Ab Zeitpunkt des Todes

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Eleonore F.

Mitglied
Ich weiß nicht, wann ich sterbe, gibt die Kundin mit einem Seufzer von sich. Vielleicht in 10 Jahren, vielleicht morgen schon. Ich bin 79 Jahre alt.
Das ist doch heute kein Alter, sagt Martha. Da haben sie noch Zeit.
Ja vielleicht, aber wenn es soweit ist, soll unser Grab gepflegt aussehen. Nicht steif gepflegt, wie manche Gräber aussehen. Man darf die Natur schon ausmachen. Margeriten wären fein, und Tulpen und Vergißmeinicht. Den roten Sandstein sollen sie umsäumen, den Hans vor Jahren ausgesucht hat, als es ihn noch gab, vor sechs Sommern und den wir in die Mitte des Grabs gelegt haben, sodass man theoretisch draufsitzen könnt, wenn man müde ist. In Stein gemeißelt steht da sein Name: Hans. Mehr wollte mein Mann nicht. Ich möchte mittlerweile auch nur noch meinen Namen daneben stehen sehen. Lesen tut es ja doch niemand, außer ein paar neugierige Friedhofsbesucher und mit denen haben wir nichts zu schaffen.
Keine Kinder, brummt sie vor sich hin. Niemand, der sich darum kümmern wird.
Sie blickt an die Wand. Martha nimmt den Duft von Bratkartoffeln wahr.
Und Verwandte, hakt sie nach.
Auch nicht, deshalb bin ich hier. Wir waren ganz allein, schon immer.
Martha darf jetzt nicht bestürzt aussehen. Gerade jetzt muss sie sachlich bleiben. Nicht steif sachlich, man darf den Menschen in ihr schon ausmachen.
Also ein Dauergrabpflegevertrag ab Zeitpunkt ihres Todes? Ein warmes Lächeln huscht über ihr gerötetes Gesicht.
Den Tod so direkt anzusprechen, empfindet sie jedesmal als Überwindung.
Ja, mit einfacher saisonaler Bepflanzung. Im Frühling Tulpen, Margeriten, Vergißmeinicht.
Im Sommer eine bunte Blumenwiese, im Herbst Chrysanthemen. Und alles nicht steif, wie ich schon sagte. Ginge das? Die Kundin wirkt verunsichert. Sie hat sich einen Bleistift gegriffen und dreht ihn durch ihre Finger.
Das dürfte kein Problem sein, sagt Martha. Sie zieht den Vertrag aus der linken Schreibtischschublade und legt ihn neben der Kundin auf den Tisch. Wir bräuchten dann noch die Grabnummer.
Oje, da muss ich erst nachschauen daheim.
Es eilt ja nicht, sagt Martha. Überhaupt nicht.
Sagen sie, wendet die Kundin ein und fängt wieder an, den Bleistift zu drehen.
Entschuldigen sie meine dreckigen Hände, sagt sie dann, ich war gerade am Grab und habe die alten Pflanzen herausgezogen. Jetzt, wo das Wetter wieder schön wird…..Aber der Wasserhahn am Nordeingang funktionierte nicht mehr.
Oh kein Problem, antwortet Martha. Erst jetzt fallen ihr die erdverdreckten Hände der Kundin auf. Auch mit ihren Schuhen hat sie Erde ins Büro getragen und den Teppich verschmutzt.
Der Blick der Kundin folgt ihrem. Jetzt hat auch sie es bemerkt..
Oh nein. Das tut mir leid. Sie sieht plötzlich sehr alt und niedergeschlagen aus.
Wollen sie mein Waschbecken im Hinterzimmer benutzen, fragt Martha.
Nein schon gut, sagt die Kundin. Ich gehe lieber. Ich mache alles nur noch dreckiger.
Das ist doch nicht schlimm, möchte Martha sie beschwichtigen. Kommen sie, ich mache Ihnen einen Tee.
Der Kopf der Kundin hängt schief herunter, als würde er gleich herunterfallen. Martha nimmt die tiefen Augenhöhlen wahr, die welken Hände, das müde Herz.
Sie möchte der Kundin über die knochigen Schultern streichen, ein gutes Wort sagen, einen lieben Blick schenken, doch diese hat die Tür bereits aufgezogen und ist mit einem Fuß über die Schwelle getreten.
Und ihr Vertrag? Kommen sie nochmal vorbei?
Ist doch einerlei, haucht die Kundin nur noch. Martha versteht ihre Worte kaum mehr. Die Kundin hat nicht mehr aufgeblickt und Martha im Friedhofsbüro stehen lassen. Sie hat ihr noch durchs Fenster nachgeschaut, ihren staksigen Schritt verfolgt und hinten an ihrem grauen Mantel nach einem Zeichen gesucht.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Eleonore F.,

eine gelungene Geschichte, die noch gewinnen könnte, wenn die wörtliche Rede als solche gekennzeichnet würde. In der jetzigen Form bin ich beim Lesen mehrmals hängen geblieben, zum Beispiel hier:
Sie blickt an die Wand. Martha nimmt den Duft von Bratkartoffeln wahr.
[red]Und Verwandte, hakt sie nach.[/red]
[blue]„Und Verwandte?“, hakt sie nach.[/blue]
Einige Male hast du die Höflichkeitsformen klein geschrieben, zum Beispiel hier:
Entschuldigen [red]sie[/red] [blue]Sie[/blue] meine dreckigen Hände
Wollen [red]sie[/red] [blue]Sie[/blue] mein Waschbecken im Hinterzimmer benutzen
Im letzten Satz würde ich die Zeitform ins Präsens abändern, weil hier das Perfekt für mich keinen Sinn macht.

Gruß Ciconia
 

petrasmiles

Mitglied
Ich finde das immer so schön, wenn man direkt in einer Geschichte drin ist und diesen wachen Blick mitnehmen kann, wenn die kleine Geschichte schon längst vorbei ist und man unwillkürlich denkt, wie wird es wohl weitergegangen sein.
Sehr schön!
Mit der direkten Rede hat Ciconia unbedingt Recht.

Liebe Grüße
Petra
 

Eleonore F.

Mitglied
Danke an Ciconia und Petra für die motivierenden Worte und den Tip mit der wörtlichen Rede. Ich werde mir das zu Herzen nehmen und umändern. Schön, dass die Geschichte gefällt. Sie kommt direkt aus dem Leben und ich habe sie bei der Arbeit geschrieben am Friedhof.
Frohe Ostern!
Eleonore
 

Eleonore F.

Mitglied
„Ich weiß nicht, wann ich sterbe“, gibt die Kundin mit einem Seufzer von sich.
„Vielleicht in 10 Jahren, vielleicht morgen schon. Ich bin 79 Jahre alt.“
„Das ist doch heute kein Alter“, sagt Martha. „Da haben sie noch Zeit.“
„Ja vielleicht, aber wenn es soweit ist, soll unser Grab gepflegt aussehen. Nicht steif gepflegt, wie manche Gräber aussehen. Man darf die Natur schon ausmachen. Margeriten wären fein und Tulpen und Vergißmeinicht. Den roten Sandstein sollen sie umsäumen, den Hans vor Jahren ausgesucht hat, als es ihn noch gab, vor sechs Sommern und den wir in die Mitte des Grabs gelegt haben, sodass man theoretisch draufsitzen könnt, wenn man müde ist. In Stein gemeißelt steht da sein Name: Hans. Mehr wollte mein Mann nicht. Ich möchte auch nur meinen Namen daneben stehen sehen. Lesen tut es ja doch niemand, außer ein paar neugierige Friedhofsbesucher und mit denen haben wir nichts zu schaffen.“
„Keine Kinder“, brummt sie vor sich hin. „Niemand, der sich darum kümmern wird.“ Sie blickt an die Wand.
Martha nimmt den Duft von Bratkartoffeln wahr.
„Und Verwandte?“, hakt sie nach.
„Auch nicht, deshalb bin ich hier. Wir waren ganz allein, schon immer.“
Martha darf jetzt nicht bestürzt aussehen. Gerade jetzt muss sie sachlich bleiben. Nicht steif sachlich, man darf den Menschen in ihr schon ausmachen.
„Also ein Dauergrabpflegevertrag ab Zeitpunkt ihres Todes?“ Ein Lächeln huscht über ihr gerötetes Gesicht.
Den Tod so direkt ansprechen, empfindet sie jedesmal als Überwindung.
„Ja, mit einfacher saisonaler Bepflanzung. Im Frühling Tulpen, Margeriten, Vergißmeinicht.
Im Sommer eine bunte Blumenwiese, im Herbst Chrysanthemen. Und alles nicht steif, wie ich schon sagte. Ginge das?“
Die Kundin wirkt verunsichert. Sie hat sich einen Bleistift gegriffen und dreht ihn durch ihre Finger.
„Das dürfte kein Problem sein“, sagt Martha.
Sie zieht den Vertrag aus der linken Schreibtischschublade und legt ihn neben der Kundin auf den Tisch. „Wir bräuchten dann noch die Grabnummer.“
„Oje, da muss ich erst nachschauen daheim.“
„Es eilt ja nicht“, sagt Martha. „Überhaupt nicht.“
„Das sagen sie“, wendet die Kundin ein und fängt wieder an, den Bleistift zu drehen.
„Entschuldigen sie meine dreckigen Hände. Ich war gerade am Grab und habe die alten Pflanzen herausgezogen. Jetzt, wo das Wetter wieder schön wird…..Aber der Wasserhahn am Nordeingang funktionierte nicht mehr.“
„Oh kein Problem“, antwortet Martha. Erst jetzt fallen ihr die erdverdreckten Hände der Kundin auf. Auch mit ihren Schuhen hat sie Erde ins Büro getragen und den Teppich beschmutzt.
Der Blick der Kundin folgt ihrem. Jetzt hat auch sie es bemerkt..
„Oh nein. Das tut mir leid.“ Sie sieht plötzlich alt und niedergeschlagen aus.
„Wollen sie mein Waschbecken im Hinterzimmer benutzen?“, fragt Martha.
„Nein, schon gut“, murmelt die Kundin. „Ich gehe lieber. Ich mache alles nur noch dreckiger.“
„Das ist doch nicht schlimm“, möchte Martha sie beschwichtigen. „Kommen sie, ich mache Ihnen einen Tee.“
Der Kopf der Kundin hängt schief herunter. Gleich fällt er herunter, denkt Martha. Sie nimmt die tiefen Augenhöhlen wahr, die welken Hände, das müde Herz.
Jetzt möchte sie der Kundin über die knochigen Schultern streichen, ein gutes Wort sagen, einen lieben Blick schenken. Diese hat die Tür bereits aufgezogen und ist mit einem Fuß über die Schwelle getreten.
„Und ihr Vertrag? Kommen sie nochmal vorbei?“
„Ist doch einerlei“, haucht diese nur noch. Martha versteht ihre Worte kaum mehr.
Die Kundin hat nicht mehr aufgeblickt und Martha im Friedhofsbüro stehen lassen. Sie hat ihr noch durchs Fenster nachgeschaut, ihren staksigen Schritt verfolgt und hinten an ihrem grauen Mantel nach einem Zeichen gesucht.
 



 
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