Anton denkt nach

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Dorian

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Mitte der Neunziger Jahre war ich arbeitslos und war mir eigentlich nicht ganz im Klaren darüber, was ich mit meinem weiteren Leben anfangen sollte.
Per Zufall lernte ich in meinem damaligen Stammlokal einen Mann kennen, der von sich behauptete einen Grafikerbetrieb zu führen. Nennen wir den Mann der Anonymität halber Anton G.
Anton war groß und beleibt, mit Halbglatze, einem gewaltigen Schnauzer und reichlich unangenehmem Gebaren. Er war einer der Menschen, die einem das Gefühl geben, dass man mit ihnen vernünftig reden konnte, die aber gleichzeitig das Gespräch dominierten. Er ließ mich praktisch nie zu Wort kommen, was mir im Grunde genommen aber ganz recht war. Ich bin eher ein stiller Typ.
Anton neigte auch dazu, übermäßig dem Alkohol zuzusprechen, und er war ein Angeber, aber eins musste man ihm lassen: wenn er nüchtern war, dann war er ein verdammt guter Grafiker.
Er bot mir an mich einzustellen, vorerst allerdings noch auf einer Art Schnupperbasis, denn damals hatte ich noch keinen Führerschein und Anton war der Meinung, dass ich ein solchen unbedingt mein Eigen nennen müsse, wenn ich für ihn arbeiten wollte. Froh, einen vielversprechenden Arbeitsplatz gefunden zu haben, schlug ich ein – es war etwa elf Uhr morgens in seiner Werkstatt und ich war nicht ganz nüchtern, was daran lag, dass ich die Nacht mit Anton durchzecht hatte.

Eines Tages, es war etwa vier Monate später, hatte ich verschlafen und wankte gegen acht Uhr morgens aus dem Haus. Um acht hätte ich in der Werkstatt sein müssen, aber da Anton meist etwas später kam und ich keinen Schlüssel hatte, machte ich mir keine allzu großen Sorgen, vor allem, wenn man bedachte, dass ich nur einen kurzen Fußmarsch von etwa zehn Minuten vor mir hatte.
Ich hatte etwa zwei Schritte in die entsprechende Richtung gelenkt, als ich von Ferne Antons Chrysler Voyager die Straße herunterschlingern sah. Er bremste sich neben mir ein, stieß die Beifahrertür auf und sagte: „Steig ein, wir fahren nachdenken.“
Inzwischen kannte ich Anton gut genug, um zu wissen, was diese kryptischen Worte bedeuteten. Er meinte, dass wir uns in das Cafe-Restaurant, das zu dem Motel an der Autobahnauffahrt gehörte, begeben würden, um dort die Einzelheiten meiner Festanstellung und der Sache mit dem Führerschein zu besprechen. Anton war betrunken und er hatte wohl seit dem Vortag noch keine Minute geschlafen, deswegen war mir unbehaglich zumute, als ich zu ihm in den Van kletterte, aber was blieb mir anderes übrig?
Wie erwartet fuhren wir in das Cafe-Restaurant und machten es uns an der Bar bequem. Anton bestellte Bier, während ich mich mit Cola und einem Schinken-Käse-Toast zufrieden gab. Ich wusste, was auf mich zukam und zog es vor, den Dingen die da kommen mochten mit gut gefülltem Magen entgegenzutreten.
Natürlich redeten wir nicht über meine Festanstellung, statt dessen schwadronierte Anton über seine Zeit bei „Drahdiwaberl“, über Admiral Tegethoff, die leidige Sache mit der Holzfräse und seiner linken Hand, seine Erlebnisse als Reserveoffizier beim Bundesheer und die Tatsache, dass Gerti, seine Frau, auf dem Klavier einen ganz anständigen Boogie hinbekam.
Gegen zehn Uhr dreißig hatte er mich zum ersten Bier genötigt und begonnen auch den einzigen anderen Gast an der Bar und den Kellner vollzuquatschen. Die beiden kannten ihn schon und reagierten daher nicht übermäßig genervt; der Gast schien außerdem zu einer ähnlichen Kategorie von Mensch zu gehören, wie Anton, weswegen sie die meiste Zeit aneinander vorbeiredeten, was sie aber nicht zu stören schien.
„Wie komme ich hier nur wieder raus?“, fragte ich mich, während mir größtenteils sinnlose Wortfetzen um die Ohren flogen und ich mich durch mein Bier mühte. Ich wusste, dass das alles zu nichts mehr führen würde, und da Anton gesagt hatte, dass heute kein Finger mehr gerührt würde, beschloss ich, möglichst bald einen Weg zu finden, wie ich nach Hause kam.
In dieser Hinsicht vertraute ich auf Gerti. Sie vereinte zwar Ungeschicklichkeit, Hässlichkeit und Dummheit von nie gekannten Ausmaßen in so etwas ähnlichem wie einem Körper, aber sie wusste, wo sie ihren Mann meist auftreiben konnte, wenn er für einen Normalsterblichen nicht auffindbar war. Ich hegte also die Hoffnung, dass Gerti bald hier auftauchen würde, denn sie wusste, wie sie Anton zu nehmen hatte und dann wäre diese Sitzung bald beendet.
Sie ließ sich jedoch Zeit. Zeit während der Anton jedes Mal ein Bier für mich bestellte, wenn ich auf der Toilette war.
Gegen zwölf Uhr dreißig hatte ich also vier große Biere intus und die Schnauze gestrichen voll. Anton war gerade auf dem Klo und ich stellte mich geistig darauf ein, ihm zu sagen, dass ich jetzt gehen würde, wenn er zurückkam.
Doch er kam nicht.
Nach etwa zwanzig Minuten beschloss ich, nach dem Rechten zu sehen und ging die Treppe zur Toilette nicht ohne leichte Schwierigkeiten hinunter. Eine der beiden Kabinen war besetzt und ich schloss messerscharf, dass Anton hier wohl auf dem Thron saß, sozusagen residierte.
„Toni?“, rief ich.
Keine Antwort.
„Toni?“, rief ich noch einmal, diesmal etwas lauter und klopfte an die Tür.
Wieder nichts.
Die nächsten zehn Minuten verbrachte ich damit, gegen die Tür zuerst zu klopfen, dann zu hämmern, dann zu treten und schließlich zu hämmern und zu treten, während ich mir die Seele aus dem Leib schrie. Ich erntete nichts weiter als ein leises Murmeln und ein gelegentliches Schnarchen. Schließlich gab ich auf.
Ich stolperte die Treppe hinauf und überlegte meine nächsten Schritte. An der Bar fragte ich den Kellner nach einem Telefon und er verwies mich zu einer Tür, die in die Halle des angrenzenden Motels führte, wo ich zwei Telefonzellen fand. Allerdings waren diese Telefone zwei ganz normale Apparate, die von der Rezeption aus aktiviert werden mussten, wo sich zur Zeit aber gerade niemand aufhielt.
Wieder verstrichen etwa zehn Minuten, bis jemand daherkam. Eine nicht unhübsche junge Frau, die mich befremdet ansah, als ich sie darum bat, das Telefon benutzen zu dürfen. Aber sie gewährte mir meine Bitte, mit dem dezenten Hinweis, dass ich hernach natürlich eine Gebühr zu bezahlen hätte. Ich zuckte die Schultern und wankte zum Telefon.
Zuerst rief ich im Büro an, dass an die Wohnung der beiden G. angeschlossen war. Gerti war die offizielle Inhaberin der Firma, weswegen ich damit rechnete, sie dort anzutreffen, aber ich hatte kein Glück. Dann versuchte ich es in der Werkstatt, aber auch dort hob niemand ab. Keiner von uns hatte ein Handy, daher entschied ich mich es später noch mal zu versuchen. Einer Eingebung folgend rief ich meine Freundin an, erklärte ihr die Situation und sagte ihr, dass ich sie liebte und mein Chef ein Arschloch sei. Sie war von der Sache nicht sehr angetan und legte mir nahe zu kündigen, was etwa eine halbe Stunde dauerte. Ich versprach sie noch mal anzurufen, wenn ich zu Hause war und legte auf.
Ich ging zurück zur Bar, trank mein Bier aus und bestellte noch ein Cola und einen Schinken-Käse-Toast. Entweder Gerti oder Anton würden zahlen und ich sah keinen Grund, weshalb ich die Sache zu billig machen sollte, wenn ich mir diese demütigende Scheiße schon gefallen lassen musste.
Während der nächsten Stunde oder so, so genau weiß ich das nicht mehr, ich hatte aus offensichtlichen Gründen noch zwei weitere Biere geschlürft (jedenfalls schienen mir diese Gründe damals offensichtlich), versuchte ich mehrere Male sowohl im Büro, wie auch in der Werkstatt anzurufen, als auch Anton von der Toilette zu holen, alles ohne Erfolg. Anton schnarchte nur etwas lauter.
Als ich gegen vierzehn Uhr dreißig von meinem soeben gescheiterten letzten Versuch Gerti zu erreichen in das Restaurant zurückkam, kochte ich vor Wut.
Was sollte ich tun?
Anton einfach sitzen lassen und zu Fuß nach Hause gehen?
Der Kellner würde mich wahrscheinlich umbringen, oder wegen Zechprellerei anzeigen, oder beides, ich dachte nämlich nicht daran, selbst zu bezahlen. Ich war doch nicht verrückt. Außerdem wohnte ich am anderen Ende der Stadt und hierher verirrte man sich eigentlich nur, wenn man ein Auto hatte, daher gab es keine adäquaten öffentlichen Verkehrsmittel.
Ein Taxi?
Zu teuer. Anton hatte wieder einmal „vergessen“ mich zu bezahlen.
Niedergeschlagen setzte ich mich wieder auf meinen Platz an der Bar, stützte den Kopf in die Hände und spielte mit dem Gedanken an ein weiteres Bier.
„Gibt’s hier jemanden der G. heißt?“, fragte der Kellner, der inzwischen ans restauranteigene Telefon gegangen war, in den Raum.
„Ja, hier“, rief ich und sprang so schnell von meinem Hocker, dass ich beinahe aufs Maul gefallen wäre. Ich lief zu ihm rüber und nahm ihm dankbar den Hörer ab.
„Hallo?“
„Ja, ich bins.“ Von langen Höflichkeitsfloskeln hielt Gerti nichts. „Wo seid ihr denn?“
„Im Motel. Aber der Toni ist auf dem Klo eingeschlafen und ich krieg ihn nicht mehr wach.“
Eisiges Schweigen folgte diesem Hinweis.
„Mnja“, antwortete Gerti schließlich sauer. „Ich bin gleich da.“
Und legte auf.
Etwa zehn Minuten später kam sie mit dem Taxi angerauscht und stürmte herein.
„Wo ist er?“, fragte sie.
Ich deutete etwas hilflos auf die Treppe.
„Aufm Klo.“
„Hat er schon gezahlt?“
„Nein.“
Gerti kramte in ihrer Handtasche und bezahlte die Rechnung, dann drückte sie mir hundert Schilling in die Hand und zeigte auf das Taxi, das draußen auf dem Parkplatz wartete.
„Du kannst das Taxi nehmen“, sagte sie, „Ich fahre mit dem Auto.“
Wie ein Racheengel stürmte sie die Treppe hinunter.
Von morbider Neugier getrieben, beschloss ich noch ein bisschen zu bleiben und mir das Ende der Geschichte anzusehen. Es ist erschreckend, was für Abgründe man manchmal in sich selber vorfindet.
Nichtsdestotrotz schlich ich zum Anfang der Treppe und spähte vorsichtig hinunter.
Ich weiß bis heute nicht, wie sie es gemacht hat, aber keine zwei Minuten später standen Gerti und Anton am Fuß der Treppe und sie versuchte ihn die Treppe hinaufzubugsieren. Es hatte keinen Lärm gegeben, kein Geschrei oder Gepolter, nichts.
Trotz dieser verblüffenden Wendung der Dinge und meinem etwas umnebelten Verstand, wusste ich, was gut für mich war und machte mich aus dem Staub.

Man kann sich vorstellen, dass ich nicht mehr lange in der Firma blieb. Etwa zwei Monate später war Anton mir genug Geld schuldig, dass ich den Führerschein auf seine Kosten machen konnte. Glücklicherweise bestand ich die Prüfung gleich beim ersten Mal und ging danach nach Hause, um auf einen Anruf von Gerti oder Anton zu warten.
Dieser kam am Montag darauf von Gerti.
„Was is’ jetzt?“, fragte sie.
„Ihr habt gesagt, dass ihr mich anmeldet, wenn ich den Führerschein habe. Und darauf warte ich jetzt.“
„Wir denken drüber nach.“
Würde ich an Gott glauben, würde ich ihm bis heute danken, dass die beiden sich nicht mehr bei mir meldeten. Manchmal sehe ich sie noch, unglücklicherweise in meinem neuen Stammlokal, aber sie scheinen mich nicht mehr zu erkennen, worauf ich auch keinen sonderlich großen Wert lege.
Übrigens hat Anton die Fahrschule bezahlt, indem er für sie die Leuchtreklame in ihrem neuen Geschäftslokal gemacht hat. Ein glücklicher Umstand für ihn, denn bar hätte er wahrscheinlich sowieso nicht zahlen können. Auf diese Weise hatten alle was davon.
 

Tekky

Mitglied
und jetzt hier, wo's hingehört ;)

Hi Dorian,

die geschichte an sich finde ich lustig und auch deine formulierungen. allerdings sind viele saätze viel zu lang, da könnte man locker zwei oder drei draus machen. es wäre dann leichter zu lesen.
dann gibt es da noch eine formulierung, die in meinen augen daneben gegangen ist: "Eine nicht unhübsche junge Frau". Wozu die doppelte Verneinung? es ist zwar schön, beim lesen herausgefordert zu werden, aber da gibt es andere methoden

gruss
(und beim nächsten mal mit mehr zitaten und '/quote's)
 



 
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