kuh hätten ...“
„Hm. Leider!“ meinte der Therapeut bedauernd. „Aber ein Faultier.“
Ausgestattet mit einem Glas Milch kehrt er zu seinem Schreibtisch zurück und setzte sich wieder. Bevor er jedoch weitersprach, nahm er erst einen tiefen Schluck.
„Also, weil Sie Arbeit mit nach Hause bringen, kommen auch die Retter der Prinzessinnen zu ihnen. Sie verlegen also ihren Job in ihr Privatleben.“
„Na hören Sie, das ist doch ganz natürlich!“ wehrte der Drache ab. „Drache raubt Prinzessin, Ritter zieht los, um Prinzessin zu befreien, Drache tötet Ritter. Oder umgekehrt, das kommt ganz auf den Drachen und den Ritter an.“
„Pah!“ machte da die Drachin abfällig. „Und was ist mit all den Leuten, die ständig kommen, um deinen Hort auszurauben?“
„Also, da war nun schon seit Monaten keiner mehr hier. Wahrscheinlich sind sie jetzt alles Möbelverkaufer! Und überhaupt habe ich schon eine ganze Zeit niemanden mehr zu Hause umgebracht!“ Tatsächlich war sein letztes Opfer vor über drei Wochen ein Vetreter für Schuppenshampoo gewesen, der zufällig an ihrer Höhle vorbeigekommen war.
„Darum geht es jetzt überhaupt nicht!“ fuhr die Drachin aufgebracht dazwischen und fügte sogleich nicht weniger energisch hinzu. „Und das sage ich dir auch noch: Wenn du nur noch ein einziges Mal mit deinen Kumpels saufen gehst und dann beim Nachhausekommen sturzbesoffen meine Rosenstöcke in Brand setzt, dann garantiere ich dir ...“
Als aber nun kleine zornige Flammen aus dem Drachenrachen schossen und nach der hölzernen Wandvertäfelung leckten, wusste der Therapeut, dass es Zeit war, die Sitzung zu beenden.
 

jon

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Teammitglied
Entzückt seufz. Schon wieder so ein pinky-mäßig gutes Ding…

PS: Das ist doch was für die Anthologie! So ein Spiel mit Klischees passt haargenau! Denk ich. Versuch's! Bitte!
 

Schweige

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Die Geschichte hat mir sehr viel Spaß gemacht (wie die anderen "Faultiergeschichten auch). Ich hab eigentlich nichts daran auszusetzen, hier nur zwei kleine Anregungen:

Gleich am Anfang verwendest du dreimal "Echt", das klingt seltsam, ich würde es nur beim "Leder" verwenden.

"... bringt alle um. Und dann sind sie natürlich sauer und wollen uns töten." - Wie machen die das? ;-)

Ansonsten - weiter so

Schweige
 

Pinky

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Anregungen

Danke für deine Hinweise und die gute Kritik. Könnte wirklich leicht sein, dass mir das Wörtchen "echt" ein paar mal zu oft ausgekommen ist, aber so was kommt vor.

Tja, wie machen sie das, sie umzubringen, wenn sie schon alle tot sind??? Ich schätze, das ist einfach eine verallgemeinernde Übertreibung wenn man etwas aufgebracht daherredet. Das machen wohl alle Lebewesen.

Grüße
Pinky
 



 
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