An jedem verdammten Sonntag

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Damon Hawke

Mitglied
Seit vier Jahren mäht mein Nachbar jeden Sonntag seinen Rasen. Morgens um acht. Natürlich nur im Sommer. Aber um acht. Seit vier Jahren! Aber nicht heute.

Heute bin ich kurz nach acht aufgewacht. Muss wohl die Gewohnheit sein. Doch es war ruhig. Kein lautes Geknatter von dem alten Kettler-Modell, dass er benutzte. Keine Musik aus dem Radio, die er extra lauter stellt, damit sie den Lärm des Rasenmähers übertönt. Nichts. Nur Vogelgezwitscher. Ich drehte mich um und schlief friedlich weiter. Um zehn stand ich dann auf und machte mir Frühstück. Dann wusch ich den Lehm von meinen Stiefeln. Um kurz nach elf klingelte es an der Haustür. Zwei Polizeibeamten, mit sorgenvollen Mienen, im Hintergrund sah ich meinen Nachbarn, das sonst so fleischige Gesicht aschfahl. Sie fragten mich, ob ich letzte Nacht irgendetwas ungewöhnliches bemerkt hätte, ob und wann ich die kleine Lisa zuletzt gesehen hätte und mit wem. Ich fragte unruhig, ob etwas passiert sei, doch sie antworteten nicht, wichen aus. Ich rief meinem Nachbarn zu, er könne jederzeit kommen, wenn er reden wollte. Keine Ahnung, ob er mich gehört hatte. Doch ich wollte mir die Stimmung nicht vermiesen lassen. Zum ersten Mal Ruhe seit vier Jahren!
Gegen eins kam es in den Nachrichten im Radio. Die Vermisstenanzeige lief gleich nach dem Wetterbericht, aber noch vor den Verkehrsmeldungen. Mein Nachbar war auch kurz zu hören. Er wandte sich an die mutmaßlichen Entführer, bat sie, sich zu melden, er wolle seine Tochter zurück haben. Seine Stimme zitterte. Ich stellte das Radio lauter, während ich im Garten rote Krokusse auf meinem schönen neuen Beet pflanzte. Lisa war vier Jahre alt. Ich fand das irgendwie ironisch.
Eigentlich hasse ich Sonntage. Aber nicht heute.
 

Tekky

Mitglied
ich denke, ich habe die kurze geschichte verstanden (obwohl - ich bin inzwischen vorsichtig geworden, was das angeht).

meiner meinung geht es aber am anfang etwas unter, dass der nachbar seinen rasen so lange sonntags mäht, wie die kleine lisa auf der welt ist. dem unaufmerksamen leser wird es vielleicht entgehen, und damit verliert die sonst 'schöne' geschichte viel.
 
R

Robert Amper

Gast
Die Geschichte ist sowohl stilistisch, als von der Dramaturgie her absolut sicher und souverän aufgebaut. Der Autor hat auf alle möglichen und benutzbaren Mätzchen verzichtet und schreibt die Geschichte eben nicht für den "Unaufmerksamen Leser". Welchen Sinn hätte es auch, eine Geschichte zu verfassen, bei deren Entstehen man grundsätzlich davon ausgeht das ein Teil der Leser unaufmerksam ist...? Wenn jemand diese - oder ähnliche - Geschichten liest, dann ist die Pflicht des Autors dahingehend getan, eine Story zu entwerfen die schlüssig und nachvollziehbar ist. Die Pflicht des Lesers ist, sich konzentriert damit zu befassen. Denn wenn man den Level nach dem unterst anzunehmenden "Aufmerksamkeitslevel" ausrichtet, dürften nur noch Fix und Foxi Comic verbreitet werden. Das Argument, das einem unaufmerksamen Leser die Hintergründe entgehen könnten ist verbale Putativnotwehr.
Die Geschichte ist knapp erzählt, ohne schlampig zu sein, und lange genug um das Szenario plastisch werden zu lassen ohne langweilig zu werden. Gerade so lange - oder so kurz - das man sich wünschen könnte es würde noch weitergehen. Fazit: Wem diese Geschichte zu komplex erscheint, sollte es tatsächlich beim Lesen von Comic belassen. Für alle anderen Leser bleibt zu hoffen das vom Autor noch mehr in dieser Art zu lesen sein wird.


Robert Amper
 

Damon Hawke

Mitglied
Danke, Tekky und Robby, dass Euch die Geschichte offenbar gefallen hat. Nun, ich wollte eine möglichst kurze Geschichte schreiben. Der Hinweis auf Lisa muss möglichst kurz und spät kommen, weil der Leser so lange wie möglich denken soll, dass der Protagonist den Nachbarn selbst getötet hat. Und Robby, danke, dass du die Geschichte in Schutz nimmst, aber, hey, nichts gegen Comics, ja? Es gibt solche und solche...
 



 
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