Ein kleines Wort im Voraus: Anna Göldin war die letzte Hexe, die in der Schweiz (oder Europa, weiss nicht ganz genau) hingerichtet wurde. Eveline Hasler hat ein Buch in Roman-Form über sie geschrieben und als wir in der Schule ein Projekt hatten, sich ein Semester lang mit einem Buch (Biografie) zu beschäftigen und als Abschluss eine Arbeit zu schreiben, wählte ich "Anna Göldin - letzte Hexe" von Eveline Hasler. Der untenstehende Text ist der Abschlussaufsatz.
Anna, Anna
Hexen oder Frauen, die als solche bezeichnet werden, faszinieren mich schon lange. Da ich noch nie die Gelegenheit hatte eine zu treffen, und diese Möglichkeit wahrscheinlich auch nie haben werde, dachte ich, ich könnte mir eine Begegnung mit einer sogenannten Hexe ausdenken und Anna Göldin in ihrer Zeit besuchen, mit ihr sprechen.
Anna Göldin hat einmal darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, in hundert oder zweihundert Jahren zu leben. Das wäre also die Zeit, in der wir leben. Sie stellte sich das verständlicherweise ganz anders vor, als es tatsächlich ist.
Sie sitzt bei ihrer Schwester Katharina in Werdenberg in der Stube und schaut den Kachelofen mit den blaubemalten Füllkacheln an. Auf ihrer Lieblingskachel ist ein Paar zu sehen, altmodisch angezogen, der Mann mit einer Flöte in der Hand. Sie stellt sich vor, in zweihundert Jahren würde der Mann die Flöte an den Mund heben und die Frau würde sich umdrehen. Das ist im November 1781.Ungefähr zwei Monate später sitzt sie in Glarus im Gefängnis.
Ich reise zweihundertundachtzehn Jahre zurück, verkleide mich als Frau dieser Zeit, als ihre Schwester. Ich werde sie oft im Gefängnis besuchen, ihr über die heutige Zeit erzählen.
Im März 1782 besuche ich sie im Gefängnis. Anna sitzt da, im Dunkel ihrer Zelle. Sie hat gemerkt, dass ich nicht ihre Schwester bin, aber sie spielt das Spiel mit. Vorsichtig bereite ich sie darauf vor, mit einer Frau aus der Zukunft zu sprechen, zu hören, dass es bei uns nicht möglich ist, mit der Aussage „Sie ist eine Hexe“ eine Frau zum Tode zu verurteilen. Anna, kannst du dir vorstellen, Besuch aus der Zukunft zu haben? Sie überlegt lange. Ja, sagt sie schliesslich. Jemand schrieb ein Buch über dich, Anna. Im Jahre 1995 nach Christus. In zweihundertunddreizehn Jahren. So? Ja. Es ist sehr interessant. Eveline Hasler, die Autorin, hat in der Gemeindechronik von Glarus nachgeforscht, sie weiss ziemlich genau über dich Bescheid. Wie ich heisse, fragt sie mich. Laura. Laura-Anna. Anna? Ja. In der Zeit Anna Göldins heissen viele Frauen Anna. Auch Göldin ist ein häufiger Name. Er kommt von Gôl, Gôleten, Geschiebe, Geröll.
Weisst du, Anna, in neun Jahren werden die Rechte des Menschen gesetzlich verankert. Dann dürfen sie keine Hexen mehr aufhängen. Ich bin keine Hexe! Ich weiss, Anna. Aber man wird dir nicht glauben. Bei der Abstimmung über dein Leben werden dreissig Stimmen gegen und zweiunddreissig für deinen Tod sein.
Anna (sie meint mich), du musst aufpassen, das sie dich nicht erwischen. Sonst verbrennen sie dich auch, sie werden denken, du bist eine Hexe. Und wenn ich eine wäre? Weisst du, in unserer Zeit wollen viele Frauen eine Hexe sein. Sie schliessen sich zu Gruppen zusammen und nennen sich Hexen. Tanzen des Nachts um ein Feuer und nennen sich Hexen. Brauen sonderbare Tränke und nennen sich Hexen. Aber sie sind keine. Vielleicht gibt es Hexen, aber wenn es sie gäbe würden sie sich nicht Hexen nennen und an die Öffentlichkeit treten. Was? Sie wollen freiwillig Hexen sein? Werden sie nicht verfolgt? Nein. Eben nicht. Sie werden nicht ernstgenommen. Man lässt sie ihre Spiele spielen.
Anna, ich könnte dich mitnehmen, in meine Zeit. Aber ich glaube nicht, dass du das willst. Nein, das will ich nicht. Ich möchte lieber unschuldig sterben als verschwinden. Wenn ich einfach so verschwinde bin ich eine Hexe.
Was verstehen die Leute unter „Hexe“, Anna? Weißt du, wir lernen in der Schule etwas über den Hexenkult. Frauen die nicht ganz „alltäglich“ aussahen wurden angeklagt. Wenn die Kuh des Nachbarn krank wurde, war sie schuld. Sie hatte sie verhext. Ist das so? Ja. Die Leute glauben das.
Anna! Solche Hexen gibt’s nicht! Sie sind genauso wenig Hexen wie du eine bist.
Anna (wieder meint sie mich, sie spricht mich immer mit Anna an), es ist schön zu wissen, dass man in zweihundert Jahren noch etwas über mich weiss. Aber wieso eigentlich? Das ist doch ein ganz normaler Prozess. Nein Anni, das ist es nicht! Du bist die letzte Hexe die in Europa verbrannt wird.
Anna, ich muss gehen. Es kommt jemand.
Auf Wiedersehen Laura-Anna.
Soll ich wiederkommen, Anni?
Ja, bitte.
Gut. Bis dann, Anna.
Ich besuchte sie noch zwei mal. Sie war jedes Mal froh mich zu sehen. Am 18. Juni 1782 begleitete ich sie auf den Galgenhügel. Es war ein schöner Sommertag. Viel zu schön und sonnig für eine Hinrichtung.
Anna, Anna
Hexen oder Frauen, die als solche bezeichnet werden, faszinieren mich schon lange. Da ich noch nie die Gelegenheit hatte eine zu treffen, und diese Möglichkeit wahrscheinlich auch nie haben werde, dachte ich, ich könnte mir eine Begegnung mit einer sogenannten Hexe ausdenken und Anna Göldin in ihrer Zeit besuchen, mit ihr sprechen.
Anna Göldin hat einmal darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, in hundert oder zweihundert Jahren zu leben. Das wäre also die Zeit, in der wir leben. Sie stellte sich das verständlicherweise ganz anders vor, als es tatsächlich ist.
Sie sitzt bei ihrer Schwester Katharina in Werdenberg in der Stube und schaut den Kachelofen mit den blaubemalten Füllkacheln an. Auf ihrer Lieblingskachel ist ein Paar zu sehen, altmodisch angezogen, der Mann mit einer Flöte in der Hand. Sie stellt sich vor, in zweihundert Jahren würde der Mann die Flöte an den Mund heben und die Frau würde sich umdrehen. Das ist im November 1781.Ungefähr zwei Monate später sitzt sie in Glarus im Gefängnis.
Ich reise zweihundertundachtzehn Jahre zurück, verkleide mich als Frau dieser Zeit, als ihre Schwester. Ich werde sie oft im Gefängnis besuchen, ihr über die heutige Zeit erzählen.
Im März 1782 besuche ich sie im Gefängnis. Anna sitzt da, im Dunkel ihrer Zelle. Sie hat gemerkt, dass ich nicht ihre Schwester bin, aber sie spielt das Spiel mit. Vorsichtig bereite ich sie darauf vor, mit einer Frau aus der Zukunft zu sprechen, zu hören, dass es bei uns nicht möglich ist, mit der Aussage „Sie ist eine Hexe“ eine Frau zum Tode zu verurteilen. Anna, kannst du dir vorstellen, Besuch aus der Zukunft zu haben? Sie überlegt lange. Ja, sagt sie schliesslich. Jemand schrieb ein Buch über dich, Anna. Im Jahre 1995 nach Christus. In zweihundertunddreizehn Jahren. So? Ja. Es ist sehr interessant. Eveline Hasler, die Autorin, hat in der Gemeindechronik von Glarus nachgeforscht, sie weiss ziemlich genau über dich Bescheid. Wie ich heisse, fragt sie mich. Laura. Laura-Anna. Anna? Ja. In der Zeit Anna Göldins heissen viele Frauen Anna. Auch Göldin ist ein häufiger Name. Er kommt von Gôl, Gôleten, Geschiebe, Geröll.
Weisst du, Anna, in neun Jahren werden die Rechte des Menschen gesetzlich verankert. Dann dürfen sie keine Hexen mehr aufhängen. Ich bin keine Hexe! Ich weiss, Anna. Aber man wird dir nicht glauben. Bei der Abstimmung über dein Leben werden dreissig Stimmen gegen und zweiunddreissig für deinen Tod sein.
Anna (sie meint mich), du musst aufpassen, das sie dich nicht erwischen. Sonst verbrennen sie dich auch, sie werden denken, du bist eine Hexe. Und wenn ich eine wäre? Weisst du, in unserer Zeit wollen viele Frauen eine Hexe sein. Sie schliessen sich zu Gruppen zusammen und nennen sich Hexen. Tanzen des Nachts um ein Feuer und nennen sich Hexen. Brauen sonderbare Tränke und nennen sich Hexen. Aber sie sind keine. Vielleicht gibt es Hexen, aber wenn es sie gäbe würden sie sich nicht Hexen nennen und an die Öffentlichkeit treten. Was? Sie wollen freiwillig Hexen sein? Werden sie nicht verfolgt? Nein. Eben nicht. Sie werden nicht ernstgenommen. Man lässt sie ihre Spiele spielen.
Anna, ich könnte dich mitnehmen, in meine Zeit. Aber ich glaube nicht, dass du das willst. Nein, das will ich nicht. Ich möchte lieber unschuldig sterben als verschwinden. Wenn ich einfach so verschwinde bin ich eine Hexe.
Was verstehen die Leute unter „Hexe“, Anna? Weißt du, wir lernen in der Schule etwas über den Hexenkult. Frauen die nicht ganz „alltäglich“ aussahen wurden angeklagt. Wenn die Kuh des Nachbarn krank wurde, war sie schuld. Sie hatte sie verhext. Ist das so? Ja. Die Leute glauben das.
Anna! Solche Hexen gibt’s nicht! Sie sind genauso wenig Hexen wie du eine bist.
Anna (wieder meint sie mich, sie spricht mich immer mit Anna an), es ist schön zu wissen, dass man in zweihundert Jahren noch etwas über mich weiss. Aber wieso eigentlich? Das ist doch ein ganz normaler Prozess. Nein Anni, das ist es nicht! Du bist die letzte Hexe die in Europa verbrannt wird.
Anna, ich muss gehen. Es kommt jemand.
Auf Wiedersehen Laura-Anna.
Soll ich wiederkommen, Anni?
Ja, bitte.
Gut. Bis dann, Anna.
Ich besuchte sie noch zwei mal. Sie war jedes Mal froh mich zu sehen. Am 18. Juni 1782 begleitete ich sie auf den Galgenhügel. Es war ein schöner Sommertag. Viel zu schön und sonnig für eine Hinrichtung.