Alice

Carma

Mitglied
Kapitel 2

Doch so sehr Alice auch wartete, dieser Cain kam nicht zurück. Die Tage auf dem Dachboden verstrichen langsam und mit jeder Minute schwand ihre Hoffnung.
Langsam dachte sie sogar darüber nach, ob sie nicht doch alles nur geträumt hatte, wie sie es schon einmal angenommen hatte.
Sie dachte darüber nach, Stunde um Stunde. Bis in der Woche von Halloween schließlich eine der Schwestern auf dem Dachboden erschien und Alice verkündete, sie könne wieder vom Speicher herunter.
Schwester Margaret hielte es für angebracht, dass sie zum Pastor in die Sonntagsmesse gingen. Sie solle mitkommen und beichten, weil der Dämon in ihr sie nicht mehr davon abhalten könne.
Das Mädchen hielt diese Vermutung zwar für ausgemachten Unsinn, doch sie folgte der Schwester ohne Murren die Treppen hinab in die Halle.
Wie immer fühlten sich Alices Beine dabei wie betäubt an. Nach dem langen Sitzen am Fensterbrett war das auch nicht verwunderlich.
Unten in der Halle standen schon die anderen Kinder und warfen dem blassen Mädchen, das der Treppe hinunter kam, ängstliche Blicke zu.
Unter Alice Augen hatten sich vom vielen Lesen dunkle Ringe gebildet und an ihren Lippen klebte immer noch ein wenig verkrustetes Blut. Sie bot so sicher nicht gerade einen traumhaften Anblick.
Schwester Margaret begutachtete ihre Erscheinung mürrisch und schüttelte dann den Kopf. So könne man das Kind doch nicht in die Kirche gehen lassen. Sie wies zwei Schwestern an, Alice rasch herzurichten.
Die Zwei taten, wie ihnen geheißen, und führten das Mädchen in einen Nebenraum.
Hastig wuschen sie ihr Gesicht und Hände, steckten sie in ein schlichtes, weißes Kleid und machten ihr noch die Haare zurecht. Dieses Mal blieb jedoch keine Zeit, die vielen Löckchen darin glatt zu kämmen und so steckten die Frauen Alice rasch einen weißen Haarreif auf den Kopf, um die Strähnen zu bändigen.
Nach diesem Rekordakt von nicht einmal zehn Minuten brachten sie Alice schließlich zurück in die Halle.
Schwester Margaret rümpfte über die wild aussehende Lockenpracht auf dem Kopf des Mädchens zwar die Nase, meinte aber, man könne jetzt gehen.
Die Kinder reihten sich auf ihren Geheiß hin in Zweierreihen zusammen und verließen das Haus. Nur Alice musste alleine zwischen den zwei Nonnen, die sie umgezogen hatten, folgen.
Der kleine Tross lief zielgenau über die Straße und um einige Häuserblocks zur Nordseite des nahe liegenden Parkes. Da, wo sich die Kirche des Ortes befand.
Die Leute auf dem Gehweg huschten zur Seite, um den Kindern Platz zumachen. Dabei blieben viele Augen entzückt auf Alice hängen.
Das Mädchen mit dem honigblonden Haar sähe aus wie ein kleiner Engel, meinte eine ältere Frau, die ganz aus dem Häuschen zu sein schien.
Alice wand sich nach ihr um und die Frau winkte ihr freundlich zu. Das Mädchen wollte höflicher Weise zurückwinken, doch eine der Nonnen drückte ihre Hand herunter und drängte sie mit sanfter Gewalt weiter.
Alice wand sich von der Frau ab und sah sich gekränkt die Gegend an.
Es war eine ganze Weile her, seit sie das letzte Mal auf dem Weg zur Kirche gewesen war. Letztes Ostern, so glaubte sie. Dazwischen war sie zu oft auf dem Speicher gewesen und der Pastor war immer zu ihr gekommen.
Wie sehr sich die Straßen doch in so kurzer Zeit verändert hatten...
Der Park zu ihrer rechten bestand nur noch aus knorrigen Bäumen, deren Blütenpracht sich in einzelne, rotbraune Blätter verwandelt hatte.
Laub lag auf den Wegen und wurde über die Bürgersteige geweht. In den Schaufenstern der Geschäfte prangten neue Auslagen. Der Friseur hatte einen frischen Anstrich bekommen und ein Juwelier war in die Stadt gezogen.
Auch ein neuer Konditor hatte sein Geschäft gegenüber der Kirche eröffnet.
Mit prächtigen Pastellfarben hob es sich deutlich von den schlichten Gebäuden herum ab. In der Auslage standen eine Hochzeitstorte, ein Marzipankuchen und eine Schwarzwälder Kirschtorte.
Rundherum noch der eine oder andere Leckerei. Die Blicke der Kinder blieben neugierig an der Scheibe haften. Auch Alice konnte sich nicht von den Süßwaren losreißen. Ihr Bauch hing ihr schon in den Knieskehlen.
Der Konditor, der gerade ein Schild vor dem Laden postierte, meinte zu den Nonnen, wie mager das Kind doch aussähe und bot Alice eine Cremeschnitte an.
Dieses Angebot wurde jedoch von den Nonnen ablehnt, mit der Begründung, dass das Kind keine Milchprodukte vertrage.
Sie schoben das Mädchen hastig weiter über die Straße, damit sie nicht den Anschluss an den restlichen Tross verloren.
Der hatte sich bereits vor der Kirche eingefunden und drängte hinein.
Alice warf einen hasserfüllten Blick auf das Gotteshaus. Es war das einzige Gebäude, das sich keinen Deut verändert hatte.
Die dicken Backsteinmauern waren das Moos und den Efeu immer noch nicht losgeworden. Das große Glasbild über dem Eingang mit der Heiligen Jungfrau Maria und dem kleinen Jesus sah immer noch ein bisschen krumm und schief aus. Die alten Türen waren dieselben und auch die uralten Glocken, die zur Messe riefen, hatten den gleichen, schrecklichen Klang behalten.
Die Kirche war so trostlos wie eh und je.
Alice ließ sich nur widerwillig durch die zwei Türflügel hinein bugsieren. Drinnen war es stickig und noch kälter als draußen. Unzählige Leute hatten sich in der winzigen Kapelle versammelt und die meisten der Bänke waren bereits besetzt.
Für das Waisenhaus wurden jedoch die ersten Reihen rechts unter dem Kirschenschiff frei gehalten. Die Kinder sowie die Nonnen schlängelten sich durch die Menge und ließen sich auf den reservierten Plätzen nieder. Alice hatte das Pech, in der ersten Reihe zu landen.
Zwischen einer äußerst hässlichen Engelsstatur und Schwester Margaret. Diese nahm wohl den meisten Platz auf der Bank ein und ließ Alice gerade einmal genug, um sich schräg an das Ende zu setzen.
Das Mädchen mühte sich, einen möglichst gemütlichen Sitz zu finden, aber nach ein paar kläglichen Versuchen gab Alice es auf.
Mehr als unzufrieden drehte sie schließlich den Kopf zum Altar und sah gelangweilt dabei zu, wie der Pastor in seinem überlangen Gewand vor sein Pult trat. In der Kapelle wurde es augenblicklich still. Alle starrten auf den hageren, großen Mann.
Dieser gab irgendeine Seite im Gesangbuch vor und die ganze Kirche erhob sich zum Singen. Alice hatte kein Buch und Schwester Margaret hielt ihres fiel zu hoch.
Das Mädchen öffnete einfach nur den Mund und bewegte stumm die Lippen, bis der Pastor allen gebot, sich wieder zu setzen.
Er räusperte sich kurz und als das Rascheln und Rutschen der Leute wieder verklungen war, begann er, einen Abschnitt aus der Bibel vorzulesen, den er sich zurecht gelegt hatte. Alice hörte wie immer nur mit einem Ohr zu. Es ging um Adam und Eva und ihre Söhne.
Der eine brachte den anderen aus Eifersucht heraus um. Oder so etwas...
Die Worte des Pastors zogen sich nur schleppen dahin und er sprach so leise, dass nur die halbe Kapelle ihn verstehen konnte. Nur eine Stelle betonte er so stark, dass sogar Alice aufsah.
„ ... Und Gott machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, wer ihn fände...“, sagte der Pastor mit einem Unterton in der Stimme, der andeutete, dass er diesen Zeilen in irgendeiner Weise abgeneigt war. Anscheinend fand er es nicht rechtens, dass dieser Kain am Leben blieb, während sein Bruder tot war.
Cain... Alice dachte sofort wieder an den seltsamen Jungen, der seit heute morgen aus ihren Gedanken verschwunden war. Sein Name klang sehr ähnlich dem aus der Bibel. Ob das wohl Absicht war?
Alice drehte sich nachdenklich zu der Engelsstatur neben ihr um. Ihr Hals war ganz steif uns sie konnte nicht mehr auf den Pastor und den Altar blicken.
Es war viel angenehmer, in die Fratze des Marmordings zu starren (die im übrigen besser aussah, als der Pastor.) Das Mädchen legte den Kopf schief und versuchte die Mimik des Engels zu entschlüsseln.
Das schiefe Grinsen, das man ihm verpasst hatte, machte es nicht einfach. War er traurig oder lachte er? Oder sie?
Man hatte Alice gesagt, Engel seinen androgyn, doch wie sollten sie dann Kinder bekommen? Man brauchte doch einen Mann und eine Frau dazu.
Das stand ja sogar in der Bibel. Mit Adam und Eva.
Der Engel vor dem Mädchen hatte etwas weibliches, so fand sie. Er hatte lange Haare und weiche Gesichtszüge. Außerdem trug er so etwas Ähnliches wie ein Kleid. Und welcher Mann trug schon ein Kleid?
Nachdem diese Frage geklärt war, blickte Alice sich in der Kapelle um.
Hinter ihr waren drei Männer in eine Bibel vertieft und lasen stumm die Worte, die der Pastor vorne sprach. Bis hinten saß ein kleiner Junge, der eingeschlafen zu sein schien.
Eine Frau, die ebenfalls sehr weit hinten saß, sprach gerade aufgeregt mit einer anderen. Alice war also nicht die Einzige, die nicht richtig bei der Sache war.
Auch ein anderes Mädchen in der Mitte suchte die Kapelle ab und ihre Blicke trafen sich zufällig.
Sie warf Alice ein Lächeln zu und drehte sich dann wieder um. Alice ließ ihren Blick weiterwandern. Über die Orgel hinter dem Altar, die kleine Jesusikone, die am Kreuz hing.
Die Decke, an der ein abblätterndes Fresko thronte und auch die oberen Ränge, die heute leer geblieben waren.
Zumindest fast leer.
Ein Junge hockte über ein paar Bänken neben Alice und starrte, die Hände unter dem Kopf verschränkt, auf den Pastor.
Das Mädchen musste einige Male blinzeln, ehe sie sich sicher war, dass sie sich den Jungen nicht nur einbildete. Sie erkannte ihn sofort wieder.
Dasselbe weiße Hemd, die schwarzen Handschuhe und Haare... Die goldenen Augen, in denen sie sich im nächsten Moment spiegelte.
Es war dieser Junge von vor ein paar Tagen. Dieser Cain. Er warf Alice ein Grinsen zu und winkte freudig.
Sie winkte sprachlos zurück und ihr Mund klappte ihr dabei auf. Sie hätte nicht erwartet, ihn doch noch einmal zu sehen. Und vor allem hier. In der Kirche.
„ Alice!“, die scharfe Stimme von Schwester Margaret erklang und Alice drehte sich erschrocken um. Der Pastor hatte aufgehört zu reden und starrte sie missbilligend an. Auch manche der Leute warfen ihr düstere Blicke zu.
Alice bemerkte erst jetzt, dass sie beinahe auf der Bank stand.
Sie hatte sich wohl so zu Cain umgedreht, ohne es zu bemerken. Etwas verlegen wand sie sich wieder von ihm ab und setzte sich unter den wachsamen Augen von Schwester Margaret kerzengerade auf ihren Platz.
Der Pastor nickte stumm und versank abermals in der Bibel.
„ Und das mir das nicht noch einmal passiert!“, warnte Schwester Margaret sie zornig, ehe sie wieder nach vorne sah.
Alice warf ihr einen grimmigen Blick zu, drehte sich dann aber wieder leicht nach hinten.
Das Mädchen suchte die oberen Ränge ab, doch Cain war auf einmal nicht mehr da. Verschwunden, genau wie beim letzten Mal.
„ Pst! Hier drüben!“
Alice fuhr erschrocken auf, als die Stimme des Jungen plötzlich neben ihr ertönte. Cain lehnte auf einmal an dem hässlichen Engel, den sie vorhin gemustert hatte.
Sie wunderte sich, wie er dorthin gelangt war, bis ihr ja wieder einfiel, dass er auch so etwas wie ein Geist war.
„ Na? Du scheinst überrascht, mich zu sehen“, meinte er und seine goldenen Augen blitzten schelmisch auf. „ Habe ich dich erschreckt?“
„ Das kann man wohl sagen“, erwiderte Alice im Flüsterton. Sie wand sich kurz zu Schwester Margaret um, aber die hatte sie Gott sei Dank nicht gehört.
„ Was machst du hier?“
„ Was wohl? Du hast mich doch um etwas gebeten, nicht?“
„ Ja. Aber warum kommst du gerade jetzt?“, zischte sie verärgert und deutete dabei mit einem flüchtigen Blick auf Schwester Margaret.
„ Ich war gerade in der Gegend.“, erwiderte Cain. Das ließ für Alice natürlich nur den Schluss zu, dass hier irgendwo jemand gestorben war. Dieser Gedanke bereitete ihr ein mulmiges Gefühl in der Magengegend.
„ Und?“, fragte sie, um es rasch wieder zu verdrängen.
„ Was und?“
„ Na... Was hat er gesagt, dieser Hades?“
„ Oh, eine ganze Menge!“, entgegnete Cain stolz. „ Scheinst etwas ganz besonderes zu sein. Er war total verblüfft über das, was ich ihm von dir erzählt habe. Hat gleich seine ganze Bibliothek auf den Kopf gestellt, um nachzuschlagen, ob so was schon einmal vorgekommen ist. Es wird dich sicher interessieren, was er herausgefunden hat. Komm nach der Messe wieder auf deinen Dachboden, dann können wir reden.“
„ Erzähl's mir doch gleich!“, warf sie drängend und etwas zu laut ein. Schwester Margaret drehte sich zu ihr um, doch Alice tat so, als hätte sie nur laut die Worte des Pastors wiederholt.
Die alte Frau sah sie skeptisch an, schenkte ihre Aufmerksamkeit dann aber wieder der Messe.
Alice atmete erleichtert auf und blickte zurück zu der hässlichen Engelsstatur.
Zu ihrer großen Enttäuschung hatte sich Cain wieder einfach so davon gestohlen. Dabei hatte er doch selbst gesagt, er hätte genug Zeit!
Nun gut, jetzt ließ es sich auch nicht mehr ändern. Sie würde sich wohl gedulden müssen, bis sie wieder im Waisenhaus war und dann...
„ Alice, steh gefälligst auf!“, Schwester Margaret packte Alice grob am Arm und stellte sie auf die Füße. Der Pastor hatte gerade seine Predigt beendet und zum Singen aufgerufen, als Alice sich nach Cain umgesehen hatte. Das Mädchen hatte das gar nicht bemerkt.
Sie sang rasch das Lied – dessen Text sie ausnahmsweise einmal kannte – und wartete ungeduldig darauf, dass es bald endete.
Nach einer unendlich langen Zeit trat dann die ersehnte Ruhe ein und der Messdiener ging mit einem Spendenteller durch die Reihen.
Der Pastor schlug die Bibel auf seinem Altar zu und die ersten Kinder und Nonnen gingen bereits aus der Kirche. Sie mussten keine Spende entrichten, da sie sowieso nicht sehr viel besaßen.
Alice wollte ihnen rasch folgen, doch noch ehe sie einen Schritt gemacht hatte, packte Schwester Margaret sie am Schlafittchen.
„ Du bleibst noch“, sagte sie knapp. „ Du musst noch zu deiner Beichte.“
Dämliche Beichte. Das hatte sie ja völlig vergessen. Alice verfluchte die alte Nonne und den Pastor, der gerade auf sie zukam.
„ Guten Tag Vater“, begrüße Schwester Margaret den Mann und verbeugte sich, was sicherlich graziös aussehen sollte, jedoch mehr den Anschein erweckte, als müsse sie sich plötzlich übergeben.
Dem Pastor schien das allerdings nicht aufzufallen. Er nickte kurz und wand sich dann Alice zu.
Schwester Margaret gab dem Mädchen einen schmerzhaften Stoß und es verbeugte sich ebenfalls vor dem Geistlichen.
„ Und, wie ist es ihr ergangen?“, fragte der Mann die Nonne.
„ Oh, sehr gut“, versicherte diese, woraufhin Alice ihr am liebsten auf den Fuß getreten wäre.
Auf dem Dachboden war es ihr – abgesehen von der Begegnung mit diesem Cain – alles andere als „ sehr gut“ ergangen. Das Mädchen zwang sich jedoch, darüber zu schweigen.
„ Und der Dämon?“, fuhr der Pastor fort, während sich tiefe Sorgenfalten auf seine Stirn legten. „ Ist er noch bei Kräften?“
„ Nein. Ganz sicher nicht. Wir haben getan, was Ihr uns rietet, Vater. Der Dämon ist sicher geschwächt. Ich bringe das Mädchen nur noch zur Beichte, damit er sie mit ihren Sünden verlässt.“
„ Ja, das ist einzig Richtige. Hast du das auch verstanden?“, er blickte kurz auf Alice hinab; mit einem freundlichen Lächeln, das noch gekünstelter nicht hätte aussehen können.
„ Du darfst nichts bei der Beichte verschweigen. Sonst bist du offen für das Böse.“
„ Oh, nein, das würde mir nicht im Traum einfallen...“, murmelte Alice sarkastisch.
„ Was hast du gesagt?“
„ Ach, nichts, Vater“, entgegnete das Mädchen schnell. „ Ich meinte nur, dass Ihr Recht habt.“
„ Gutes Kind“, lobte er. „ Na los, dann komm mit.“
Er nahm Alice bei der Hand und wies Schwester Margaret an, in der Kapelle Platz zu nehmen und auf sie zu warten. Dann führte er das Mädchen in den hinteren Teil der Kirche.
Dieser gefiel Alice noch weniger als das restliche Gebäude.
Die Beichtstube befand sich dort. Zwei kleine, hölzerne Kabinen, die nur durch ein kleines Fenster miteinander verbunden waren. Es stank darin immer fürchterlich nach einem Gemisch aus Parfüm, Zigaretten und Alkohol.
Außerdem war der Weg dorthin mit den unheimlichsten Skulpturen und Bildern versehen.
Einmal tötete der Erzengel Michael auf grausame Weise einen Dämon. Auf einem Ölgemälde sah man den gekreuzigten Jesus Qualen leiden, auf einem anderen eine wirklich unschöne Version des Jüngsten Gerichts.
Alice fröstelte es bei dem Anblick und sie war wie immer etwas froh darüber, als sie den Beichtstuhl endlich erreichten.
Der Pastor drängte sie sofort in den linken Raum und schloss hinter ihr die Tür, ehe er in den rechten ging und sich setzte.
Auch Alice ließ sich auf dem kleinen Holzschemel in der Kabine nieder und musste erst einmal die Luft anhalten. Der Gestank hier drin war noch unerträglicher als sonst. Das rührte sicher daher, dass sie so lange nicht mehr in der Kirche gewesen war.
Trotzdem fand das Mädchen, dass es heute besonders schlimm war.
Das sagte sie dem Pastor, der sogleich das kleine Fenster zwischen den Kabinen aufschob, natürlich nicht.
„ Mein Kind“, begann der Mann, wie er bei jeder dieser Sitzungen. „ Berichte mir von deinen Sünden. Ich werde sehen, ob Gott dir vergeben kann.“
Alice hingen diese Worte zum Hals heraus und sie trieben sie schier zur Weißglut.
Doch sie würde nicht aus der Kabine kommen, würde sie nicht irgendetwas darauf erwidern. Also,... was hatte sie denn schreckliches getan?
„ Nun, Vater“, fing sie vorsichtig an. „ Ich habe letzte Woche gesündigt. Ich habe Elly, einem der Mädchen, den Kamm weggenommen und wollte ihn nicht wieder hergeben.“
Ja, das war eine gute Story.
Nicht zu hart oder unglaubwürdig. Das sollte den Pastor zufrieden stellen.
Der Mann in der anderen Kabine schüttelte jedoch nur den Kopf und seufzte beklommen.
„ Mein liebes Kind“, sprach er mahnend. „ Ich kann dir nur helfen, wenn du mir die Wahrheit nicht verschweigst.“
„ Aber das ist doch die Wahrheit!“, stammelte Alice verblüfft. Was war nur mit dem Pastor los?
Was störte ihn an dieser Geschichte? Sonst schluckte er doch auch die erfundenen Untaten von ihr und den anderen Kindern.
„ Nein, das kann nicht die Wahrheit sein.“, warf der Pastor ein. „ Ein Dämon hat von dir Besitz ergriffen. Also musst du eine sehr große Sünde begangen haben. Also, was hast du getan?“
„ Aber ich sagte doch schon...“
„ Das ist eine viel zu leichte Sünde. Du verschweigst mir etwas.“
Alice wollte ihren Ohren nicht trauen. Eine „ zu leichte“ Sünde? Was sollte sie sich den noch aus den Fingern saugen? Vor allem etwas, bei der sie eine noch härtere Bestrafung erwartete?
Nein, ohne sie.
Das Mädchen verschränkte selbstsicher die Arme.
„ Tut mir leid, Vater“, sagte sie störrisch. „ Aber das war meine einzige Sünde. Ich habe ansonsten nichts gemacht.“
„ Du lügst schon wieder...“
„ Nein, ganz sicher nicht!“, beharrte sie.
Der Pastor atmete schwer ein.
„ Jetzt hör mir einmal gut zu, Mädchen“, seine Worte waren hart und nicht mehr so ruhig wie vorhin. „ Du musst etwas Schreckliches getan haben, das steht außer Frage. Schließlich hat ein Dämon von dir Besitz ergriffen. Würdest du mir also bitte sagen, was du getan hast, damit ich dir deine Buße nennen und du deine Sünden begleichen kannst?“
„ Ich denke nicht daran, für Sie einen so großen Blödsinn zu erfinden.“, rief Alice in nicht minder gereiztem Ton. „ Ich habe mich nichts schuldig gemacht. Und wenn Sie das glauben, dann hat Ihr Gott Ihnen wohl einen ziemlich dämlichen Floh ins Ohr gesetzt.“
So, jetzt war es raus. Alice hatte ihrer Wut einmal Platz verschafft.
Komisch, wie gut sich das anfühlte. Sie hätte sofort damit weitermachen und dem Pastor sicher noch paar Takte mehr sagen können. Doch dieser hinderte sie daran.
Nach einer beschämenden Pause klappte er das kleine Trennfenster des Beichtstuhles wieder zu und ging aus der Kabine.
Alice hörte wie er zu ihrer Tür ging. Der Mann riss sie auf und packte das Mädchen noch grober am Handgelenk als Schwester Margaret.
Er zog sie heraus, was sich, sosehr Alice sich auch werte, nicht verhindern ließ.
Der Griff des Pastors war fest und drückte schmerzhaft ihre Knochen zusammen.
„ Lassen Sie mich los!“, schrie Alice zornig, doch der Pastor schien nicht einmal im Traum daran zu denken. Er drückte fester zu und schleifte Alice an den unheimlichen Skulpturen und Ölgemälden vorbei zurück in die Kapelle. Dort saß, wie man sie angewiesen hatte, immer noch Schwester Margaret und vertrieb sich die Zeit damit, in der Bibel zu lesen.
Als sie den Pastor kommen sah, legte sie das Buch jedoch schleunigst zur Seite und erhob sich von der Bank.
„ Das ging aber schnell, Vater...“, setzte die Nonne erfreut an, vollendete den Satz aber nicht, als sie die dunkle Miene des Pastors sah.
Der Mann hielt vor ihr an und zog Alice neben sich, die mit seinem Schritt nicht wirklich mithalten konnte.
„ Liebe Schwester, ich glaube, es ist schlimmer, als wir annahmen“, eröffnete er mit düsterer Stimme.
„ Der Dämon ist stark und hat sich durch die Maßnahmen, die wir ergriffen, nicht beirren lassen.“
Die Nonne wurde aschfahl im Gesicht und ihr Mund kräuselte sich erschrocken. Sie zog ihr Kreuz aus dem Gewand und schickte ein stummes Gebet zum Himmel.
„ Das wird wohl nicht viel nutzen“, sagte der Pastor schweren Herzens und Schwester Margaret hielt entgeistert inne.
„ Aber... warum?“
„ Der Dämon ist zu mächtig. Er hat sich den Körper des Mädchens bereits zu Eigen gemacht, um sie daran zu hindern, ihre Sünden zu gestehen!“
„ Das ist ja schrecklich!“, stieß die Nonne aus. „ Vater, was bleibt uns in solch einem Fall zu tun?“
„ Ich fürchte, wir müssen uns an wahrhafte Exorzisten wenden. Ich kenne mich auf dem Gebiet leider nicht so gut aus, um diesen Dämon zu vertreiben... Ich werde gleich morgen eine Nachricht an den Vatikan schicken, damit man uns Hilfe entsendet.“
„ So schlimm ist es also...“, stellte Schwester Margaret fest und sah erschütternd auf Alice hinab.
Das Mädchen konnte ihr und dem Pastor nur einen verständnislosen Blick zuwerfen.
Was glaubten die Beiden bloß? Das konnte doch nicht ihr Ernst sein, dass sie Exorzisten aus dem Vatikan holen wollten. Was für ein Schwachsinn.
„ Ich glaube, Sie beide übertreiben etwas“, warf Alice ein. Ihr dämmerte, dass die Sache kein gutes Ende nehmen würde, wenn sie sich nicht schleunigst aufklärte.
„ Ich bin nicht von einem Dämon besessen. Ich habe den Pastor vorhin mit Absicht beleidigt.“
„ Du!“, schrie Schwester Margaret erbost und packte die Schultern des Kindes, um es kräftig zu schütteln.
„ Du Dämon, was hast du bloß mit dem Mädchen angestellt? Ich weiß, ihr Inneres ist nicht das Reinste, aber das gibt dir keinen Grund, sich ihrer zu bemächtigen.“
„ Schwester Margaret, Sie tun mir weh!“, rief Alice und versuchte, sich der Frau zu entziehen.
Diese ließ jedoch erst von ihr ab, als der Pastor sie von Alice löste.
„ Das bringt nichts, Schwester“, versuchte er der Nonne klar zu machen. „ Da braucht es stärkere Methoden, wie schon gesagt. Man wird ihr Zimmer mit Kreuzen aushängen und mit Weihwasser segnen, damit der Dämon nicht entkommen kann. Und dann wird er ausgetrieben und vernichtet. Es wird eine schreckliche Prozedur werden, aber dann ist das Kind gerettet...“
„ Das ist langsam nicht mehr komisch!“, unterbrach Alice den Pastor. „ Es gibt keinen Dämon! Vielleicht in ihrer Fantasie, aber das geht mich herzlich wenig an! Lassen Sie mich endlich los!“
„ Schweig, Dämon!“, befahl der Pastor gebieterisch. „ Du kannst deiner gerechten Strafe nicht entkommen!“
„ Das werden wir ja noch sehen!“, schrie Alice, der es nun endgültig reichte.
Sie wollte nicht zu irgendwelchen Exorzisten und irgendeinen Hokuspokus über sich ergehen lassen. Sie musste sofort weg von hier!
Das Mädchen spuckte dem Pastor wütend ins Gesicht und trat ihn mit all der Kraft, die sie aufbringen konnte, auf den Fuß. Der Mann schrie vor Schmerz und lockerte wie beabsichtigt seinen Griff.
Alice zog ihre Arme aus seiner Hand und rannte los, ehe Schwester Margaret oder der Pastor irgendetwas dagegen unternehmen konnten.
Die Leute, die noch in der Kirche waren, sahen dem Spektakel teils erstaunt, teils erschrocken zu. Doch keiner maß es sich an das Mädchen, das da durch die Bankreihen rannte, aufzuhalten.
Nur Schwester Margaret, der es noch ein paar Sekunden gelang, zu reagieren, setzte Alice schließlich nach. Auch wenn sie nicht gerade die Zierlichste war, so war sie dabei unheimlich schnell.
Alice war in der Mitte der Kapelle, da hatte die alte Nonne sie auch schon fast eingeholt.
Das Mädchen legte einen Schritt zu, sosehr, wie es das unpraktische Kleid an ihr eben zuließ, und stürzte aus der Kirche.
Die Passanten draußen auf der Straße warfen ihr verblüffte Blicke zu und noch verblüffter sahen sie drein, als Schwester Margaret im nächsten Moment erschien.
Sie blieben stehen und sahen zu, wie die Nonne die Hand nach dem Mädchen ausstreckte und es schließlich zu packen bekam, ehe es an die Straße gelangte.
Alice versuchte verzweifelt, sich loszureißen, doch es war vergebens.
Schwester Margaret war um einiges kräftiger als sie. Besonders jetzt, da sie wütend war. Man sah das eindeutig an ihrem violetten Gesicht, das in ein sattes Rot überging.
Alice hatte eine solche Farbe bei der alten Frau zwar noch nie gesehen, war sich aber sicher, dass sie nichts Gutes verheißen konnte.
Was die Nonne das Mädchen auch deutlich spüren ließ. Sie drückte erbarmungslos das dünne Handgelenk und versuchte, das Kind in die Kirche zurückzuziehen.
„ Lassen Sie mich doch los! Ich habe nichts getan!“, rief Alice so laut, dass es jeder hören konnte. Die kleine Menge, die sich um sie versammelt hatte, tuschelte aufgebracht.
Doch die Nonne zog unerbittlich weiter und achtete nicht auf die Worte des Mädchens.
Sie murmelte nur andauernd ihre Gebete und stieß allerhand Verwünschungen gegen den Teufel und den Dämon, der Alice angeblich besaß, aus.
„ Hilfe! Helft mir doch!“, schrie Alice verzweifelt und wand sich zu der Menge um. Alle sahen sie schockiert an, doch keiner wollte es wagen, sich der Nonne in den Weg zu stellen.
Das Mädchen brach in Tränen aus, als sie merkte, dass sich keiner wirklich für sie interessierte. Die Leute sahen in dem Aufruhr wohl nur eine spannende Geschichte.
Alice spührte, wie ihre Füße sie nicht mehr auf der Stelle hielten und Schwester Margaret die Oberhand gewann. Sie weinte noch bitterliche und rief noch verzweifelter nach Hilfe.
Sie suchte die Menge nach jemanden ab, den sie kannte und der sie erhören würde. Doch selbst der Konditor von vorhin konnte ihr nicht mehr schenken, als einen mitleidigen Blick.
„ Brauchst du Hilfe?“
Alice glaubte, sich verhört zu haben. Sie drehte sich hoffnungsvoll um, in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.
Und sah dabei in ein vertrautes Gesicht.
„ Cain!“, rief sie freudig, als sie den Jungen erspähte. Er stand wie durch ein Wunder plötzlich zwischen den anderen Leuten. Anscheinend war er doch nicht so einfach verschwunden, wie sie gedacht hatte.
„ Cain, oh gut, dass du da bist!“
Schwester Margaret hielt abrupt inne, als sie diese Worte vernahm. Sie drehte sich zu Alice um und sah ihr dabei zu, wie sie mit der Luft hinter sich sprach.
„ Kain?“, wiederholte sie in der dunkelsten Stimme, die das Mädchen je bei ihr gehört hatte.
Sie wollte wohl noch etwas hinzufügen, doch der Pastor, der gerade aus der Kirche kam, hielt sie davon ab.
„ Oh, Schwester, ihr habt den Dämon aufgehalten, Gott sei Dank!“, entgegnete er erfreut, während er die Stufen hinunter humpelte.
Die Menge rundherum starrte ungläubig auf ihn und dann wieder auf Alice. Dämon? Bis jetzt hatten sie einfach nur geglaubt, das Mädchen hätte sich in der Kirche einen üblen Streich erlaubt und wolle nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Doch jetzt...
„ Pastor!“, das Gemüt der Nonne erhellte sich etwas. „ Gut, dass Ihr kommt. Ich glaube, ich habe die Wurzel allen Übels gefunden.“
Sie deutete mit ihrer freien Hand hinter Alice, genau auf die Stelle, an die das Mädchen vorhin einige Worte gerichtet hatte. Direkt auf Cain. Dieser sah die Nonne verwirrt an.
„ Kann sie mich auch sehen?“, fragte er neugierig und ging auf die Frau zu, noch bevor Alice ihm antworten konnte. Er hob die Hand und wedelte damit vor dem Gesicht von Schwester Margaret herum. Doch die schien ihn nicht zu bemerken.
„ Fehlalarm“, Cain stieß einen erleichterten Seufzer aus und kehrte zu Alice zurück.
„ Hab ich einen Schreck bekommen! ... Aber sag' mal, was ist hier eigentlich los?“, er starrte auf die Nonne, die mit dem Pastor sprach, und die ganzen Leute um sie herum.
„ Was ist passiert? Dreht sich die Welt denn so schnell, nur weil ich für einen Moment nicht hinsehe?“
„ Ach, es ist schrecklich!“, entgegnete Alice schluchzend. „ Sie glauben, ich sei besessen oder so etwas und wollen Exorzisten holen!“
„ Das ist nicht dein Ernst, oder?“, fragte Cain ungläubig. „ Du kannst nicht besessen sein! Hades bringt jeden eigenhändig um, wenn er sich eines Menschen bemächtigt. Und das macht er nicht gerade schnell und schmerzlos.“
„ Dann erklär ihnen das! Für die bin ich ein Teufel! Oh Cain, hilf mir doch!“
„ Da!“, die Nonne drehte sich plötzlich wieder zu Alice um, als sie Cains Namen vernahm.
„ Ich habe es Euch gesagt! Der Dämon in ihr spricht mit jemanden! ... Und wie es aussieht, ist dieser jemand kein geringerer als Kain selbst!“
„ Oh Gott, Schwester, Ihr habt recht! Ich habe seinen Namen auch vernommen!“, der Pastor schlug sich kreidebleich die Hände vors Gesicht. „ Wahrhaftig! Kain selbst muss den Dämon in dieses Mädchen geschickt haben!“
„ Aber wie sollen wir damit umgehen?“, fragte die Nonne verängstigt. „ Kain ist kein gewöhnlicher Dämon!“
„ Ich fürchte, wir müssen gleich hier einige Exorzismen vornehmen, wenigstens, um die Situation in den Griff zu bekommen. Wir können nicht auf die Hilfe des Papstes warten... Bringt das Mädchen in die Kirche. Ich habe einen Raum, den wir nutzen können...“
„ Nein, nein, lasst mich in Ruhe!“, schrie Alice und zappelte wie wild, um sich der Nonne zu entziehen.
Doch die griff noch stärker zu und Alice glaubte, ihre Knochen würden jeden Moment brechen.
„ Cain! Cain hilf mir doch!“, das Mädchen blickte den Jungen mit trüben Augen an.
Er zögerte einen Moment.
Einen Moment zulange, den kaum hatte Alice seinen Namen ausgesprochen, trat Schwester Margaret zu ihr und ohrfeigte sie kräftigt.
Die Menge zog entsetzt die Luft ein, als der Kopf des Mädchens zur Seite flog und man sah, wie ihr das Blut aus der Nase und dem Mund rann. Es tropfte auf das weiße Kleid und bildete dort große, rote Flecken.
„ Cain... Mach bitte etwas! Egal was, nur irgendetwas...“
„ Irgendetwas ist gut“, meinte der Junge und legte den Kopf schief, so, wie es bei ihm Gewohnheit zu seien schien, dachte er gerade über etwas nach.
„ Sag...“, fragte er dann nach einigen Sekunden. „ Gefällt es dir im Waisenhaus?“
„ Was soll das denn jetzt, Cain?!“, fragte Alice perplex und wurde von Schwester Margaret sofort dafür bestraft. Es knackte, als die Hand der Nonne Alices Gesicht traf. Ob ihre Nase gebrochen war?
„ Beantworte mir einfach die Frage“, entgegnete Cain gelassen.
„ Nein!“, rief Alice und wich gerade noch einmal der Hand der alten Nonne aus. „ Nein! Ich würde alles geben, um von dort wegzukommen! Alles!“
„ Wirklich alles?“, hakte Cain skeptisch nach.
„ Wirklich alles!“, bestätigte Alice aus lauter Verzweiflung heraus.
„ Nun gut... Ich werde dir helfen...“
Cain ging an ihr vorbei und zu Schwester Margaret, die das Mädchen immer noch in eisernem Griff hielt.
Der Junge schnippte mit den Fingern und wie Alice es schon einmal gesehen hatte, erschien plötzlich etwas in seiner Hand. Doch es war kein Pergament, wie letztes Mal.
Sondern ein kleiner Beutel, in den Cain beherzt hinein griff und eine Prise von einem bläulichen Pulver herauszog.
Er hielt es in der Handfläche genau vor das Gesicht der Nonne und blies kräftig. Das Pulver verteilte sich auf dem Gesicht der Schwester, mit der augenblicklich etwas geschah.
Ihre Augen schienen ihr auf einmal furchtbar schwer zu werden. Die Lider fielen ihr zu und wie durch einen Zauber sank die Nonne abrupt zusammen und schlief ein.
Dabei ließ sie natürlich auch von Alice ab.
Diese konnte es gar nicht fassen und vergaß ganz, mit dem Ziehen aufzuhören. Sie geriet aus dem Gleichgewicht und torkelte verwundert zurück über den Bordsteig hinaus. Das Mädchen fing sich erst dort wieder und konnte einen Blick auf die nicht minder erschrockenen Gesichter der Leute und des Pastors erhaschen.
Doch die schienen nur einen Moment ihr zu gelten. Denn kaum wenige Augenblicke später drehten sie all die Köpfe nach rechts und rissen entgeistert die Augen auf.
Alice folgte ihren Blicken. Und konnte selbst nicht anders, als laut zu schreien.
Sie stand mitten auf der Straße und ein Auto kam mit voller Geschwindigkeit auf sie zu. Der Fahrer sah das Mädchen, trat hastig auf die Bremsen und bedeutete dem Kind, zur Seite zu springen.
Doch das brachte Alice aus lauter Schrecken nicht fertig.
Sie schlug schützend die Arme vors Gesicht und kniff die Augen zusammen.
Alles, was sie danach noch hörte, war das Quietschen von Autoreifen und die Schreie der Leute, unter denen sicherlich auch ihre eigenen waren.
Dann fühlte Alice nur noch einen heftigen Schlag, der schlimmer war als alles, was sie bis jetzt von Schwester Margaret hatte einstecken müssen.


Alice
 

flammarion

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Alice
Veröffentlicht von Carma am 21. 01. 2007 21:06
Kapitel 1

Schon seit sie denken konnte, war die kleine Alice eine Waise[blue] gewesen[/blue] (überflüssig).
Sie hatte [blue] keine Eltern [/blue] (das ist das Kenzeichen einer Waise, formuliere neu) und keine Geschwister, nicht irgendeinen Verwandten, der sie bei sich aufnehmen wollte. Ihre Familie war seither das Waisenhaus[blue] gewesen[/blue] (überflüssig) , ein altes, schauriges Gebäude, in dem niemand freundlich zu sein schien.
Die Betreuerinnen, allesamt strenge Nonnen, beteten von morgens bis abends zu Gott und schienen nur für ihren Glauben zu leben.
Man hatte zu tun, was sie sagten und was in der Bibel stand, [red] dass [/red] (das) wurde den Kindern hier schon sehr früh beigebracht.
Dass niemand von denen je die Bibel gelesen hatte oder manche gar nicht dazu im Stande waren, kümmerte die Schwestern dabei wenig.
Sie schalten jeden, der sich nicht so verhielt, wie sie es für richtig erachteten. Und reichte das nicht aus, so wurde man selbstverständlich bestraft.
Man musste „ Buße“ tun und die bestand normalerweise aus einem Tag ohne Essen. Auch hatte man jede Woche dem Pastor von seinen Sünden zu berichten und wurde je nach Schwere des Vergehens bestraft.
Natürlich kam es niemals vor, dass jemand ohne Beichte blieb. Und behauptete das eines der Kinder, so konnte das in seinen Augen niemals stimmen.
Denn kein einziges war getauft und wer nicht getauft war, der war zum Sündigen geboren.
Also log derjenige und bekam die doppelte Strafe. Die Nonnen sagten, dass man nur so seine arme Seele retten konnte, indem man gestand und büßte.
Verständlicher Weise hatte es Alice deshalb nie im Waisenhaus gehalten. Sie hatte in ihren zwölf Lebensjahren immer wieder versucht, von dort wegzulaufen.
Leider war sie [blue] seit jeher [/blue] (stets) gescheitert; gegen die vielen Schlösser und den hohe Eisenzaun hatte sie keine Chance.
Zudem kam noch erschwerend hinzu, dass Schwester Margaret sie ständig im Auge behielt. Schwester Margaret war eine alte, verbitterte Frau, mit unzähligen Falten und trüben Augen. Sie hatte Alice jedes Mal erwischt, wenn sie sich mit einer Haarnadel den Weg in die Freiheit verschaffen wollte.
Das Gesicht der Alten verfärbte sich dann in ein unnatürliches Violett und ihr schmaler Mund, der nicht mehr war als ein Strich, verzog sich zu einem hämischen Grinsen. Zur Strafe für ihren Ungehorsam sperrte sie Alice dann für eine Woche auf [red] den [/red] (dem) Dachboden ein.
Am liebsten hätte sie das Mädchen in den Keller gesteckt, einen kleinen, muffigen Bunker aus dem vorigen Jahrhundert ohne Fenster und voller Ratten.
Aber der Eingang dorthin war zugemauert worden und deshalb musste sie sich mit dem baufälligen Raum unter dem Dach begnügen.
Dort gab es nur ein einziges, rundes Fenster, das etwas Licht herein warf. Hier oben wurde allerdings seit Jahren nicht mehr richtig geputzt.
Der Staub, der sich auf dem Glas angesammelt hatte, ließ fast keinen Sonnenstrahl mehr durch.
Alice gewöhnte sich jedoch schnell daran, schließlich verbrachte sie jede zweite Woche hier oben. Sie begann nach einiger Zeit, das Fenster regelmäßig zu wischen und den Plunder, der in Tausenden Kisten hier lagerte, etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Der größte Teil bestand aus Büchern. Romane, die sich mit allerhand [red] Ungewöhnlichen [/red] (Ungewöhnlichem) befassten und bei den Nonnen sicherlich keinen großen Anklang finden würden.
Sie weckten das Interesse des kleinen Mädchens und Alice machte es sich zur Lebensaufgabe, jeden einzelnen zu lesen, denn aus dem Waisenhaus würde sie wohl nie herauskommen. Natürlich erzählte sie keinem davon, das würde ihr nur noch mehr Ärger einbringen.
Sie unterhielt sich einzig und allein mit Mr. Roberts darüber, einem netten und klugen Mann, bei dem sie jeden Tag zwei Stunden[blue] unterrichtet wurde[/blue] (Unterricht bekam).
Er war wohl der[red] Einzige[/red] (einzige) , der sie für ihren Eifer lobte und davon schwärmte, was für ein begabtes Kind sie doch sei.
Ja, begabt, das war sie...
Allerdings nicht so, wie Mr. Roberts dachte. Alice besaß bestimmte Fähigkeiten, durch die sie sehr oft an die Nonnen geriet.
Dazu gehörte nicht das Knacken von Schlössern, aber die Strafe dafür belief sich fast auf das Gleiche. Nein, besagte Fähigkeiten waren recht sonderbar, etwas unheimlich, wenn man bedenkt, aber das wurde Alice erst später klar.
Als sie sich zum ersten Mal zeigten, sie war vielleicht vier Jahre alt, ging sie noch sehr unbedarft damit um.
Alice konnte sich gut an diesen Tag erinnern, er hatte ihr zwei Monate auf dem Speicher eingebracht.
Es war April [blue] gewesen [/blue] (überflüssig) und das ganze Waisenhaus hatte sich auf dem Friedhof eingefunden. Schwester Clare, die einzige ehrenhafte Nonne, die man dort je gesehen hatte, war am letzten Sonntag verstorben.
Alle Kinder trauerten um sie, aber Alice war wohl diejenige[blue] gewesen[/blue] (überflüssig) , die sie am meisten vermissen würde.
Die junge Frau hatte sich immer so gut um sie gekümmert und verkörperte damals ihre Ansichten von einer großen Schwester. Aber sie war sehr krank und hatte keine große Lebenserwartung. Schwester Clare wollte ihr kurzes Leben deshalb nutzen, um anderen zu helfen, auch wenn sie dabei nicht immer streng nach der Bibel handelte.
Sehr nobel und selbstlos, wie Alice fand, aber die Nonnen sahen das natürlich anders. Sie hatten die junge Frau wegen ihrer modernen Einstellung verachtet und drangsaliert. Vielleicht hatte sie ja auch das in den Tod getrieben, aber das war nicht eindeutig zu sagen.
Es war Alice auch egal, sie wünschte sich damals nichts sehnlicher, als dass Schwester Clare wieder bei ihr [red] seien [/red] (sein) würde.
Sie hatte fürchterlich [blue] darum [/blue] (überflüssig) geweint und um die Erfüllung ihres Wunsches gebeten. Und tatsächlich...
Als ihre Augen durch die Tränen schon völlig rot waren, konnte Alice die Nonne ganz plötzlich neben ihrem Sarg sehen.
Die junge Frau stand munter und gesund da, wie das Mädchen sie kannte, und lächelte ihr fröhlich zu.
Für Alice war aller Kummer und Schmerz sofort vergessen. Jauchzend rannte sie unter den schockierten Blicken der anderen auf die andere Seite des Grabes und umarmte die Schwester. Die Frau legte ihr die Hand auf den Kopf und Alice wollte sie gar nicht mehr loslassen.
Es war Schwester Margaret, die sie schließlich erbost von der Nonne löste. Alice schrie und [red] werte [/red] (wehrte) sich, sie wollte um jeden Preis zurück zu Schwester Clare. Aber die Alte schien sie nicht zu verstehen. Sie schlug das Mädchen mehrere Male und behauptete, der Teufel sei in sie gefahren.
Alice weigerte sich(Komma) das zu glauben und widersprach immer aufs neue.
Verzweifelt deutete sie auf die junge Frau vor ihr und fragte sich, warum denn keiner der anderen sie bemerkte. Die Nonnen sahen endlich keinen anderen Ausweg, als sie auf den Dachboden zu sperren. Vielleicht würde der Satan dann aus ihrem Geist verschwinden.
Alice lief heute noch ein Schauer über den Rücken, wenn sie daran zurückdachte. Allerdings gab es noch viele andere solche Ereignisse, die diesem Konkurrenz machten. Einmal, so schwor Alice, hatte sie die alte Dogge von Mrs. Petersen aus der Nachbarschaft vorbeilaufen sehen, obwohl sie wusste, dass der Hund schon vor zwei Wochen eingeschläfert worden war. Ein anderes Mal stromerte die tote Katze von Schwester Margaret im Garten des Waisenhauses herum.
Und wieder ein paar Tage danach sah sie die Nichten des Pastors, die doch eigentlich bei einem Autounfall ihr Leben verloren hatten.
Damals hatte Alice dies alles nur für pure Einbildung gehalten.
Schwester Clare, so glaubte sie den Worten der Nonnen, war nur ein Trugbild des Bösen, das sie verwirren sollte. Von den Tieren hatte sie niemals erzählt, aber auch die waren sicherlich nur lächerliche Hirngespinste.
Und was die Zwillinge anbelangte, die konnte sie genauso gut mit irgendwelchen Kindern verwechselt haben. Diese ganzen seltsamen Dinge ließen sich ganz einfach erklären und Alice machte sich bald keine Gedanken mehr darüber. Doch das änderte sich einige Monate nach dem letzten Vorfall wieder gewaltig.
Alles begann im Oktober, einige Tage vor Halloween. Mit Tony, einem[red] Junge[/red] (Jungen), der drei Jahre älter war als Alice. Er lag schon seit Tagen mit hohem Fieber im Bett und mit jeder Stunde verschlechterte sich sein Zustand.
Die Nonnen wussten nicht, was er hatte, sie beteten nur und ließen keinen Arzt kommen. Alice war die[red] Einzige[/red] (einzige) , sie sich ernsthaft um ihn sorgte und sie hoffte, [red] das [/red] (dass) es ihm bald besser gehen würde. Sie schlich sich extra jeden Morgen in den Krankenflügel, um ihn etwas aufzuheitern. Dabei musste sie [blue] ständig [/blue] (jedes Mal) die riesige Halle durchqueren.
Das konnte zugegebener Maßen einige Zeit dauern. Fünfzehn Meter waren zu überwinden, keine große Strecke, aber Alice war so bedacht mit ihren Schritten, dass es ihr unendlich lang erschien. Vorsichtig und nur sehr langsam setze sie einen Fuß vor den anderen und hielt dann immer fünf Minuten inne, um sich zu vergewissern, dass niemand sie gehört hatte.
Die Schwestern würden sie fürchterlich bestrafen, würden sie sie bemerken. Sie hatten allen Kindern strengstens verboten, in den Krankenflügel zu gehen, deshalb ließ das Mädchen besondere Sorgfalt walten.
Nicht anders war es auch an diesem Morgen. Es war gerade einmal sechs Uhr, das ganze Waisenhaus lag also noch in tiefem Schlaf. Alice hatte sich etwas früher herausgewagt als sonst und bereits die Hälfte der Halle durchquert. Ihre Schuhe hatte sie ausgezogen und trug sie in der rechten Hand mit sich, man konnte ja nie wissen.
Behutsam wagte Alice gerade den nächsten Schritt. Das war gar nicht so einfach, die Dielen hier knarrten oft und sie zitterte am ganzen Leib. Ihr Herz pochte und sie sah unablässig zur Tür auf [blue] die andere [/blue] (der anderen) Seite. Es war eine alte Tür, aus Eiche, dunkel und unheimlich. Es hing ein Schild am Türknauf: „ (kein Leerfeld)Bitte nicht stören“, aber sonst wies nichts darauf hin, dass sie zum Krankenzimmer führte.
Alice starrte sie gebannt an und trat einen weiteren Schritt nach vorne. Dieses Mal hatte sie sich jedoch etwas verschätzt.
Sie war genau auf [red] einer [/red] (eines) der alten Holzbretter getreten und ein fürchterliches Knacken drang durch die Halle. Wie angewurzelt blieb sie stehen und drückte die Augen zu.
Verzweifelt lauschte sie, ob sich irgendwo eine Tür öffnete und jemand über einen der Gänge hastete.
Und tatsächlich schien sie irgendjemanden auf sich aufmerksam gemacht zu haben. Nach wenigen Sekunden der Stille, in denen Alice schon voller Erleichterung dachte, sie wäre unbemerkt geblieben, hallten plötzlich Schritte an ihr Ohr. Das Mädchen bemerkte, dass sie aus der Tür vor ihr drangen.
Es handelte sich sicher um eine Nonne, die bei Tony bis spät in die Nacht gebetet hatte und dabei eingeschlafen war. Mit größter Wahrscheinlichkeit war es sogar Schwester Margaret. Was würde sie wohl tun, wenn sie Alice hier[blue] finden würde[/blue] (findet)?
Die Kleine mochte es sich gar nicht erst ausmalen.
In ihrem Kopf spielte sie panisch die Möglichkeiten ab, die sie hatte, um einem weiteren Mal Dachboden zu entgehen. Sie musste sich schnell irgendwo verstecken, das kam ihr als erstes in den Sinn.
Nur wo? Sie blickte sich verzweifelt im Raum um. Vielleicht unter [red] die [/red] (der) Treppe? Hinter dem kaputten Flügel? Sie zögerte und tippte ängstlich auf der Stelle herum. Die Tür vor ihr öffnete sich langsam und Alice befürchtete das Schlimmste. Völlig verängstigt sank sie schließlich auf dem Boden zusammen und schlug schützend die Arme vors Gesicht.
Sie hörte, wie die Schritte auf sie zu kamen und kauerte sich noch mehr zusammen.
Bitte, bitte, lass es nicht Schwester Margaret sein...
„ (kein Leerfeld)Alice! Was machst du denn da?“
Eine piepsige Stimme erklang und Alice blickte verwundert auf. Vor ihr stand keine der Nonnen. Ein bleicher, hagerer Junge bückte sich zu ihr herab und warf ihr ein von Zahnlücken gespicktes Lächeln zu.
„ (kein Leerfeld)Tony?“, sagte sie langsam und musterte ihn verwundert. Der Junge hatte kurze, rote Haare und ziemlich dicke Augenbrauen. Seine Nase war winzig klein und seine Wangenknochen stachen arg aus dem flachen Gesicht heraus.
Kein Zweifel, es war Tony. Alice verstand das nicht recht. Sie wusste, dass sie ihn gestern noch mit roten Wangen und kühlenden Umschlägen hatte im Bett liegen sehen. Er hatte nach Luft geschnappt und konnte nur mit matter Stimme sprechen.
Doch der Tony vor ihr hechelte nicht, er hatte keine rote Wangen oder einen Eisbeutel auf der Stirn... Er sah blendend aus, richtig gesund, wenn man davon absah, dass er ein bisschen blass war.
„ (k L)Aber... wie bist du...?“
„ (k L)Gesund geworden?“, ergänzte er und verbreiterte sein Lächeln. Eine weitere Zahnlücke kam zum Vorschein.
„ (k L)Ich weiß selbst nicht... Ich habe mich heute [red] morgen [/red] (Morgen) nur so gut gefühlt... Bin einfach aufgestanden, als ich es draußen habe Knacken hören...“
„ (k L)Das war ich“, warf Alice verlegen ein. „ (k L)Bin aus [red] versehen [/red] (Versehen) auf eine der Dielen getreten. Wenn ich dich aufgeweckt habe, dann...“
„ (k L)Nein, nein!“, winkte Tony ungerührt ab. „ (k L)Keine Sorge, ich war schon vorher wach. Aber komm jetzt. Lass und zurück ins Krankenzimmer gehen. Hier draußen ist es irgendwie kalt.“
„ (k L)Stimmt“,(besser Punkt) Alice rieb sich die Arme, als sie merkte, dass es wirklich kalt war. Komisch... Eigentlich heizte der Hausmeister doch jeden Morgen.
Außerdem konnte sie sich nicht daran erinnern, dass es vorhin schon so kühl gewesen war.
„ (k L)Na los, schlaf nicht ein!“, entgegnete Tony ungeduldig und reichte ihr die Hand. Alice begriff erst jetzt, dass sie ja immer noch auf dem Boden saß und rappelte sich mit seiner Hilfe wieder auf.
Dann folgte sie Tony leichten Schrittes hinüber zu der alten Eichentür, die er vorsichtshalber ein paar Zentimeter offen gelassen hatte. Sie schlüpften hindurch und lehnten die Tür locker an.
Wie nicht anders zu erwarten, stieg Alice prompt der widerliche Geruch von Desinfektionsmittel in die Nase, eines der wenigen medizinischen Mittel, die die Nonnen duldeten.
Der ganze Raum war erfüllt davon, was schier unmögliche schien, denn er war fast so groß wie die Halle.
Und je weiter man hinein ging, desto schlimmer wurde es. Tony hatte leider das Pech, das letzte der zweiunddreißig Betten am Ende zugeteilt bekommen zu haben.
Ihn schien der Geruch nicht sonderlich zu stören, kein Wunder, er musste ihn ja schon seit Tagen ertragen. Alice kniff sich jedoch angeekelt die Nase zu und ging rasch hinter Tony her; ihre Schuhe befanden sich mittlerweile wieder an ihren Füßen.
Als sie so durch die Reihen der Betten gingen, blickte sich das Mädchen enttäuscht um. Der Raum sah immer noch genauso aus wie vor vier Jahren, obwohl die Schwestern versichert hatten, ihn zu restaurieren und eine Ärztin einzustellen.
Alles nur leere Versprechungen, dachte sie wütend,(besser Punkt) Und solche Frauen wollen so etwas wie Gottes sein? Das soll ja wohl ein Witz sein...
Alice [red] besaß [/red] (besah) sich erzürnt die schimmelnden Tapeten, während sie Tony zum letzten der Betten folgte. Dieses war, wie sie jedoch bald bemerkte, nicht leer.
Irgendjemand hatte es sich darin bequem gemacht und schlief anscheinend noch seelenruhig.
Das habe ich mir schon gedacht. Bestimmt die[red] Nonnen[/red] (Nonne) , die hier war und eingeschlafen ist, schoss es Alice durch den Kopf und sie dachte verärgert daran, wie Tony sich die ganze Nacht ihr Schnarchen anhören hatte müssen Die glauben,(kein Komma) doch wirklich, sie können sich alles erlauben...
Alice wollte diesen Gedanken gerade mit Tony teilen und machte den Mund dazu auf, doch verließ kein einziges Wort ihre Lippen.
Als sie sich Tonys Bett näherten, fiel dem Mädchen doch plötzlich auf, [red] das [/red] (dass) die Gestalt darin viel zu klein war, um eine der Nonnen zu sein, die mit dem Kopf auf der Decke lag. Außerdem lag die Gestalt ganz eindeutig im Bett. Unter der Decke.
Vielleicht ein neuer Krankenfall, der mit Tony das Bett hatte tauschen müssen?
Alice trat verwundert neben den Vorhang, der das Kopfende des Bettes und damit das Gesicht der Person darin,(kein Komma) verdeckte. Hastig zog sie ihn zur Seite.
Und wünschte sich augenblicklich, genau das niemals getan zu haben. Denn als Alice sah, wer da im Bett lag, stieß sie einen entsetzten Schrei aus, der nicht wieder abklang. Die Gestalt gehörte zwar einem Kind, wie sie gedacht hatte, doch nicht irgendeinem Kind.
Der Junge, den Alice vor sich liegen sah, war kein anderer als Tony, der doch eigentlich neben ihr stand. Er war blass und der Eisbeutel von seinem Kopf war auf das Kissen gerutscht, auf dem sich ein Wasserfleck gebildet hatte.
Das Mädchen konnte ihren Augen nicht trauen. Zwei Tonys? Sie starrten von dem, der neben ihr stand, auf den, der im Bett vor ihr lag. Wie war das möglich? Es konnte keine zwei Tonys geben, es gab nur den einen!
„ (k L)Tony, was soll das?“, kreischte sie völlig aufgebracht „ (k L)Wieso bist du hier und da auch?“
„ (k L)Oh“, stieß dieser aus, als hätte er diesen Umstand gerade erst bemerkt.
„ (k L)Ich bin mir nicht ganz sicher. Aber...“, er drehte sich zu dem Mädchen um und warf ihr einen gleichgültigen Blick zu „ So wie's aussieht, bin ich wohl tot, Alice.“
Diese Worte waren schlimmer,(kein Komma) als alles, was Alice bis jetzt zu hören bekommen hatte, doch die Gelassenheit, mit der Tony das sagte, gab ihr eindeutig den Rest.
Sie schrie noch lauter und torkelte erschrocken zurück. Dabei stieß das Mädchen gegen die Wand und fiel zu Boden. Sie schrie unberührt weiter und robbte nah der Wand entlang, weg von dem „ toten“ Tony.
Es wäre wohl besser gewesen, Alice wäre aufgestanden und gerannt, doch das war im Moment nicht möglich. Ihre Beine waren wie Pudding und konnten sie nicht tragen.
„ (k L)Was ist denn?“, fragte Tony verwundert „ Warum schreist du so? Hast du Angst vor mir?“
Er trat langsam näher auf sie zu.
Alice gefror das Blut in den Adern und sie schrie noch mehr. Denn erst jetzt fiel ihr auf, dass der Junge vor ihr auf einmal gar nicht mehr wie Tony aussah. Nicht mehr so, wie der, der im Bett lag oder der, den sie kannte.
Sein Gesicht war plötzlich leicht verzerrt und völlig weiß. Die Augen waren in dunkle Höhlen eingefallen und seine Haut hing angespannt auf den Knochen. Er sah aus wie ein Totenschädel.
„ (k L)Geh weg, geh weg, du bist nicht Tony!“, schrie Alice verängstigt und versuchte, sich weiter von dem unheimlichen Jungen zu entfernen.
Doch ihre Arme gaben langsam(Komma) aber sicher nach, denn die Angst paralysierte jeden [red] Muskeln [/red] (Muskel) in ihrem Körper.
Bereits nach wenigen weiteren Meter klappten sie einfach unter Alice zusammen und sie fiel gegen die Wand hinter sich, an die sie sich verzweifelt presste.
„ (k L)Natürlich bin ich Tony“, sagte der Totenschädel mit einer dunklen Stimme, die das Mädchen nicht wieder(getrennt)erkannte. „ (k L)Sieh mich doch an. Ich bin Tony. (k L)“
„ (k L)Nein, nein, nein! Das bist du nicht!“, brachte Alice schlotternd heraus.(Leerfeld)„ (k L)Was hast du mit ihm gemacht?“
„ (k L)Gar nichts.“
„ (k L)Du lügst!“
„ (k L)Ich lüge nicht!“, rief der Totenschädel gereizt und sah sie wütend an.
Alice hielt das alles nicht mehr aus und ihre Stimme versagte. Sie brach in ein kümmerliches Schluchzen aus und bittere Tränen liefen ihr über die Wangen.
Der Totenschädel kam näher und Alice wäre wohl in Ohnmacht gefallen, würden aus der Halle draußen nicht plötzlich hastig Schritte näher kommen. Der Totenschädel sah auf und auch das Mädchen wand sich zur Tür um.
Heftiges Stimmengewirr drang an ihr Ohr und unter den Tränen, die ihre Augen verschleierten, sah Alice, wie die Tür plötzlich aufflog und gegen die Wand krachte.
Schwester Margaret und einige andere Nonnen, die noch ihre [blue] Morgenmäntel [/blue] (das glaub ich nicht. Eine Nonne trägt stets ihr Ornat!) trugen, traten in den Raum und rannten eilig zu ihr.
Noch nie war Alice so glücklich gewesen, die Schwestern zu sehen. Sie setzte sich auf und innerlich klang ihre Furcht ab, als Schwester Margaret sich vor ihr niederkniete.
Alice war froh, dass die Schwester da war, etwas, was (sie) nie im Leben für möglich gehalten hatte – und auch nie wieder für möglich halten würde.
Denn kaum waren ihre Tränen versiegt und sie wollte ihrer Erleichterung durch ein Lächeln Ausdruck verleihen, da holte Schwester Margaret mit wutverzerrtem Gesicht aus und verpasste dem Mädchen eine Ohrfeige, die so fest ausfiel, das es hart auf [red] den [/red] (dem) Boden aufschlug.
Blut sammelte sich in Alice Mund und sie starrte völlig perplex auf die Nonne, die ein Kreuz aus dem Morgenmantel zog und es über [red] den [/red] (dem) Körper des Kindes schwenkte. Dabei bekreuzigte sie sich ohne Unterlass.
Alice wollte sich erheben und fragen, was das sollte, doch kaum hatte sie sich auch nur aufgestützt, fing sie eine weitere Ohrfeige, die sie am Boden hielt.
Das wiederholte sich drei Mal, dann blieb Alice stumm und in Tränen auf gelöst liegen, bis die Nonne das Kreuz beiseite nahm und den anderen Schwestern verkündete, sie hätte „ (k L)den Dämon gebändigt“.
Die anderen nickten beruhigt und fragten die Schwester, was wohl mit dem Kind geschehen sei. Schwester Margaret antwortete, ein Dämon hätte sich in sie gefressen, als sie den toten Tony gesehen hatte.
Alice öffnete den Mund, um die Situation aufzuklären, doch ihre Lippen waren so geschwollen, dass sie wohl kein anständiges Wort herausgebracht hätte. Außerdem schien ihr, als würden die Schwestern den Totenschädel, der sich als Tony ausgab, gar nicht wahrnehmen.
Er ging an ihnen vorbei, ohne bemerkt zu werden und verschwand durch die Tür aus dem Raum.
Im Vorbeigehen warf er Alice noch einen mitleidigen Blick zu.
Das Mädchen musste prompt noch mehr weinen, woraufhin es von Schwester Margaret mit einer weiteren Ohrfeige zum Schweigen gebracht wurde.
Diese wies die anderen Schwestern sofort an, schleunigst den Pastor zu holen, um den Dämon endgültig auszutreiben, und einen Leichenbestatter für den toten Jungen.
Diese kamen auch alsbald. Alice wusste nicht, wie lange sie gebraucht hatten, doch als man sie vom Boden hievte, war ihr, als läge sie gerade einmal zwei, vielleicht drei Minuten dort.
In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken und rasten ungeordnet hin und her. Was war hier los? Warum hatte niemand gesehen, was sie gesehen hatte? War wirklich ein Dämon in sie gefahren oder war sie einfach nur verrückt?
Das Mädchen wusste es nicht, nur die Nonnen schienen zu denken, mit ihrer Erklärung richtig zu liegen.
Sie setzten Alice auf einen Stuhl und hielten sie unsanft fest, während sich der Pastor ihr gegenüber setzte. Schwester Margaret erklärte diesem kurz die Situation, mit einigen Ausschmückungen, wie Alice bemerkte.
Der Pastor nickte [blue] beträchtlich [/blue] (bedächtig) und [blue] wand [/blue] (wendete) sich dann dem Mädchen zu.
„ (k L)Dämon, was hast du nur mit dieser armen Seele angestellt?“, fragte er irgendeine imaginäre Gestalt, die er in Alice sah.
Das Mädchen warf [red] ihn [/red] (ihm) ungläubige Blicke zu und starrte dann auf Schwester Margaret, die neben dem Stuhl des Pastors stand und eisern ihr Kreuz in den Händen hielt.
„ (k L)Welcher Dämon?“, fragte Alice zurück, was ihr mit den geschwollenen Lippen sehr schwer fiel. „ (k L)Ich bin nicht besessen.“
„ (k L)Oh, lüge nicht du Kind des Teufels, wir haben deine Maskerade durchschaut. Du kannst dich vor uns nicht verstellen!“, beharrte der Geistliche.
Er holte ein Kreuz aus der Tasche, wie Schwester Margaret eines besaß, und drückte es Alice auf die Stirn.
Das Kind verstand nicht recht, was das sollte. Es passierte nichts, nur weil der Pastor ihr so ein Holzding aufdrückte.
Den Nonnen, die sie hielten, stockte jedoch sofort der Atem, als sie sahen, dass das Mädchen nicht reagierte.
„ (k L)Oh, Heiliger Vater!“, stotterte die eine. „ (k L)Der Dämon ist gegen Gottes Kreuz erhaben!“
„ (k L)Nein“, beschwichtigte der Pastor und nahm das Kreuz zurück. „ (k L)Er ist nicht über Gottes Zeichen erhaben. Er macht sich nur den Körper des Kindes als Schutz zunutze. Es muss ein sehr starker Dämon sein.“
„ (k L)Und wie ist dem beizukommen?“, erkundigte sich Schwester Margaret mit erstickter Stimme.
„ (k L)Wir müssen das Kind von allen und jedem abschotten, damit der Dämon sich nicht an Furcht oder Schrecken, die ihr so widerfahren könnten, labt.“
„ (k L)Oh, ich verstehe Vater... Wir wissen, was zu tun ist. Habt Dank.“
Damit schien die Sitzung beendet. Schwester Margaret unterhielt sich noch einen Moment mit dem Pastor, ehe sie und die andere Nonnen sich von dem Mann verabschiedeten.
Sie warfen ihm [red] tausend [/red] (Tausend) Dank hinterher, als er so schnell ging, wie er vorhin gekommen war.
Alice bekam davon nicht allzu viel mit. Sie konnte sich nur noch an einen Ruck erinnern und wie die zwei Nonnen sie dann unter den Anweisungen von Schwester Margaret in die Halle und die Treppen des Waisenhauses hinaufschleiften.
Alice bemerkte bald, welchen Weg sie gingen, sie war ihn ja selbst schon unzählige Male gegangen.
Sie stiegen immer höher, hinauf zum Dachboden. Dort öffnete Schwester Margaret die Tür und ließ die zwei Nonnen Alice in den staubigen Raum bringen.
Die zwei jungen Frauen traten hinein und warfen das Mädchen unsanft auf den Boden, ehe sie sich rasch wieder zurückzogen. Sie eilten an Schwester Margaret vorbei und Alice konnte hören, wie sie die Treppen hinab stürzten.
„ (k L)Mädchen, ich will, dass du dich mit all deinen Kräften gegen die Satansbrut in dir wehrst!“, sagte Schwester Margaret noch bestimmend, als sie die Tür hinter sich zu machte. „ (k L)Und wenn du sie los bist, werden wir dich sofort zum Pastor bringen, damit du beichten kannst, was du letztes Mal verschwiegen hast. Alles. Dann wird auch kein anderer Dämon mehr von dir Besitz ergreifen.“
Mit diesen Worten schlug sie die Tür hinter sich zu. Alice warf ihr einen Blick hinterher, dessen Inhalt sich schlecht beschreiben ließ.
Doch darin fand sich jener Trotz, der andeutete, dass das Mädchen nicht auf die Schwester hören würde. Sie streckte der Tür sogar noch erbost die Zunge entgegen, als Schwester Margaret von draußen abschloss und die Treppe hinunter ging.
Kaum waren ihre Schritte verklungen, da brach Alice auch schon wieder in Tränen aus.
Sie weinte noch schrecklicher als vorhin und so lange, bis ihre Augen erschöpft und völlig aufgequollen waren. Erst nachdem das Mädchen keine Tränen mehr übrig hatte, versuchte sie, sich aufzurappeln.
Ihre Arme schmerzten dabei unerträglich und in ihren Beinen fühlte sie tausend kleine Nadeln. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Alice sich endlich überwunden hatte und wieder aufrecht sitzen konnte.
Bedrückt stand sie auf und lief auf wackligen Beinen zum Fenster des Dachbodens. Es war noch vom letzten Mal geputzt und Alice konnte gut hindurch sehen. Völlig aufgelöst ließ sie sich auf der breiten Fensterbank nieder und tat, was sie immer nach solch einem Vorfall tat.
Sie zog sich eine der Kisten heran, in der unzählige Bücher lagen, und fischte sich eines heraus. Lesen war immer noch das Einzige, was sie wirklich beruhigen konnte.
Dann dachte Alice über das Buch nach und nicht mehr über all die Dinge, die sie quälten. Das Mädchen hoffte auch dieses Mal darauf, dass sie den Totenschädel und die Schwestern rasch wieder vergessen würde.
Sie legte sich das Buch, das sie aus der Kiste gezogen hatte, auf die Knie und betrachtete den Einband. Es war ein schönes Bild darauf[blue] abgebildet[/blue] (abgedruckt) . Ein Mädchen, das dieselben blonden Haare wie Alice besaß, und das gerade einem weißen Kaninchen mit einer Uhr hinterher rannte. In schönen Buchstaben stand darüber der Titel des Buches.
„ (k L)Alice im Wunderland“. Das hörte sich sehr viel versprechend an, besonders, weil Alices Name darin vorkam. Sie schlug die Seiten auf und begann hastig zu lesen.
Es war ein hübsches Märchen, so stellte sich bald heraus. Über diese besagte Alice, die durch einen Kaninchenbau ins Wunderland gelangte und dort allerhand seltsame und lustige Figuren antraf. Da war zum Beispiel eine Katze, die andauernd grinste und eine mürrische Königin, bei der Alice gewettet hätte, dass sie die Seelenverwandte von Schwester Margaret war.
Das Mädchen seufzte lang und ließ seinen Blick von den Buchseiten auf den Garten draußen unter dem Fenster wandern.
Dort stand eine alte Eiche, unter der sich ebenfalls ein Kaninchenbau befand. Doch Alice bezweifelte stark, dass sie in eine andere Welt gelangen würde, [blue] kroch [/blue] (kröche) sie hinein. Dort lebten schon lange keine Kaninchen mehr und weiße erst recht nicht.
Außerdem wäre Alice schon damit geholfen, einfach nur aus dem Waisenhaus zu kommen. Die Welt außerhalb des Eisenzauns, das war für sie ein Wunderland, und jeder, dem sie begegnen würde, wäre ein weißes Kaninchen. Aber das würde wohl ein ewiger Traum bleiben.
Alice würde nur zu den Sonntagsmessen den bekannten Weg zur Kirche gehen, mehr nicht. Immer würde sie im Waisenhaus bleiben und immer würden ihr seltsame Dinge widerfahren.
Die Nonnen und Schwester Margaret würden sie bestrafen und sie würde ewig auf dem Dachboden sitzen. Nie würde sie [red] jemanden [/red] (jemandem) von draußen begegnen und nie würde sie einen Freund finden. Die anderen Kinder hatten Angst vor ihr.
Und [red] das [/red] (dass) eines von draußen kam(Komma) war wohl noch unwahrscheinlicher, als dass jemand Alice adoptieren würde.
Oder etwa nicht?
Als Alice immer noch gedankenversunken auf die Eiche draußen blickte, sah sie plötzlich, wie eine Gestalt hinter dem alten Stamm hervor trat. Das Mädchen starrte ungläubig aus dem Fenster und rieb sich verwundert die Augen.
Doch sie hatte sich nicht geirrt. Da unten stand wie aus dem Nichts erschienen ein Junge im Garten, der, seiner Größe nach zu urteilen, kaum älter sein konnte als sie selbst.
Alice konnte sich darauf im ersten Moment keinen Reim machen. Wie war das Kind dorthin gelangt? Die Eisentore waren doch fest verschlossen, keiner konnte hindurch.
Wie sollte er unbemerkt an den Nonnen...
Dem Mädchen kam ein schrecklicher Gedanke. War es vielleicht der Totenschädel, der sich als Tony ausgegeben hatte? Sie starrte vorsichtig ein weiteres Mal hinunter, stellte aber beruhigt fest, dass dieser Junge schulterlange, schwarze Haare besaß und keine roten.
Außerdem trug er ganz andere Sachen.
Eine tiefschwarze Hose und ein weißes Hemd, das für diese Jahreszeit definitiv nicht geeignet war. Aber Handschuhe. Ebenfalls schwarz wie die Hose.
Wer das wohl war? Alice konnte sich nicht entsinnen, einen solchen Jungen jemals zuvor gesehen zu haben. Vielleicht war er neu in der Gegend. Gut möglich, das würde jedoch immer noch nicht erklären, wie er in den Garten gekommen war.
Alice überlegte einen Augenblick, ob sie ihn vielleicht nicht darauf ansprechen sollte. Eigentlich sollte man ja nicht mit Fremden reden. Doch... was sollte schon groß passieren? Er war ein Kind und elf Meter von ihr entfernt.
Nach einigem Zögern griff Alice schließlich nach dem alten Bolzen, der das Fenster verschlossen hielt.
Er war schon sehr alt und klemmte leicht. Sie musste sich etwas mühen, ehe sie ihn herausgezogen hatte.
Das Mädchen ließ ihn neben sich zu Boden fallen und öffnete das Fenster. Die Scharniere quietschen dabei furchtbar.
Sie mussten seit Jahren nicht mehr [blue] richtig [/blue] (überflüssig) geölt worden sein.
Alice setzte sich gerade auf die Fensterbank und lehnte sich so weit hinaus, wie es ihr möglich war. Sofort legte sich eine angenehme Kühle auf ihre Wangen. Man merkte, dass der Winter langsam einher zog. Es fröstelte sie abrupt, als sie nochmals auf den Jungen im Garten starrte. Sein Hemd sah wirklich ziemlich dünn aus, warum fror er darin nicht?
„ (k L)Hey, du!“, rief sie in den Hof hinab, so laut, wie es ihre geschwollenen Lippen erlaubten. Der Junge sah sich erschrocken um.
Anscheinend wusste er nicht, woher ihre Stimme kam.
„ (k L)Hier oben!“,(besser Punkt) sie schwenkte [blue] mit dem [/blue] (den) Arm und der Junge hob verdutzt den Kopf. Erst jetzt, als er Alice musterte, bemerkte diese, dass er richtig goldene Augen hatte. Sie sahen aus, wie die von Schwester Margarets Katze, nur viel schöner.
„ (k L)Wer bist du?“, fragte Alice fasziniert.
Die Augen des Jungen weiteten sich daraufhin überrascht und er stierte sie stumm an. Auf eine Antwort wartete das Mädchen vergebens.
„ (k L)Keine Sorge.(kein Punkt)“, beschwichtigte ihn Alice „ Ich [red] verpetzte [/red] (verpetze) dich nicht bei den Nonnen! Ehrlich!“
Doch das schien den Jungen nicht im [red] Mindesten [/red] (mindesten) zu beruhigen.
Er trat einige Schritte zurück und presste sich gegen den Stamm der alten Eiche. Sein Blick haftete dabei unverwandt auf Alice.
Diese sah ebenso verwirrt zurück und fragte sich, was dieses komische Verhalten zu bedeuten hatte.
Sie starrte den Jungen an, in der Hoffnung, er würde sich irgendwie erklären. Er sagte aber nichts, sondern trat nach kurzem Zögern etwas nach vorn, unter das[red] Dachbodenfensters[/red] (Dachbodenfenster).
Er legte den Kopf schief auf die Schulter und sah zu, wie Alices Blick ihm folgte. Dann schien ihm plötzlich irgendein Licht aufzugehen. Der Ausdruck in seinen Augen schlug um. Alice fand, dass die [blue] Iren [/blue] (ist das wirklich die Mehrzahl von Iris? Mann, dann habe ich ja Ausländer im Kopf!) des Jungen jetzt mehr erleichtert, als erschrocken dreinblickten.
Wie dem auch sei, er ging vor dem Haus in die Hocke, als wolle er zum Sprung[red] ansetzten [/red] (ansetzen) – und machte dann etwas, [red] dass [/red] (das) Alice noch nie zuvor bei einem Jungen gesehen hatte. Oder bei irgendjemand anderem.
Er sprang, wie man hatte vermuten können, in die Höhe. Doch nicht so, wie ein normales Kind. Alice hätte darum gewettet, dass er so nicht mehr als einen Meter in die Luft kam.
Aber [red] dieses [/red] (dieser) Junge belehrte sie eines Besseren. Er schaffte locker fünf!
Auf den Baldachin des Eingangs und dann gleich noch einmal sechs Meter hinauf zu ihrem Fenster. Galant und als wäre er nicht schwerer als eine Feder, landete der Junge schließlich direkt vor Alices Nase auf dem Fensterbrett.
Diese starrte ihn völlig entgeistert an.
Ein Aufschrei kam nur nicht zu Stande, weil Alice viel zu verblüfft war, als [red] das [/red] (dass) sie daran dachte. Sie sah auf den Jungen und kniff dann die Augen zu.
Ein Traum. Sie träumte nur. Ein Junge konnte nie und nimmer so hoch springen!
Sie musste beim Lesen eingeschlafen sein, ganz einfach.
Das Mädchen zwickte sich in die Wange, um wieder wach zu werden. Es tat auch tatsächlich weh und Alice war [blue] sich [/blue] (überflüssig) sicher, wieder das verschlossene Fenster vor sich zu sehen, wenn sie die Lider aufschlug. Dem war allerdings nicht so.
Das Fenster stand offen und mitten im Rahmen hockte nach wie vor der Junge mit dem dünnen Hemd und den rabenschwarzen Haaren.
Erst jetzt ließ es sich nicht mehr vermeiden, dass das Mädchen in wildes Gekreische ausbrach. Nur war der Junge auf dem Fensterbrett schneller, als Alices Mund.
Noch ehe sie diesen aufmachen konnte, legte er ihr die Hand auf die Lippen und bedeutete ihr mit einer Geste, dass sie still sein sollte.
Aus lauter Angst heraus nickte Alice zustimmend. Der Junge nahm die Hand wieder beiseite und das Mädchen presste den Mund zusammen, um ihre Stimme dort zu behalten, wo der Knabe es angewiesen hatte.
Sie schluckte ihren Schrei also stumm [blue] herunter [/blue] (hinunter) und begrüßte ihn stattdessen knapp.
„ (k L)Hallo.“
Ihre Stimme war plötzlich so piepsig und schwach, dass wohl kein normaler Mensch ihr „ (k L)Hallo“ als dieses erkannt hätte.
Doch der Junge schien sie problemlos verstanden zu haben.
„ (k L)Guten Tag“, entgegnete er.
Seine Stimme hatte einen komischen Klang; [red] ehr [/red] (eher) wie die eines jungen Mannes und nicht wie die eines Kindes.
Er warf Alice ein warmes Lächeln zu – das diese zugegebener Maßen etwas beruhigte – und ließ sich dann vom Fensterbrett auf den Speicherboden fallen.
Das Mädchen rückte beiseite, um ihm Platz zu machen. Der Junge wollte sich aber anscheinend nicht[red] setzten[/red] (setzen). Er begann, wie eine Katze um sie herum zu schleichen und sie von allen Seiten zu mustern.
Erst als er Alice einmal umrundet hatte, ließ er sich vor ihr auf dem Boden nieder und beugte sich leicht nach vorn.
Sein Gesicht war kaum mehr zehn Zentimeter von dem ihren entfernt. Seine Pupillen verengten sich wie bei einem Reptil zu Schlitzen und ließen die goldenen Augen auf einmal gar nicht mehr so schön aussehen.
Alice wich ängstlich ein Stück zurück.
„ (k L)Wer... wer bist du?“, fragte sie stotternd. Der Junge antwortete nicht und tat, als habe er diese Frage gar nicht erst gehört.
„ (k L)Du scheinst ein ganz normales Mädchen zu sein“, meinte er stattdessen und schenkte dem verdutzten Ausdruck auf Alices Gesicht dabei keine Beachtung.
Diese verstand nicht recht, was der Junge damit meinte. Ein ganz normales Mädchen... Sollte das vielleicht heißen, dass sie nicht so hoch springen konnte wie er?
Doch sie sollte es noch früh genug erfahren. Der Junge hob seine Hand und tippte mit einem seiner Finger gegen Alices Stirn, als wolle er prüfen, ob sein Gegenüber auch wirklich echt war.
Alice hätte sich am liebsten in die dunkelste Ecke des Raumes verkrochen, als das kalte Leder seiner Handschuhe ihre Haut berührte.
Doch sie war wie versteinert und konnte sich nicht rühren.
„ (k L)Und wie mir scheint, bist du auch noch lebendig“, fuhr der Junge erstaunt fort, nachdem er noch einmal gegen ihre Stirn getippt hatte.
Dem Mädchen jagten diese Worte einen Schauer über den Rücken. Sie war noch lebendig? Natürlich war sie das! Alice konnte sich nicht erinnern, gestorben zu sein!
„ (k L)J-ja. Ich l-lebe noch“, sagte Alice kleinlaut. „ (k L)Das ist doch wohl n-normal, nicht?“
„ (k L)Oh ja, schon“, erwiderte der Junge. „ (k L)Die meisten Geister merken nicht einmal, dass sie schon tot sind. Manche glauben dann so hartnäckig, noch lebendig zu sein, dass selbst ich keinen Unterschied mehr zwischen ihnen und richtigen Menschen ausmachen kann. Ziemlich dumm. Aber bei dir bin ich mir ja sicher, dass du tot sein musst.“
„ (k L)A-aber ich lebe d-doch wirklich!“, beharrte Alice, die keinen Sinn in diesen Worten fand. (ich auch nicht, er hatte doch beim ersten Mal auf die Stirn tippen gemerkt, dass Alice lebt)
„ (k L)Ja, wenn du meinst“, sagte der Junge gelassen. „ (k L)Aber hör zu. Wenn man tot ist, ist man tot, [red] dass [/red] (das) ist nicht[red] schlimmes[/red] (Schlimmes) , glaub mir...“
„ (k L)Aber ich bin nicht tot!“, unterbrach ihn Alice schockiert, die langsam glaubte, der Junge sei nicht mehr ganz bei Sinnen.
„ (k L)Na gut, wenn du mir nicht glauben willst... Dann sehen wir einfach nach.“
Er hielt die Rechte in die Luft und schnippte mit den Fingern. Es ertönte ein leises „ (k L)Plop“ – das jedoch ausreichte, um Alice ein Stück zurückweichen zu lassen – und die Finger des Jungen waren plötzlich nicht mehr leer.
Eine feine Rolle vergilbtes Pergament befand sich darin. Alice fragte sich, woher es so plötzlich gekommen war, doch wagte nicht, dies auch an den Jungen zu richten.
[blue] Dieser[/blue] (Er) würde ihr auch sicher keine verständliche Antwort geben.
Das Mädchen beobachtete also stumm, wie der Junge die Rolle öffnete und sie hastig überflog. So, wie seine Finger dabei über die Zeilen rutschten, glaubte Alice, es handle sich um eine Liste. Als von draußen etwas Licht darauf[red] viel[/red] (fiel) , schimmerten einige Wörter hindurch.
Alice kniff die Augen zusammen, um sie lesen zu können.
Enttäuscht und verwirrt stellte sie dabei aber fest, dass die Schrift darauf für sie nicht zu entziffern war.
Die Worte bestanden nicht aus Buchstaben, sondern aus unzähligen schwungvollen Bögen, Strichen und Punkten. Nur der Junge schien darin irgendeinen Sinn zu finden.
„ (k L)Wie heißt du?“, fragte er (und) fuhr mit dem Finger ein zweites Mal über die Liste.
„ (k L)Alice...“, brachte das Mädchen mit zittriger Stimme heraus.
„ (k L)Alice... Und weiter?“
„ (k L)Nichts... Alice. Einfach nur Alice“, entgegnete sie etwas beschämt. Denn anders als [red] die [/red] (den) meisten andern Kinder im Waisenhaus hatte man Alice keinen Nachnamen hinterlassen.
Auch die Nonnen schienen es nicht für nötig gehalten zu haben, ihr einen zu geben, und so hieß sie eben nur Alice.
„ (k L)Okay, einfach nur Alice“, sagte der Junge. „ (k L)Dann wollen wir dich mal suchen...“
Er ging ein paar Mal die Liste durch. Dann blickte er auf und hob zweifelnd die Braue.
„ (k L)Was?“, fragte Alice beunruhigt.
„ (k L)Komisch... du stehst nicht auf der Liste...“
„ (k L)Und... ist das s-schlimm?“
„ (k L)Ich weiß nicht“, er zuckte gleichgültig [blue] mit den [/blue] (die) Achseln. Dann schnippte er abermals mit den Fingern und das Pergament dazwischen verschwand wieder.
„ (k L)Für dich ist es sicherlich nicht schlimm. Es heißt nämlich, dass du nicht tot bist.“
„ (k L)A-aber? ...“
„ (k L)Für mich ist es schlecht“, entgegnete der Junge. „ (k L)Denn wenn du kein Geist bist... Dürftest du mich eigentlich nie gesehen haben.“
„ (k L)Ich dürfte dich nie gesehen haben?“, wiederholte Alice, in der Hoffnung, zu begreifen, was das zu bedeuten hatte. Doch sie gab es im selben Moment wieder auf. Die Worte des Jungen entzogen sich jeder Logik.
„ (k L)Ich v-verstehe das nicht“, warf sie auch sogleich ein. „ (k L)Was soll das heißen, ich dürfte dich nie gesehen haben? Und was ist mit den Geistern? Wie bist du hierher gekommen? Und wer in Herrgottsnamen bist du eigentlich?!“
Die letzten Fragen purzelten unbeabsichtigt hinterher und hätte Alice sich nicht zusammen gerissen, wären wohl noch einige gefolgt.
Doch sie biss rasch die Zähne zusammen und brachte ihre Stimme unter Kontrolle.
„ (k L)Das sind ganz schön viele Fragen“, bemerkte der Junge, als sie geendet hatte, und fuhr sich durch die Haare. „ (k L)Aber du hast recht... Ich sollte mich vorstellen! Das habe ich ja völlig vergessen!“
Er stand auf, zupfte seine Kleidung [red] zu Recht [/red] (zurecht) und rieb sich den Staub des Bodens von der Hose. Dann schloss er den Kragen seines Hemdes, schlug die Hacken zusammen – und vollführte vor Alice eine so galante Verbeugung, wie diese sie nur von den Abbildungen aus Märchenbüchern her kannte.
„ (k L)Gestatten“, setzte der Junge dann in höflichem Ton an und nahm ihre Hand, um ihr einen Kuss aufzudrücken.
Auch wie sie es aus dem Märchen kannte, wenn der hübsche Prinz um die Hand der Prinzessin anhielt.
„ (k L)Mein Name ist Cain“, fuhr der Junge fort. „ (k L)Ich bin der Seelenverwalter von Hades, dem Herrn der Unterwelt und der Toten.“
Er ließ Alice Hand wieder los und setzte sich auf denselben Fleck am Boden, wo er eben schon gesessen hatte. Das Mädchen sah ihn mit großen, ungläubigen Augen an. Seelenverwalter? Hades? Unterwelt? Alice hatte diese Wörter noch nie zuvor gehört und als sich der Junge – dieser Cain – vorgestellt hatte, hatte er sie damit nur noch mehr verwirrt.
Er schien ihre Gedanken lesen zu können und begann mit einer Erklärung, noch ehe sie den Mund aufmachen und danach fragen konnte.
„ (k L)Natürlich wird dir das alles nicht viel sagen.(kein Punkt)“, warf er rasch ein „ (k L)Ich erklär’s dir. Hades wird dir doch wohl ein Name sein, oder?“
Alice antwortete mit einem eindeutigen Kopfschütteln.
„ (k L)Nein?... Das kann nicht sein! Du kennst Hades nicht?“, rief der Junge so entsetzt, dass Alice sich fühlte, als lebte sie hinterm Mond. „ (k L)Ich meine den Hades! Aus der griechischen Mythologie! Er ist, wie gesagt, der Herr über die Unterwelt und die Toten. Das merkst du dir, ja? ... Und um gleich zum nächsten zu kommen: Ein Seelenverwalter... das bin ich. Ich begleite die Geister der Verstorbenen in die Unterwelt. Verstanden?“
Alice nickte schwach. Doch Glauben schenken konnte sie den goldenen Augen des Jungen nicht. Das Mädchen warf nur leere Blicke hinein, während sie sich im [red] Stillen [/red] (stillen, wird nur dann groß geschrieben, wenn ein Baby die Brust kriegt) Gedanken über das machte, was er ihr gerade so knapp berichtet hatte.
Nichts davon,(kein Komma) passte in das, was man Alice bis jetzt erzählt hatte. Sie hatte nie geglaubt wie die Nonnen, doch kannte sie neben deren Version von der Weltordnung keine andere.
Ihr schien es suspekt, dass es andere Götter geben sollte – oder diesem Jungen nach sogar gab. Und dann die Unterwelt und Geister!
Das hörte sich alles an wie eine Geschichte aus einem ihrer Bücher.
[red] Anderseits[/red] (Andererseits) war auch die Bibel ein Buch und Alice fand, dass das, was darin stand, nicht minder seltsam klang wie das, was der Junge gerade erzählt hatte. Und an das, was in der Bibel stand, glaubten schließlich viele Menschen, hielten es für wahr.
Warum sollte also Cains Erzählung nicht genau so wahr sein? Er war zumindest vor ihren Augen über elf Meter in die Höhe gesprungen und hatte ein Stück Papier erscheinen und wieder verschwinden lassen.
Wie Gott ein Wunder vollbracht hatte oder wie Jesus auferstanden war, das hatte Alice bis jetzt noch nicht gesehen.
Nach einigem Ringen entschied sie sich schließlich, es einfach hinzunehmen, auch wenn sie es nicht wirklich glauben konnte.
Es blieb nur noch eine Sache, die sie nicht so recht verstand.
Warum war dieser seltsame Junge eigentlich hier? Er sagte, er begleite die Toten... oder so etwas. Aber hier gab es doch keine Toten! ... Nun... Bis auf Tony, hatte der Totenschädel vorhin die Wahrheit gesagt...
„ (k L)Bist du wegen Tony hier?“, fragte Alice zögerlich.
„ (k L)Tony?“
„ (k L)Ja“, sie nickte. „ (k L)Er ist... er war sehr krank. Ich bin jeden Morgen ins Krankenzimmer, um nach ihm zu sehen, weißt du? Es ging ihm wirklich schlecht... Und als ich heute da war... Da habe ich plötzlich zwei Tonys gesehen! Einen, der in seinem Bett lag und einen, der mit mir geredet hat! Und der meinte, dass Tony gestorben sei...“
„ (k L)Oh, dann bist du wohl dem begegnet, den ich suche!“, rief Cain erleichtert.
„ (k L)Also ist Tony wirklich...?“,(kein Komma) [red] Alice [/red] (Alices) Augen füllten sich abrupt mit Tränen..(Punkt zuviel) „ (k L)Aber dann hat dieser andere Tony ja recht gehabt...“
„ (k L)Ja, hat er. Warum auch nicht?“, fragte der Junge, als hielte er dies für den normalsten Umstand der Welt. „ (k L)Er war ja schließlich sein Geist.“
„ (k L)Sein G-geist?“,(kein Komma) Alice wurde bei diesen Worten kreidebleich. Ihre Tränen versiegten und sie starrte den Jungen entsetzt an. Hatte sie etwa... mit einem Toten geredet!?
„ (k L)Ja. Ich frage mich nur... Warum du ihn gesehen hast. Und mich“,(besser Punkt und groß weiter) der Junge legte nachdenklich den Kopf schief, so wie er es schon vorhin im Garten getan hatte.
„ (k L)Wie gesagt. Du bist nur ein ganz normales Mädchen. Du dürftest keine Geister sehen können... Aber interessant. Sehr interessant.“
Alice war ganze und gar nicht dieser Meinung. Interessant... Wer fand es schon interessant, Menschen zu sehen, die tot waren!
Ihr hatte es bis jetzt nur den Dachboden eingebracht!
Denn erst jetzt, nach Cains Erklärung, fand Alice den Grund, warum die Nonnen [blue] warum sie [/blue] (überflüssig)nie Schwester Clare, die Pastorsnichten und Tony gesehen hatten. Sie konnten es nicht! Für sie waren sie alle nur Luft gewesen.
Nur Alice hatte sie sehen können. Nur sie allein. Und deswegen hatten die Nonnen wohl geglaubt, sie sei besessen... oder verrückt. Und das glaubte Alice langsam auch.
Denn hier ging ja wohl absolut nichts mehr mit rechten Dingen zu!
„ (k L)Das kann doch alles nicht wahr sein...“, sagte das Mädchen nach einer [blue] beschämenden [/blue] (warum beschämend?) Pause. „ (k L)Geister... Wieso kann ich bitte schön Geister sehen?“
Die Frage war mehr an sie selbst gerichtet, als an den Jungen. Doch er sollte es ruhig hören. Vielleicht erhielt sie ja von ihm eine Antwort.
„ (k L)Keine Ahnung“, erwiderte Cain jedoch zu Alices großen Enttäuschung. „ (k L)Ich habe noch nie von einem Menschen gehört, der Geister sehen kann... Aber... Wenn du möchtest, kann ich mich bei Hades erkundigen.“
Alice sah ungläubig auf.
„ (k L)Für so was hast du die Zeit? Und dieser Hades auch? Ich meine, wenn er ein Gott ist... hat er dann nicht viel zu tun?“
„ (k L)Na ja, er ist Herr über die Unterwelt. Eigentlich haben wir da alle Zeit der Welt“, meinte er und verschränkte lässige die Arme hinter dem Kopf. „ (k L)Die Toten laufen [red] und [/red] (uns) schließlich nicht davon. Außerdem interessiert es mich auch.“
Eine ziemlich seltsame Begründung. Doch irgendwie hatte seltsam jetzt eine ganz neue Bedeutung für Alice und sie fragte den Jungen nicht weiter danach.
„ (k L)D-danke...“, meinte sie stattdessen kleinlaut.
„ (k L)Keine Ursache. Ist doch wunderbar, wenn mal etwas passiert! Na dann. Ich schaue bei nächster Gelegenheit wieder rein und informiere dich!“
„ (k L)Du d-du willst schon gehen?“, fragte das Mädchen überrascht, hatte es sich doch gerade an die Gesellschaft des Jungen gewöhnt.
„ (k L)Natürlich! Diesen Tony in die Unterwelt bringen. Außerdem wüsste ich nicht, was mich noch hält.“
„ (k L)Aber...“, stotterte Alice überrumpelt.
„ (k L)Keine Sorge, ich komme wieder! Ehrlich! Also: Mach’s gut!“
Mit einem kräftigen Satz war Cain auch wieder auf den Beinen und [red] verabschiedet [/red] (verabschiedete) sich knapp, indem er seinen Diener von vorhin wiederholte.
„ (k L)Warte!“
Alice fielen mit einem Mal noch so viele Fragen ein, die sie an diesen Cain stellen wollte, aber da war der Junge auch schon vor ihren Augen in den Fensterrahmen geklettert und hinaus gesprungen.
Das Mädchen wollte erschrocken aufschreien, bis ihr einfiel, dass diesem Cain bei so einem Manöver wahrscheinlich gar nichts passieren konnte. Wenn er aus der Unterwelt kam, war er ja sicherlich kein Mensch.
Trotzdem beugte sie sich besorgt aus dem Fenster.
Der Garten darunter war jedoch leer. Nirgends eine Spur von dem Jungen, wie sehr sie sich auch umsah. Er war verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.
Alice lehnte sich zurück und ließ sich [blue] ausdruckslos [/blue] (überflüssig) auf den Boden fallen. Das war ein Tag. Ihr wurde erst jetzt wirklich bewusst, was alles passiert war. Und das war eindeutig zu viel für sie.
Ihr Kopf konnte die Fakten gar nicht so schnell verarbeiten und begreifen, was ihr da widerfahren war.
Es dauerte eine ganze Weile, bis das Mädchen wieder zum Fenster ging und es verschloss. Auf dem Speicher war es ziemlich kühl geworden. Alice kauerte sich auf dem Fensterbrett zusammen und blickte gedankenverloren hinaus, in der [red] wagen [/red] (vagen) Hoffnung, der seltsame Junge würde recht bald zurückkommen.


PS: Noch eine[red] Erklräung[/red] :
Dass die Nonnen und der Pastor hier so schlecht dargestellt werden(Komma) soll kein Vorwurf gegenüber der Kirche oder sonst [red] wem [/red] (wen) werden! Es ist einfach nur Teil der Geschichte und hat keinen persönlichen Hintergrund.

Außerdem kann ich nicht garantieren, dass sich im Text keine [red] Rechtsschreibfehler [/red] (Rechtschreibfehler) eingeschlichen haben. Der Text wurde zwar durch ein Rechtschreibprogramm gezogen und ich habe ihn selbst mehr als ein Mal durchgelesen und korrigiert, aber ein paar Fehler schummeln sich dann ja doch einmal an der Kontrolle vorbei. Falls irgendetwas auffallen sollte, bitte sofort melden! Danke

Du musst dich nicht für die Verhältnisse im Kloster entschuldigen. Es besteht kaum Zweifel daran, dass es oft genau so zugegangen ist.
Auch das beste gegenwärtig verfügbare Rechtschreibprogramm kommt mit dem Dativ und anderen Fällen nicht klar, das muss man selber beherrschen. Auch bei Worten, die ebenso gut klein wie groß geschrieben einen Sinn haben, ist es machtlos. Ebenso gegen vertauschte Buchstaben. Wenden ist ein Wort und werden auch, setzt du statt des r ein n, erkennt das das Programm nicht als Fehler. Aber ist dennoch ne tolle Errungenschaft.
Deine Story gefällt mir und ich bin gespannt, wie sie weitergeht.
lg
 



 
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