An diesem ganz besonderen Tag

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Herzog

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Das Café war überfüllt von jungen Leuten, alle so zwischen fünfzehn und dreißig, nur an dem Tisch in der Ecke saß ein älterer Herr.

Ich griff mir eine Stuhllehne und sah ihn fragend an.

„Bitte sehr“, meinte er. „Einen Platz möchte ich aber für meine Frau freihalten.“

Ich schätzte ihn knapp über sechzig. Sein Haar war noch voll, aber schlohweiß, der gepflegte weiße Schnauzer machte sich gut in dem sonnengegerbten Gesicht. Augenfarbe blau, ein leichter Stich ins Bernsteingelb.

Der Ober kam an den Tisch, und ich bemerkte, dass mein Nachbar amüsiert die buschigen Augenbrauen hochzog, als ich meiner Cappuccino-Bestellung ein

„Aber italienisch, bitte!“ hinterherschickte.

„Heiß wie die Sünde und süß wie ein Kuss...“, er lächelte mich an.

„Oder umgekehrt“, lächelte ich zurück, wenn mir auch gar nicht nach Lächeln zumute war.

So kamen wir ins Gespräch, und schon bald sah ich keinen Grund, ihm nicht zu erzählen, dass dieser sonnige Spätsommertag von ganz besonderer Bedeutung für mich war. Schließlich war heute ein Lebensabschnitt zu Ende gegangen, der vor knapp acht Jahren so erfreulich und voller Optimismus begonnen hatte. - Meine Ehe war zerbrochen, heute Vormittag war die Scheidung gewesen, eine Sache von nicht einmal zwanzig Minuten insgesamt. Und obwohl die Verhandlung selbst keinerlei Überraschung gebracht hatte, war ich doch erfüllt von einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit, von melancholischer Leere. Ich sah einfach nicht, wie es nun weitergehen sollte.

Er betrachtete mich nachdenklich, während er seine kurze Shag-Pfeife stopfte, die in dieser Umgebung rührend altmodisch wirkte.

„Vor acht Jahren - damals bin ich gerade geschieden worden. Und wenige Wochen darauf war ich schon wieder so gut wie verheiratet. Glauben Sie mir, irgendwie geht es immer weiter. Jedem Ende wohnt ein neuer Anfang inne, wie der Dichter sagt“, fügte er mit mildem Spott hinzu.

„Und haben Sie sich gütlich geeinigt?“

Ich zögerte einen Augenblick. Sicher, wir hatten diese schriftliche Vereinbarung, die alles leichter machte. Aber andererseits: Wir waren keineswegs in Freundschaft auseinander gegangen. Die Geschichte mit der Torte hatte ich ihr zum Beispiel wirklich übelgenommen.

„Ich will nicht neugierig erscheinen“, meinte er und legte seine Hand für einen Augenblick auf meinen Arm.

„Erzählern Sie mir nur, was Sie loswerden wollen. Ich kenne dieses Gefühl. Es gibt Situationen, in denen man sich lieber einem Fremden als einem Freund anvertraut. Was mich angeht: Ich kenne Sie nicht, aber selbst wenn wir bekannt miteinander wären - auf meine Diskretion können Sie sich verlassen.“

Ich zweifelte nicht an seinen Worten, und so erzählte ich ihm von jenem Versöhnungs-Kaffeetrinken im Kreis der Freunde, die uns wieder zusammenbringen wollten. Die Stimmung war eigentlich ganz entspannt gewesen, zumindest bis zu jenem Augenblick, als sie aufstand und mir die Sahnetorte mit Schwung an den Kopf warf. „Alles, was dein Gesicht bedeckt, macht es schöner!“, war ihr liebenswürdiger Kommentar gewesen, während die Freunde entsetzt auseinander stoben. Damals hätte ich sie umbringen können, aber jetzt...

Wir sahen uns an und mussten beide lachen.

„Besser ein Ende mit Schrecken, als... na ja, Sie wissen schon“, meinte er und winkte dem Ober, um seinen Tee zu bezahlen.

Der Blick durch die Schaufensterscheibe des Cafés ging hinaus auf die breite Straße mit den großzügig gestalteten Geschäften, dem Park zur Rechten und dem Taxistand auf der linken Seite. Es war früher Nachmittag. Die Passanten schienen es nicht eilig zu haben. Man schlenderte durch das gedämpfte Licht des Altweibersommers, einige Wortfetzen drangen durch die geöffnete Glastür herein. Irgendwo im Hintergrund spielte das Modern-Jazz-Quartet einen alten Cole-Porter-Song.

„Eine Stimmung wie in einem französischen Liebesfilm“, lächelte er und kniff kennerisch die Augen zusammen.

Und nach einer Weile:

„Vivace ma non tropo, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Und im übrigen“, fügte er aufgeräumt hinzu, „die Ehe ist keineswegs eine so schlechte Einrichtung, wie Sie jetzt vielleicht meinen.“

„Was mich angeht, so bin ich recht zufrieden. Vielleicht bin ich eine seltene Art von Spätentwickler. Nicht nur einmal, nein, zweimal geschieden, aber seit dem letzten Mal ist Schluss mit den Spielereien. Diesmal ist es für immer. Und die fünfzehn, zwanzig Jahre, die mir noch bleiben, das ist ja schließlich auch noch eine ganz schön lange Zeit.“

Ich dachte über seine Worte nach und beobachtete eine junge Frau, die aus einem Taxi sprang, eine Einkaufstasche in der Hand. Eine Erscheinung wie aus einem Modemagazin: Vielleicht Ende dreißig, blond, glattes, nach hinten zu einem kunstvoll-lockeren Knoten aufgedrehtes Haar, ein rosa Minikostüm mit halbhohen Schuhen in gleicher Farbe. Der Taxifahrer machte ihr wohl noch ein Kompliment, ich sah ihr Lachen und wusste, dass sie schöne Augen hatte. Sie wandte sich nach links und nach rechts, und dann sprang sie leichtfüßig über die Straße. Ich konnte den Blick nicht von ihr lassen, soviel Lebensfreude, Zuversicht und jugendliche Kraft strahlte sie aus.

Als sie durch die Tür hereinkam, schien es einen Augenblick still zu werden in dem kleinen Café. - Mein Gesprächspartner erhob sich und die beiden begrüßten sich mit einer Vertrautheit, die mir tief drinnen einen Stich gab. Nein, ihr stand der Sinn jetzt nicht nach Kaffeetrinken, sie wollte lieber mit ihm noch ein Stück durch die Altstadt bummeln...

Der Mann mit den weißen Haaren drehte sich um und nickte mir zum Abschied zu. Arm in Arm traten die beiden hinaus auf die Straße.

Ich fühlte mich mit einemmal ganz leicht, rief den Ober, bezahlte und verließ das Lokal.

Als ich hinaustrat auf die Straße, war da etwas in der Luft, das ich vorher nicht bemerkt hatte.

Ich beschloss, noch ein wenig durch den Park zu schlendern.
 



 
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