Adam und Eva

Anonym

Gast
Adam und Eva

Adam hatte schon seit einer ganzen Weile in dieser paradiesischen Gegend gewohnt und ausgedehnte Spaziergänge durch die üppig wuchernde Pflanzenwelt unternommen.
Alles, was er brauchte, gab es dort in Hülle und Fülle. Sträucher, Büsche und Bäume versorgten ihn mit den verschiedensten Früchten. Das frische, klare Wasser der Bäche und Seen diente ihm zum Trinken und Baden. Adam genoss sein Leben und die himmlische Stille. Nur ein wenig einsam fühlte er sich.
Da begegnete ihm Eva, die ihm der Parkaufseher zugesellt hatte. Mit der Einsamkeit war es nun vorbei, mit der himmlischen Stille auch.
Eva steckte voller Ideen. Sie plapperte von morgens bis abends auf ihn ein. Zwar war er größer als sie, wenn sie mit ihm sprach, musste sie zu ihm aufschauen, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass sie im Grunde den Ton angab. „Du bist doch ein großer, starker Mann. Bau uns aus Steinen und Erde einen Unterschlupf, wo wir gemütlich schlafen können“, meinte Eva. Geschmeichelt machte sich Adam sofort an die Arbeit, obwohl er bis zu diesem Zeitpunkt mit großem Vergnügen im weichen Laub unter freiem Himmel geschlafen hatte.
Die Schuld an der Sache mit dem Apfel allerdings konnte man Eva schlecht in die Barfußschuhe schieben. Wenn der Aufseher nicht wollte, dass die Äpfel gegessen wurden, warum hatte er dann einen Apfelbaum im Vergnügungspark Eden gepflanzt? Wieso hatte er die heimtückische Schlange dort freigelassen, die Eva überredete Adam zu überreden, den Apfel zu essen?
Handelte es sich um eine raffinierte Werbung für den Konsum von Äpfeln?
Litt der Aufseher, der sich bis zu diesem Zeitpunkt als durchaus vernünftig und kreativ erwiesen hatte, unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung, die ihn zu einander widersprechenden Handlungen verleitete?
Oder gab es eine logische Erklärung für die verwirrende Angelegenheit?
Immerhin lebten in der Umgebung des Aufsehers ein paar ausgesprochen einflussreiche Persönlichkeiten. Graue Eminenzen wie Gabriel, Raphael, Uriel, Michael, die, beflügelt von ihrer Machtfülle, aus dem Hintergrund die Strippen zogen. Sie hegten Adam und Eva gegenüber einen gewissen Groll. Sie waren eifersüchtig, weil es dem Aufseher sichtlich mehr Spaß machte, seine beiden Geschöpfe herumzukommandieren als ihnen die ihnen gebührende Ehre zu erweisen.
Vielleicht hatten diese Herren Adam und Eva loswerden wollen und den Aufseher deswegen unter Druck gesetzt?
Dieser wiederum wollte womöglich nicht als Sündenbock dastehen und hatte die ganze Angelegenheit so eingefädelt, dass es so aussah, als hätten sich Adam und Eva die Grube selbst gegraben, in die sie fallen sollten. Ganz normale Tricks aus dem Alltag der himmlischer Politik eben.
Oder ahnte Eva, dass der Genuss der Frucht Adam dazu bringen würde, sie nicht nur als unschuldige Spielkameradin, sondern als Frau zu erkennen? Ahnte sie, dass zwei geschlechtslose Wesen auf Dauer nicht für den Erhalt der Menschheit taugten?
War dem Aufseher die Last der allumfassenden Erkenntnis und die ganze Schöpferei über den Kopf gewachsen? War ihm das ständige Erlassen von Geboten und Verboten sowie das Halten von Moralpredigten lästig geworden? Hatte er mit Hilfe des Apfels vom Baum der Erkenntnis zwei selbstlernende künstliche Intelligenzen vom Stapel lassen wollen, die die ganze Schöpfungsangelegenheit einschließlich der Weiterentwicklung seiner eigenen Person übernehmen sollten? Hatte er sich den ganzen Park in letzter Konsequenz von vornherein als eine Art „silicon valley“ gedacht?
Fragen über Fragen.
Rückblickend allerdings scheint die Strategie des Aufsehers eine Fehlentscheidung gewesen zu sein. Denn nicht nur in ökologischer Hinsicht war sein Vergnügungspark ein Paradies gewesen, das mit dümmlicher Unschuld menschlicherseits keineswegs zu teuer erkauft war.
Die durch den Biss in den Apfel ermöglichte Erkenntnis dagegen, verbunden mit logischem menschlichem Denken ebenso wie die verlorenen Unschuld mit der Bevölkerungsexplosion als Folge, haben sich als fatal erwiesen.
Den Menschen die Fähigkeit zur Erkenntnis von Gut und Böse zu geben, war sicher gut gemeint, hätte ein jüngstes Gericht überflüssig machen können, stellte sich aber als Schuss in den Ofen heraus.
Leider ließen sich Gut und Böse nach jeweiligem Eigeninteresse beliebig interpretieren und relativieren.
Auch die Herren Gabriel, Michael, Raphael und Uriel sind mit dem Gang der Dinge unzufrieden und beneiden die Menschen. Denn die Menschen dürfen, seid sie aus dem Park entlassen wurden, sterben. Sie selbst aber müssen in himmlischen Sphären schwebend gähnende Langeweile bis in alle Ewigkeit ertragen.
 



 
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