5 Minuten

4,00 Stern(e) 4 Bewertungen

Cat Moon

Mitglied
Langsam gehe ich den Korridor des Krankenhauses entlang. Der scharfe Geruch von Medikamenten liegt in der Luft. Der Gang erscheint mir unendlich lang und meine Schritte hallen von den Wänden wider.
Da ist es: Zimmer 576.
Fünf Minuten, hat die Oberschwester gesagt, als ich mir den hässlichen grünen Kittel anziehen musste. Fünf Minuten habe ich also, um ihn zu sehen. Fünf Minuten... Von wie vielen wohl? Wie viele Minuten sind noch übrig? Vielleicht sogar weniger als fünf?
Unschlüssig stehe ich vor der Tür. Zaghaft klopfe ich an, als mir einfällt, dass es ja eigentlich albern ist. Er liegt im Koma, wie sollte er das hören? Aber jemand wird doch bei ihm sein, schießt es mir durch den Kopf.
Ich trete ein, empfangen vom Piepen und anderen Geräuschen der Maschinen, an die er angeschlossen ist. Er sieht so klein aus zwischen all den Apparaten. Schläuche führen in Mund und Nase und auch wieder heraus. Ob er dies alles überhaupt will? Aber mir ist es wichtig! Sein Gesicht ist bleich und trotzdem sieht es aus, als würde er nur schlafen. Schlafen, wie er es jede Nacht tat. Doch genau dieser Anblick macht mir Angst.
Jetzt erst bemerke ich die Schwester, die an seinem Bett steht. Sie weist mir den Stuhl neben dem Bett zu und ich setze mich. Ich fühle mich verloren zwischen all den Maschinen und ihren Geräuschen. Ich will nach seiner Hand greifen, doch auch dort führen Schläuche hinein. Ich zucke zurück.
Die Schwester hat es wohl bemerkt, denn sie sagt: „Nehmen sie ruhig seine Hand.“ Ihre Stimme klingt in diesem Raum unerwartet menschlich.
Ich nehme seine Hand. Sie ist so kalt. Warum öffnet er seine Augen nicht?
Es ist wie früher, wenn er nur zu tief schlief und deshalb nicht wach wurde. Ich hatte jedes Mal Angst, er würde nie wieder aufwachen, wie so viele vor ihm. Dann begann ich zu weinen und seinen Namen zu schreien und er wachte auf, nahm mich in den Arm und tröstete mich.
Am liebsten würde ich auch jetzt laut schluchzen, in der Hoffnung, er würde die Augen aufschlagen und mich in seine Arme schließen.
Doch diesmal wird es nichts nützen.

Die fünf Minuten sind vorüber. Ich gehe wieder den Gang entlang, diesmal in die andere Richtung. Meine Schritte hallen von den Wänden wider und die Luft riecht noch immer nach Medikamenten.
Doch trotzdem ist alles anders.
Denn als ich ihn verließ, gaben die Maschinen ihn auf.
 
P

Parsifal

Gast
Hallo Cat,

eine wunderbar einfühlsam geschriebene Geschichte. Besonders der letzte Satz hat bei mir einen starken Eindruck hinterlasssen.
Nur ein kleiner Fehler im letzten Absatz: bei riecht hast Du das e vergessen.

Herlichst
Parsifal
 
Hallo Cat Moon,

eine sehr schöne Geschichte, weich erzählt und mit der richtigen Dosis Traurigkeit und Sachlichkeit.

Die Schritte auf dem Gang würde ich vielleicht noch charakterisieren (laut,).
Als Leser würde man natürlich gern diese 5 Minuten erleben, dieses Stillstehen der Maschinen. Aber auchDeine Lösung finde ich sehr elegant dargestellt.
Kleiner Fehlerteufel:
und die Luft richt noch
[blue]riecht[/blue]

sonst wirklich sehr schön formuliert.

viele Grüße
Klabautermann
 

Cat Moon

Mitglied
Hallo Pasifal,

Hallo Pasifal,

Danke für das Lob und den Vermerk auf den Fehler, hab ihn gleich berichtigt.

Lieben Gruß und meow,
Cat
 
Hallo CatMoon,

wie produktiv der Unterricht zuweilen sein kann, konnte auch ich vor Jahren selbst erfahren. (So schlecht kann die Schule manchmal gar nicht sein, hm? *smile*)Finde ich toll, dass ihr scheinbar einen sehr engagierten und moderneren Religionslehrer habt, dass solch tiefsinnigen Geschichten dabei entstehen.
Auch verstehe ich, dass man gerade bei solchen Texten nicht mehr viel ändern möchte, da sie doch in einem besonderen Moment entstanden sind. Doch für einen "neutralen" Leser scheint noch viel Potenzial darin zu liegen. Wer weiß, vielleicht nimmst Du ihn Dir ja irgendwann mal wieder vor...

Wert wäre er es jedenfalls.

viele Grüße
und noch einen schönen Abend
wünscht Dir
Klabautermann
 

Cat Moon

Mitglied
Re: Hallo Klabautermann

Hallo, Klabautermann,

Naja, da magst du vielleicht recht haben und ich werd mich auch evtl mal dran setzen, aber dazu bin ich zeitweilens nciht in der richtigen Stimmung...

Naja, es lag halt weniger an unserem Lehrer, ich hatte ich Reli immer eine 5, weil ich nie seiner Ansicht war und Religionsunterricht irgendwie... Naja, das wird alles zu theologisch, wenn ich das hier erklären will, aber ich mochte Reli und vor allem den Lehrer nie besonders. Das war einfach die einizige Aufgabe, die mir in dem jahr Spaß gemacht hat, es war das richtige Thema (Tod) und der richtige Zeitüuinkt und wenn das alles zusammen kommt, werden diese Storys zu meinen Babys :)

Jedenfalls habe ich mich damals so in diese Person hineingedacht, dass ich hinterher ganz komisch drauf war und als die Story vorgelesen wurde, habe ich vor Aufregung richtig gezittert... Komisch, nciht wahr?

Lieben Gruß und meow,
Cat
 
HAllo Cat,

nein, das ist eigentlich nicht komisch, sich in eine Geschichte so hineinzuversetzen, dass man mitlebt, dass man selbst "zittert", das spricht im Gegenteil vielmehr von höchst lebendiger Phantasie, von dem Vermögen, in anderen Personen zu leben, sich ihrer Vorstellung zu bemächtigen und dann die Welt aus deren Blick zu betrachten. Eine große Gabe, die uns sicherlich zuweilen zittern lässt, da sie ungeahnte Tiefen in sich birgt. Wichtig ist, dass man diese Gabe richtig nutzt, und mit diesem Text hast Du gezeigt, dass Du es tust :).
Genau diese Geschichten sind es, die nicht nur dem Schreiber nahe gehen, sondern auch dem Leser. Hoffe also, dass Du noch öfter über Deine Werke zu zittern vermagst.

wünsch Dir ein schönes Wochenende.

viele Grüße
Klabautermann
 

Gribsy

Mitglied
OUCH

Das schmerzt. Ohne es ausgedrückt zu haben, hast Du mir vermittelt das es weh tut. Verdammt weh tut.
Wenn ich nicht bei der Arbeit wäre, hätte ich wahrscheinlich einige Tränen fließen lassen.
 

Cat Moon

Mitglied
Hallo Klabautermann,

vielen Dank, ich bin froh, dass du jetzt nciht vor mir stehst, denn dann wäre ich wohl ganz rot geworden...

Ich danke dir, denn Menschen wie du machen mir Mut, weiter zu schreiben...

Also Danke!!!

Gruß und meow,
Cat
 

Cat Moon

Mitglied
Re: OUCH

Hallo Gribsy,

vieln Dank, dass du mir das geschrieben hast. Berührt mich, dass diese Geschichte auch anderen nahe gehen kann.

Dankeschön und meow,
Cat
 



 
Oben Unten