Anonym
Gast
„And everything I fear comes true ...“ , sang Klaus leise Joni Mitchell auf seiner Frühstücks-CD mit. Er weiß, dass er Brigitte niemals sagen würde, dass er sie ... , dass er sie ... - hmm ... liebt ...?
Dass sie sich umarmen, sich gegenseitig versichern, dass sie mit „fast“ niemandem „so“ sprechen können ... , das scheint normal, das kann man machen, das erregt bei niemandem der anderen Kollegen Misstrauen oder gar Hoffnung.
Ein Mann und eine Frau, sie haben nichts miteinander.
Die Frau, Brigitte, ist verliebt.
In einen Mann sehr, in einen anderen etwas weniger sehr.
Von dem einen kriegt sie nichts, außer tiefe Blicke, die sie dahinschmelzen lässt.
Von dem anderen den Körperkontakt, den der erste ihr – noch – verweigert.
Der Mensch muss leben, irgendwie ... - dachte Klaus, als er in der Früh ins Büro radelte.
Die Kälte kniff ihn empfindlich in die Nase.
Aber wann werde ich wieder leben?
Er fühlte sich schrecklich, so beziehungslos.
Nach der frühmorgendlichen Sitzung blieb Brigitte noch auf einen Kaffee in seinem Büro.
Als alle gegangen waren, sah sie Klaus an und seufzte: „Oh, Männer ...!“
„Nein, ich mein’ nicht dich“, sagte sie schnell und lachte ihr glockenhelles Lachen.
„Ja, das denk’ ich mir...“, Klaus tat sauertöpfisch und grinste dann.
„Es gibt keine Männer, nur alte Jungs und junge Jungs“, fuhr er fort. Er sah sie an und lächelte.
„Und was bist du?“
„Ich kämpfe immer noch mit meiner Pubertät“, gab er zurück. „Ein aussichtsloser Kampf ... Die ganzen Irrtümer, die man begeht und die man später für Das Leben hält.“
„Ist es nicht so?“
„Sag ich doch.“
„Du bist so ...“
„ ... pessimistisch ... ?“, fiel er ihr ins Wort.
Er wollte keine Schmeichelei von ihr hören.
Er gefiel sich sehr gut in der Rolle des Männerkenners, des Sich-als-Mann-Hassers, des sanftmelancholischen Zynikers, der auf Teufel komm raus verstecken musste, dass er Brigitte ... , dass er sie ... hmm ...
Vor ein paar Tagen hatte er einen Traum gehabt. Einen erotischen Traum. Aber einen der ganz entspannten, sanften Art. Solch einen Traum hatte er noch niemals geträumt. Ein Streicheltraum, ein Lächeltraum. Sanfte Worte schwebten zwischen ihm und Ihr hin und her. Das Herz war ein weiser, ruhiger Vollmond. Es war wie Heimkommen. Und das wollte der kleine Junge dem großen Mädchen gern erzählen, damit sie ihn genauso wie im Traum in den Arm nimmt, und dann ... und dann ...
‚Dann wär’s vorbei’, dachte Klaus. Also: Klappe halten.
„Was ist?“, fragte sie ihn. „ ... Du guckst so ...?“
„Ich hab‘ grad‘ an was gedacht ...“
„Stör ich ...?“
„Ich muss nur das hier, ganz schnell, du verstehst, sorry ...“
Klaus freute sich immer unsagbar, wenn Brigitte in sein Büro kam. Gleichzeitig litt er Höllenqualen. Wie gern würde er sie in den Arm nehmen, sich gehen lassen, nicht zurücknehmen, nicht kontrollieren, sondern einfach ...
Am schlimmsten ist es, wenn Brigitte von Bruno und Tom spricht, ihm alles haarklein erzählt und dann auch noch seinen Rat will.
„Du bist ein Mann, und du verstehst die Männer ... - hilf mir, sie zu verstehen!“ Brigittes Verzweiflung war echt.
„Ich kann dir nur das sagen, was ich aus Büchern kenne“, antwortete er und zog dabei bedauernd die Schultern hoch. “Ich bin noch keinem richtigen Mann begegnet. Keinem ausgewachsenen.“
„Hör auf! Du bist einer!“
„Also: hüte dich vor Männern, die sagen, sie seien Männer, die sich den Sinn fürs Spielen bewahrt haben, die sagen, dass sie manchmal noch richtig kleine Kindsköpfe seien. Sie sagen die Wahrheit! Sie sind Kindsköpfe, sie können nichts anderes, als spielen. Und hüte dich erst recht vor denen, die sagen, dass sie all das wissen, sie sind nichts anderes als pseudointellektuelle Arschlöcher, die sich nicht trauen, Mann zu sein.“
„Aber welchen Mann kann ich denn überhaupt lieben?“
„Falsche Frage! Du liebst den, den du lieben musst. Punktum.“
Brigitte lächelte Klaus an. Mein Gott, diese Augen, wie sie blitzten und funkelten!
„Männer geben am liebsten Allgemeinplätze von sich, wusstest du das? Das eben war auch so einer.“
„Wir müssen mal wieder zusammen Essen gehen.“
„Ja, irgendwann machen wir das.“
„Und dann so richtig zusammen quatschen, ja?“
„Über Männer und Frauen.“
„Ja!“, sie war begeistert. Das würde ihr Spaß machen, das wusste Klaus.
„Aber, Vorsicht, ich bin wie alle!“
Sie lachte.
Dann, mitten in diesem schönen Lachen, zog sie eine Augenbraue hoch. Ganz leicht und auch nur ganz kurz.
Als dann das Telefon klingelte und Klaus an der Nummer im Display erkannte, wer ihn sprechen wollte, riss er den Hörer hoch. „Ich kann jetzt nicht, ich ruf zurück“, bellte er ins Telefon und knallte den Hörer auf.
„Was war denn das?“, lachte sie und guckte Klaus erstaunt an.
„Das war meine Mama.“
Das sagte er immer. Seine tote Mama musste für alles herhalten.
„Ich weiß was sie will. Ich soll sagen, was ich mir zu Weihnachten wünsche.“
„Und weißt du’s?“
Er sah aus dem Fenster. Draußen fiel der erste Schnee, zaghaft, unsicher.
„Ich möchte mit dir einmal eine Schneeballschlacht machen.“ Klaus erschrak.
„Au, ja, das wär’ toll!“
Klaus stellte sich Brigitte als Achtjährige vor. Schneebälle werfend, prustend, rote Bäckchen, und schon damals dieses glockenhelle Lachen.
„Mit einseifen?“
„Mit einseifen, natürlich!“
Wie weit konnte Klaus noch gehen? Das Herz wummerte bis in den Hals.
„Du schenkst MIR die erste Schneeballschlacht?“
„Du bist mein Freund.“
Da war es wieder, dieses Wort. Freund.
Das letzte Mal hatte er es aus Claudias Mund gehört: „Lass uns doch Freunde bleiben.“
Er hätte kotzen können.
„Was ist los?“
„Nix. Nix ist los. Was soll los sein? Alles bestens. Mir geht es gut.“
„Ich frag ja nur.“
Brigittes Handy gab einen Signalton von sich. Klaus fiel jetzt erst auf, dass sie die ganze Zeit ihr Handy in der Hand gehalten hatte. Sie strahlte, tippte, las, strahlte ...
„Puh! Jetzt geht’s los. Tom schreibt, dass er mit mir Rodeln gehen will. Heute. Nachts. Was soll ich tun? Er ist verheiratet!“
„Das hast du gewusst.“
„Ja, und es ist mir scheißegal.“
Klaus fragte sich, warum ihm es nicht scheißegal ist, dass sie Bruno tatsächlich - und Tom virtuell - fickt.
„Ich liebe dich.“
Da standen sie im Raum ...
Die drei Engel nahmen sich an die Hände und tanzten einen Reigen, sie sangen leise, draußen fiel der Schnee, die Wahrscheinlichkeit einer baldigen Schneeballschlacht wuchs.
Er müsste sich heute noch neue Handschuhe kaufen, dachte Klaus.
Die Fäustlinge, die Claudia ihm letzten Winter gestrickt hatte? - nein, - das ging nicht ... das kann ich nicht machen, dachte Klaus.
Brigitte sah weiter auf das Handy-Display. Sie lernte alles, was sie sah, auswendig. Sendezeit, Text.
Löschen? Niemals!
„Hast du gehört?“
„Ja. Klar.“
„Und?“
„Was: und?“
„Ja.“
Er drehte sich von Brigitte weg, schaute aus dem Fenster.
Unten auf der Straße lief die alte Frau mit dem krummen Rücken lang.
Bechtereff ... Scheißleben, dachte Klaus.
Er stellte sich die Alte als junges Mädchen vor.
Letzten Winter hatte er der Alten bei Glatteis über die Straße geholfen; sie hatte die strahlenden Augen eines jungen Mädchens.
„Wir werden alle sterben.“
„Ich weiß. Das Leben ist der außergewöhnliche Fall - der Tod ist der Normalzustand.“
„Uff. Und was willst du mir damit sagen?“
„Warten wir noch einen Augenblick ..., dann gehen wir uns einseifen?“
„Ich muss aber noch ..., meine Handschuhe ...!“
Dass sie sich umarmen, sich gegenseitig versichern, dass sie mit „fast“ niemandem „so“ sprechen können ... , das scheint normal, das kann man machen, das erregt bei niemandem der anderen Kollegen Misstrauen oder gar Hoffnung.
Ein Mann und eine Frau, sie haben nichts miteinander.
Die Frau, Brigitte, ist verliebt.
In einen Mann sehr, in einen anderen etwas weniger sehr.
Von dem einen kriegt sie nichts, außer tiefe Blicke, die sie dahinschmelzen lässt.
Von dem anderen den Körperkontakt, den der erste ihr – noch – verweigert.
Der Mensch muss leben, irgendwie ... - dachte Klaus, als er in der Früh ins Büro radelte.
Die Kälte kniff ihn empfindlich in die Nase.
Aber wann werde ich wieder leben?
Er fühlte sich schrecklich, so beziehungslos.
Nach der frühmorgendlichen Sitzung blieb Brigitte noch auf einen Kaffee in seinem Büro.
Als alle gegangen waren, sah sie Klaus an und seufzte: „Oh, Männer ...!“
„Nein, ich mein’ nicht dich“, sagte sie schnell und lachte ihr glockenhelles Lachen.
„Ja, das denk’ ich mir...“, Klaus tat sauertöpfisch und grinste dann.
„Es gibt keine Männer, nur alte Jungs und junge Jungs“, fuhr er fort. Er sah sie an und lächelte.
„Und was bist du?“
„Ich kämpfe immer noch mit meiner Pubertät“, gab er zurück. „Ein aussichtsloser Kampf ... Die ganzen Irrtümer, die man begeht und die man später für Das Leben hält.“
„Ist es nicht so?“
„Sag ich doch.“
„Du bist so ...“
„ ... pessimistisch ... ?“, fiel er ihr ins Wort.
Er wollte keine Schmeichelei von ihr hören.
Er gefiel sich sehr gut in der Rolle des Männerkenners, des Sich-als-Mann-Hassers, des sanftmelancholischen Zynikers, der auf Teufel komm raus verstecken musste, dass er Brigitte ... , dass er sie ... hmm ...
Vor ein paar Tagen hatte er einen Traum gehabt. Einen erotischen Traum. Aber einen der ganz entspannten, sanften Art. Solch einen Traum hatte er noch niemals geträumt. Ein Streicheltraum, ein Lächeltraum. Sanfte Worte schwebten zwischen ihm und Ihr hin und her. Das Herz war ein weiser, ruhiger Vollmond. Es war wie Heimkommen. Und das wollte der kleine Junge dem großen Mädchen gern erzählen, damit sie ihn genauso wie im Traum in den Arm nimmt, und dann ... und dann ...
‚Dann wär’s vorbei’, dachte Klaus. Also: Klappe halten.
„Was ist?“, fragte sie ihn. „ ... Du guckst so ...?“
„Ich hab‘ grad‘ an was gedacht ...“
„Stör ich ...?“
„Ich muss nur das hier, ganz schnell, du verstehst, sorry ...“
Klaus freute sich immer unsagbar, wenn Brigitte in sein Büro kam. Gleichzeitig litt er Höllenqualen. Wie gern würde er sie in den Arm nehmen, sich gehen lassen, nicht zurücknehmen, nicht kontrollieren, sondern einfach ...
Am schlimmsten ist es, wenn Brigitte von Bruno und Tom spricht, ihm alles haarklein erzählt und dann auch noch seinen Rat will.
„Du bist ein Mann, und du verstehst die Männer ... - hilf mir, sie zu verstehen!“ Brigittes Verzweiflung war echt.
„Ich kann dir nur das sagen, was ich aus Büchern kenne“, antwortete er und zog dabei bedauernd die Schultern hoch. “Ich bin noch keinem richtigen Mann begegnet. Keinem ausgewachsenen.“
„Hör auf! Du bist einer!“
„Also: hüte dich vor Männern, die sagen, sie seien Männer, die sich den Sinn fürs Spielen bewahrt haben, die sagen, dass sie manchmal noch richtig kleine Kindsköpfe seien. Sie sagen die Wahrheit! Sie sind Kindsköpfe, sie können nichts anderes, als spielen. Und hüte dich erst recht vor denen, die sagen, dass sie all das wissen, sie sind nichts anderes als pseudointellektuelle Arschlöcher, die sich nicht trauen, Mann zu sein.“
„Aber welchen Mann kann ich denn überhaupt lieben?“
„Falsche Frage! Du liebst den, den du lieben musst. Punktum.“
Brigitte lächelte Klaus an. Mein Gott, diese Augen, wie sie blitzten und funkelten!
„Männer geben am liebsten Allgemeinplätze von sich, wusstest du das? Das eben war auch so einer.“
„Wir müssen mal wieder zusammen Essen gehen.“
„Ja, irgendwann machen wir das.“
„Und dann so richtig zusammen quatschen, ja?“
„Über Männer und Frauen.“
„Ja!“, sie war begeistert. Das würde ihr Spaß machen, das wusste Klaus.
„Aber, Vorsicht, ich bin wie alle!“
Sie lachte.
Dann, mitten in diesem schönen Lachen, zog sie eine Augenbraue hoch. Ganz leicht und auch nur ganz kurz.
Als dann das Telefon klingelte und Klaus an der Nummer im Display erkannte, wer ihn sprechen wollte, riss er den Hörer hoch. „Ich kann jetzt nicht, ich ruf zurück“, bellte er ins Telefon und knallte den Hörer auf.
„Was war denn das?“, lachte sie und guckte Klaus erstaunt an.
„Das war meine Mama.“
Das sagte er immer. Seine tote Mama musste für alles herhalten.
„Ich weiß was sie will. Ich soll sagen, was ich mir zu Weihnachten wünsche.“
„Und weißt du’s?“
Er sah aus dem Fenster. Draußen fiel der erste Schnee, zaghaft, unsicher.
„Ich möchte mit dir einmal eine Schneeballschlacht machen.“ Klaus erschrak.
„Au, ja, das wär’ toll!“
Klaus stellte sich Brigitte als Achtjährige vor. Schneebälle werfend, prustend, rote Bäckchen, und schon damals dieses glockenhelle Lachen.
„Mit einseifen?“
„Mit einseifen, natürlich!“
Wie weit konnte Klaus noch gehen? Das Herz wummerte bis in den Hals.
„Du schenkst MIR die erste Schneeballschlacht?“
„Du bist mein Freund.“
Da war es wieder, dieses Wort. Freund.
Das letzte Mal hatte er es aus Claudias Mund gehört: „Lass uns doch Freunde bleiben.“
Er hätte kotzen können.
„Was ist los?“
„Nix. Nix ist los. Was soll los sein? Alles bestens. Mir geht es gut.“
„Ich frag ja nur.“
Brigittes Handy gab einen Signalton von sich. Klaus fiel jetzt erst auf, dass sie die ganze Zeit ihr Handy in der Hand gehalten hatte. Sie strahlte, tippte, las, strahlte ...
„Puh! Jetzt geht’s los. Tom schreibt, dass er mit mir Rodeln gehen will. Heute. Nachts. Was soll ich tun? Er ist verheiratet!“
„Das hast du gewusst.“
„Ja, und es ist mir scheißegal.“
Klaus fragte sich, warum ihm es nicht scheißegal ist, dass sie Bruno tatsächlich - und Tom virtuell - fickt.
„Ich liebe dich.“
Da standen sie im Raum ...
Die drei Engel nahmen sich an die Hände und tanzten einen Reigen, sie sangen leise, draußen fiel der Schnee, die Wahrscheinlichkeit einer baldigen Schneeballschlacht wuchs.
Er müsste sich heute noch neue Handschuhe kaufen, dachte Klaus.
Die Fäustlinge, die Claudia ihm letzten Winter gestrickt hatte? - nein, - das ging nicht ... das kann ich nicht machen, dachte Klaus.
Brigitte sah weiter auf das Handy-Display. Sie lernte alles, was sie sah, auswendig. Sendezeit, Text.
Löschen? Niemals!
„Hast du gehört?“
„Ja. Klar.“
„Und?“
„Was: und?“
„Ja.“
Er drehte sich von Brigitte weg, schaute aus dem Fenster.
Unten auf der Straße lief die alte Frau mit dem krummen Rücken lang.
Bechtereff ... Scheißleben, dachte Klaus.
Er stellte sich die Alte als junges Mädchen vor.
Letzten Winter hatte er der Alten bei Glatteis über die Straße geholfen; sie hatte die strahlenden Augen eines jungen Mädchens.
„Wir werden alle sterben.“
„Ich weiß. Das Leben ist der außergewöhnliche Fall - der Tod ist der Normalzustand.“
„Uff. Und was willst du mir damit sagen?“
„Warten wir noch einen Augenblick ..., dann gehen wir uns einseifen?“
„Ich muss aber noch ..., meine Handschuhe ...!“