Blind Date

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susann

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Die Frau im Zug döste, als er eintrat. Er bemühte sich, keinen Lärm zu machen und wich ihren, bis zur Mitte des Abteils ausgestreckten Beine aus. Auf einer der Sitze nahm er Platz. Er saß der Frau gegenüber, so dass er sie ohne Zwang beobachten konnte.
Ihre Beine waren leicht übereinandergeschlagen. Die ruhig auf ihrem Schoß liegenden Hände. Sie trug einen Rock und eine leicht sommerliche Bluse die von durchscheinendem Stoff war, so dass man die Konturen ihres Büstenhalters sehen konnte. Den mit halb geöffnetem Mund zur Seite hängendem Kopf. Dabei fühlte er sich irgendwie ertappt und schlecht, als nutze er die Wehrlosigkeit der Schlafenden aus.
Und doch konnte er seinen Blick nicht von ihr abwenden, ihre Atemzüge waren gleichmäßig, die Haare wellig, halblang und dunkelblond mit rotem Schimmer. Er riss seinen Blick los und schaute sich flüchtig um. In der Gepäckablage befanden sich zwei Taschen. Eine größere und eine Art Beutel. Beides musste der Frau gehören, sonst gab es niemanden im Abteil.
Der Zug setzte sich langsam wieder in Bewegung. Durch das Fenster wirkte alles so eingerahmt, als würde ein Video mit Landschaftsaufnahmen an ihnen vorbeiziehen.
Die letzten Häuschen vom Bahnsteig, das Ortsschild gefolgt von einer Wiese auf der Kinder bunte Drachen steigen ließen. Die hatte er noch nie dort gesehen.
Die Frau blinzelte mit halb geöffneten Augen, machte es sich auf ihrem Sitz bequem, murmelte etwas wie eine Entschuldigung, während sie sich den sommerlichen Rock über ihre Knie zog.
Sie zog ihre Beine etwas ein, gähnte gelassen und lächelte.
Ihr Gesicht schien noch leicht verschlafen, die Wangen gerötet.
Er sah sie an und entschuldigte sich seinerseits sie geweckt zu haben. Sie stellten sich mit Namen vor, von dem wohin sie wollten sagten sie nichts. Schweigen.
Er hatte Gelegenheit, sie näher zu betrachten. Wie schön ihre grünen Augen sind, ging es ihm durch den Kopf. Ihr dunkelblond rötlich gewelltes Haar fiel bis in den Ausschnitt ihrer Bluse. Sie berühren sachte das nach Alabaster aussehende Dekolleté.
Sie musterte ihn ebenfalls neugierig. Blicke trafen sich flüchtig. Sie suchte nach Anhaltspunkten, die jeder Reisende so bietet, kein Koffer, keine Tasche, nichts.
Seine braunen Augen. Sie vermittelten ihr ein Gefühl der Geborgenheit. Entspannt lehnte sich zurück, etwas amüsant betrachtete sie ihn.
Er war es, der der Zwiesprache ihrer gegenseitigen Blicke ein Ende setzte, in dem er sich erhob und auf den Flur hinaustrat. Bei halb geöffnetem Fenster steckte er sich eine Zigarette an und rauchte. Sichtlich nervös. Selbstgedrehte.
Vom Flur aus lud er sie in den Speisewagen ein. Über einige Taschen steigend, an im Flur auf den Boden sitzenden Menschen vorbei, gelangten sie in den Speisewagen.
Er wählte einen der kleinen Tische aus, setzte sich, machte eine etwas forsche aber einladende Handbewegung, dass sie bei ihm Platz nehmen sollte. Und nach einem müden Blick auf die Menükarte entschied er sich für einen Kaffee. Sie hingegen bestellte ein Glas Wein und einen Teller Spaghetti. “Ich glaube kaum, dass du jemanden umgebracht hast“ sagte sie lachend. Er mochte ihr Lachen. Er mochte auch ihre zarte Haut, einfach die ganze Erscheinung.
Als sie merkte, dass er nicht antwortete und stattdessen sich wiederum eine selbstgedrehte Zigarette ansteckte, wechselte sie das Thema und kam auf was anderes zu sprechen. Sie aß und redete ohne Unterlass. Als ihr Teller leer war und sie fast den letzten Schluck Wein getrunken hatte, stellte sie das Glas beiseite und beendete die Unterhaltung über Hundesteuer, bei der er kaum zuhörte.
Sie betrachtete ihn eine Weile, der Augenblick wurde fast zur Ewigkeit und lächelte.
„Eine alte Weisheit besagt, dass es Tage gibt, an dem der Nebel so dicht ist und wenn man einen Schritt macht, weiß man plötzlich nicht mehr, wo man sich befindet. Du bist gefangen. Und es heißt weiter, dass es eine Weile dauern wird, bis sich der Nebel wieder auflöst. Dann aber scheint die Sonne. Klar und hell.
Das kann Stunden dauern. Jetzt musst Du warten. Wenn der Nebel sich aufgelöst hat, kannst du klarer sehen. Um ein Haar hätte er los gelacht. Es hatte ihn schon immer amüsiert, dass Frauen sich so leicht für die Befindlichkeiten anderer Menschen interessieren. So wie Susanne, die sich pausenlos um andere gekümmert hatte.Komisch, dass er gerade jetzt an Susanne denken musste. Zum ersten Mal seit Stunden dachte er an sie. Er stellte sich Susanne am Fenster vor, tränenüberströmt, als er ging. Wortlos.
Die Streitereien, die seit Anfang ihrer Beziehung immer heftiger wurden. Er genügte ihren Ansprüchen nicht. Susannes grenzenlose Wut, weil er seine Arbeit verlor und ihm das Gefühl gab, versagt zu haben.
Der Hass, der sich zwischen ihnen entfesselt hatte. Am Ende war er so ausgelaugt gewesen, dass er aufgegeben hatte.
„Ich wünsche mir drei Leben für drei Männer“, sagte die Frau während sie lächelte. „In einem heirate ich einen Millionär. Das ist ziemlich abgedroschen. In einem anderen folge ich einem großen Abenteurer auf einer großartigen Weltreise. Auch das scheint schon ziemlich abgegriffen.“Und im dritten“?
„Das dritte ist für ein Blind Date, für den Mann –für-eine-Nacht. Den Rest meiner Tage vertreibe ich mir dann mit der Erinnerung an ihn. Es ist zwar das traurigste, aber dafür das intensivste“.
Er fand, sie war eine merkwürdige, sehr komische Frau. Oder vielleicht war er auch der Merkwürdige.
Unter anderen Umständen hätte er so ein Gefasel nicht einmal angehört. Er wäre aufgestanden und einfach weg gegangen. Vielleicht kopfschüttelnd. Typisch Weiber – dachte er, sind doch alle gleich. Erst wollen sie was von einem und dann greifen sie nach dem großen Geld. So blieb er. Irgendwas hielt ihn.
Sie sprachen über ihre drei Männer und was sie wohl alles mit dem vielen Geld anstellen würde.
„Vielleicht eine große Villa mit einer Putzfrau und einem Gärtner“. Sie hasste Putzen und sie liebte schöne Gärten. Am liebsten Rosen, die duften immer so schön.
Der Zug war in der Zwischenzeit stehen geblieben. Tatsächlich dachten sie. Sie hätten den nächsten Bahnhof erreicht, aber nichts geschah. Als sie schließlich merkten, dass es weder Menschen noch einen Bahnhof gab, sondern nur Felder ein paar Bäume, ging er hinaus auf den Flur, um nachzusehen, was los war.
Im Flur waren lauter verschlafene Köpfe zu sehen, die genau wie er, fragend hinaus schauten. Er ging vorbei an blinzelnden, ungekämmten und völlig verschlafenden Erscheinungen. Nichts geschah. Nach einem Augenblick der Stille ertönte aus dem Lautsprecher des Zuges eine mehr oder weniger verschlafene Stimme mit einer Ansage. Die Gießkannenstimme verkündete, dass der Zug Verspätung haben werde. Man würde nach Ankunft des entgegenkommenden Zuges unverzüglich weiterfahren und sie sollten sich doch bitte wieder schlafen legen. Durchsagen von Anschlusszügen ertönten in einem monotonen Tonfall. Am Ende der Durchsage entschuldigte sich die Gießkannenstimme noch für die Unannehmlichkeiten.
Er schloss die Tür und nahm wieder neben ihr Platz. Sie kuschelte sich ein wenig mit dem Rücken an ihn. Er sagte, er wolle eine rauchen gehen und ließ sie zurück, er küsste sie vorsichtig auf die Wange, sachte und behutsam als wisse er nicht so recht, ob er richtig handele.
„Der Zug wird dich zurücklassen. Er kann jeden Moment wieder los fahren“.
„Ich bin gleich wieder da“.
Draußen kroch ihm die nächtliche Kälte in die Knochen. Seine Augen brauchten einen langen Moment um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. In der klaren kalten Nacht standen ein paar Männer draußen, die ebenfalls rauchten. Er gesellte sich dazu, zog aus seiner Tasche eine Selbstgedrehte und zündete sich diese an.
Sie stellten sich kurz vor. Einer der Männer, ein großer Kerl mit breiten Schultern und ebenso breiten Händen klopfte ihm auf die Schulter, dass er ins Schwanken geriet.“ Ausgesprochen hübsch ihre Gattin, vielleicht ein wenig dünn“
Er lächelte. Vielleicht war seine Frau eine dralle Matrone. Die Luft war kalt. Man konnte beim Luftholen den Atem sehen.
Sie sprachen noch über dies und jenes und beschlossen zum Zug zurückzukehren.
Das Abteil war leer, als er zurückkam. Erschrocken und sichtlich nervös sah er sich um. Mit großer Erleichterung stellte er fest, dass die Beiden Koffer noch an ihrem Platz waren, also musste sie noch da sein. In diesem Augenblick tauchte sie wieder hinter ihm auf. „Ich habe ein Abteil im Schlafwagen ergattert, komm“.
Er griff nach den Koffern und folgte ihr durch den Zug. Das Abteil war warm und obwohl das Bett viel zu klein schien, erfüllte ihn bereits der Anblick des weißen Lakens ein Gefühl des Vertrauten, nach zu hause.
Schnell schob er den Gedanken weg, er wollte nicht an Susanne denken, nicht jetzt. Er wollte was anderes, was völlig anderes. Hastig entledigten sie sich ihrer Kleidung. Standen sich wortlos gegenüber. Begierde. Sie umarmten sich stürmisch aber voller Zärtlichkeit, küssten sich hastig und leidenschaftlich. Sie tanzten eng umschlungen miteinander.
Schließlich ließen sie sich auf das viel zu schmale Bett fallen, dort tanzten sie weiter, erst langsam, dann immer schneller und leidenschaftlicher, bis er ihr Stöhnen hörte.
Und alles seine Muskeln, seine Seele (oder was er zumindest dafür hielt) bäumte sich unendlich auf, bis er sich völlig leer fühlte und erschöpft zurück sank. Er umarmte ihren zarten, duftenden Körper und sie schmiegte sich an ihm. Sie waren sich ganz nahe.
Zufriedenheit strahlten sie beide aus. Es überkam ihm das Gefühl, als sei er sein ganzes Leben schon mit ihr zusammen. Auch wenn er nichts von ihr wusste. Er fing an zu reden, einfach so. Mehr wohl zu sich selbst, als mit ihr. Er redete von Susanne, dem Häuschen, welches sie sich vor Jahren angeschafft hatten, mit dem kleinen Garten voller schöner bäuerlicher Rosen und dem blau gestrichenen Zaun, an dem seit einiger Zeit die Tür repariert werden musste. Warum er redete wusste er nicht, es sprudelte nur so aus ihm heraus. Sie schlief bereits.
Er wusste nicht so recht, wo er war, als er seine Augen aufschlug. Dann sah er sie. Schlafend. Vorsichtig stand er auf, las seine am Boden verstreuten Kleidungsstücke auf, zog sich an und ging hinaus.
Leise und vorsichtig zog er die Tür zu. Die übrigen Abteile waren alle noch geschlossen. Es war ziemlich früh am Morgen, der Zug fuhr bereits wieder. Er rauchte eine. Die letzte, die sich in seiner Jackentasche befand. Als er zurück kehrte, war sie bereits wach und hatte sich angezogen. Ihr fröhliches Geplapper vom Vorabend war einem Gemurmel gewichen.
Er spürte, dass sich ihm die Brust zuschnürte, wie so oft. Er wusste, dass es seinetwegen war. Auf einmal hasste er die Fähigkeit, sich so leicht zufrieden und glücklich zu fühlen. „das ist doch nicht dein drittes Leben“, sagte er etwas fragend. “Das mit dem-Mann-für-eine-Nacht“? Sie lag auf dem Rücken und sah mit einem seltsam verklärten Blick an die Decke.“Dein Haus ist nicht weit. Du kannst zu Fuß heimkehren“. Sie sprach ruhig und aufgeräumt. Mit einer teilnahmslosen Stimme, die so fern und blechern schien, als käme sie aus den Lautsprechern des Zuges.
Er wollte sie anlügen, wollte eine rauchen und gleich wiederkommen. Sie solle schon mal das Frühstück für beide bestellen. Oder ihm versprechen, sich irgendwann wieder zu sehen, sie bitten, auf ihn zu warten.
Ihr erklären, er wisse gar nichts. Nicht einmal, ob er sich auf der Flucht befinde oder auf der Heimkehr. In Wirklichkeit wollte er gar nichts sagen. Er schwieg. Er stieg aus. Die merklich kalte Luft schien wie ein Messer. Er ließ sich erleichtert von der Luft verletzen schlug den Kragen hoch, knöpfte seine Jacke zu und steckte die Hände in die Taschen. Mit Mühe hielt er sich aufrecht. Er versuchte, sie im anfahrenden Zug ausfindig zu machen. Die Gardinen ihres Abteils waren zugezogen.
 

susann

Mitglied
Dies ist mein fast erster Beitrag auf Leselupe (nachdem der allererste beitrag daneben gegangen ist). Über Kritik würde ich mich sehr freuen, lieben Dank
 
Liebe susann, leider kann ich dir nichts anderes sagen, als dass du dich besser in kützeren Stücken übst, ehe du dich an Erzählungen heranwagst. Du schreibst umständlich und verwaschen. Nur wenige Zeilen las ich, dann hatte ich schon genug, aber ich möchte, dass du weißt, weshalb:

Die Frau im Zug döste, als er[blue] (zu ungenau, hier sollte schon "der Mann" stehen)[/blue] eintrat [blue](wo eintrat?)[/blue]. Er bemühte sich [blue](passiv ist oft negativ, im Sinne der Lesefreude, hier besonders, Beispiel aktiv: "Geschickt und lautlos ...")[/blue], keinen Lärm zu machen und wich ihren, bis zur Mitte des Abteils ausgestreckten Beine im vorherigen Satz[blue]n[/blue] aus. Auf eine[blue]m[/blue] der Sitze nahm er Platz [blue](Nicht auf irgendeinem, sondern auf dem ihr gegenüber)[/blue]. [strike]Er saß der Frau gegenüber[/strike], so dass er sie [strike]ohne Zwang[/strike] [blue]aus der Nähe (weshalb, ohne Zwang?) [/blue][strike]beobachten[/strike] [blue](falsches Wort)[/blue] [blue]betrachten[/blue] konnte.
Ihre Beine waren leicht [blue](können Beine auch schwer übereinandergeschlagen sein?)[/blue] übereinandergeschlagen. Die [blue](sofort bezieht sich das "die" auf die Beine- Irreführung)[/blue] ruhig auf ihrem Schoß liegenden Hände [blue](der Satz ist ohnehin völlig unverständlich)[/blue]. Sie trug einen Rock und eine leicht sommerliche [blue](eine ganz schlechte Beschreibung)[/blue] Bluse [blue]komma[/blue] die von durchscheinendem Stoff [blue](der Stoff scheint nicht durch)[/blue] war, so dass man die Konturen ihres Büstenhalters [strike]sehen[/strike] [blue]erkennen[/blue] konnte. Den mit halb geöffnetem Mund zur Seite hängendem Kopf. [blue](der ganze Satz ist wie plötzlich aus der Luft gegriffen, er fügt sich nicht harmonisch ein)[/blue] Dabei fühlte er sich irgendwie ertappt und schlecht, als nutze er die Wehrlosigkeit der Schlafenden aus. [blue](Umgangssprache mit einer angehängten Erklärung, auch das ist sehr schwach)[/blue]
Achte immer auf die Genauigkeit deiner Aussagen, du schreibst sehr unüberlegt, aber das kann man üben und lernen, wie gesagt, am besten in kurzen Stücken.

Liebe Grüße
 

susann

Mitglied
Hallo Gernot,

danke für Deine sehr hilfreiche Kritik.
Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Text hier rein stellen soll, es brauchte eine Menge Mut. Im Moment bin ich um so dankbarer. Gerade deshalb, weil es unter anderem einer der ersten Texte ist, die ich geschrieben hab.
 
Ich freue mich über dich.
Eine Kritik dieser Art verträgt nicht jeder hier.
Du bist auf dem richtigen Weg.
Schreiben ist mühevoll, ich weiß.

Liebe Grüße
Gernot
 

susann

Mitglied
Die Frau im Zug döste, als er in das Abteil eintrat. Er bemühte sich, keinen Lärm zu machen und wich ihren, bis zur Mitte des Abteils ausgestreckten Beine aus. Auf einer der Sitze nahm er Platz. Er saß der Frau gegenüber, so dass er sie ohne Zwang betrachten konnte.
Ihre Beine waren übereinandergeschlagen. Sie trug einen Rock und eine leicht sommerliche Bluse, die von durchscheinendem Stoff war, so dass man die Konturen ihres Büstenhalters erkennen konnte.Dabei fühlte er sich irgendwie ertappt und schlecht, als nutze er die Wehrlosigkeit der Schlafenden aus.
Und doch konnte er seinen Blick nicht von ihr abwenden, ihre Atemzüge waren gleichmäßig, die Haare wellig, halblang und dunkelblond mit rotem Schimmer. Er riss seinen Blick los und schaute sich flüchtig um. In der Gepäckablage befanden sich zwei Taschen. Eine größere und eine Art Beutel. Beides musste der Frau gehören, sonst gab es niemanden im Abteil.
Der Zug setzte sich langsam wieder in Bewegung. Durch das Fenster wirkte alles so eingerahmt, als würde ein Video mit Landschaftsaufnahmen an ihnen vorbeiziehen.
Die letzten Häuschen vom Bahnsteig, das Ortsschild gefolgt von einer Wiese auf der Kinder bunte Drachen steigen ließen. Die hatte er noch nie dort gesehen.
Die Frau blinzelte mit halb geöffneten Augen, machte es sich auf ihrem Sitz bequem, murmelte etwas wie eine Entschuldigung, während sie sich den sommerlichen Rock über ihre Knie zog.
Sie zog ihre Beine etwas ein, gähnte gelassen und lächelte.
Ihr Gesicht schien noch leicht verschlafen, die Wangen gerötet.
Er sah sie an und entschuldigte sich seinerseits sie geweckt zu haben. Sie stellten sich mit Namen vor, von dem wohin sie wollten sagten sie nichts. Schweigen.
Er hatte Gelegenheit, sie näher zu betrachten. Wie schön ihre grünen Augen sind, ging es ihm durch den Kopf. Ihr dunkelblond rötlich gewelltes Haar fiel bis in den Ausschnitt ihrer Bluse. Sie berühren sachte das nach Alabaster aussehende Dekolleté.
Sie musterte ihn ebenfalls neugierig. Blicke trafen sich flüchtig. Sie suchte nach Anhaltspunkten, die jeder Reisende so bietet, kein Koffer, keine Tasche, nichts.
Seine braunen Augen. Sie vermittelten ihr ein Gefühl der Geborgenheit. Entspannt lehnte sich zurück, etwas amüsant betrachtete sie ihn.
Er war es, der der Zwiesprache ihrer gegenseitigen Blicke ein Ende setzte, in dem er sich erhob und auf den Flur hinaustrat. Bei halb geöffnetem Fenster steckte er sich eine Zigarette an und rauchte. Sichtlich nervös. Selbstgedrehte.
Vom Flur aus lud er sie in den Speisewagen ein. Über einige Taschen steigend, an im Flur auf den Boden sitzenden Menschen vorbei, gelangten sie in den Speisewagen.
Er wählte einen der kleinen Tische aus, setzte sich, machte eine etwas forsche aber einladende Handbewegung, dass sie bei ihm Platz nehmen sollte. Und nach einem müden Blick auf die Menükarte entschied er sich für einen Kaffee. Sie hingegen bestellte ein Glas Wein und einen Teller Spaghetti. “Ich glaube kaum, dass du jemanden umgebracht hast“ sagte sie lachend. Er mochte ihr Lachen. Er mochte auch ihre zarte Haut, einfach die ganze Erscheinung.
Als sie merkte, dass er nicht antwortete und stattdessen sich wiederum eine selbstgedrehte Zigarette ansteckte, wechselte sie das Thema und kam auf was anderes zu sprechen. Sie aß und redete ohne Unterlass. Als ihr Teller leer war und sie fast den letzten Schluck Wein getrunken hatte, stellte sie das Glas beiseite und beendete die Unterhaltung über Hundesteuer, bei der er kaum zuhörte.
Sie betrachtete ihn eine Weile, der Augenblick wurde fast zur Ewigkeit und lächelte.
„Eine alte Weisheit besagt, dass es Tage gibt, an dem der Nebel so dicht ist und wenn man einen Schritt macht, weiß man plötzlich nicht mehr, wo man sich befindet. Du bist gefangen. Und es heißt weiter, dass es eine Weile dauern wird, bis sich der Nebel wieder auflöst. Dann aber scheint die Sonne. Klar und hell.
Das kann Stunden dauern. Jetzt musst Du warten. Wenn der Nebel sich aufgelöst hat, kannst du klarer sehen. Um ein Haar hätte er los gelacht. Es hatte ihn schon immer amüsiert, dass Frauen sich so leicht für die Befindlichkeiten anderer Menschen interessieren. So wie Susanne, die sich pausenlos um andere gekümmert hatte.Komisch, dass er gerade jetzt an Susanne denken musste. Zum ersten Mal seit Stunden dachte er an sie. Er stellte sich Susanne am Fenster vor, tränenüberströmt, als er ging. Wortlos.
Die Streitereien, die seit Anfang ihrer Beziehung immer heftiger wurden. Er genügte ihren Ansprüchen nicht. Susannes grenzenlose Wut, weil er seine Arbeit verlor und ihm das Gefühl gab, versagt zu haben.
Der Hass, der sich zwischen ihnen entfesselt hatte. Am Ende war er so ausgelaugt gewesen, dass er aufgegeben hatte.
„Ich wünsche mir drei Leben für drei Männer“, sagte die Frau während sie lächelte. „In einem heirate ich einen Millionär. Das ist ziemlich abgedroschen. In einem anderen folge ich einem großen Abenteurer auf einer großartigen Weltreise. Auch das scheint schon ziemlich abgegriffen.“Und im dritten“?
„Das dritte ist für ein Blind Date, für den Mann –für-eine-Nacht. Den Rest meiner Tage vertreibe ich mir dann mit der Erinnerung an ihn. Es ist zwar das traurigste, aber dafür das intensivste“.
Er fand, sie war eine merkwürdige, sehr komische Frau. Oder vielleicht war er auch der Merkwürdige.
Unter anderen Umständen hätte er so ein Gefasel nicht einmal angehört. Er wäre aufgestanden und einfach weg gegangen. Vielleicht kopfschüttelnd. Typisch Weiber – dachte er, sind doch alle gleich. Erst wollen sie was von einem und dann greifen sie nach dem großen Geld. So blieb er. Irgendwas hielt ihn.
Sie sprachen über ihre drei Männer und was sie wohl alles mit dem vielen Geld anstellen würde.
„Vielleicht eine große Villa mit einer Putzfrau und einem Gärtner“. Sie hasste Putzen und sie liebte schöne Gärten. Am liebsten Rosen, die duften immer so schön.
Der Zug war in der Zwischenzeit stehen geblieben. Tatsächlich dachten sie. Sie hätten den nächsten Bahnhof erreicht, aber nichts geschah. Als sie schließlich merkten, dass es weder Menschen noch einen Bahnhof gab, sondern nur Felder ein paar Bäume, ging er hinaus auf den Flur, um nachzusehen, was los war.
Im Flur waren lauter verschlafene Köpfe zu sehen, die genau wie er, fragend hinaus schauten. Er ging vorbei an blinzelnden, ungekämmten und völlig verschlafenden Erscheinungen. Nichts geschah. Nach einem Augenblick der Stille ertönte aus dem Lautsprecher des Zuges eine mehr oder weniger verschlafene Stimme mit einer Ansage. Die Gießkannenstimme verkündete, dass der Zug Verspätung haben werde. Man würde nach Ankunft des entgegenkommenden Zuges unverzüglich weiterfahren und sie sollten sich doch bitte wieder schlafen legen. Durchsagen von Anschlusszügen ertönten in einem monotonen Tonfall. Am Ende der Durchsage entschuldigte sich die Gießkannenstimme noch für die Unannehmlichkeiten.
Er schloss die Tür und nahm wieder neben ihr Platz. Sie kuschelte sich ein wenig mit dem Rücken an ihn. Er sagte, er wolle eine rauchen gehen und ließ sie zurück, er küsste sie vorsichtig auf die Wange, sachte und behutsam als wisse er nicht so recht, ob er richtig handele.
„Der Zug wird dich zurücklassen. Er kann jeden Moment wieder los fahren“.
„Ich bin gleich wieder da“.
Draußen kroch ihm die nächtliche Kälte in die Knochen. Seine Augen brauchten einen langen Moment um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. In der klaren kalten Nacht standen ein paar Männer draußen, die ebenfalls rauchten. Er gesellte sich dazu, zog aus seiner Tasche eine Selbstgedrehte und zündete sich diese an.
Sie stellten sich kurz vor. Einer der Männer, ein großer Kerl mit breiten Schultern und ebenso breiten Händen klopfte ihm auf die Schulter, dass er ins Schwanken geriet.“ Ausgesprochen hübsch ihre Gattin, vielleicht ein wenig dünn“
Er lächelte. Vielleicht war seine Frau eine dralle Matrone. Die Luft war kalt. Man konnte beim Luftholen den Atem sehen.
Sie sprachen noch über dies und jenes und beschlossen zum Zug zurückzukehren.
Das Abteil war leer, als er zurückkam. Erschrocken und sichtlich nervös sah er sich um. Mit großer Erleichterung stellte er fest, dass die Beiden Koffer noch an ihrem Platz waren, also musste sie noch da sein. In diesem Augenblick tauchte sie wieder hinter ihm auf. „Ich habe ein Abteil im Schlafwagen ergattert, komm“.
Er griff nach den Koffern und folgte ihr durch den Zug. Das Abteil war warm und obwohl das Bett viel zu klein schien, erfüllte ihn bereits der Anblick des weißen Lakens ein Gefühl des Vertrauten, nach zu hause.
Schnell schob er den Gedanken weg, er wollte nicht an Susanne denken, nicht jetzt. Er wollte was anderes, was völlig anderes. Hastig entledigten sie sich ihrer Kleidung. Standen sich wortlos gegenüber. Begierde. Sie umarmten sich stürmisch aber voller Zärtlichkeit, küssten sich hastig und leidenschaftlich. Sie tanzten eng umschlungen miteinander.
Schließlich ließen sie sich auf das viel zu schmale Bett fallen, dort tanzten sie weiter, erst langsam, dann immer schneller und leidenschaftlicher, bis er ihr Stöhnen hörte.
Und alles seine Muskeln, seine Seele (oder was er zumindest dafür hielt) bäumte sich unendlich auf, bis er sich völlig leer fühlte und erschöpft zurück sank. Er umarmte ihren zarten, duftenden Körper und sie schmiegte sich an ihm. Sie waren sich ganz nahe.
Zufriedenheit strahlten sie beide aus. Es überkam ihm das Gefühl, als sei er sein ganzes Leben schon mit ihr zusammen. Auch wenn er nichts von ihr wusste. Er fing an zu reden, einfach so. Mehr wohl zu sich selbst, als mit ihr. Er redete von Susanne, dem Häuschen, welches sie sich vor Jahren angeschafft hatten, mit dem kleinen Garten voller schöner bäuerlicher Rosen und dem blau gestrichenen Zaun, an dem seit einiger Zeit die Tür repariert werden musste. Warum er redete wusste er nicht, es sprudelte nur so aus ihm heraus. Sie schlief bereits.
Er wusste nicht so recht, wo er war, als er seine Augen aufschlug. Dann sah er sie. Schlafend. Vorsichtig stand er auf, las seine am Boden verstreuten Kleidungsstücke auf, zog sich an und ging hinaus.
Leise und vorsichtig zog er die Tür zu. Die übrigen Abteile waren alle noch geschlossen. Es war ziemlich früh am Morgen, der Zug fuhr bereits wieder. Er rauchte eine. Die letzte, die sich in seiner Jackentasche befand. Als er zurück kehrte, war sie bereits wach und hatte sich angezogen. Ihr fröhliches Geplapper vom Vorabend war einem Gemurmel gewichen.
Er spürte, dass sich ihm die Brust zuschnürte, wie so oft. Er wusste, dass es seinetwegen war. Auf einmal hasste er die Fähigkeit, sich so leicht zufrieden und glücklich zu fühlen. „das ist doch nicht dein drittes Leben“, sagte er etwas fragend. “Das mit dem-Mann-für-eine-Nacht“? Sie lag auf dem Rücken und sah mit einem seltsam verklärten Blick an die Decke.“Dein Haus ist nicht weit. Du kannst zu Fuß heimkehren“. Sie sprach ruhig und aufgeräumt. Mit einer teilnahmslosen Stimme, die so fern und blechern schien, als käme sie aus den Lautsprechern des Zuges.
Er wollte sie anlügen, wollte eine rauchen und gleich wiederkommen. Sie solle schon mal das Frühstück für beide bestellen. Oder ihm versprechen, sich irgendwann wieder zu sehen, sie bitten, auf ihn zu warten.
Ihr erklären, er wisse gar nichts. Nicht einmal, ob er sich auf der Flucht befinde oder auf der Heimkehr. In Wirklichkeit wollte er gar nichts sagen. Er schwieg. Er stieg aus. Die merklich kalte Luft schien wie ein Messer. Er ließ sich erleichtert von der Luft verletzen schlug den Kragen hoch, knöpfte seine Jacke zu und steckte die Hände in die Taschen. Mit Mühe hielt er sich aufrecht. Er versuchte, sie im anfahrenden Zug ausfindig zu machen. Die Gardinen ihres Abteils waren zugezogen.
 

petrasmiles

Mitglied
Viel besser!

Liebe susann,

ich möchte jetzt nicht über das Handwerkliche sprechen, sondern darüber, ob mir beim Lesen das Gefühl kam, es mit richtigen Menschen zu tun zu haben - und das kann ich bejahen.
Gar kein Vergleich zum ersten Text.
Die Art dieser sexuellen Begegnung hatte etwas mit der besonderen Situation beider Protagonisten zu tun, die in der Begegnung mit dem anderen ein Stück weit sich selbst begegnet sind und die Einsicht in die Wahrheit der Begrenztheit ihrer Begegnung fand ich auch berührend. Das ist diese besondere Traurigkeit. Ich finde das Ende richtig stark.

Handwerklich gebe ich Gernot insoweit recht als es ein wesentlicher Schritt ist, nachdem man die Geschichte im Sinne der Ereigniskette geschrieben hat, sich den Erzählfluss noch einmal anzusehen, Unwichtiges ausmerzt, Formulierungen bearbeitet, prüft, ob die Bilder stimmig sind. Zweimal ihre Haare zu beschreiben, ist z.B. überflüssig.
Ich war auch total überrascht, dass es eine Nachtfahrt war. Wenn man das weiß, stimmt man sich schon auf eine weitergehende Zeitspanne ein.
Dann war es draußen sehr kalt, aber die Frau trug dünne Sommerkleidung. Das sind so Inkonsistenzen, die den Leser 'unterbrechen' beim Folgen der Geschichte, und die ihn negativ einnehmen.
Ich empfinde auch in der Darstellung des Innenlebens ein Übergewicht der Geschichte des Mannes. Von der Frau erfährt man eigentlich nur, was sie dem Mann erzählt, aber wenig von ihren Reflexionen, und ich bin mir nicht sicher, ob das so beabsichtigt war.
Der Titel stimmt jetzt einerseits nicht mehr, denn in einem Blind Date ist eine Verabredung enthalten, aber Du hast dieses Blind Date zu einem Schlüsselbegriff zwischen den beiden gemacht, der sich jetzt mehr auf die Potenz bezieht, die in einer solchen Begegnung stecken kann, und ihm damit viel mehr Tiefe gegeben. Finde ich sehr geschickt.

Ich glaube, dass Du auch längere Geschichten erzählen kannst, wenn Du die beispielhafte Kritik von Gernot beherzigst. Dieses sprachliche Feilen fällt natürlich bei einem kurzen Text leichter.

Vielleicht hast Du ja Lust zu üben.

Viel Spaß noch am und beim Schreiben.

Liebe Grüße
Petra
 

susann

Mitglied
Liebe Petra


herzlichen Dank für Deine Kritik, die ich gerne gelesen habe. Nachdem ich etwas Abstand gewonnen und den Text selbst noch mehrmals gelesen hatte, bin ich selbst über einige Dinge gestolpert.:)
Es ist trotzdem toll, zu lesen,wie die kritischen Anmerkungen anderer Leser ausfallen. Das gibt mir Mut, den Text nochmal zu überarbeiten und zu berichtigen.
Ich finde es schön, dass du dir die Mühe gemacht hast und herzlichen Dank!

Wünsch dir was..

Susann
 



 
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