Alltag

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Peter the President

Tenever- Stadtteil von Bremen - Brennpunktgebiet.


Peter war wütend. Zed hatte ihn verarscht, mächtig verarscht. Das war verdammt nochmal ein Riesenfehler! Dafür würde dieser Wichser büßen, so viel war mal sicher. Niemand verarschte Peter, zumindest nicht, ohne sich dafür verdammt nochmal eine scheiß Kugel einzufangen! Und das hätte Zed eigentlich wissen müssen. Und wenn nicht, tja, dann war das nun mal eben Pech für Zed.
Peter schaute auf den transparenten Plastikbeutel mit Druckverschluss, der voll mit weißem Zeug war. Angeblich soll es sich dabei um Koks handeln. Scheiße, das war höchstens stark verschnittenes Speed, aber ganz sicher kein Kokain. Und Scheiße hoch zwei: wäre er nur nicht so stinkbesoffen an dem Tag gewesen und sein Freund Johann in manchen Situationen nicht so ein unfähiger Dreckskerl, dann hätte er sich von Zed sicher nicht so einlullen lassen. Von wegen, das ist hammerharter kolumbianischer Superstoff und die helle Farbe täusche nur über den ach so hohen Reinheitsgrad hinweg - denn das Zeug soll angeblich so rein sein wie die Fotze der heiligen Jungfrau Maria. Wer\'s glaubte! Zed hatte ihn voll über den Tisch gezogen. Aber nun war es zu spät, um sich selbst Vorwürfe zu machen, jetzt musste er handeln! Er nahm einen Schluck Wodka - direkt aus der halbleeren Flasche - und wenig später spürte er schon, wie sich der Alkohol in wohligen Wogen in seinem Körper ausbreitete.

Peter schritt wie ein wütender Fähnrich das Wohnzimmer auf und ab und überlegte sich, wie er am besten an das Arschloch herankäme. Dann klingelte das Telefon und er hielt abrupt.
»Was gibt\'s?«, fauchte Peter in den Hörer - auf dem Display hatte er Johanns Nummer gesehen, und in seinem derzeitigen Zustand war er nicht gerade gut auf ihn zu sprechen - ja man könnte glatt sagen, dass er stinksauer war.
»Was geht denn mit dir ab?«, fragte ihn Johann und seine Stimme klang fast schon ein bisschen beleidigt. Johann, die alte Tenever-Superschwuchtel, dachte Peter, und musste unwillkürlich über seine Kreativität grinsen. Scheiße, er wusste schon immer, dass Wodka ihn geradezu beflügelte und aus ihm einen eloquenten Mistkerl machte. Nicht, dass er es nicht so oder schon war, nur steckte in dem Zeug etwas, das ihn geradezu zu einen wahren Poeten aufstiegen ließ - und war Edgar fucking Poe nicht auch ein Säufer, Herumtreiber und Drogensüchtiger gewesen? Verflucht nochmal ja!
»Stell keine dummen Fragen, sondern schwing deinen scheiß Russki-Arsch hier rüber. Ach, und besorg uns noch etwas Hardware!«
»Was ist passiert?«, wollte Johann wissen. Sein Ton klang wie immer kleinlaut.
»Was passiert ist? Das sag ich dir sicher nicht am Telefon! Und jetzt mach, dass du hier rüber kommst! Und vergiss ja nicht die Hardware! Es sollte etwas sein, womit wir richtig Eindruck hinterlassen, also ja nichts Kleines. Etwas mit richtig viel Wumms!«
Peter unterbrach das Telefongespräch ohne ein weiteres Wort und setzte sich auf die weinrote Couch, die mit unzähligen Brandlöchern übersät war. Überall an den vergilbten Wänden hingen Poster von nackten Frauen, die in verschiedenen Posen zeigten, was sie zu bieten hatten. Dazwischen fanden sich Poster von Der Pate, Scarface, Reservoir Dogs, sowie das Konterfei von Robert De Niro in Taxidriver und ein Poster von Ghost Dog mit Forest Whitaker in der Hauptrolle. Das war seine Hall of Fame. Irgendwann würde man sein Leben auch verfilmen oder ein Buch drüber schreiben. Er hatte verdammt nochmal das Potential zum Superstar! Dann würde sein Konterfei neben den anderen Stars an der Wand eines anderen aufstrebenden Gangsters hängen. Das war Peters größter Traum. Zwischen Stars wie Al Pacino, Robert De Niro, Forest Whitaker und Joe Pesci zu hängen. Aber sein absolutes Vorbild war noch immer Tony Montana. Das war sein Mentor.

Peter roch seinen eigenen Schweiß, die kalte Asche im Aschenbecher, die Reste von abgestandenem Bier. Den Wodka hatte er bereits vernichtet. Auf dem Couchtisch vor ihm quoll ein Marlboro-Aschenbecher über, eine Batterie leerer Bierflaschen stand wie ein Trupp Soldaten aufgereiht an einer Ecke des Tischs und überall lagen Krümel von dem weißen Zeug verstreut herum. Außerdem lagen dreißig Eingramm-Beutel Gras fein säuberlich auf der Glasplatte gestapelt. Er würde sich weder einen Joint noch etwas vom scheiß Puder gönnen. Er wollte klar bei Verstand sein. Durch das verschnittene Speed würde er nur Fehler begehen, denn es machte ihn immer so hibbelig, und er würde eine ruhige Hand brauchen, wenn er Zed gegenüber stand. Zed würde heute sterben, das war so klar wie das Amen in der Kirche. Peter konnte nicht zulassen, dass irgend so ein dahergelaufener Dealer den Ruf des Präsidenten mit Füßen trat. Wahrscheinlich wurde schon in ganz Osterholz-Tenever über ihn hergezogen. Nein, er musste seinen Ruf als der Präsident wieder herstellen. Und das schaffte er nur, indem er es Zed ordentlich mit einer Schrotflinte oder einer Kalaschnikow besorgte, um ihn anschließend als Warnmal inmitten des Einkaufzentrums von Blockdiek an den gottverdammten Baum zuhängen.

Er würde Zed ein Schild um den Hals hängen, auf dem stand: Don\'t fuck with the President! Das war ein guter Plan. Das würde ihn mit absoluter Sicherheit wieder auf den Thron zurück bringen. Und dort gehörte er verdammt nochmal hin! Er würde Zed anrufen und sich mit ihm treffen, mit der Begründung, noch mehr von diesem guten Stoff kaufen zu wollen. Das würde sicher ziehen, denn Zed war ein geldgieriges Arschloch, das sich dazu auch noch für verdammt clever hielt - doch niemand war so clever wie der Präsident.
Und das würde er ihn allen zeigen! Verdammt nochmal ja!
Es klingelte an der Haustür, und Peter zuckte unwillkürlich zusammen. Die Bullen? Doch dann erinnerte er sich wieder daran, dass ja Johann vorbeikommen wollte und er stand auf und ging den Flur runter zur Gegensprechanlage, zögerte für einen Moment, dann nahm er den weißen Hörer ab.
»Ich bin\'s.«, sagte Johann, es krachte und knackte in Leitung, Peter drückte den Summer. Johann hatte nicht lange gebraucht, um die Hardware zu besorgen. So dumm Johann in Peters Augen manchmal auch sein mochte, wenn es um Hardware ging, war er schnell bei der Sache.

Er trug eine blaue Sporttasche um die rechte Schulter gehängt und aus seinem rechten Mundwinkel ragte das letzte Drittel einer filterlosen Camel. Johann war ein hochgewachsener, schlaksig wirkender Zwanzigjähriger mit Aknenarben und fettigem Teenager-Teint. Am Kinn hatte er hellbraunen Flaum, der wohl mal ein Ziegenbart werden wollte, sobald er groß genug war. Er trug eine schwarze Bomberjacke, Bluejeans und schwarze Arbeiterstiefel. Peter selbst war Ende zwanzig, hatte kurz geschorenes blondes Haar, markante Gesichtszüge und war immer glattrasiert. Er war viel muskulöser als Johann. Peter trug ein weißes Joop-Unterhemd, eine dunkelblaue Jogginghose mit roten Streifen an den Seiten und um seinen breiten Hals hing an einer Goldkette ein schlichtes goldenes Kreuz. An den Füßen trug nur Badeschlappen von Adidas. Er schaute sich auf den ansonsten leeren Hausflur nach vermeintlichen Cops um, und als er keine entdecken konnte, bugsierte er Johann hastig in die Wohnung, in der es nach kalter Asche, Bier, Schimmel und Gras roch.
»Hast du alles?«, Peter hatte inzwischen auch eine Kippe im Mund. Er zog immer wieder gierig dran.
»Ja, Mann.« Johann öffnete die Sporttasche. Glänzendes Metall und so groß wie ein sieben Pfund Säugling - die Pumpgun ließ Peters Augen auf Untertassengröße anwachsen. »Scheiße. Ist das\'n geiles Teil!«, Peter lachte entzückt auf und klatschte in bester Schulmädchenmanier in die Hände.
»Jupp.«, antwortete Johann knapp und pflanzte sich, mit einem selbstgefälligen Lächeln auf den Lippen, in den weinroten Sessel. Noch etwas mehr davon und Johann könnte glatt an einen König erinnern, so wie er dort in dem Sessel saß. Es fehlte nur noch die Burger King-Pappkrone und Johann wäre der König auf jeder Kindergeburtstagsfeier.
Peters Lachen verebbte und seine Kiefermuskeln spannten sich an. In letzter Zeit war ihm Johanns ständige Anwesenheit lästig. Scheiße, sie hingen inzwischen seit über zehn Jahren zusammen ab, sie waren zusammen aus Russland nach Deutschland gekommen, um den Laden hier ordentlich aufzumischen. Und nun? In letzter Zeit vertraute er Johann nicht mehr so hundertprozentig über den Weg. Außerdem missfiel ihm Johanns Selbstgefälligkeit. Aber warum nur? Er konnte es sich selbst nicht so genau erklären, aber das musste auch erst einmal in den Hintergrund gestellt werden, in erster Linie galt es, den Ruf wieder herzustellen. Dann würde er Johann in die Schranken zurückweisen. Bevor er noch ganz vergaß, wer hier das Sagen hatte.
»Und?«
»Was und?«, blaffte Peter Johann an und seine Augen wurden hart wie Diamanten.
»Wofür brauchst du die Knarre?«, quiekte Johann eingeschüchtert. Peter deutete mit finsterer Miene auf das angebliche Koks. »Siehst du das?«
»Ja, und was ist damit?«
»Das dort in den Beutel ist nicht das, was dein Freund Zed uns versprochen hat!«
»Scheiße, was soll es denn sonst sein? Ist scheiß Koks, oder nicht?«
»Das dort ist kein Koks, das ist scheiß Speed. Und du weißt, was das bedeutet, nech?«
Johann wurde unsicher, er sank ein Stück tiefer in den Sessel ein. »Ich weiß nicht. Was willst du damit sagen?«
»Was ich damit sagen will? Dass dein Freund Zed uns verarscht hat! Das will ich damit sagen!«
»Das kann unmöglich sein. Das würde Zed niemals tun!«
»Willst du sagen, ich laber Scheiße?«
»Nein, Mann! Ich mein nur...«
»Weißt du, ich scheiß auf das, was du meinst! Der hat uns gefickt und dafür werden wir ihn so richtig ficken!» Den letzten Teil des Satzes betonte er so stark, dass winzige Speicheltröpfchen auf den Glastisch herabregneten. Peters Gesicht war rot angelaufen und an seinem Hals traten die Sehnen wie Kabelstränge hervor.
Johann rutschte unruhig im Sessel hin und her. Ihm schien die Situation überhaupt nicht zu behagen. Um Peters Mundwinkeln hatte sich Geifer gebildet.
»Verdammt, Peter, du wirst schon recht haben.«, Peter sah, dass Johann förmlich in sich zusammen sackte und seine Selbstgefälligkeit wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzte.
»Der kleine Bastard hat meinen Ruf ruiniert und dafür muss dieser Hurensohn jetzt richtig leiden. Deswegen brauchen wir die Knarre!«
»Okay.«, sagte Johann, inzwischen so leise, dass es nur noch ein Flüstern war. Er zündete sich hastig eine weitere Camel an. Er brauchte drei Anläufe, weil seine Hände so stark zitterten. »Und jetzt werde ich diese dumme Missgeburt anrufen.« Peter drückte seine Zigarette aus, griff zum Telefon und wählte Zeds Nummer.
Nachdem sich Zeds Stimme meldete, musste Peter erst mal seinen Zorn runter schlucken, doch dann lobte er den guten Stoff in den höchsten Tönen, betonte, dass man ihm das Zeug quasi aus den Händen riss wie die sprichwörtlichen heißen Semmeln. Peter drängte ihn, ihm unbedingt noch mehr von dem Zeug zu verkaufen. Und bestand darauf, dass sie sich noch heute treffen müssten.
Zed zögerte, und für einen Moment herrschte Stille in der Leitung. Als Zed wieder etwas sagte, behauptete er, keine Zeit zu haben, erzählte irgendwas wegen seiner Schwester, die ihn heute besuchen kommen würde und bla bla bla. Zed schlug Sonntagabend vor. Das wäre in vier Tagen. Peter beharrte jedoch darauf, dass sie sich unbedingt noch heute treffen müssten.
Doch Zed blieb standhaft. Peter dauerte das eigentlich viel zu lange, denn er war jetzt stinksauer, und er hatte Angst, dass die Wut in der Zeit des Wartens abklingen würde und er dann nicht mehr den Mumm aufbringen würde, um Zed eins überzubraten. Aber er willigte widerstrebend ein, zwang sich, ruhig zu bleiben. Und so verabredeten sie sich für den Sonntagabend im Blockdieker Einkaufszentrum. Peter fragte ihn noch, warum es ausgerechnet im Einkaufszentrum sein musste, weil sie sich doch auch bei Zed zu Hause treffen könnten, aber Zed antwortete nur irgendwas davon, dass das ja für sie beide in der Nähe sei und deshalb ja ganz gut wäre. Peter war es im Grunde genommen egal, wo sie sich treffen würden, Hauptsache, ihm würde Genugtuung widerfahren. Und das würde es, sobald er Zed erledigt hätte. Peter legte das schnurlose Telefon auf den Glastisch zurück, dann ließ er sich auf die Couch zurückfallen. Johann schaute ihn fragend an.
»Wir treffen uns Sonntagabend im Einki. Er sagte, er würde persönlich kommen, um uns den Stoff zu überreichen. Verflucht, wenn der Penner wüsste!« Peter musste lachen und seine kleinen spitzen Zähne erinnerten an die eines Piranhas. Zögerlich fiel Johann in das Lachen mit ein.
Sie rauchten ein paar Tüten, um ein wenig zu chillen. Und Peter betonte noch mehrmals am Abend, dass keiner so mit dem Präsidenten umspringen könne. Gegen zwanzig Uhr verließ Johann ihn. Sagte, er habe noch was vor. Peter ließ ihn gehen und plante die nächsten vier Tage. Er nahm die Pumpgun in die Hände, wog sie und musste sich eingestehen, dass sie ganz schön Gewicht hatte. Das schwarze Metall in seinen Händen zu spüren, tat gut. Er stellte sich vor, wie er Zed den Schädel weg pustet. Malte sich jedes noch so kleine Detail aus. Er fühlte sich wie Scar-fucking-face, wie der verfickte Tony Montana.
Gegen zwölf ging er auch ins Bett, schlief aber nicht sonderlich gut. Die nächsten drei Tage verbrachte er hauptsächlich damit, Wodka zu trinken, zu kiffen und sich jeden Abend Scarface anzuschauen. Er lernte sogar die abgebrühtesten Sprüche auswendig und feilte noch etwas am Plan herum. Er musste wie Tony Montana handeln und denken, Scheiße, er musste der gottverdammte Tony Montana sein! An einen Abend, er war ziemlich hacke, stellte er sich mit nacktem Oberkörper vor den Ganzkörperspiegel im Schlafzimmer und betrachtete seinen muskulösen Körper. Brust- und Bauchmuskeln traten deutlich hervor, schnitten sich geradewegs in seine helle Haut. Er hielt die Pumpgun lässig in der rechten Hand, den Lauf auf den Fußboden gerichtet. Wenn er sich einer Übermacht von ZedsHandlangern gegenüber stehen sah, würde er ihnen entgegen brüllen: „Kommt her! Ihr meint, eure verdammten Kugeln können mir was anhaben? Was meint Ihr, mit wem Ihr es überhaupt zu tun habt? Ich bin Tony Montana! Kommt her, ich schluck Sie alle. Ich bin Tony Montana!» Und dann würde er sie allesamt mit der Pumpgun umnieten. Er richtete die Waffe auf sein Spiegelbild und sagte: »Ich bin Tony \'Fucked\' Montana!» Und er wiederholte es immer wieder, wie ein Mantra, solange, bis er tatsächlich davon überzeugt war, Tony Montana zu sein.
Am Sonntagnachmittag rief Johann ihn an. Er hatte die letzten vier Tage nichts von sich hören lassen. So, als wäre er heimlich abgetaucht.
»Scheiße, wo warst du die ganze Zeit? Ich habe dich tausendmal angerufen!« Das stimmte nicht ganz, er hatte ihn in Wahrheit nur ganze dreimal angerufen. Er war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich die ganzen coolen Sprüche von Tony Montana einzuprägen und zu trainieren. Am liebsten hätte er schon Schießübungen mit der Pumpgun gemacht, aber ihm fiel kein Ort ein, an dem ungestört hätte üben können, so musste sich eben ganz auf sein Gefühl und die große Streuung der Schrotkügelchen verlassen.
»War krank, aber nun geht’s mir wieder besser.«
»Das heißt, du bist heute Abend auf jeden Fall mit dabei!« Scheiße, selbst wenn er todkrank im Bett liegen würde, Peter hätte ihn an den Haaren aus dem Bett gezogen, denn immerhin war er zum Teil mitverantwortlich.
»Ja, aber ich werde wohl nachkommen müssen, weil ich...«
»Weil du was, Johann?«, Peters Ton wurde schärfer.
»Es ist wegen meiner Mutter. Aber ich werde auf jeden Fall nachkommen!«, gut, wenn es um die eigene Familie ging, dann wars wichtig. Für Peter war die Familie die wichtigste Instanz in seinem Leben. Leider waren seine Eltern gestorben, angeblich Trunkenheit am Steuer, doch Peter wusste es besser. Es war die verfickte polnische Mafia, die es nur ausgesehen lassen hatte. Und so wurde Johann zu seiner Familie.
»Das will ich verflucht nochmal auch für dich auch hoffen!«, brüllte Peter ins Telefon und fühlte sich mächtig gut dabei. Scheiße, er durfte so was, denn immerhin war er ja Tony Montana.
Einkaufszentrum Blockdiek; ein paar Stunden später
Am Abend des Treffens schlenderte Peter in Richtung Einkaufszentrum. Er hatte ein Taxi von Tenever aus genommen und sich zirka hundert Meter entfernt vom Einkaufszentrum absetzen lassen. Er wollte ein wenig seine Beine vertreten, seine Lungen mit der kühlen Nachtluft füllen. Er brauchte einen klaren Kopf. Peter trug die Sporttasche mit der Pumpgun in der rechten Hand, spürte, wie sie immer wieder gegen sein Bein schlug. Obwohl es kühl war, schwitzte er leicht. War er etwa aufgeregt? Ja, er war aufgeregt. Selbst Tony Montana wäre in dieser Situation aufgeregt gewesen. Aber er hatte keine Angst oder irgendwelche Bedenken, er fühlte sich eher beflügelt. Scheiße, das Adrenalin raste nur so durch seine Venen.
Das Einkaufszentrum lag wie ausgestorben da. Es gab zwei, drei Supermärkte, eine Drogerie, ein Damenbekleidungsgeschäft, einen Imbiss, einen Lottoladen, eine Kneipe und noch ein paar andere Läden. Er betrat das Einkaufszentrum durch die automatischen Schiebetüren, die sich ihm bereitwillig öffneten wie Ali Babas Schatzhöhle nach dem »Sesam öffne dich«. Dort, wo die drei Glas überdachten Wege zusammentrafen, stand einer von Zeds Männern. Er stand in der Nähe des Lottoladens. Der Typ schaute sich ständig um. Der Kerl hatte er so was an sich, sodass Peter sofort wusste, dass er einer von Zeds Männern war. Der Typ sah einfach aus wie ein scheiß Junkie. Nur konnte Peter Zed nirgendwo entdecken. Entweder kam dieser noch, oder er hatte es sich anders überlegt, oder dieser kleine Wichser würde ihn zu Zeds Wohnung bringen. Die letzte Möglichkeit würde die Sache erheblich erleichtern. So konnte er ihn direkt in seiner Wohnung überraschen. Er trat vor den Typen. Dieser sah zu ihm hoch. Der Typ war klein, schmal, unrasiert und hatte die glasigen Augen eines Junkies – sie waren blau. Der Typ war sicher auf Heroin, Crack oder Meth. Verdammt, vielleicht schnüffelte er auch nur die getragenen Mieder seiner Oma. Peter war das alles scheißegal. Er wollte nur wissen, wo Zed blieb.
»Warum ist Zed nicht hier?«, wollte Peter wissen, doch der Junkie hob nur seine schmalen Schultern an und ließ sie dann kraftlos herabfallen, so als hätte man einer Marionette die Fäden gekappt.
»Willst du mich verarschen? Wir waren hier verabredet!« Wieder nur ein Schulterzucken als Antwort. Peter packte allmählich die Wut.
»Dann bringst du mich jetzt sofort zu ihm oder sagst mir, wo ich ihn finde, du kleine Missgeburt!«
»Nein.« Peter glaubte, sich verhört zu haben. Hatte diese Junkie-Schwuchtel eben gerade Nein gesagt?
Peter ließ die Sporttasche fallen. Wo war eigentlich Johann? Der sollte jetzt auch hier sein! Peter öffnete die Sporttasche und holte die Pumpgun heraus. Er lud sie durch und drückte sie dem Junkie an die Brust. Der Junkie gab sich nur wenig beeindruckt. Dann hörte Peter schnelle Schritte, die näher kamen. Er sah, wie Johann zu ihnen rüber gerannt kam.
Peter entging nicht, dass Johann heftig am Schwitzen war und so aussah, als wäre ihm nicht sehr wohl bei der Sache. Scheiße, er sah aus, als hätte ihn eine ganze Basketballmanschaft durchgenommen und anschließend auf irgendeiner Müllkippe entsorgt. »Wo warst du so lange?», Peter schrie ihn vor Wut an. »Tut mir leid, ehrlich!»
»Wo hast du gesteckt?«
Johann sagte nichts, seine Augen irrten unstet herum, seine Knie zitterten.
»Du machst dir doch nicht gleich in die Hosen, oder?« Johann schüttelte den Kopf, doch das überzeugte Peter nicht.
»Hey, ich erwarte jetzt von dir, dass du stark bleibst, hast du mich verstanden? Wir können und dürfen jetzt nicht weich werden! Wir ziehen das jetzt hier gemeinsam durch!« Er wandte sich wieder dem Junkie zu.
»Du bringst uns jetzt zu Zed, oder ich mach die kalt, du dumme Missgeburt!«
»Mach doch.«, entgegnete der Bursche schulterzuckend und dann krachte es auch schon laut. Der Bursche kippte buchstäblich aus seinen Latschen. Blut schoss in Fontänen aus den vielen kleinen Einschusslöchern, die die Schrotkügelchen in seinem Körper hinterlassen hatten. Peter spürte die Wucht, die hinter dem Schuss lag, spürte das Aufbäumen der Waffe. Spürte, wie ihm dessen Blut auf Hals und Gesicht klatschte wie ein nasses Handtuch. Der Bursche war tot, bevor er das kalte Pflaster küsste. Johann schrie, durch den lauten Knall völlig verschreckt, laut auf. Beißender Schießpulvergeruch hüllte sie ein wie der Gott verdammte Nebel des Grauens von John fucking Carpenter. Eigentlich wollte er diese kleine Schwuchtel nicht kalt machen, denn wer war er schon gewesen, außer eben eine kleine dreckige Junkie-Schwuchtel? Außerdem, wer brachte sie nun zu Zed? Aber sein flapsiger, ja geradezu herablassender Ton hatte Peter so sehr aufgeregt, dass er nicht anders konnte. Hatte die Schwuchtel doch tatsächlich die Eier gehabt, ihn, den Präsident, herauszufordern. Das konnte er ihm nicht durchgehen lassen. Das würde Peters angeknackster Ruf nicht auch noch vertragen. Deswegen hatte diese kleine Schwuchtel ihm keine andere Wahl gelassen.
»Wieso hast du ihn erschossen? Der hatte doch nichts mit der Sache am Hut. War doch nur\'n kleiner Penner.«
»Du hältst deine scheiß Fresse!«, Peter war nun sichtlich außer sich. Er musste nachdenken. Er sah sich um und entdeckte dann eine weitere Person. Er schaute genauer hin. Der Typ stand vor einem Copyshop. Er musste, nachdem der Schuss gefallen war, den schützenden Schatten verlassen haben. Zumindest stand er nun im Licht der Straßenbeleuchtung wie auf einer Bühne kurz vor seinem großen Auftritt. Peter sah sofort, dass es auch einer von Zeds Kumpeln war. Wieso hatte er ihn nicht vorher schon bemerkt? Der Typ stand da und rührte sich nicht, wahrscheinlich weil er noch immer unter Schock stand. Doch dann schienen ihm seine Beine wieder zu gehorchen und er drehte sich jäh um und rannte davon. »Hey, bleib stehen, du kleine Missgeburt!«, schrie Peter ihm hinterher, doch der rannte was das Zeug hielt und verschwand wenige Augenblicke später in der Dunkelheit. Johann war mit den Nerven am Ende. Er faselte die ganze Zeit davon, dass sie jetzt im Knast landen würden und so weiter und sofort. Und er ging Peter damit mächtig auf die Nerven.
»Ey, halt deine Fresse, habe ich gesagt! Jetzt ist uns der andere Penner entwischt!«
»Wie sollen wir jetzt nur an Zed herankommen? Der ist doch jetzt vorgewarnt!«
Peter packte Johann am Kragen und sah ihn mit eisigen Blick an.
»Das weiß ich auch. Und das ist alles deine Schuld! Nur weil du so eine nutzlose Schwuchtel bist! Aber das ist jetzt egal, lass uns lieber von hier verschwinden, bevor die scheiß Bullen kommen!«
Peter steckte die Pumpgun in die Sporttasche zurück und wollte gerade den Reißverschluss zuziehen, als er das kalte Metall einer Waffe am Hinterkopf spürte. Seine Kehle zog sich unwillkürlich zusammen, sein Nacken spannte sich.
»Nein, Peter, du bist hier die nichtsnutzige Schwuchtel, der dumme kleine Wichser.«, Johanns Ton klang plötzlich ganz anders. Er hatte nicht mehr diesen weinerlichen Ton an sich, sondern klang völlig abgeklärt und ruhig.
»Was soll das werden, Johann?«, blaffte Peter ihn an.
»Wonach sieht es denn für dich aus, Peter?«, blaffte dieser zurück.
»Du weißt, du bist tot, wenn du nicht die Waffe wegnimmst!« Er drehte sich vorsichtig zu Johann um und starrte direkt in den Lauf einer verchromten Neunmillimeter. Im Licht warf sie bösartige Reflexe in Peters Richtung.
»Machst du Witze?! Ich bin der derjenige, der dir eine Waffe an den Schädel hält und nicht andersrum. Deswegen solltest du lieber aufpassen, was du sagst«
»Bist du jetzt auf Zeds Seite? Hat er dich zu diesen Verrat überredet? Ja, das hat er, stimmt\'s? Und was hat er dir versprochen, sobald du mich erledigt hast, hm? Geld? Mehr Drogen? Macht?«, er hätte beinahe laut aufgelacht, wenn Johann nicht so scheiß nervös gewesen wäre. Er wollte jedoch nicht riskieren, dass Johann durch einen Schrecken plötzlich abdrückte.
»Ich habe einfach genug davon, immer in deinen scheiß Schatten zu stehen, mich von dir herum scheuchen zu lassen, wie ein kleiner Wichser. Habe endgültig genug davon, mich von dir wie ein Stück Scheiße behandeln zu lassen, endgültig genug von alldem hier!« Johann machte mit der freien Hand eine alles umfassende Geste.
Die Hand mit der Waffe zitterte leicht. Vorsichtig richtete Peter sich auf, Johann trat einen Schritt zurück und folgte ihm mit der Waffe, sodass sie noch immer auf Peters Stirn gerichtet war.
»Bruder, wie lange kennen wir uns inzwischen? Zehn, fünfzehn Jahre?«, Peter schlug einen anderen Ton an, er versuchte ihn irgendwie zu besänftigen. Er dachte, dass hier muss nicht in einem Blutbad enden.
»Ist mir scheißegal, Peter.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung »Ich werde mich nicht mehr so von dir behandeln lassen, nie mehr!« Schweiß rann Johann übers Gesicht, seine Lippen zitterten, er war aschfahl. In Johanns Augen sah Peter Entschlossenheit, schwach, aber sichtbar. Vermutlich rang er noch mit sich. Immerhin kannten sie sich schon seit über zehn Jahren.
»Willst du mich jetzt umbringen?«
»Willst du mich daran hindern?«
»Du hast die scheiß Waffe.«
Peter sah, wie Johann sich mit dem Ärmel über Augen und Wangen wischte, darauf hatte er nur gewartet. Peter wandte sich in einer schwungvollen Bewegung von Johann weg, packte dessen Handgelenk, drehte es so, dass die Waffe nun auf dessen Brust gerichtet war, legte automatisch seinen Zeigefinger auf den von Johann und verharrte so einen Augenblick. Sie sahen sich in die Augen. Johann war völlig überwältigt von der plötzlichen Wendung und in seinen Augen war nun jegliche Entschlossenheit reiner Panik gewichen. Er keuchte, während Peter ihm die Mündung gegen die Brust drückte. Peter rang sichtlich mit sich, während sie in dieser Umklammerung dastanden, wie zwei Verliebte, die kurz davor waren, sich zu küssen. Peters Blick sagte, es muss nicht unbedingt so enden. Wir können die Sache vergessen. Ich kann dir vergeben, Johann. Doch Johanns Blick, etwas stimmte damit nicht. Es ist, als sei jegliche Entschlossenheit von ihm gewichen und hätte nur noch ein leere Hülle hinterlassen.
Der Knall kam überraschend, wurde aber größtenteils von den beiden nah beieinanderstehenden Körpern gedämpft. Die Waffe buckelte heftig in Peters Hand. Johann bäumte sich auf und erschlaffte im nächsten Moment wieder. Beinahe hätte er Peter mit zu Boden gerissen, doch dieser schaffte es noch, Johanns leblosen Körper los zu lassen. Peter war sich nicht sicher, wer von ihnen beiden abgedrückt hatte. Der Ausdruck auf Johanns Gesicht war voll von Hoffnungslosigkeit und Apathie. Vermutlich hatte Johann bereits mit sich abgeschlossen und selbst den Abzug gedrückt.
Was für ein scheiß Massaker!, dachte Peter und sah auf die beiden Leichen hinab. Eine Woge von Trauer durchströmte seinen Körper. Er hätte Johann niemals verraten. Aber hatte Johann ihn verraten? Peter hatte es vermutet, aber sicher war er sich nicht. Hatte er Johann wirklich zu schlecht behandelt? Er hatte immer gedacht, es würde zum Dasein eines Gangsters gehören, wenn man sich unter Brüdern beleidigte. Das taten sie in den vielen Filmen doch auch.
Dann klingelte plötzlich ein Handy - es war Johanns Handy. Er fuhr erschrocken zusammen. Er fummelte es aus der Innentasche der schwarzen Bomberjacke heraus und sah auf das Display. Wut brandete in ihm auf. Also hatte ihn sein Instinkt doch nicht getrübt, Zed und Johann hatten zusammen geplant, ihn zu Fall zu bringen. Aber nicht mit Peter, Peter war ihn allen weit voraus. Niemand konnte sich mit dem Präsidenten messen! Er trug den Titel verdammt nochmal nur zurecht! Er hatte ihn sich im Laufe seines Lebens hart erarbeitet. Wie konnte Johann ihn so hintergehen?
Er straffte sich und nahm den Anruf entgegen.
Doch anstatt nach Johann zu fragen, schien Zed genau zu wissen, wer das Handy in der Hand hielt, denn Peter wurde direkt angesprochen. Was ihn sehr überraschte.
»Tut mir wirklich leid um deinen Freund, Peter«, in Zeds Stimme schwang gekünsteltes Mitleid mit, »aber der Idiot hat tatsächlich geglaubt, ich würde mit ihm zusammenarbeiten. Scheiße, mit was für Volltrotteln du dich doch abgibst. Aber ich habe ihn nur benutzt...«, er unterbrach sich oder vielleicht war auch gerade ein Funkloch entstanden, genau konnte Peter es nicht sagen, doch dann hört er Zeds Stimme wieder: »Ich meine, Scheiße, du hast gerade zwei Menschen umgebracht und um dich herum sind überall Überwachungskameras, die alles aufgezeichnet haben. Was glaubst du, warum ich dich genau dort hin bestellt habe, hm? Weißt du, Johann hat mir eine Menge über dich erzählt und so habe ich geahnt, dass es einfach sein würde, dich zu einen kaltblütigen Mord zu bringen. Aber dass du auch deinen einzig wahren Freund kaltblütig abknallst, nun, das hätte ich jetzt nicht gedacht - aber umso besser, so muss ich mich nicht mehr um ihn kümmern, falls er irgendwelche Ansprüche mir gegenüber erhoben hätte. So habe ich drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen!«
Peter unterbrach ihn wütend. »Was redest du da, Missgeburt?«
»Na der kleine Wichser zu deinen Füßen hatte tatsächlich geglaubt, mich einfach bestehlen zu können, aber da hatte er falsch gedacht, denn niemand bestiehlt den großen Zed, niemand!«, Zed lachte schallend. Peter fluchte, nannte Zed eine Amöbe, einen Dorftrottel, einen Wichser und einen Hosenscheißer. Er verlangte von ihm, sich ihm zu stellen, damit sie es wie Männer regeln könnten. Doch Zed lachte nur um so mehr.
Als Zed nicht mehr lachte, sagte dieser: »Und wie willst du das alles anstellen, Peter? Du wirst lebenslänglich im Knast schmoren! Und dabei wünsche ich dir viel Spaß! Ach, und versuche ja nicht, mich zu finden, würde dir nur leidtun.« Dann war die Leitung plötzlich tot. Und Peter warf das Handy auf den Boden, wo es in tausend Stücke zersprang, und dann hörte er die Sirenen und er wusste, dass sie ihn früher oder später schnappen würden, selbst wenn er jetzt abhauen würde. Er dachte wirklich darüber nach, alles hinzuschmeißen sich einfach den Bullen zu ergeben. Denn die Überwachungskameras hatten alles auf Band oder Festplatte. Kein noch so guter Anwalt könnte ihn aus dieser Sache raus hauen. Dafür war das belastende Material zu stichhaltig. Doch dann sah er auf Johanns Leiche hinab und dachte wieder an seinen Ruf. Und im nächsten Moment wusste er, was zu tun war und griff nach der Waffe in Johanns Hand.
Er ließ die beiden Leichen hinter sich und während er durch Blockdiek ging, spürte er die ersten Regentropfen vom Himmel fallen. Seine rechte Hand umklammerte die Waffe mit festem Griff und seine Knöchel traten weiß hervor. Sein Gesicht war eine reglose Maske, nur in seinen Augen zeichneten sich tiefe Rachegelüste ab. Regentropfen glitten Tränen gleich über seine Wangen und glitzerten im gelben Licht der Straßenbeleuchtung. Er dachte nicht an die Sporttasche mit der Pumpgun oder an die Leiche des Junkies und auch nicht an die Überwachungskameras im Einkaufszentrum. Er dachte nur an Johann und an Zed und daran, was er mit Zed alles anstellen werde, sobald er ihn traf. Er ging die Ludwig-Roselius-Allee entlang. Neben ihm das anschwellende und wieder abnehmende Rauschen des abendlichen Verkehrs. Der Regen wurde stärker und die Tropfen hämmerten wie kleine Schläge auf ihn ein, durchnässten seine Kleidung, die von mal zu mal schwerer wurde. Die Sirenen kamen näher.
Sie kamen von Osten und er bewegte sich direkt auf sie zu. Sein Gefühl sagte ihm, dass er, wenn er Zed finden möchte, er nun nach links in die Wuppertaler Straße abbiegen müsste, weg von der Straße und wieder rein ins Wohngebiet. Er folgte dem Straßenverlauf bis sich die Straße gabelte. Rechts von ihm, dort wo die Wuppertaler Straße in die Remscheider Straße mündete, standen zwei Männer, die auf jemanden zu warten schienen und rauchten. Sie unterhielten sich und lachten über etwas, doch Peter bekam nur Bruchstücke davon mit. Instinktiv wusste Peter, dass die zwei zu Zeds Männern gehörten. Das gab es keinen Zweifel. Mit gezückter Waffe ging Peter mit energischen Schritten auf die beiden zu. Sie bemerkten ihn erst, als er nur noch zwei Meter von ihnen entfernt war. Er hob die Waffe und richtete sie auf den kleineren der beiden. Beide waren völlig überrumpelt. Der Kleinere klapperte mit den Zähnen und der andere - ein wahrer Hüne von einen Menschen - hob die Hände.
»Oh mein Gott, was wollen sie? Wollen sie unser Geld?«, wollte der Kleinere von Peter wissen.
»Wo ist Zed?«, antwortete Peter ohne auf die Frage zu reagieren und drückte dem Zwerg die Waffe gegen die Stirn.
»Welcher Zed?«, fragte der Kleine sichtlich überrascht.
»Hör auf mich zu verarschen, du kleine Missgeburt! Und jetzt sag mir wo Zed ist!«
»Scheiße, ich kenne keinen Zed! Ich schwör\'s!«
»Willst du mich etwa für dumm verkaufen?«, Peter spannte den Hahn, bis dieser einrastete. Das Geräusch war ungewöhnlich laut und klang, als ließe jemand seine Handknöchel knacken.
»Ich kenne wirklich keinen Zed. Verdammt, Marco, sag du auch mal was!«, mit Marco war der Hüne gemeint, dieser hatte sich während der gesamten Zeit weder gerührt noch irgendeinen Ton von sich gegeben. Sondern stand nur zitternd im Regen. Haare und Klamotten völlig durchnässt.
»Sebastian hat recht, wir kennen keinen Zed!«, sagte Marco stotternd.
»Noch eine Lüge von dir oder von dir, und ich blas euch beiden euer scheiß Hirn weg!«
Peter senkte die Waffe und zielte damit auf Marcos Kniescheibe - dann drückte er ab. Der Schuss zerriss die Stille und das Projektil sprengte Kniescheibe in Stücke, Blut klatschte zu Boden. Schreiend brach Marco zusammen. Sebastian hatte ebenfalls laut aufgeschrien und zu flennen angefangen. Marco krümmte sich vor Schmerzen. Peter sah, dass Sebastian sich eingenässt hatte. Oder war das nur der Regen? War auch egal, er musste jetzt erfahren, wo Zed ist.
Peter packte Sebastian am Kragen und zog ihn zu sich hoch, damit dieser ihm direkt in die Augen sehen konnte. Sebastians Augen schwammen in Tränen, wahre Bäche der salzigen Flüssigkeit rannen über seine geröteten Wangen. Peter hielt Sebastian den Pistolenlauf unters Kinn.
»Wenn du mir nicht augenblicklich sagst wo ich Zed finde, stirbt dein Freund!«
»Bitte, lassen sie ihn doch in Ruhe. Wir kennen keinen Zed und wir haben ihnen auch nichts getan! Ich schwöre, dass wir keinen Zed kennen!«, er wimmerte und seine Zähne klapperten wild aufeinander, wie bei diesen aufziehbaren Gebissen mit Beinen.
Peter warf den Knilch unsanft zu Boden, dann richtete er die Waffe auf den noch immer am Boden liegenden Hünen. Er hatte seine Knie mit beiden Händen umklammert und wand sich am Boden. »Wo ist Zed?« Beide krümmten sich wie die Würmer. Aber er bekam keine Antwort. Er drückte dreimal auf Marcos Gesicht ab. Die Schüsse waren ohrenbetäubend. Marco hatte nicht mehr die Chance gehabt, noch irgendwas zu seiner Verteidigung zu sagen. Sein Gesicht hatte sich in unförmige Masse aus Fleisch, Blut und Teile seines Gehirns verwandelt. Etwas davon war Sebastian ins Gesicht gespritzt. Sebastian stand tierisch unter Schock. Er schrie und bettelte um sein Leben und wischte immer wieder über sein Gesicht, um es von Marcos Blut zu befreien. Er bat Peter, ihn um Himmels Willen nicht zu erschießen. Er würde alles tun, nur bitte, er wolle noch nicht sterben. Er erzählte Peter von seinen drei Kindern, die angeblich schon die Mutter verloren hatten und nicht auch noch den Vater verlieren durften. Er flehte und bettelte und packte den Rest seiner Hoffnung in diese mitleiderregende Geschichte. Peter konnte sich den Mist nicht mehr länger anhören und schoss Sebastian zweimal in den Kopf. Nachdem die Schüsse verhallt waren, setzte augenblicklich Stille ein. Allein Peters Atmen und das Rauschen des Windes und das der Autos waren noch zu hören. Peter stand da, genoss diese Ruhe. Er wusste, dass es sich dabei um die Ruhe vor dem Sturm handeln würde.
Aber er war bereit, hatte sich gut genug auf den Tornado vorbereitet - nun konnte er kommen! Doch plötzlich verzog sich sein Magen, als hätte sich ein eiserner Griff darum gelegt. Etwas schien seinen Magen geradezu auszuquetschen und er spürte, wie sich sein gesamter Mageninhalt einen Weg nach oben bahnte. Peter krümmte sich zusammen, als hätte er gerade einen heftigen Schlag einstecken müssen, dann schoss es nur so aus ihm hinaus. Er übergab sich so lange, bis er nur noch Galle spuckte. Die Waffe hatte er neben sich fallen lassen. Sein gesamter Körper war in Schweiß gebadet und zitterte Espenlaub. Er musste durchhalten, durfte jetzt schlapp machen. Er musste es irgendwie zu Zed schaffen. Auch wenn er nicht wusste, wie. Er versuchte wieder auf sein Gefühl zu vertrauen, denn er spürte, dass Zed hier irgendwo in der Nähe war. Zed war hier irgendwo und wartete auf ihn. Für die letzte große Schlacht.
Er hatte soeben seine Reinigung durchgemacht, hatte sich von all dem Schmutz befreit. Er fühlte sich besser, fast wie neugeboren. Er schaute zu den beiden Leichen. Dann schloss er die Augen und betete für ihre armen Seelen. Und auch für seine und für Johanns betete er. Denn er wusste, wenn das hier vorbei war, würde er entweder tot sein oder für sehr lange Zeit im Gefängnis sitzen. Aber damit fühlte er sich nicht mehr schlecht, im Gegenteil. Ihm wurde klar, dass das nun sein Schicksal sein würde. Er war diesen Weg gegangen und er würde ihn auch bis zum bitteren Ende weiter gehen. Er war bereit! Und das brüllte er auch in die Nacht hinaus! Der Regen hatte inzwischen schon aufgehört und überall brach sich das Licht der Straßenlaternen auf dem nassen Asphalt. Die Luft war nun auch reingewaschen, so wie er es auch war. Dann wurde es plötzlich taghell um ihn herum. Ein Scheinwerferpaar durchschnitt die Nacht.
Das gleichmäßige Röhren eines Automotors war zu hören. Peter drehte sich zu dem ankommenden Wagen um. Dieser bog gerade in die Remscheider Straße ein. Peter erkannte den Fahrer des Wagens auf Anhieb. Es war Zed persönlich und neben ihm saß eine gutaussehende Frau in den Zwanzigern. Das Gute war, dass Zed ihn nicht gesehen hatte, denn Peter war - seinem Instinkt folgend - rechtzeitig hinter einer Hecke in Deckung gegangen, vorher hatte er sich noch schnell seine Waffe geschnappt. So konnte er zwar den Wagen, sowie Fahrer und Beifahrer gut erkennen, aber sie nicht ihn. Peters Körper spannte sich jäh an. Der Wagen parkte auf einen der Parkplätze, dann ging der Motor aus und die beiden stiegen aus. Zed hatte einen massigen Körper und einen kleinen, kahlgeschorenen Kopf. Er trug einen silbernen Anzug aus einem reflektierenden Stoff. Die Frau hatte dunkles Haar, das sich in großen Wellen um ihre Schultern schmiegte. Sie trug ein blutrotes Cocktailkleid und gleichfarbige Stilettos. Die Frau hatte die Leichen als erstes gesehen und ließ einen schrillen Schrei los. Sie deutete immer wieder zu den Leichen und schrie Oh mein Gott, oh mein Gott! Nun hatte Zed die Leichen ebenfalls bemerkt. Er bedeutete ihr, beim Wagen zu bleiben und die Polizei zu rufen. Er würde mal gucken, ob vielleicht doch noch einer von den beiden lebte. Die Frau sagte so etwas wie: pass ja auf dich auf, Liebling! Er sagte, klar doch.
Zed zog eine Waffe hinten aus dem Hosenbund und hielt sie mit beiden Händen fest. Peter sah, dass Zeds korpulenter Körper sich unglaublich flink bewegte. Einen Meter vor den Leichen blieb er stehen und presste sich den Handrücken an den Mund. Er sah aus, als wäre ihm schlecht. Peter saß hinter der Hecke und beobachtete jede von Zeds Bewegungen. Die Frau rief: Die Bullen sind unterwegs! Er fragte sie, ob auch ein Krankenwagen käme und sie bestätigte es. Zed hatte scheinbar genug Leichen für diesen Abend gesehen und wandte sich wieder ab. Peter nutzte diesen Moment. Er sprang über die Hecke und brüllte Zeds Namen. Die Waffe hatte er auf ihn gerichtet. Zed drehte sich jäh um und erstarrte beim Anblick der Waffe.
»Scheiße, was soll...«, dann brach er ab und Erkennen flammte in seinen Augen auf. Er hatte Peter erkannte und wurde daraufhin aschfahl.
»Weg mit der Waffe, Fleischklops!«, befahl Peter und Sekunden später fiel Zeds Waffe klappernd auf den Asphalt.
Zeds Begleiterin fragte, ob alles okay sei. Doch sie musste noch zwei Mal nach Zeds Namen rufen, bevor er ihr bestätigte, dass alles cool sei. Dann sagte er ihr, sie solle schon mal nach oben in die Wohnung gehen, er würde gleich nachkommen. Sie wollte gerade Widerspruch einlegen, doch Zed befahl es ihr in einem Ton, der unmissverständlich klar machte, wer hier das Sagen hatte. Sie gehorchte. Und während der gesamten Zeit hatte sie sich nicht ein einziges Mal aus den Augen gelassen. Sie warteten, bis Zeds Schnalle davon gedackelt war. Nachdem das Klappern ihrer Stilettos verklungen war, trat wieder Stille ein. Sie waren jetzt ganz allein, nur sie beide. Darauf hatte Peter seit vier Tagen gewartet, und nun endlich war es soweit. Endlich würde seine Stunde schlagen. Auf Zeds Stirn hatten sich winzige Schweißtropfen gebildet und Peter sah, dass Zeds erhobene Hände zitterten. Peter kam auf Zed zu, bis sie nur noch zwei Meter voneinander getrennt waren. In Peters Ohren rauschte das Blut, Adrenalin pumpte durch seine Venen.
Zed deutete mit dem Kopf zu den beiden Leichen.
»Das warst du, stimmt\'s?«
«Und wenn schon!«, blaffte Peter.
»Ach, Peter. Wieso müssen so viele Unschuldige sterben? Oder haben sie dich etwa beleidigt?»
»Halt deine Fresse!«
»Was willst du, Peter? Willst du, dass ich mich bei dir entschuldige? Oder willst du mich wie einen räudigen Köter hier mitten auf der Straße abknallen? So wie diese beiden armen Typen. Worum geht’s dir? Geht\'s dir um die Drogen?«
»Darum geht es mir schon lange nicht mehr! Ich bin hier, um meinen Ruf wiederherzustellen!»
»So so. Deinen Rufen.«
Zed ergriff er wieder das Wort, weil er jetzt begriffen hatte.
»Ach, du dachtest, die gehörten zu mir, und als sie dir nicht gesagt haben, wo ich stecke, hast du sie einfach erschossen. Scheiße, Peter, ich kenne diese Kerle nicht mal, und ich hatte echt gedacht, du hättest mehr Grips als dein toter Freund!» Zed lachte bitter.
Peter war völlig aus dem Konzept geraten. Er dachte, Zed würde um sein Leben flehen und betteln. Doch wie es aussah, verhöhnte er Peter nur, zog ihn regelrecht auf. Hielt ihn allen Anschein nach für dumm. Aber Peter war ja nicht dumm, im Gegenteil, er war der gottverdammte Präsident und das würde dieser Saftsack jetzt zu spüren bekommen.
»Noch ein Wort aus deiner stinkenden Fresse und du bist Fischfutter!» Peter trat drohend einen Schritt auf Zed zu, doch dieser rührte sich kaum. Peter war klar, dass dieses großspurige Verhalten nur aufgesetzt war, denn er konnte deutlich erkennen, dass Zed zitterte. Und auch den Schweiß auf seiner Stirn konnte er deutlich sehen, Scheiße, er konnte Zeds Gedanken, seine Angst, seine Abgespanntheit und sämtliche andere Gefühle sehen, lesen und fühlen. Verflucht, dachte Peter, es war, als stecke er in Zeds Körper und spüre dessen Panik. Dann begriff Peter, dass Zed ihn möglicherweise nur hinhalten wollte, solange, bis die Bullen da sind. Peter konnte nicht mehr warten, er musste handeln, jetzt!
»Scheiße, mir schlafen gleich die Arme ein. Sagst du mir heute noch, was du mit mir vor hast, oder können wir das auf Morgen verschieben?» Peters Wut explodierte. Dieser miese kleine Fettsack machte sich doch tatsächlich über ihn lustig! Er nahm ihn gar nicht ernst.
Er sah, wie Zed langsam die Hände wieder runter nahm. Peter glaubte nicht, was er da sah.
»Was soll das wer....«, setzte Peter an und dann sah und hörte er es auch. Alles um zu sie herum war nun in wild zuckendes Blaulicht gehüllt und die Sirenen der zwei Streifenwagen, die gerade ankamen, waren deutlich zu hören. Im nächsten Moment sah er, wie Zed die Pistole vom Boden hob und zum nächsten Gulli ging - dort ließ er die Waffe hineinfallen. Peter war wie vom Donner gerührt. Er konnte sich nicht bewegen. Er hatte es vermasselt. Um ihn herum wurde geredet, Befehle wurde gegeben. Auch er wurde angesprochen. Doch Peter reagierte nicht. Vorsichtig wurde ihm die Waffe aus der Hand genommen. Dann wurden seine Hände auf den Rücken gedreht und er bekam Handschellen angelegt. Zed drehte sich zu ihm und verzog seine Lippen zu einem spöttischen Grinsen, dann verschwand er. Ein Polizist klärte Peter über seine Rechte auf. Sie gingen ziemlich grob mit ihm um, als sie ihn zu einem der beiden Streifenwagen führten. Aber er bekam von all dem kaum etwas mit. Er musste immerzu an seinen fehlgeschlagenen Racheplan denken, daran, dass sein Ruf nun völlig dahin war. Die Polizisten setzten ihn auf die Rückbank des einen Streifenwagens und während Peter so dasaß und auf die Szene dort draußen starrte, sagte er im Flüsterton: »Aber ich bin doch Tony Montana, ihr könnt mich nicht einfach festnehmen. Ich bin doch der Präsident.«
 
K

KaGeb

Gast
Herzlich willkommen auf (oder in) der Leselupe. Möge die Muse dich küssen :)


Liebe Grüße, kageb
 

Val Sidal

Mitglied
Head,

dein Text erzählt quasi eine Film-Sequenz nach, die man so oder ähnlich auch im TV nicht mehr unbedingt sehen möchte. Deine Figuren bleiben in ihren jeweiligen Schablonen stecken -- sind tot bevor sie gekillt werden.

Das ist schade, denn du kannst schreiben.
Würde gerne einen Text von dir lesen, der von etwas erzählt, was dich WIRKLICH betrifft, begeistert oder bewegt.
 



 
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