Barfuß durch den Schnee

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Anonym

Gast
Ich habe keinen Hunger und keinen Durst.
Ich spüre keinen Schmerz und kein Leid.
Kälte und Hitze kenne ich nicht.
Ich brauche kein Zuhause, kein Dach über dem Kopf.
Ich brauche niemanden sonst.

Dieser Zustand, in dessen ich mich selbst nicht spüre, begann vor 3 Jahren.

Damals.
Ich hatte Angst, mir bliebe keine Zeit. Ich wollte meine Zeit nicht vergeuden, mein Leben nicht verschwenden. Die wenige Zeit, die einem Menschen vergönnt ist, wollte ich nutzen, um etwas Sinnvolles zu tun, etwas Bewegendes. Einen Fingerabdruck auf dieser Welt zu hinterlassen, der fortbesteht wenn ich schon lange fort bin, schien mir erstrebenswert. Vielleicht war es Überheblichkeit zu glauben, ich sei wichtiger als andere, dass gerade ich mich verewigen müsse. Doch ich hatte dieses Verlangen, diesen ungeheuren inneren Antrieb, etwas zu erschaffen. Etwas das man greifen kann. Ich interessierte mich für Kunst, für die Malerei und das Schreiben. Ich war so konzentriert darauf, etwas daraus zu machen, und setzte mich selbst so unter Druck, dass mein Geist blockiert war und ich nichts zustande brachte. Was dazu führte, dass ich noch immer das tat, was mich so unzufrieden mit meinem Leben machte: Zeit verschwenden. Dass das Leben nur so dahin tröpfelt, eine reine Existenz, schien mir so trivial, so lächerlich. Das konnte doch unmöglich der Grund sein, warum wir hier sind. Leben, nur um der Existenz willen? Nein. Ich wollte mehr. Und so kam es, dass ich mich auf etwas einließ, was sehr bald außer Kontrolle zu geraten schien. Und als mir die Situation völlig aus den Händen glitt, war es bereits zu spät.
Aus diesem Grund habe ich jegliches Gefühl verloren.
Deswegen laufe ich barfuß durch den Schnee.
 

ENachtigall

Mitglied
Dieser Zustand, in dessen ich mich selbst nicht spüre, begann vor 3 Jahren.
Dieser Zustand, mich selbst nicht zu spüren, begann vor 3 Jahren. (So klingt es klarer formuliert.)

Hallo Anonymus,

inhaltlich schwankt der Text, ringt mit sich selbst um jedes Quäntchen Preisgabe von Details einer Geschichte, einer Biografie, eines persönlichen Weges.
Der Leser ist hier verurteilt, auf Grund mangelnder Substanz an Geschichte - es wird nicht erzählt - Zuschauer im Halbdunkel zu sein. So kann er nicht miterleben, nicht nachvollziehen, nicht mitleiden. Ist der Text Instrument der Selbsterkenntnis seines Urhebers? Warum soll er gelesen werden?

Meine Gedanken zum Inhalt: ein Leben braucht Struktur, egal was der Mensch erreichen will, wie hoch oder niedrig die Ziele gesteckt sind. Der Mensch ist ein soziales Wesen und nur die Wenigsten brauchen wirklich - und wenn dann höchstens für begrenzte Zeit - niemanden; es sei denn, es beschränkt sich jemand auf die schnelllebigen Kicks synthetischer Glücksgefühlsbringer. Und das ist ein steil bergab führender Weg.

Fazit: überlege, was Du dem Leser vermitteln möchtest. Eine Stimmung, eine Zustandbeschreibung, eine Geschichte? Oder willst Du Dich schreibend erst einmal selbst sortieren? Gebe einen Hinweis zum Titel, z.B. Tagebuchnotiz oder Selbstportrait. Um so eher wirst Du Resonanzen auf den Text bekommen, der ansonsten eine/n nicht unbegabte/n Schreiber/in verrät.

Grüße von Elke
 

sekers

Mitglied
danke für den Text

Hallo Anonymus,

es ist so eine Sache mit der Perzeption und der Rezeption.

Die Fähigkeit, die Welt neu wahrzunehmen macht den Künstler aus, wie auch den Wissenschaftler, wie auch den Unternehmer.

das sogenannte Neue ist entweder ein Druckfehler (Goethe) oder es wurden Dinge neu wahrgenommen oder neu kombiniert.

dann kommt der Akt des Darstellens dieser Wahrnehmung, des Berichtens, des Verkaufens.

und dann kommen die Kunstinteressierten, die Kollegen, die Kundschaft. und verstehen oder auch nicht, und bewerten.

offensichtlich ist bei der Rezeption Deiner Geschichte etwas nicht so gut gelaufen. das mag mit der (ich würde sagen behaupteten, aber ich kenne mich da nicht so gut aus) fehlenden Ästhetik der Geschichte zu tun haben. vielleicht aber auch mit dem Mangel der Rezeptionisten, sich darauf einzulassen. anders gesagt, sie lesen um ihre Vorurteile bestätigt zu sehen. und drücken den Mangel an Bestätigung derselben oder auch nur ihr Nichtverstehen durch eine Abwertung aus.

das ist ja auch wichtig. die eigene Wohlfühlzone ist eine zu verteidigende. nur hat das mit der Geschichte nicht so viel zu tun. eigentlich.

ich persönlich finde sie genial. sie beschreibt den Umgang mit der Verzweiflung, der bei rationaler Betrachtung so irrational erscheint, aber trotzdem so ist. und hat etwas Winterreise-mäßiges. der Text scheint mir direkt vom Herzen geschrieben.

das Thema des "in dessen ich mich selbst nicht spüre" ist höchst aktuell. Legionen von Nachrichtenschreibern leben von den Taten derer, denen es auch so geht, die damit aber kein Problem haben.

barfuß im Schnee. die Auflösung klingt trotzig ("werden wir den Reiz erhöhen") und damit fast schon wieder lustig. ein bisschen lachen und weinen, zugleich.

Liebe Grüße

G.
 



 
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