Beziehungsweise alles gut

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He de Be

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Ich bin nicht komisch, ich bin katholisch, hatte ich zu dieser Corinna gesagt, der Seminarleiterin, die uns in diesem Kurs auf andere Ideen bringen wollte. "Andere Ideen", mit diesem Motto hatte sie dafür geworben, Frauen bei ihrem Wiedereinstieg ins Berufsleben zu helfen. Wir sollten neue Ziele sehen und andere Wege gehen undsoweiter blablabla. Ich könnte, meinte sie, mein komisches Talent ausbauen. Entdecken lassen. Ich könnte es auch sein lassen, dachte ich. Ich finde mich nicht komisch, überhaupt nicht komisch. Und meine Lage schon gar nicht. Wenn sie wüsste. Wenn ich es nur erzählen könnte. Doch das lasse ich lieber, vorerst. Ich habe schon genug erzählt. Sogar der Polizei. Ich sagte ihnen, dass ich ihn nicht mehr gesehen hatte an jenem Abend, dem letzten Abend seines Lebens. Wir hatten zusammen gegessen, so gegen sechs. Ich hatte Abendbrot gemacht, wie immer. Wir hatten schweigend da gesessen, auch wie immer. Viel hat man sich ja nicht mehr zu sagen nach so langer Zeit, wenn wir uns überhaupt je viel zu sagen hatten. Es sind jetzt 34 Jahre, unglaublich. Fast unvorstellbar kommt es mir vor, so lange Zeit mit diesem Mann in einem Haus gelebt zu haben.
Die Kinder sind schon ein paar Jahre weg, nur ab und zu kommen sie zu Besuch, und er, Erich, mein ERich verbrachte schon seit Jahren jede freie Minute in seiner Werkstatt, wie er den Schuppen, den er sich gleich hinterm Haus gebaut hat, nannte. Zuletzt verbrachte er sogar auch noch die ganze Nacht darin. Das sagte er zumindest. Richtig gemütlich gemacht hatte er es sich dort, mit Schlafsofa, Fernseher und Computer. Nur um ungestört auf Pornoseiten zu surfen, da wette ich drauf. Und um sich seinen Traum weiter zu spinnen, in dem er eine schöne junge Russin findet, die ihn ranlässt, wann und wie er will. Ich dachte schon, ich höre nicht richtig, als er mir zum ersten Mal von diesen jungen schönen Russinnen vorschwärmte. Da denkt doch dieser alte Bock, der küssen kann wie ein Radieschen, dass ihm die siebzehn oder zwanzig Jahre jungen Dinger nur so um den Hals fielen, wenn er nur erst wieder zu haben wäre. Doch da war ich vor. Dass er irgendwann wieder frei wäre, davon hat er geträumt. Nun ja.
Wovon ich denn so träume hat er nie gefragt. Nie. Es hat ihn gar nicht interessiert. Ich frage mich jetzt, während ich das hier so erzähle, ob er sich überhaupt je einen Gedanken um mich gemacht hat. Ich glaube nicht. Ich war für ihn so etwas wie eine Kartoffel, die auch gedeiht, wenn man sie unbeachtet in der Erde liegen lässt. Ich war auch mal das Huhn, das Eier legt und mal die Kuh, die er dann melken darf, und seine graue Maus. "Mausi" hat er mich früher einmal genannt, er fand das auch noch witzig. Wirklich komisch, hatte ich ihm da gesagt, nur nicht für mich. Wahrscheinlich hat er später dann eine seiner Miezen so genannt. Die hatte er, da bin ich sicher. Er war sich sicher, dass ich davon nichts merken würde. Er war ja immer so beschäftigt, und ich habe weiter nichts gesagt. Nicht eine Szene habe ich ihm je gemacht, nicht eine. Wie heißt es doch? Dass stille Wasser tief sind. Und kalte Wut, die ist es auch, das schwöre ich.
Ich bin nicht komisch, wirklich nicht. Es klingt mir heute noch im Ohr, wie meine Mutter das zu meinem Vater sagte: Die Annie ist wirklich ein unmögliches Ding. Die stellt sich dauernd so komisch an. Der musst du mal Manieren beibringen. Mein Vater sprang dann auf und schrie mich an. Manchmal schlug er mich auch, je nachdem, wie seine Laune war – oder auch meine. Denn manchmal provozierte ich ihn absichtlich, durch Widerworte oder durch mein Lachen. Alle rundum, die Verwandtschaft, Nachbarschaft, die Leute in der Schule, fanden, dass ich komisch sei, gar nicht normal und wie es sich gehöre. Nur Erich damals, der fand mich gut. Zumindest, bis wir geheiratet hatten. Danach war auch bei ihm dann Schluss damit. Ich weiß gar nicht, warum ein Mann sich so verändert, wenn er dich erst mal sicher hat. Na klar, jetzt leuchtet es mir ein: Weil er Dich ja als Beute angesehen hatte. Und einmal dann erlegt, bist du nicht mehr so wichtig. Ich aber fühlte mich bald wie Erichs fette Beute. Die er dann 34 Jahre lang auf Sparflamme geröstet hat. Sich nur ganz unauffällig Stück für Stück von mir abgeschnitten, sich an mir bedient. Es hingestellt, als hielte er mich ja am Leben. Ich selber wäre doch rein gar nichts ohne ihn. Dabei bin ich fast eingegangen an seiner Seite, untergegangen, völlig verschwunden.
Die meiste Zeit war ich allein im Haus, den ganzen Tag. Die Kinder waren ja nicht ständig da, im Gegenteil, die kamen auch, als sie noch hier zuhause wohnten, nur zum Essen und zum Schlafen heim. Die ersten Jahre unserer Ehe hatte ich noch gekämpft. Gestritten. Und auch dazu verdient, gearbeitet. Immer ganz alleine in meinem Keller an der Nähmaschine. Den Raum hatte Erich mir eingerichtet. Da saß ich dann und nähte Vorhänge. Die halbe Stadt hat irgendwelches Zeug am Fenster hängen, an dem ich mir die Finger wund genäht hatte. Ich nähte für den größten Raumausstatter hier vor Ort, in Heimarbeit. Bis das dann plötzlich nicht mehr lief. Ich hatte so wenigstens etwas Geld für mich. Nicht dass ich viel verdient hatte mit dieser Arbeit, aber ich hatte viel gespart. Und mir jahrelang die Sprüche von ihm angehört: "Ja ja, die Annie, die ist zwar keine flotte, aber eine fleißige Biene. Und sie verbraucht auch nicht viel mehr! Haha!" So tönte er, wenn seine Freunde da waren. Nicht dass er darauf stolz gewesen wäre, nein, er lachte dann ganz hämisch.
Ich weiß nicht, wie ich das hier ausgehalten habe. Ich weiß noch nicht einmal, was ich gemacht habe all die Jahre. Irgendwie sind sie so schnell vergangen und man macht einfach weiter, als ob nichts wäre, beziehungsweise alles gut. Doch ist das nur die eine Seite, die Oberfläche. Wie eine Kruste, die man sich in all den Jahren angeschwiegen hat. Darunter brodelt es die ganze Zeit. Nur sieht das keiner. Was man sieht, ist das Essen, das auf den Tisch kommt, die Vorhänge, die am Fenster hängen und der Putz am Haus. Sein Auto, das er immer sehr gepflegt hat und meinen Vorgarten, den ich so schön gestaltete. Er hat ja gut verdient bei seiner Firma. Und als er dann vor ein paar Jahren in Frührente ging, bekam er eine dicke Abfindung. Die hatte er gut angelegt, wir brauchten uns, was das angeht, keine Sorgen mehr zu machen. Nur glücklich waren wir nicht, nicht einmal wirklich zufrieden. Er jedenfalls nicht. Nicht mit mir, sagte er plötzlich. Nicht mehr. Wir hätten sowieso nur funktioniert, nach außen, so dass die Nachbarschaft nichts merkte. Drinnen im Haus sprühte es seither Funken, wenn wir zufällig in Berührung kamen miteinander, so waren wir geladen – aufeinander. Wir rissen uns zusammen, doch manchmal ist ein Aufeinanderprall ja nicht mehr zu vermeiden.
Das letzte Mal hat er an seinem letzten Abend noch getobt. Ich hatte es gewagt, ihm kein Fleisch vorzusetzen. Kartoffeln gab es, Quark und Leinöl. Ich weiß auch nicht, wie ich darauf gekommen war. Eine Freundin hatte mir das Leinöl wärmstens empfohlen. Es sei ja so gesund! Obwohl es mir dann auch nicht besonders schmeckte. Es schwirrte wohl die ganze Zeit in meinem Kopf herum, seit ich mit angehört hatte, wie Helmut, unser Nachbar, meinem Erich erzählte, dass sein Schwiegersohn den Lappen mit dem Leinöl ständig offen herum liegen lasse. Solange sonst nichts darunter liegt, geht es ja noch, hatte Erich dazu gemeint. Das sagst Du so, hatte Helmut erwidert, da ist doch schneller was passiert als einer denkt. Ich hatte Erich damals – es ist schon eine ganze Weile her – gefragt, was Helmut denn gemeint habe damit, und er hatte mir erklärt, dass Leinöl selbstentzündlich sei. Was, einfach so? hatte ich gefragt, wie kann denn das sein? Nein, nicht einfach so, hatte er, schon ganz genervt, geantwortet, mir dann aber doch alles lang und breit erklärt, vor allem, weil er sich ja sowieso so gerne reden hörte, erst Recht, wenn es mit seinem Werkstattkram zu tun hatte. Ausführlich hatte er mir dargelegt, was alles so passieren kann, wenn man seine Lappen mit dem Öl achtlos herum liegen lasse, möglichst noch zusammen mit Sägespänen, Terpentinlappen und ähnlichem Zeug auf einem Haufen, genau so wie kurz vorher Helmut ihm. Und das kommt vor? hatte ich ihn da gefragt. Ja, ab und zu, vor allem bei Leuten, die ihre Sachen nicht ordentlich wegräumen nach der Arbeit. Das kann doch jedem einmal passieren, dachte ich, nur so, für mich.
Und das muss ihm dann auch passiert sein, an seinem letzten Abend. Was wollen die denn sonst noch wissen?!
 

molly

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Hallo He de Be,
:)
Ja, ja, die stillen Wasser! Deine Geschichte habe ich mit Vergnügen gelesen. Nur bei diesem Satz bin ich etwas gestolpert:

""wenn nur erst wieder zu haben wäre. Doch da war ich vor.""

Irgendwie kommt der Satz mir unvollständig vor.
Vielleicht brauchst Du diesen kleinen Satz nicht, vielleicht sehe ich das aber auch falsch.

Viele Grüße

molly
 

He de Be

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Hallo herziblatti,

vielen herzlichen Dank für deine Rückmeldung. Ich freue mich sehr darüber, fühle mich sogar geehrt.

Es ist tatsächlich ein Text, den ich vor Jahren geschrieben und immer wieder überarbeitet habe, denn es hätte ein richtiger Krimi werden sollen, mit dem perfekten Mord natürlich. Die Idee war ja schon da, sozusagen.

Der Absatz an der Stelle mit der Polizei ist mir vielleicht untergegangen, weil die Figur das Wort "verschlucken" will und quasi in Deckung bleiben, aber ich denke du hast Recht und sie stockt eben darum hier. Werde es ändern.

Ich schicke viele Grüße,

Hedebe
 

He de Be

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Hallo Molly,

vielen Dank für Deine Antwort. Ich bin beim Überarbeiten auch öfter über diesen Satz gestolpert, habe ihn aber schliesslich stehen lassen, weil ich es nicht besser machen konnte.
Sagte mir dann, dass sie es eben so sagt.

mfg,

Hedebe
 



 
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