Berlin-Story

5,00 Stern(e) 1 Stimme
Katinka stellt sich vor und zankt mit Ralf

So, 05. Mai
Mein lieber Mann!

Ich habe meine Beine rasiert. Stell dir vor, ich saß in der Badewanne und dachte, was mach ich jetzt - du weißt ja, ich finde baden einfach langweilig. Aber nur mal eben eintauchen und dann wieder das ganze viele Wasser zum Ausguss hinaus lassen, das nenne ich dekadent. Also saß ich eine angemessene Zeit ab und rasierte mir schließlich die Beine. Das war ein ganz komisches Gefühl. Als ob ich eine alte Haut ablegte. Nun stehe ich dauernd vor dem Spiegel rum und betrachte diese plötzlich so jungen und glänzenden Dinger unter meinem Rock. Sexy sieht es aus und fühlt sich ein bisschen frivol an.

Als Teenager hatte ich einen immer wiederkehrenden Traum: ich ging ohne Höschen durch die Straßen, nur mit einem super kurzen und super luftigen Minirock bekleidet. Bei jedem Windstoß hob es das Fähnchen in die Luft und zog blank, will sagen: legte meine Pfirsichbäckchen frei, das es nur so blitzte. (Jawohl, Pfirsichbacken! Ist Jahre her, aber auch ich hatte eine Jugend!) Natürlich provozierte ich jede Menge Auffahrunfälle, denn meistens befand ich mich im aller schönsten Feierabendverkehr. Wenn schon, denn schon.
Ich kann heute nicht mehr sagen, was mich damals mehr erschreckte: die Vorstellung an sich, die ein wohlgeratenes Mädchen wohl als Alptraum katalogisiert und wenn schon nicht den nächst besten Psychologen, so doch wenigstens entrüstet und verzweifelt Mutter, Schwester oder Freundin eingeweiht hätte, oder die Erkenntnis, dass ich kein wohlgeratenes Mädchen war.
Meine nackten, fellentblößten Waden jedenfalls verschaffen mir heute eine ungewollte aber willkommene Verjüngungskur: ich fühle mich um zehn Pfund und ein paar Jahre leichter. Als ertappe ich mich bei einem liederlichen Schabernack und kichere dabei wie ein Junghuhn, obwohl ich’s eigentlich besser wissen müsste.
„Ich hätte dich jetzt gern bei mir. Vielleicht würde dir meine Blöße gefallen“, schreibe ich in das Buch mit dem kitschigen Herz vorne drauf und vergehe vor zärtlicher Sehnsucht.
Das Telefon klingelt. Am Sonntag? Wer kann was von mir wollen? Ich kenne niemanden, der sonntags so allein ist wie ich, dass er nichts besseres zu tun hat, als mich anzurufen! Ich bin bestimmt die letzte Zuflucht, wenn es um Spaß und Tollerei an einem verregneten Sonntag geht, dafür die erste Adresse, um vereint und aus Leibeskräften jeden Kummerkasten zu füllen. Am ehesten, wenn es sich um das Stillen von Liebes- und anderen sexuellen Nöten handelt.
Ich muss in den Flur, um wenigstens meine Neugier zu befriedigen. Auf dem Weg dorthin überlege ich, wie ich dem Störenfried sofort den Wind aus den Segeln nehmen und ihn in den Staub treten kann, damit ich nicht der einzige Sonntagsschwerenöter auf dieser öden weiten Welt bleibe, und weshalb ich nicht längst eine Kabelrolle besorgt habe, dann könnte ich mir diese ewige Rennerei quer durch die Wohnung ersparen und warum, zum Teufel (Aufschrei!), kann Maria nie den Staubsauger wegräumen?!
Habe ihn vor lauter Gedankenversunkenheit glatt übersehen und jaule kurz, aber herzhaft auf meinen schwer angeschlagenen großen Zeh hinunter. Ein gewaltiges Stück des Nagels steht steil in die Höhe. Das Telefon klingelt zum siebzigsten Mal. „Ja!“ blaffe ich in seine Richtung und lege den Rest des Weges hinkend zurück.
„Katinka Matz.“
Das bin ich.
Katinka ist mein Rufname und Matz der Familienname. Also der meiner ersten Familie, quasi mein Mädchenname. Ich bin zwar verheiratet, aber meine Identität, die wollte ich behalten. Reicht schon, wenn man plötzlich mit einer Schwiegermutter konfrontiert ist, muss man nicht auch noch so heißen, wie sie: Frau Schätzchen.
Wirklich, meine Schwiegermutter heißt Schätzchen! Wie mein Mann, der heißt natürlich auch Schätzchen, ist ja der Sohn meiner Schwiegermutter. Auf eine Art war das ganz praktisch. Ich musste mir nicht den Kopf zerbrechen über irgendwelche blöden Kosenamen für meinen Angetrauten. Er heißt einfach Schätzchen und deshalb rief ich ihn auch so: Jens, Schätzchen!
Nun hat das eine ja überhaupt nichts mit dem anderen zu tun. „Nur wo Nutella drauf steht, ist auch Nutella drin“, fällt mir spontan ein – schließlich bin ich Werbetexter -, bemerke aber schnell, das der Vergleich hinkt.
„Ralf hier.“
Ich unterdrücke ein Stöhnen. Irgendwann werde ich ihm sagen müssen, dass das nervt. Immer nur „Ralf hier.“ Punkt. Schweigen. Nichts. Mein Auge fängt schon wieder an zu zucken in Erwartung jenen Tages, an dem ich beim Verlauten dieser großartigen Ankündigung in die Knie gehe und den Boden unterm Telefon küsse, an dessen anderen Ende der Leitung er gerade hängt.
„Ja?“ frage ich ebenso angebunden zurück. Soll nicht denken, dass ich vor seinem Theater die Fassung verliere.
„Wollt nur fragen, wie’s dir geht.“
„Dann frag doch.“ Ich weiß nicht, irgendwie haben seine Anrufe immer so was kontrollierendes an sich.
Schnauben am anderen Ende. „Wie sind wir denn heute drauf?“
„Ich weiß nicht, wie es bei dir ist, aber ich bin drauf, und dran auch. Nämlich, ich schreibe gerade einen Brief.“
„Oh. An wen denn?“
Siehste! Habe ich doch gesagt: Kontrolle.
„An meinen Mann!“
„An deinen Mann?“
„An meinen Mann!“
Schweigen.
Schweigen.
„Was haste dem denn so wichtiges mitzuteilen?“
„Das ich mir die Beine rasiert habe.“
„Du hast dir die Beine rasiert?“
„Sag ich doch.“
„Warum?“
„Wie, warum?“
„Waren da Haare dran?“
Ich muss lachen, ob ich will oder nicht.
„Das machen Frauen so.“
„Und warum erzählst du das deinem Mann? Ich würde mit diesem Typen keine Silbe mehr reden!“
„Mach ich ja auch nicht wirklich. Ich schreibe in so ein kleines Buch.“ Ich kaue auf der Unterlippe und füge kleinlaut hinzu: „Wahrscheinlich würde er meine Briefe gar nicht lesen.“
„Hör endlich auf, diesem Mistkerl hinter her zu trauern. Der hat dich nach Strich und Faden hops genommen ...“
„Oh“, verbessere ich ihn, „das hätte ich mal wieder gern.“
„Macht da mit `ner anderen Tussi rum und du schreibst ihm Briefe. Ich fass es nicht!“
„Ich hab’s dir hundertmal erklärt: diese Tussi war nur Mittel zum Zweck. Er brauchte ein Sprungbrett, um von mir los zu kommen.“
Das war ganz und gar das falsche Vokabular. Doch bevor ich mich korrigieren kann, fällt Ralf mir lakonisch ins Wort: „Ja, und wie er sie besprungen hat!“
Ich schnappe nach Luft. Also so genau wollte ich das gar nicht wissen.
„Weißt du was?“ schnauze ich los, „Vorhin ging’s mir noch einigermaßen gut. Bevor du angerufen hast. Willst du mir den Sonntag vermiesen, du Ekel?“
Ralf schnauzt zurück: „Nee, eigentlich wollte ich dich zum Abendessen einladen. Aber das hat sich ja wohl erledigt!“
„Gut, gut! Dann knall ich jetzt den Hörer auf!“
„Mach doch!“
Blitzschnell gehe ich in Gedanken die Fächer im Kühlschrank durch. Lichter als das Licht, das sowieso seit meinem Einzug kaputt ist.
„Und wo kriege ich jetzt noch was zu essen her?“ schmolle ich.
Männer sind mit einer rauchigen Stimme leicht um den Finger zu wickeln.
„Viertel nach sieben im Nestchen.
„Also, bis viertel acht.“
 



 
Oben Unten