"Alltag"

Galak

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Halb sieben morgens. Es ist Montag und der Wecker klingelt. Aber er muss mich nicht wecken. Ich liege, wie seit Wochen schon, bereits wach im Bett. Ich fühle mich nicht gut, bin unzufrieden, rastlos und doch lethargisch.
Ich erhebe mich aus meinem Sarg, schlürfe benommen ans Fenster und öffne die Gardinen. Die Sonne strahlt und der Himmel ist wolkenlos, aber ich laufe bereits auf Autopilot. Die sich immer wiederholende morgendliche Routine: duschen, rasieren, in den Anzug schlüpfen, kurz frühstücken. Ich übernehme erst wieder die Kontrolle, als ich bemerke wie ich unabsichtlich Kaffee über mein Hemd verschütte. Fluchend greife ich nach dem nächsten Küchentuch, dabei kommt das Hemd direkt aus der Reinigung! Währenddessen läuft im Radio etwas über Aufständische, woanders ist eine Bombe explodiert. Es gibt Tote. Ich wechsele den Sender um Musik zu hören während ich versuche den Fleck so schnell und gut wie möglich zu versorgen. Nach dem Wechseln meines Outfits bin ich bereits spät dran, mein Chef hat es sowieso schon auf mich abgesehen. Ich beeile mich, doch als ich mich in mein Auto setze will es einfach nicht anspringen. Ein SEHR schöner Tag! Völlig entnervt und viel zu spät begebe ich mich zur nächsten Bahnstation.
Der Bahnhof quillt über. Unzählige Menschen, die sich auf dem Weg zur Arbeit befinden und ihrem Tagewerk nachgehen. Jeder gefangen in seiner eigenen Welt, auf den Boden schauend, am Handy, mit Kopfhörern im Ohr, gedanklich abwesend.
Genauso wie ich.
Ich schaue auf den Fahrplan, dann auf meine Uhr und sehe, dass der nächste Zug kurz vor der Abfahrt steht. Ich laufe los noch bevor ich meinen Kopf drehe, doch stoße mit jemandem zusammen und meine Aktentasche fällt mir aus der Hand.
\"Verflucht,sind Sie bl...\"- noch bevor ich den Satz beenden kann sehe ich mit wem ich zusammengestoßen bin: Ein älteres Pärchen, beide tragen schwarze Sonnenbrillen, die Frau zusätzlich einen Stock. \"Entschuldigen Sie bitte, wir haben sie nicht gesehen\" Noch während er die Worte ausspricht beginnt sie kindlich zu kichern und er steigt danach mit ein. \"Ich hoffe mit Ihnen ist alles in Ordnung, sie sind anscheinend in Eile. Wir müssen auch weiter in den Park, der Tag ist zu schön um ihn nicht zu genießen. Und ja, wir sind blind. Aber das ist kein Grud für schlechte Laune, schließlich sind wir noch nicht tot.\" Sie lachen wieder und machen sich auf.
Ein Teil von mir war glücklich, dass sie mich nicht sehen konnten, denn so blieb ihnen mein offener Mund erspart. In Gedanken begebe ich mich zum Gleis, der Zug ist bereits abgefahren. Egal. Bei der Arbeit angekommen werde ich wie erwartet ins Büro des Chefs gerufen und mündlich abgemahnt. Aber ich höre kaum was mir gesagt wird, ich hänge noch im Bahnhof.
Die Worte klingen den ganzen Tag nach, auch auf dem Weg nach Hause und den restlichen Abend.

Halb sieben morgens. Es ist Dienstag und der Wecker klingelt. Ich wache auf und öffne die Gardinen. Es regnet in Strömen. \"Ein schöner Tag\" höre ich mich selber sagen und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen, schließlich sind wir nicht tot.
 



 
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