12 1/2, oder: Wie ich mir von Nick McDonell drei Stunden meines Lebens zurückholte.

4,00 Stern(e) 5 Bewertungen

Pali

Mitglied
Nick McDonell saß in einem feinen italienischen Restaurant und schob sich eine Gabel Pasta in den Mund. Ihm gegenüber saß ein wichtiger Publisher, ohne Zweifel ein Freund seines Patenonkels, dem Kopf eines großen Verlagshauses, und bließ Nick Zucker in den Arsch.
Nick freute sich gerade innerlich wie ein High School-Mädchen über die weitere Vergötterung seines Debüts, Twelve, aber er musste natürlich seine Haltung bewahren, schließlich galt es, den auf dem Teppich gebliebenen Jungautoren zu geben. Nick mochte gute Kritiken. Der geschniegelte Publisher verglich ihn zum zweiten Mal in seinem polierten Vokabular mit Hemingway, seine Sätze seien so kurz und prägnant, das ganze Buch ja eine herrliche Abwechslung der öden zeitgenössischen amerikanischen Literatur, die überhaupt kein Leben mehr zu haben schien. Nick grinste und schnauzte die Kellnerin an, als diese an ihm vorbei lief. Der Service hier sei schrecklich, er warte jetzt schon schließlich seit drei Minuten darauf, dass man ihm noch einen Wein brächte.
Die Kellnerin machte gute Miene, versprach ihm, seine Bestellung gleich zu bringen. Der Schlampe gebe ich kein Trinkgeld, dachte er sich. Ich bin Nick McDonell, du hast mir den Wein sofort und ohne Nachfragen hinzustellen.
Er spießte wieder ein paar Nudeln mit der Gabel auf, die linke Hand auf dem Tisch ruhend. Die Tischdecke war schön weiß und weich.
Nick mochte es, mit Hemingway verglichen zu werden. Am besten aber hatte es ihm gefallen, wie sein Vater Hunter S. Thompson dazu gebracht hatte, Nick eine gute Kritik zu geben. Sein Vater hatte sich sehr viel Mühe deswegen gemacht. Aber dass Hunter S. Thompson ihm schließlich doch noch eine Lobpreisung auf den Buchdeckel kritzelte, das war schon zu erwarten gewesen. Denn schließlich war sein Buch ja auch gut, mehr noch, es war fantastisch.
Ja, fantastisch, tatsächlich. Nick wollte einen Schluck Wein trinken, doch sein Glas war leer.
Das gibt es doch nicht, dachte sich Nick, die Hure kann sich auf was gefasst machen. Die wird nie wieder als Kellnerin arbeiten. Schließlich bin ich ja Nick McDonell, mit mir macht man so was nicht. Er wollte gerade nach dem Geschäftsführer brüllen, als die Tür aufschwang. Nick wandte sich nach links, um zu sehen, wer da eintrat.
- "Nick McDonell, du Schlampe!", rief ich, "ich hab dein beschissenes Buch gelesen! Du schuldest mir drei Stunden meines Lebens!"
- "Ach du Scheiße, Pali!", quiekte er, schnellte auf und sprang aus dem Fenster.
- "So leicht wird's nicht!", murmelte ich, und sprang hinterher.
Ich kam auf weichem Gras auf und rollte ab. Nick rannte gerade Hügel hinab, fast am Fuße angekommen, sein weißes Hemd nun voll mit Grasflecken und Halmen. Ich folgte ihm.
- "Ich will meine drei Stunden zurück!" rief ich abermals, als ich durch den Park jagte. Links und rechts von uns standen und saßen Spaziergänger mit ungläubigen Ausdrücken auf ihren Gesichtern.
Nick hetzte quer über eine Wiese. Leute picknickten dort gerade, und auch sie waren von der Szene verwirrt. Der Dreckssack hatte noch nicht mal den Anstand, den Leuten nicht über auf ihr Mittagessen zu treten. Er überrannte beinahe ein kleines Mädchen, aber wich ihr aus und ruinierte stattdessen eine kleine Obsttorte. Ich hüpfte über alle Hindernisse, die mir in den Weg kamen.
Nick gewann Abstand. Er durfte mir nicht entwischen, ich wollte meine drei Stunden zurück, also klaute ich einem Picknicker seinen Apfel.
- "Hey!", schrie er mir hinterher
- "Ist für'n guten Zweck!"
Ich warf und traf Nick am Kopf. Er taumelte, ich konnte aufholen, und dann tackelte ich ihn zu Boden. Er stolperte nach vorne, aber rollte sich ab und rannte weiter. Sein Hemd war noch grüner geworden, und verknittert. Ich wollte ihn am Kragen packen, aber dann schlug er einen Haken.
Ich schlitterte über das Gras, bekam aber wieder Grip unter meinen Füßen, und hetzte weiter.
Nick hatte den Ausgang des Parks erreicht und lief nun über die Hauptstraße. Autos hupten, es roch nach Abgasen. Ich hinterher. Direkt vor mir kam ein Buick zum Stehen. Über die Motorhaube rennend, versuchte ich Nick nicht in diesem Tumult zu verlieren. Ich sah, wie er ein Taxi anhielt, eine schwarze S-Klasse. Er riss die Tür auf. Ich raste über die Spuren, und sprang ab.
- "Fahrer, bringen Sie mich...", begann er, aber ich hatte ihn schon in Hüfthöhe gepackt, rammte ihn gegen die rechte Fondtür und schlug auf ihn ein. Der Fahrer trat vor Schreck auf das Gaspedal, und das Taxi preschte nach vorne, die eine Tür immer noch auf. Nick kriegte den Griff der anderen Tür zu fassen. Er trat mir in den Bauch. öffnete die Tür und glitt dem Schwanz einer Ratte gleich aus dem fahrenden Wagen.
- "Fuck, ist der zäh!", fluchte ich und hüpfte ebenfalls auf den Asphalt.
Wo war er? Die Straße war bevölkert, überbevölkert von Leuten mit zuviel Geld, Shoppern, Restaurantbesuchern und anderen Nervensägen. Nick durfte nicht entkommen. Er schuldete mir drei Stunden.
Da hörte ich einen Schrei. Er kam aus der Richtung der 4th, also sprintete ich dort entlang und sah zwischen den Leuten hindurch. Nick hatte jemanden auf seiner Flucht umgerannt, eine alte Dame mit Gehstock und einer Einkaufstasche. Saftige Orangen rollten über den Gehsteig, und die Frau saß auf dem Boden wie besiegt. Nick, der ungehobelte Rowdy, lief weiter, wetzte wie ein Messer durch die Menschenmassen. Ich rannte ihm nach. Er war gut zu erkennen, in diesem strahlend weißen, zerknitterten Hemd mit den Grasflecken. Das Hemd bog in eine Buchhandlung. Perfekt, dachte ich.
Er hatte noch nicht einmal die Sachbücher erreicht, da packte ich ihn am Nacken und warf ihn zu Boden, kurz vor "Fiktion R - T", zu Fuße der Bestsellerleseecke.
Ich beugte mich über ihn.
- "Nick McDonell!", brüllte ich ihn an, mit meiner besten Mach dein Testament-Stimme, "ich will meine drei Stunden zurück!"
- "Vergiss es, du Freak! Mein Buch ist toll!", protestierte er und schlug mir aufs Kinn. Ich schnappte mir eine Ausgabe der neuesten John Crisham- Papierverschwendung und ohrfeigte ihn damit. Es klatschte.
- "Okay, okay, was willst du wirklich?", jammerte er, "Geld? Ich kann dir Geld geben, ich habe viel Geld!"
- "Ich nehme kein Geld von so einem billigen Schmierenautor! Du schuldest mir drei Stunden! Ich habe drei Stunden für dein mieses Buch gebraucht! Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht? Was soll das für ein Ende sein?! Du schuldest mir drei Stunden meines Lebens, ICH WILL MEINE DREI STUNDEN ZURÜCK!"
Um uns herum hatten sich die Leute in Deckung gebracht, lugten aber dennoch hinter den Bücherregalen hervor.
- "Aber wie? Wie soll ich dir drei Stunden geben? Man kann Zeit nicht zurückgeben!"
- "Ach, kann man nicht?"
- "Nein, ist relativ und hat keine materielle Erscheinungsform, schon vergessen?"
- "Oh scheiße, stimmt ja. Verdammt, das wirft jetzt meinen ganzen Plan über den Haufen. Mhh, was machen wir denn da...ah, ich weiß was: Du schwörst, nie wieder so ein beschissenes Buch zu schreiben! SCHWÖR ES!"
Ich holte mit der Faust aus.
- "Ja, ja, gut! Ich verspreche es!"
- "Gut. Denn wenn du noch mal so ein hirnverbrannten Literaturvakuum verpasst, dann komme ich dich besuchen. Oh, du kannst rennen, aber du kannst dich nicht verstecken! Ich werde dich finden, und wenn ich dich finde, dann hole ich mir nicht meine Zeit zurück, sondern einen Zehen für jedes Kapitel. Hast du das verstanden?!"
- "Ja, ich habe verstanden! Bitte tu mir nicht weh!"
Ich ließ von ihm ab und stand auf, drehte mich um und ging los. Ich hörte, wie sich Nick aufrappelte.
- "DU VERDAMMTER PSYCHO!", schrie er plötzlich, "DU KANNST MIR NICHT DROHEN! Wenn ich will, dann schreibe ich den größten Scheiß, den die Welt gesehen hat, eine Beleidigung für den lesenden Menschen und für jedes Werk, das jemals geschrieben wurde. UND ES WIRD DENNOCH GEDRUCKT WERDEN!"
Ich griff mir das nächstbeste Objekt, das zufällig eine massive Herr der Ringe-Sammlung war, und rammte Nick das Ding ins Gesicht. Er brach zusammen und blieb regungslos am Boden liegen. Manche Leute wissen halt nicht, wann sie verloren haben...
Als ich aus dem Laden kam, wartete Hunter schon in meinem schwarzen Mustang-Cabrio.
- "Und", fragte er, eine frische Zigarette in seinem Mundstück, "hast du deine drei Stunden zurück?"
- "Nein", sagte ich und legte den Gang ein, "aber ich hab ihm den Arsch aufgerissen."
Hunter nickte und zündete sich die Zigarette an.
 
Mensch, Pali,

das ist ja wieder mal ein Chaos, ein Drunter und Drüber, aber ich kann nicht anders, mir gefällt dein Witz, deine über Stock und Stein gehende Fantasie, dein schnoddriger Ton und manche sketchhafte Episode. Etwas lang die Verfolgungsszene und vollends ins Slapstickhafte abdriftend. Deine Formulierungen sind fast durchweg originell. Natürlich fehlt etwas der Schliff, wenn du das hinkriegtest, ohne das Wesen deiner Texte zu verändern, wäre es wirklich top.

Mal ein paar Anmerkungen zu den ersten Sätzen:
Nick McDonell saß in einem feinen italienischen Restaurant und schob sich eine Gabel Pasta in den Mund. Ihm gegenüber saß [[muss nicht sein, zweimal das blasse saß, ich weise nur darauf hin, es stört auch nicht wirklich]] ein wichtiger Publisher, ohne Zweifel ein Freund seines Patenonkels, dem [[des oder der(je nachdem, ob der Freund oder der Patenonkel gemeint ist): Appositionen stehen überwiegend im selben Fall wie das Bezugswort]] Kopf eines großen Verlagshauses, und bließ [[please: blies]]Nick Zucker in den Arsch [[ups: ziemlich oft gehört: Eine Variante: Puderzucker bis zum Mastdarm blasen(Nicht von mir, sondern aus dem Pons-Wörterbuch)]].

Treffender Ton in der wörtlichen Rede wie in diesem Beispiel:(aber Nick ist ein Männername und das Wort Schlampe wird überwiegend abwertend auf Frauen angewandt):
"Nick McDonell, du Schlampe!", rief ich, "ich hab dein beschissenes Buch gelesen! Du schuldest mir drei Stunden meines Lebens!"

Aber das Aberwitzige ist ja, dass du nun mit der Ich-Person auftrittst, die natürlich nicht wissen kann, was dieser Nick vorher so angestellt oder gar gedacht hat. Das ist schon ein herber Bruch. Wenn das nicht Absicht ist, solltest du das Schreiben von Storys besser aufgeben.
Dies wahnwitzige Gerede von den drei Stunden, die Pali [!] zurück haben möchte, ist schon okay. Hübsche Idee. Es ist schön penetrant.

Dennoch hier und da vielleicht trotzdem straffen?

Ich glaube, in dieser Geschichte steckt viel Potential. Der Verfasser jedenfalls beweist mehr Fantasie in zwei Sätzen als mancher in einer ganzen Geschichte. Also weiter, nur irgendwann einmal bitte der Sache den gehörigen letzten Schliff geben, Struktur erkennen lassen und die Verfolgungsjagd etwas straffen.

Sei beruhigt, ich will nicht die fünf Minuten zurück haben, die das Lesen kostete. Nein, es war ein Vergnügen.

Beste Grüße
Monfou
PS: Ist 12 1/2 auch als Anspielugn auf 8 1/2 gedacht?
 

Pali

Mitglied
Servus Monfou,

erst mal Danke für deine Zeit, die du aufgeopfert hast, um an ein wenig an meinem literarischen Amoklauf zu schnippeln. Die "Mastdarm"-Variante werd ich mir merken, die ist gut, und vielleicht krieg ich ja noch n paar andere Variationen auf dieser Grundlage hin.

Die Idee, Pali als Ich-Erzähler auftreten und dennoch vorneweg einen allwissenden Er-Erzählerkommentar vorauszuschicken ist übrigens tatsächlich gewollt; Pali ist meine Figur für solche Stilbrüche und Etiquettenverneinung..mal ehrlich, mit welchem anderen Charakter könnte ich ansonsten Nick McDonell, Star des amerikanischen Literatenhimmels, die Nase brechen und quer durch New York jagen? Eben. ;)
Wenn's natürlich ganz herb aufstößt, werd ich natürlich auch da noch den Stift neu ansetzen...was tut man nicht alles für seine Leser.

Das mit dem Straffen werd ich noch mal überdenken, vielleicht krieg ich ja noch was besseres hin.

Ach, und nee, an 8 1/2 hab ich dabei nicht gedacht.

Cu,
Pali
 

katia

Mitglied
gut gelacht!!!!

"Der Dreckssack hatte noch nicht mal den Anstand, den Leuten nicht über auf ihr Mittagessen zu treten." - dieses zwei Mal nicht-etwas-machen würde ich anders formulieren.

auf jeden fall habe ich sehr gut gelacht über deine geschichte! hatte zwar noch zwei, drei kleine holpersteine gefunden (zwei "aber"s in direkt aufeinander folgenden sätzen und so kleinkram) - aber summa summarum: richtig gut! übrigens: klasse idee, deren umsetzung es jede minute des lesens wert war!

lg
katia
 

bluesnote

Mitglied
Kurz und knackig!

Hallo Pali

Jawoll! Diese Story hat mir gefallen. Kurz und knackig mit einem reisserischen Ende.
Da macht es auch nichts, das du kurzfristig die Perspektive änderst, um es diesem A-Loch zu zeigen, und um Hunter einen grossen Gefallen zu tun.

Viele Grüsse.
 



 
Oben Unten