34. In der Heide

molly

Mitglied
In der Heide

Michaels Vater putzte sich kurz die Nase und erzählte weiter.

„Wir fuhren mit dem Zug bis Lüneburg, danach mussten wir eine lange Strecke laufen und am Abend kamen wir im Heidedorf an. Die Bäckersfrau hatte einen großen Teller mit Butterbroten für uns und die Bäckergehilfen gerichtet, doch diese waren mit ihrer Arbeit noch nicht fertig und Bäcker Jansen sprach mit Vati. Wir hatten wie immer Hunger und die Bäckersfrau bat uns, schon einmal mit dem Essen anzufangen. Sie wollte noch ihre Hühner füttern.

Butterbrote! Wir lang hatten wir keine mehr gegessen und jetzt lagen so viele vor uns. Wir begannen mit dem Essen, stopften die Brote in uns hinein und konnten einfach nicht mit essen aufhören.
Ich langte mir gerade das letzte Brot, als Frau Jansen wieder in die Küche kam. Sie sah uns kauen, sah den leeren Teller und stöhnte leise. Sie nannte uns "kleine Fresser" und richtete neue Brote. Wir waren endlich wieder einmal satt, als wir schlafen gingen.

Das Kämmerchen von Vati war klein, ein Schrank, ein Bett und ein Stuhl standen drin. Nun hatte er noch einen Strohsack auf den Boden gelegt. Eine Nacht schliefen Ruth und ich im Bett und Vati auf dem Boden, in der nächsten Nacht lagen wir am Boden und Vati schlief im Bett. So wechselten wir uns ab, bis wir in die neue Wohnung zogen.

*****

Der erste Tag in der neuen Schule war schrecklich. Die Lehrerin sagte, ich könnte nicht richtig Deutsch reden. Ich hätte einen schlesischen und sächsischen Dialekt und das müsse sofort aufhören. Sie lachte mich aus wenn ich „Kiche“ anstatt Küche sagte und die Mitschüler lachten lauthals mit. Einer nannte mich "Knödelfresser" , ein anderer "Habenichts". Die ganze Klasse johlte vor Vergnügen. Ich stürzte mich auf sie und prügelte wild drauf los. Kam die Lehrerin dazu, deuteten sie auf mich und sagten, ich hätte den Streit begonnen. Sie brummte mir eine Strafarbeit auf. Wenn ich mich verteidigte, sagte sie, ich müsse erst richtig reden lernen, sie könne mich nicht verstehen.“

Der Vater machte eine Pause und Michael fragte: „Wie war das in der Schule, damals? Hattest du einen Füller zum Schreiben? Ein Lesebuch?“
“Und Buntstifte zum malen“?, wollte Nele wissen.

„Das habe ich auch einmal meine Geschwister gefragt. Aber die Schwestern erinnerten sich an die geflickten, abgetragenen Kleider und mein Bruder war noch zu klein. Ich wusste nur noch von dem großen Hunger, erinnerte mich an die Lehrer und die Mitschüler“, antwortete der Vater und erzählte weiter.

„Ich boxte mich weiter durch und lernte bei der Bäckersfrau richtig sprechen. Die Lehrerin hörte auf mit ihrem Gemecker. Vati hatte nicht viel Zeit für uns, er arbeitete wieder bei der Eisenbahn und half Herrn Jansen in der Backstube. Fünf Wochen später verreiste er und kam mit Mutti, Oma, Iris und Toni zurück. Wir zogen in die obersten Räume der Gaststätte und waren alle wieder zusammen.

Nach einem halben Jahr ließen mich meine Klassenkameraden in Ruhe, sie lachten mich auch nicht mehr aus. Manchmal durfte ich sogar mitspielen. Nach einem Jahr bewunderten sie mich. Ich lief am schnellsten, schrieb die besten Aufsätze und konnte mit zwei Fingern pfeifen. Das brachte keiner fertig.

*************************************************

In der nächsten Geschichte zieht die Familie wieder um
 



 
Oben Unten