2. Der Taxifahrer

hein

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2. Der Taxifahrer

Man, diese Typen mit dem Gesicht im Smartphone gehen mir so auf den Senkel. Die sehen nichts, die hören nichts, und wenn sie einem vors Auto laufen hat man die Scherereien. Bei dieser Kanaille dort an der Ampel würde ein kleiner Stoß ausreichen, um ihn in den Himmel der Geistlosen zu befördern. Besser wäre natürlich, wenn nur das teuflische Gerät unter die Räder käme. Ohne das Teil hat der doch bestimmt keine menschlichen Kontakte, wäre einsam und allein, abgeschnitten vom sozialen Leben, die Hölle auf Erden!

(Anmerkung des Autors: Der Fahrer denkt dies natürlich nicht in einer für jedermann verständlichen Sprache, sondern in der besonderen Terminologie des Philosophen, die sich im Laufe der Zeit entwickelt hat, um gegenüber dem normalen Volk die Besonderheit dieser Wissenschaft und deren Beherrscher hervorzuheben. Um auch das gemeine Publikum teilhaben zu lassen wird hier in verständlicheren Worten berichtet und damit auf ein wenig Authentizität verzichtet. Und für „Smartphone“ und „Handy“ gibt es auch in der akademischen Welt keine anderen Wörter).

Er selbst hatte bereits nach 35 Semester das Studium mit einem Doktortitel abgeschlossen. Dies reichte aber bisher nicht aus, um auch nur eine Assistentenstelle, geschweige denn eine Professur, an einer Uni zu ergattern. Da aber eine Lehrtätigkeit die ausschließliche Möglichkeit darstellt, um mit einer derartigen Ausbildung Anerkennung zu erlangen und richtig Geld zu verdienen, hat er die einzige für seine spezielle Berufsgruppe als Alternative bekannte Form der Erwerbstätigkeit gewählt, nämlich Taxifahrer. (Das derzeit ein Philosoph Vorsitzender einer aufsteigenden Volkspartei ist und bereits als Kanzlerkandidat gehandelt wird muss wohl als Unfall der Zeitgeschichte angesehen werden und kann daher hier vernachlässigt werden).

Seine Frau dagegen hat bereits nach 22 Semester Kunstgeschichte (ohne Doktortitel!!) auf der Quotenschiene eine verbeamtete Stelle als Kuratorin im Heimatmuseum einer benachbarten Kleinstadt ergattert, wo sie jetzt für die Ausgestaltung von insgesamt 3 Wänden verantwortlich ist. Äußerst nervig empfindet sie den von ihr in einem Moment der geistigen Umnachtung (damals war sie ja so froh, diese Stelle überhaupt zu bekommen) unterschriebene Arbeitsvertrag, der eine Anwesenheitspflicht im Museum von 2 Stunden wöchentlich vorsieht. Dabei ist doch bekanntlich die ungestörte Ruhe im eigenen Heim für eine kreative Tätigkeit besonders förderlich! Ärgerlich ist auch die vertraglich fixierte Pflicht, den Verantwortungsbereich alle 2 Jahre umzugestalten (die Stadtväter wollen eine gewisse Spannung in der Ausstellung erhalten). Jetzt ist sie schon seit Wochen gedanklich derart auf das im nächsten Jahr anstehende Umhängen zweier Bilder fixiert, dass sie sich zu irgendwelchen hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, geschweige denn zu sexuellen Handlungen, nicht mehr in der Lage sieht. Bereits ein in den Nacken gehauchter Kuss brachte sie neulich derart in Aufruhr, dass sie erstmal mit einigen Freundinnen zu einer als therapeutisch notwendig erachteten Wellnessbehandlung (5-Sterne-Delux) verreisen musste.

Jetzt leidet er nicht nur an der persönlichen Zurücksetzung in Beruf und Ehe, sondern auch noch darunter, dass im (Überschwang der Liebe blind unterschriebenen) Ehevertrag getrennte Kassen vereinbart sind. Sie benötigt erklärtermaßen ihr ganzes Einkommen für die permanenten Therapien („wie soll ich das Leben mit dir sonst aushalten?“), sodass er von seinen kärglichen Einkommen alle Kosten für Haushalt und Miete bestreiten muss.

Ein neues, vorzeigbares Smartphone für ihn ist da einfach nicht drin!
 



 
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