Bist du allein?

3,80 Stern(e) 6 Bewertungen

HerbertH

Mitglied
Bist du allein? Stelle die Staubblüte
in die Vase trockenster Wüste. Hör auf den Bruder,
er spricht Worte aus, die draußen lebendig
getarnt in deinen Träumen an den Kletterästen hangeln.

Er sieht deine verblassten Blumenblätter erstarren,
wie du dem Schwan Krumen wirfst,
der Hexagone der Kälte auf dem Schnabel balanciert;
nur mit dieser Kühlung erlebt er das Sommerende.
 
Lieber Herbert,

dein Text zieht mich an, ich erkenne jedoch nicht die Zusammenhänge. Wenn man sich allein fühlt, sollte man Verstaubtes weit von sich schieben? Staubblüten (Kunststoffblumen) noch in die trockendste Wüste zu stellen - besser ist die Dürre nicht zu erklären. Wer ist der Bruder, der täuscht und bis in die Träume folgt? Der sieht, wie alles erstarrt.
Jetzt der Kontrast: der Schwan, der gefüttert wird. Es sind also Gefühle vorhanden?
Der Hexagone der Kälte auf dem Schnabel balanciert;
Ich stelle mir sechseckige Kristalle vor, die er auf seinem Schnabel trägt.
Nur mit dieser Kühlung erlebt er das Sommerende.
Es ist ein Rätsel für mich. Was will uns der Autor sagen?

Fragenden Gruß,
Estrella
 
H

Heidrun D.

Gast
Volltreffer, liebwerter Herbert. Bildschön!

Ich sehe die traurigen Blüten der Einsamkeit und draußen das herrliche Leben.

Hör nicht auf den Bruder.

Er weiß nicht, dass du allein in der Vereisung überleben, deine bemessene Frist ausschöpfen kannst. - Und mit dir deine wilden, heimlichen Träume, all das, was dein Dasein bunt macht.

Zu tief ist dein Empfinden, zu gefährlich die ungezügelte Leidenschaft.

Du hast herrliche Metaphern gefunden und ich ziehe gern den Sonnenhut

:)

Heidrun

(Dass ich LyrI meine, weißte ja selber, ne?)
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Estrella, liebe Lena Luna,

die Bilder sind sicher nicht ganz einfach, aber die Interpretation von Heidrun ist schon mal ein sehr guter Anhaltspunkt.

Mir geht es wie Euch: Oft fesseln mich Gedichte, die sich nur langsam enträtseln. :)

Danke fürs Lesen und Kommentieren!

lG

Herbert
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Heidrun,

Dein nicht gibt eine weitere Ebene der Interpretation, die ich auch gut nachvollziehen kann.

Die Aussage, die ich meinte, hast Du sehr gut beschrieben, auch ohne nicht ist sie stimmig, denn ob der Bruder weiss, wie es dem LyrI geht, ist nicht zentral. Schliesslich steht am Anfang ja auch eine Frage.

Deine Wertung hat mich ja umgehauen! Danke dafür und den tollen Kommentar.

lG

Herbert
 
Lieber Herbert,

dein Gedicht ist mir nicht aus dem Kopf gegangen und wurde immer undurchsichtiger für mich, je länger ich überlegte. Jetzt hat Heidrun jedoch Licht ins Dunkel gebracht. Die Tiefe deines Gedichts ist überwältigend.

Beeindruckten Gruß,
Estrella
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Estrella,

vielen Dank für die Blumen! Allerdings finde ich an der Lyrik grade spannend, wie unterschiedliche Interpretationen ein Gedicht bei verschiedenen LeserInnen hervorrufen kann. Die wahre Tiefe entsteht also in der Vorstellung beim Lesen. Allerdings können die benutzten Bilder ein wenig benutzt werden, um bestimmte Assoziationen der LeserInnen auszulösen.

Bei dem Gedicht, das ich als Vorbild genommen habe, sind die Bilder für mich noch schöner und der Inhalt in sich stimmiger. Sehr beeindruckt hat mich, dass die Interpretation von Heidrun sich sogar auf das Vorbild-Gedicht anwenden läßt und dort sogar noch stimmiger ist. Irgendwie erinnert das an Gedankenübertragung, zeigt mir aber, dass die von mir gewählten "Anklang-Bilder" die Grundstimmung des Vorbilds transportiert haben, was mich wirklich begeistert.

Das Vorbild wird ja in den Lyrik-Rätseln noch immer gesucht. Ich bin mal gespannt, ob jemand es errät.

lG

Herbert
 
Lieber Herbert,
Die wahre Tiefe entsteht also in der Vorstellung beim Lesen.
Das finde ich interessant. Da bin ich jetzt sprachlos. Also kommt es immer auf das Einfühlen des Lesers drauf an, wie er Geschriebenes umsetzt. Daher dann die verschiedenen Eindrücke und Kommentare. Mit den Bildern kann man dann Assoziationen hervorzaubern. Das ist ja Magie. :)

Ja, Heidruns Einfühlen hat mich umgehauen. Wenn es dann noch mit dem Gedicht, an das du deins anlehntest, übereinstimmt, ist das schon ganz etwas Besonderes.

Ich hatte einen Lösungsversuch gestartet im Lyrik-Rätsel. Ich nehme an, dass es verkehrt ist, weil es bedeutend weniger Aussagekraft hat, als deins.

Lieben Gruß,
Estrella
 

revilo

Mitglied
Ein wunderbares Gedicht, dessen Inhalt ich nicht so recht verstehe.Darauf kommt es allerdings nicht an, weil die Worte swingen und klingen und mich daher magisch anziehen......LG revilo
 
H

Heidrun D.

Gast
Ja, beispielsweise

mit dem Schwan, dem Krumen geworfen werden ... das ist einfach zuuu schön!

Liebe Grüße
Heidrun

:)
 

HerbertH

Mitglied
Hallo Oliver,

vielleicht wird es klarer, wenn Du Heidruns Interpretation (s.o.) liest.

Danke für die schöne Rückmeldung.

lG

Herbert
 

Rhea_Gift

Mitglied
Die Vernünftigen halten nur durch, die Leidenschaftlichen leben... ewiger Zwiespalt - Verschwendung, wilde Gesänge riskieren für - was? Kletterastträume... oder angesichts des nahenden Schnees auf Schwanenflügeln sich den Mund von Flocken bedecken lassen, Blüten erstarren lassen - möglichst fern aller Verlockung aufsparen für - was? Die Eisblumen am geschlossenen Fenster?

Erinnert mich an Rilke... oder Kafka... oder Stoa... hab grad keine Muße für die Rätsel-Suche...

LG, Rhea
 
Liebe Rhea,

ich hatte schon gelöst im Lyrik-Rätsel:

Paul Celan (1920 - 1970) Ich bin allein.

Konnte es leider nicht kopieren, weil das Urheberrecht noch besteht.

Lieben Gruß,
Estrella
 

Mandelbaum

Mitglied
@Estrella
Danke für die Auflösung des Rätsels, es ist ein wunderschönes Gedicht von Celan. Ich kannte es noch nicht.
@Herbert
Ich möchte Dich bitten, künftig die Gedichte, die zu Deinem Lyrikrätsel gehören, deutlicher (bereits in der Überschrift)als solche kenntlich zu machen. Meines Erachtens "erleichtert" diese "Vorlage" das Dichten erheblich. Als Übung sicher keine schlechte Sache, aber eine Veröffentlichung so ohne Hinweis auf den berühmten Dichter? Du kannst nicht davon ausgehen, dass jeder Leser die Verbindung zu Deinem Lyrikrätsel kennt.
LG
Mandelbaum
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Estrella, lieber Mandelbaum,

ich werde in Zukunft bei Gedichten mit Bezug zum Lyrik-Rätsel
den Link mit angeben:

Lyrik-Rätsel.

Hier habe ich übrigens noch eine Kleinigkeit gegenüber dem dort eingestellten Gedicht geändert. Ich hielt es eines unabhängigen Einstellens für gut genug, daher findet man es auch hier.... :)

Allerdings heißt Vorbilder variieren nicht notwendig, dass man immer darauf Bezug nehmen muss. Abkupfern ist für mich etwas anderes... :)

Estrella, die Punkte habe ich Dir "gutgeschrieben" ;)

Celan ist schon unglaublich, oder? Im Netz ist relativ viel von ihm zu finden, z.B.

http://www.monumenta.com/2007/index.php?option=com_content&task=view&id=138&Itemid=9&lang=de

lG

Herbert
 

revilo

Mitglied
Hallo Herbert, ich will dieses wunderbare Gedicht nicht verstehen. Gerade mein subjektives und positives Unverständnis macht den Reiz aus. Das Interpretieren überlasse ich gerne Jenen, die viel mehr von der Materie verstehen als ich. Ich lese ein Gedicht primär mit dem Bauch. Wenn es in meiner - noch- nicht vorhandenen Plauze zieht und rumort, dann ist es gut. Und das ist auch gut so. Bin halt eine einfach strukturierte Kreatur, die sich an schönen Worten erfreut.......Danke für diese tollen Zeilen.......
andächtige und erfürchtige grüße von revilo
 

HerbertH

Mitglied
Hallo Oliver,

Du liest wie ich gerne schreibe :). Auch da muss es in der Plautze - leider nicht zu verleugnen - ziehen....

lG

Herbert
 



 
Oben Unten