Berta

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pfifficus

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Berta

Berta schwitzte. Seit drei Stunden lag sie schon im Bett und konnte einfach nicht einschlafen. Sie wälzte sich hin und her, her und hin. Vielleicht hätte sie das Bett neu beziehen sollen, der Lenor-duft war nicht mehr ganz so frisch. Vielleicht hätte sie sich duschen sollen, bevor sie schlafen ging, der verklebte Tagschweiß klebt unter ihren Achselhöhlen, in ihren Kniekehlen und am Haaransatz, auch ihre fahrigen Hände konnten ihn nicht wegwischen. Vielleicht hätte sie aber auch die drei Hammelkoteletts bei Bert nicht mehr essen sollen, das machte nur unnötig den Magen schwer. Aber sie wollte doch nicht unhöflich sein. Schwerfällig drehte sich Berta auf die andere Seite, auf den Bauch. Irgend etwas war nicht in Ordnung. Was konnte es nur gewesen sein? Berta zog die Bettdecke über den Kopf. Sie wischte die Gedanken beiseite, versuchte an den Mond zu denken, der sie blassgrau und schwer auf dem Weg durch die Nacht nach Hause begleitet hatte. Ihre Gedanken wurden schwer, versanken langsam im Nebel.

Die Kaffeetasse! Berta fuhr hoch. Das war sie! Wieso hatte sie nicht gleich daran gedacht? Ener-gisch schlug Berta das Federbett zurück. Die molligen Beine schwangen über die Bettkante. Schwer atmend suchte sie ihre Hose, Bluse und ein leichtes Jäckchen vom Fußboden. Noch wäh-rend sie die Wohnungstür schloss, dachte sie, ‘was werde ich ihm sagen?’

Schwitzend und schnaufend stapfte sie die drei Straßen zu Bert entlang. Sie sah nicht mehr den Mond, die blühenden Begonien und die anderen dunklen Schatten, die sich an die Häuserwände drückten. Woher hatte Bert die Tasse? Wusste er etwas? Bert war Detektiv. Alles war also mög-lich. Hatte er Verdacht geschöpft?

Die Tasse ihrer Großmutter mit den schnörkeligen Schriftzügen, die eigens für sie zu ihrem sech-zigsten Geburtstag bestellt und von der einzigen Töpferin im Ort gemacht worden war, stand glühend vor ihren Augen. In ihrem Magen brannte es. Sie hatte sie selbst vergraben. Vergraben an der Stelle, wo auch die Leiche lag. Dort sollte sie für immer ruhen und nun war sie wieder aufer-standen.

Zwei Häuserblocks von Berts Wohnung entfernt blieb sie abrupt stehen, raufte sich die kurzge-schnittenen zerwühlten Haare. Wie sollte sie Bert fragen, woher er die Tasse hatte, ohne seinen Verdacht zu erregen? Oder wusste er bereits etwas? Wie konnte das sein, sie waren seit vielen Jahren befreundet. Sie hatten eigentlich keine Geheimnisse voreinander, bis auf die kleinen und das eine große. Langsam Schritt für Schritt näherte Berta sich dem grünen Wohnblock, in dem Bert im dritten Stock in einer gemütlichen Dreizimmerwohnung hauste. Bleiernen Schrittes stieg sie die Stufen hinauf. ‘Ich könnte sagen, ich hätte etwas vergessen, meine Handtasche, meine Geldbörse und während er sie sucht, könnte ich nochmal einen Blick darauf werfen, könnte nochmal nachsehen, ob ich mich nicht getäuscht habe.’

Lange stand Berta vor der kühlen Wohnungstür. Ihr Blick verlor sich im Schlüsselloch, durch das ein schmaler Lichtschimmer fiel. Sie wünschte sich, sie könnte hindurchkriechen wie der Licht-strahl und die Wohnung und Bert ausleuchten, um festzustellen, ob es irgendein winziges Anzeichen zur Besorgnis gab. Es war doch schon mindestens zehn Jahre her, dass das alles pas-siert war. Langsam zählte Berta an den kurzen Fingern die Jahre, die seither vergangen waren. Ein Rascheln riss sie hoch. Sie spähte die Treppe hinab. Kam da jemand? Abermals das Rascheln, ein Husten, ein Brabbeln, Lallen. Vorsichtig schlich Berta hinab. Ein Augenpaar blickte sie an, unter den Augen und darüber stand struppiges Haar, ein Hauch billigen Whiskys strömte ihr in die Na-se, dazu ein Körpergeruch, der den ihren überlagerte. Zusammengekauert saß der schmutzige Mann unterm Treppenabsatz auf einer ausgebreiteten, fettigen Zeitung. Sie setzte sich zu ihm.

„Heee, das ist mein Schlafplatz,“ kamen die undeutlichen Worte aus einem schaumigen Mund. „Ich nehme ihn dir nicht weg,“ Berta durchzuckte ein Gedanke, „wenn du mir einen Gefallen tust.“ „Gefallen?“ Er sprach das Wort, als sei es aus einer fernen Sprache, vielleicht aus Kleinasien oder sogar schon ausgestorben. Zweifel überfielen Berta, aber dann lockte sie, „du bekommst eine Flasche Dimpel dafür.“ „Dimpel? Wenn schon, dann will ich Remy Martin.“ „Okay,“ stimmte sie zu. „Das isn Deal,“ lallte der Struppige. „Okay, worum gehts, Weib?“ Er war jetzt sichtlich wach und stupste sie kumpelhaft von der Seite. Kurz und knapp erklärte sie ihm ihren Plan. Er nickte verständig, aber sie musste es drei Mal wiederholen bis er endlich schwerfällig und gebrechlich aufstand und sich die Stufen zu Berts Wohnung hinaufschleppte.

Mit angehaltenem Atem und fest zusammengedrückten Daumen kauerte Berta unter dem Absatz. Bert würde ihn nicht hinauswerfen, würde nicht das Licht einschalten und auch nicht die Stufen hinabsteigen, um sicherzugehen, dass der Mann das Haus verließ. Er würde ihm gern einen Gefal-len tun. Bert hatte Herz. Solange es nicht um Mord ging. Er würde dem armen Mann den Schluck Kaffee nicht verwehren. „Was wollen Sie um diese Uhrzeit?“ hörte sie Berts volltönende Stimme von den Wänden hallen. „Ka.. Ka.. hmmmnja hm,“ hörte sie Struppi lallen. Sie hatte ihn heimlich so getauft, aber nun war ihr elend zumute. Er würde alles vermasseln. „Kaffee,“ brachte er nun schließlich doch heraus. Berta seufzte erleichtert. Sie kannte Bert. Er würde ihm die einzige un-gewaschene Tasse, die noch in der Spüle stand, mit Kaffee füllen und sich dann zurückziehen. Er mochte keine fremden Menschen in seiner Wohnung, aber er war auch sehr hilfsbereit. Er würde dem Mann die Tasse überlassen, es sei denn, sie hätte eine besondere Bedeutung. Oder vielleicht hatte Bert doch noch Lust auf ein Schwätzchen und lud den Mann statt dessen ein. Vielleicht zog er eine saubere Tasse aus dem Schrank. Vielleicht kannte sie Bert doch nicht so gut, wie sie im-mer geglaubt hatte?


In dem Moment fiel die Tür ins Schloss. Struppi wankte leise singend die Stufen hinab, hangelte sich mit der einen Hand am Treppengeländer, mit der anderen balancierte er heißen Kaffee, der trotzdem kleine braune Pfützen auf dem Stein hinterließ. Ungeduldig zog ihn Berta aus dem Haus und um die Ecke unter die nächste Straßenlaterne. Der Kaffee dampfte. Sie war es. Es war die richtige Tasse. „Hier, der Kaffee, Madame, und jetzt mein Remy Martin.“

Berta inspizierte die Tasse, die gleiche schnörkelige Schrift, derselbe Henkel. Sie goß den Kaffee auf die Straße. Unter dem Boden fehlte die Widmung. ‘Für Oma zum 60.’ Berta drehte die Tasse hin und her. Sie hatte sich getäuscht. Es war eine andere. „Remihi,“ der Struppige zog jetzt kräf-tiger. Berta fühlte sich plötzlich leicht, leicht wie eine Feder hakte sie den Mann ein. „Komm wir feiern jetzt,“ trällerte sie und zog ihren Held zur noch erleuchteten Bahnhofsgaststätte.
 



 
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