Angst - überarbeitete Version
Der kalte Wind schlägt ihm in das nur ungenügend von dem hochgeschlagenem Kragen geschützte Gesicht. Sein Körper scheint erfroren mit den Eisblumen an den kleinen Fenstern, die nur spärlich fades Kerzenlicht nach außen scheinen lassen. Verachtung mischt sich mit Angst und Hoffnung in seinen einsamen Gedanken die im Inneren wie eine Flamme lodern. Welch’ arme Kreaturen die vor den Mächten der Natur so hilflos flüchten, sich vor dem Kamin den Glauben an die Stärke wahren und doch selber ihre eigene Ohnmacht spüren. Kein Leben rührt sich auf dem weiten Platz, den er mühsamen Schrittes überquert und sich dabei des Sommers erinnert. Damals hatte er kaum einen Weg durch die Massen gefunden, überall buntes Treiben, der Lauteste gewann. Und heute, wie Karnickel verziehen sie sich in die warmen Häuser und verkennen die einzigartige Schönheit der rauhen Natur, das unangenehme und befreiende dieser Kraft. Fast möchte er glauben das Leben ziehe vorbei und alle schließen die Augen.
Seine Schritte werden schwerer und es keimen wieder diese Zweifel, die ihn um so kranker hinterlassen desto unvorhergesehener sie kamen. Warum kann er nicht siechen wie sie alle, warum ist für ihn das Vermeiden von Denken nicht das höchste Gut, warum widert ihn das kaufen um des Kaufens willen an und warum durchzieht es ihn mit Unbehagen, dort zu sein wo viele andere auch sind? Er kennt sich. Ja, er kennt sich gut und er liebt es, mit sich selbst konfrontiert zu werden und jedesmal eine neue ungewohnte Seite an ihm zu entdecken. Er hat sich selbst erfahren und doch zweifelt er an dem Nutzen. Zeugt es doch von der Nichtigkeit ebenjener Erkenntnis, wenn der Fluß auch morgen noch das Wasser trägt und seine stummen Hilfeschreie ungehört an den gefrorenen Scheiben wiederhallen.
Und wieder steigen die Bilder in ihm auf, deren Zauber zu widerstehen er schon längst aufgegeben hat. Das zähe warme Rot tritt aus seinen Adern und nimmt ihm endlich die Schmerzen. Und wie das Leben, sich hinter einem dunklem Schleier versteckend, aus dem Körper weicht und zeitloser Frieden einzieht.
Ihn wundert es nicht als er sich vor seines Bruders Hauses wieder findet. Er hatte kein Ziel und doch trieb es ihn hierher.
Zaghaft klopft er an die Tür und weiß schon jetzt, daß ihm Heinrich auch diesmal keine Antwort auf seine Fragen geben kann. Stumm tritt er ein, blickt Heinrich in die Augen, nickt kurz als würde ein einziges Wort die heilige Ruhe stören und setzt sich an den Wohnzimmertisch. Heinrich war das schon gewohnt, hatte es aufgegeben Pauls unregelmäßiges Erscheinen zu hinterfragen. Er nahm den restlichen Kaffee aus der Küche mit und gab seinem Bruder eine Tasse. Während er ihm einschenkte konnte Heinrich sein Zittern kaum verbergen. Diesem durchdringendem Blick hatte er noch nie widerstanden und er haßte seinen Bruder für diese beklemmenden Momente. Er sah nicht zum Fernseher, der ununterbrochen einfache Stakkatosätze in den Raum warf, er nahm weder Heinrichs neue Wanduhr zur Kenntnis noch die Couch, die jetzt in einer anderen Ecke stand. Er saß einfach nur da, ließ seinen Blick nicht von seinem Bruder ab und schien der Welt entrückt zu sein. Den offenen und doch nicht ausgesprochenen Vorwurf, den Heinrich in Pauls Augen zu lesen glaubt bringt sein Blut in Wallung. Er ist es doch, der einen geachteten Job hat; er ist es, der in diesem großzügigem Haus wohnt; er ist es doch der richtig lebt. Und weshalb muß er sich jedesmal rechtfertigen wenn Paul anwesend ist? Der, der seinen Job aufgab um sich schlecht bezahlte Gedanken über das Wohl der Welt zu machen. Er konnte es nie verstehen. Dieses Schweigen zermürbte ihn, griff ihn an und er ring um den Satz, mit dem er dieser erdrückenden Ruhe entrinnen konnte. Er wollte ihn nicht fragen was ihn hertrieb, wie es ihm geht, an was er denkt. Er hatte Angst vor zu langen Antworten, auf die er hätte eingehen müssen. Und ebensogut wußte er, daß Paul seine Fragen zur Möblierung schlicht ignorieren würde. Dann schwieg er lieber und mit jeder verstrichenen Minute wurde es ihm unbehaglicher.
„Ich werde mich töten.“, sagte Paul ohne seinen Blick abzuwenden. Heinrich wurde zu Stein und zweifelte an seinem Geist. Er mußte sich verhört haben und wußte doch das es stimmt. Die Worte waren von solchen klarem und festem Klang das sein Bemühen um Mißverständnis nur Selbstbetrug sein konnte. Er mag ihn nicht – den Tod. Noch nie hatte er eine Rolle in seinen Gedanken gespielt, er war so überflüssig wie eine Krankheit. Angst breitete sich in ihm aus. Paul schaute ihn noch immer an und seine Augen zeichneten ein Bild der Traurigkeit und nur wenn man sie länger betrachtet sah man hin und wieder einen Funken aufglühen, als wenn in seinem genialen Geist eine neue Erkenntnis um sich greift.
Der Tod ist grausam und ungerecht, das wußte Heinrich seit sein Opa vor langer Zeit starb und Mutter, ganz in schwarz gekleidet, die Tränen nur mühsam vor ihm verbergen konnte. An ihm war dies vorbeigegangen, hinterließ keine Spuren. Er kommt – aber man mußte ihn doch nicht herbeirufen. Noch kein Wort ging über seine Lippen und er glaubte, daß ein einfaches ‚Warum’ auf seinen Bruder beleidigend wirken mußte. Für ihn war das Leben etwas, das es zu erhalten galt. Das war für ihn so sicher wie der morgendliche Weckruf.
Warum nur dachte Paul nicht auch so? Und mit dieser Frage, die er nur seinem eigenen Geist stellte, fing er an, sich selbst zu hinterfragen. Auf stille Fragen folgten stille Antworten und mit jedem Gedanken stieß er seine engen Grenzen und baute langsam Brücken. Während er ernsthaft versuchte, seinen Bruder zu verstehen verzog sich seine Angst und auch wenn es ihm schwer fiel seine Gedanken festzuhalten so spürte er doch die Macht des Denkens und er sah in dem noch immer auf ihn gerichteten Blick Pauls die Wärme eines Menschen. Und zum ersten Mal schaute er seinem Bruder in die Augen ohne jenes beklemmende Gefühl und gewann die Kraft für das ‚Warum’.
Der kalte Wind schlägt ihm in das nur ungenügend von dem hochgeschlagenem Kragen geschützte Gesicht. Sein Körper scheint erfroren mit den Eisblumen an den kleinen Fenstern, die nur spärlich fades Kerzenlicht nach außen scheinen lassen. Verachtung mischt sich mit Angst und Hoffnung in seinen einsamen Gedanken die im Inneren wie eine Flamme lodern. Welch’ arme Kreaturen die vor den Mächten der Natur so hilflos flüchten, sich vor dem Kamin den Glauben an die Stärke wahren und doch selber ihre eigene Ohnmacht spüren. Kein Leben rührt sich auf dem weiten Platz, den er mühsamen Schrittes überquert und sich dabei des Sommers erinnert. Damals hatte er kaum einen Weg durch die Massen gefunden, überall buntes Treiben, der Lauteste gewann. Und heute, wie Karnickel verziehen sie sich in die warmen Häuser und verkennen die einzigartige Schönheit der rauhen Natur, das unangenehme und befreiende dieser Kraft. Fast möchte er glauben das Leben ziehe vorbei und alle schließen die Augen.
Seine Schritte werden schwerer und es keimen wieder diese Zweifel, die ihn um so kranker hinterlassen desto unvorhergesehener sie kamen. Warum kann er nicht siechen wie sie alle, warum ist für ihn das Vermeiden von Denken nicht das höchste Gut, warum widert ihn das kaufen um des Kaufens willen an und warum durchzieht es ihn mit Unbehagen, dort zu sein wo viele andere auch sind? Er kennt sich. Ja, er kennt sich gut und er liebt es, mit sich selbst konfrontiert zu werden und jedesmal eine neue ungewohnte Seite an ihm zu entdecken. Er hat sich selbst erfahren und doch zweifelt er an dem Nutzen. Zeugt es doch von der Nichtigkeit ebenjener Erkenntnis, wenn der Fluß auch morgen noch das Wasser trägt und seine stummen Hilfeschreie ungehört an den gefrorenen Scheiben wiederhallen.
Und wieder steigen die Bilder in ihm auf, deren Zauber zu widerstehen er schon längst aufgegeben hat. Das zähe warme Rot tritt aus seinen Adern und nimmt ihm endlich die Schmerzen. Und wie das Leben, sich hinter einem dunklem Schleier versteckend, aus dem Körper weicht und zeitloser Frieden einzieht.
Ihn wundert es nicht als er sich vor seines Bruders Hauses wieder findet. Er hatte kein Ziel und doch trieb es ihn hierher.
Zaghaft klopft er an die Tür und weiß schon jetzt, daß ihm Heinrich auch diesmal keine Antwort auf seine Fragen geben kann. Stumm tritt er ein, blickt Heinrich in die Augen, nickt kurz als würde ein einziges Wort die heilige Ruhe stören und setzt sich an den Wohnzimmertisch. Heinrich war das schon gewohnt, hatte es aufgegeben Pauls unregelmäßiges Erscheinen zu hinterfragen. Er nahm den restlichen Kaffee aus der Küche mit und gab seinem Bruder eine Tasse. Während er ihm einschenkte konnte Heinrich sein Zittern kaum verbergen. Diesem durchdringendem Blick hatte er noch nie widerstanden und er haßte seinen Bruder für diese beklemmenden Momente. Er sah nicht zum Fernseher, der ununterbrochen einfache Stakkatosätze in den Raum warf, er nahm weder Heinrichs neue Wanduhr zur Kenntnis noch die Couch, die jetzt in einer anderen Ecke stand. Er saß einfach nur da, ließ seinen Blick nicht von seinem Bruder ab und schien der Welt entrückt zu sein. Den offenen und doch nicht ausgesprochenen Vorwurf, den Heinrich in Pauls Augen zu lesen glaubt bringt sein Blut in Wallung. Er ist es doch, der einen geachteten Job hat; er ist es, der in diesem großzügigem Haus wohnt; er ist es doch der richtig lebt. Und weshalb muß er sich jedesmal rechtfertigen wenn Paul anwesend ist? Der, der seinen Job aufgab um sich schlecht bezahlte Gedanken über das Wohl der Welt zu machen. Er konnte es nie verstehen. Dieses Schweigen zermürbte ihn, griff ihn an und er ring um den Satz, mit dem er dieser erdrückenden Ruhe entrinnen konnte. Er wollte ihn nicht fragen was ihn hertrieb, wie es ihm geht, an was er denkt. Er hatte Angst vor zu langen Antworten, auf die er hätte eingehen müssen. Und ebensogut wußte er, daß Paul seine Fragen zur Möblierung schlicht ignorieren würde. Dann schwieg er lieber und mit jeder verstrichenen Minute wurde es ihm unbehaglicher.
„Ich werde mich töten.“, sagte Paul ohne seinen Blick abzuwenden. Heinrich wurde zu Stein und zweifelte an seinem Geist. Er mußte sich verhört haben und wußte doch das es stimmt. Die Worte waren von solchen klarem und festem Klang das sein Bemühen um Mißverständnis nur Selbstbetrug sein konnte. Er mag ihn nicht – den Tod. Noch nie hatte er eine Rolle in seinen Gedanken gespielt, er war so überflüssig wie eine Krankheit. Angst breitete sich in ihm aus. Paul schaute ihn noch immer an und seine Augen zeichneten ein Bild der Traurigkeit und nur wenn man sie länger betrachtet sah man hin und wieder einen Funken aufglühen, als wenn in seinem genialen Geist eine neue Erkenntnis um sich greift.
Der Tod ist grausam und ungerecht, das wußte Heinrich seit sein Opa vor langer Zeit starb und Mutter, ganz in schwarz gekleidet, die Tränen nur mühsam vor ihm verbergen konnte. An ihm war dies vorbeigegangen, hinterließ keine Spuren. Er kommt – aber man mußte ihn doch nicht herbeirufen. Noch kein Wort ging über seine Lippen und er glaubte, daß ein einfaches ‚Warum’ auf seinen Bruder beleidigend wirken mußte. Für ihn war das Leben etwas, das es zu erhalten galt. Das war für ihn so sicher wie der morgendliche Weckruf.
Warum nur dachte Paul nicht auch so? Und mit dieser Frage, die er nur seinem eigenen Geist stellte, fing er an, sich selbst zu hinterfragen. Auf stille Fragen folgten stille Antworten und mit jedem Gedanken stieß er seine engen Grenzen und baute langsam Brücken. Während er ernsthaft versuchte, seinen Bruder zu verstehen verzog sich seine Angst und auch wenn es ihm schwer fiel seine Gedanken festzuhalten so spürte er doch die Macht des Denkens und er sah in dem noch immer auf ihn gerichteten Blick Pauls die Wärme eines Menschen. Und zum ersten Mal schaute er seinem Bruder in die Augen ohne jenes beklemmende Gefühl und gewann die Kraft für das ‚Warum’.