Blutsverwandt

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Lomil

Mitglied
Hannahs Mutter hat sich gefreut, als sie plötzlich vor ihr in der Türe stand. Sie umarmt die knochigen Schultern der Mutter. Streift die lose, alte Haut der Wangen.

- Du hättest dich anmelden können. Schließlich gibt es Telefon. Ich bin nicht auf Besuch vorbereitet. Ich hätte Sauerbraten machen können, den isst du doch so gerne. Rindfleischsuppe mit Nudeln hab ich noch auf dem Ofen, hat Hannahs Mutter gesagt.
Hannah sagt, dass sie keinen Hunger hat.
- Die Mutter sagt, dass sie so gut wie gar nichts mehr isst.
Hannahs Mutter deckt den Tisch. Weiße Leinendecke. Frisch gestärkt. Mit messerscharfen Falten. Hannahs Mutter ist stolz auf ihre Tischdecken.

Hannah setzt sich an den Tisch. Hinter den leeren Teller. Sie streicht mit der Hand über die Decke. Die Decke ist eiskalt. Sie spürt die Hohlsaumstickerei. Hannah hat Angst um sich. Sie nimmt die Hände vom Tisch. Übertreib ihr Gefasstsein.

Die Mutter trägt die Suppe auf. Mit sicherer Hand. Die Suppe ist heiss. Hannah bläst in den Löffel.
- Suppe muss heiß gegessen werden. Kalt schmeckt sie nicht, sagt die Mutter.
Hannah stört die vollkommene Ruhe und Unberührtheit im Gesicht der Mutter.
Die Zeiger der Küchenuhr stehen still.

- Möchtst du etwas trinken? Sie selbst trinkt nichts. Man kann keine Suppe essen und gleichzeitig trinken. Ungeachtet dessen trinkt sie sowieso zu wenig, für ihr Alter. Im Alter muss man viel trinken, sonst trocknet man aus, sagt die Mutter.

Das Wasser schießt ins Glas. Sprudelt im Glas. Hannahs Zunge ist dick und pelzig. Das Wasser bizzelt auf der Zunge. Schäumt Spucke auf. Schwächt ihre Verzweifelung ab.
Die Suppe ist zu heiss. Das Wasser zu kalt. Die Nudeln in der Suppe zu weich. Das Faltengeflecht im Gesicht der Mutter zu dicht. Die Musik im Radio zu laut. Das Lieblingslied der Mutter. Sie hat ihr Hörgerät nicht an. Beklagt die Zuzahlung für ihr Hörgerät. das sie nicht trägt.

- Wir geht es dir? fragt die Mutter.
Ein fetter Sonnenbalken streift das Gesicht der Mutter. Einen Wimpernschlag lang. Ihre Lider zucken. Sie hält die Hand vor die Augen. Das Sonnenlicht kann sie nicht mehr vertragen. Sie hat eine Brille mit getönten Gläsern beantragt.

- Wie geht es Dir? Du siehst schlecht aus. Zu blass. Die Blässe kleidet dich nicht. Die Haut am Hals altert am Schnellsten. Du musst rechtzeitig etwas dagegen unternehmen, sagt die Mutter.
Sie spannt ihre Halssehnen wie die Speichen an einem Regenschirm. Fährt mit der Hand darüber. Hält die Augen geschlossen.

- Du siest gut aus, sagt Hannah.
Die Mutter widerspricht.
- Es geht einem nicht gut, wenn man alt ist. Es ist absehbar wie lange man noch lebt.
Hannah widerspricht.
Die Mutter bemüht die Statistik und die natürliche Reihenfolge beim Sterben.
Hannah drückt die Hände auf den Mund. Wischt sich den schlechten Geschmack von den blutleeren Lippen.

Die Mutter hat sich abgedreht. Streichelt hin und wieder über die Sessellehne. Sie klopft auf die Sessellehne. Hannah folgt dem Ruf des Klopfens. Setzt sich auf die Sessellehne. Die Mutter zieht die Hand zurück.
Die Äpfel in der Schale sehen gesund aus. Rotwangig.
- Du solltest mehr Obst essen. Wegen der Vitamine. Sie isst viel Obst, sagt die Mutter.
Die Zeit des Apfelessens mit gesunden Zähnen ist vorbei. Das Messer teilt die gewachste Haut des Apfels. Teilt die roten Wangen. Kauen, Stille.

- Mit vollem Mund spricht man nicht, sagt die Mutter.
Hannah hört die Gedanken hinter der Stirn. Weit und langsam, wie aus anderen Tagen. Heute ist gestern. Morgen wird es nicht geben. Die Mutter kaut laut und langsam. Alleingelassen mit ihrem Apfelstück in ihrem Mund. Der Anschnitt läuft braun an.
Sein Blut kann man nicht sehen. Nur wenn man sich verletzt. Das Hämoglobin färbt es rot. Rote Blutkörperchen. Von denen Hannah zu wenig hat. Sie hat zuviel Weiße. Die Weißen sind zu Räubern geworden. Gehorchen den Gesetzen nicht mehr.
Die Mutter Blutsverwandt. Von gleichem Blut.

Hannah hört sich atmen. Die Mutter schnauft. Kurzatmig. Ein dünner Ton. Ein Ton der reißt. Das Gezweig am Fensterkreuz schlägt gegen die Scheibe. Grüne Blätter, hartes Rauschen.
Der lange Schatten der Nachmittagssonne zeichnet Muster auf die weiße Wand.
Langsam in dem verblassten Muster versinken, unsichtbar werden, denkt Hannah.

Der Mutter sind diese Stunden des Tages die liebsten. Wenn ich nur nicht immer so alleine wäre. Allein sein ist furchtbar. Im Nachbarhaus haben sie einen Toten gefunden, der schon zwei Monate lang tot war.
- Wie lange bleibst du? fragt die Mutter.

Die Mutter kocht Kaffee. Laut zählt sie die Anzahl der gehäuften Kaffeelöffel die sie in den Filter füllt.
Magst du deinen Kaffee lieber stark oder nicht so stark? fragt die Mutter.
Hannah mag keinen Kaffee, trinkt lieber Tee. Von Kaffee wird ihr übel, schon immer.
- Nicht so stark, antwortet Hannah.
Die Mutter zählt weiter gehäufte Kaffeelöffel in den Filter.
Hannah sitzt hinter ihrem Kaffee.
Milch hat die Mutter nicht.
- Kaffee muss schwarz wie die Nacht und süß wie die Sünde sein.
Es hat lange nicht geregnet. Es vertrocknet alles. Der wilde Wein trägt dieses Jahr nicht, sagt die Mutter.

Hannah erinnert sich an ihre Kindheit.
Der Sommer ist heiß.
Das Kind steht in der halb offenen Tür. Der Spalt macht den Raum klein.
Die Mutter trägt eine weiße Kittelschürze. Darunter ist sie nackt. Sie lehnt sich an am Küchentisch. Sie kühlt die Stirn mit der flachen Hand. Vor der Mutter steht der Nachbar. Ganz nah. Sein Gesicht ist blass und schwammig im vertikalen Licht. Seine Hand unter der Kittelschürze der Mutter. Nah an ihrer Heimlichkeit. Das nackte Bein neben dem Bein der Mutter.
Die Hand der Mutter zwischen den nackten Beinen des Nachbarn. Nah an seiner Heimlichkeit.
Die Mutter sieht schön aus. Die Mutter lächelt. Ihr Mund ist geöffnet.
Der Nachbar keucht. Die Mutter stöhnt. Die Mutter steift das Kinn. Der Nachbar leckt den Hals der Mutter. Der Nachbar bewegt sich schnell. Auf Zehenspitzen. Die Narbe auf seiner Wange leuchtet rot. Die haare der Mutter sind nass vom Schweiß. Die Zeiger der Küchenuhr begegnen sich. Enrfernen sich. Die Küchenuhr schlägt.
Der Nachbar richtet seinen Krawattenknoten. In das Echo. Der Nachbar geht. Die Hände tief in die Taschen gesteckt. Den Kopt geneigt.
Das Kind geht. Bis die Mauern aufhören. Die Wege friedlich in der Erde liegen.

Die Schatten stehen tief. Die Bäume tragen schwer an ihrenm Lauf.
Die Zeiger der Uhr teilen das Zifferblatt.
Müdigkeit steht im Schritt des Vaters.
Er kommt mit langem Schatten. Das Kind tritt in den Schatten des Vaters. Der Vater nimmt es an seine Hand.
- Der Sommer ist zu trocken. Der wilde Wein trägt dieses Jahr nicht, sagt der Vater
Die Mutter steht in der geöffneten Tür. Mit Wind im Haar.

- Wie lange bleibst du? fragt die Mutter.
Ihre Stimme eingehüllt in wattige Gleichgültigkeit.
- Die Mutter schließt das Fenster.
Besser es bleibt zu. Lässt die Hitze draußen, sagt die Mutter.
Die sengende Sonne war ein Schwindel. Die Sonne die Leben bringen sollte, trug den Tod in den unbarmherzigen Tag.
Die Zeiger der Küchenuhr stehen still.
Bewegen sich nicht.
Begegnen sich auf der vier.

Hannah denkt; ich hätte nicht kommen sollen!
 

Vagant

Mitglied
Ja, dieses Resolute mancher Mütter kann schon bedrohlich wirken. Suppe muss heiß gegessen werden. Pass auf die Haut am Hals auf. Du siehst schlecht aus. All diese Kleinigkeiten haben in mir eine beklemmende Wirkung ausgelöst. Deinem Profil entnehme ich, dass du eher aus der Lyrik kommst. Dies ist dem Text anzumerken. Ich dachte immer, dass Raymond Cavern der Meister der Reduktion ist, und weniger eigentlich nicht geht. Du bist da ganz nah dran. Manchmal ist mir die geballte Ladung an Hauptsätzen schon fast zu viel (zB. 6. Absatz), an anderer Stellen hätte es noch mehr sein können ( allerdings finde ich diese Stelle nun nicht mehr. es handelte sich nur um ein 'mit', drei kurze hauptsätze, der dritte begann mit 'mit', da hätte man am ende auch noch drauf verzichten können) In der ersten Zeile ist die Erzählsituation nicht ganz eindeutig. Der auktoriale Erzähler legt zuerst den Fokus auf die Mutter. Im Zweiten Satz ändert sich die Blickrichtung unvermittelt auf Hannah. Da war kurz Verwirrung. Entweder in der ersten Zeile Hannah ins aktiv bringen, oder in der zweiten Zeile bei der Mutter bleiben.
Ansonsten habe ich es sehr gerne gelesen und möchte mehr von diesem Zeug.
Vagant
 

Paloma

Mitglied
Guten Morgen Lomil und frohe Ostern,

eine starke Geschichte, wechselnd in den Zeiten. Sie liest sich leider über weite Strecken wie eine Regieanweisung, ich fände sie ein wenig rundlicher deutlich schöner. Leukämie ist übrigens nicht vererbbar.
Wenn du dich auf eine Perspektive festlegen könntest, vorzugsweise auf die der Tochter, würde deine Geschichte sicher noch intensiver.

Liebe Grüße
Paloma
 

Vagant

Mitglied
Hallo Paloma, da hast du sicher Recht. Eine Vererbbarkeit von Leukämieerkrankungen ist nicht nachgewiesen, und wird auch nicht angenommen. Allerdings gibt es ein familiär genetisches Risiko. Ich musste mich in den letzten Jahren damit befassen, und weiß daher, dass die Ärzte sich bei der Ursachen-Analyse da eigentlich nie auf einen Faktor festlegen würden. Auszuschließen ist eine genetisch familiäre Ursache allerdings nicht.
Aber das ist nicht das Entscheidenden für die Geschichte. Entscheiden ist ja die Wahrnehmung der Protagonistin, und nicht die medizinische Genauigkeit.
Ich glaube, die Geschichte ist in ihrer Universalität anders gelagert, und der Hinweis auf die Leukämie nur ein Aspekt des Verhältnisses zwischen den beiden. Das ist so dieses klassische jüdische-Mutter-Ding (Hannah ???), wie es auch oft bei Allen, Roth und anderen vorkommt. Diese Schwierige, Sprachlose, dieses sich nicht verstehen können, zwischen ihnen. Hier an dieser kleinen Begebenheit eines Besuchs exemplarisch gemacht. In seiner Form eigentlich genau so, wie es eine Kurzgeschichte machen soll. Bei der gewählten Spachebene entscheidet sicher auch der persönliche Geschmack.
 

Lomil

Mitglied
Hallo Paloma, auch Dir frohe Ostern

Hannah kommt zu ihrer Mutter,um sie zu bitten sich testen zu lassen, ob sie für eine evtl. Knochenmarkspende in Frage käme.
Die Mutter interessiert sich nicht für ihre Tochter, hat es nie getan. Erkennt, dass Hannah zu blass ist, fragt aber nicht nach dem Grund. Ich glaube, dass gerade durch den Erzählstil Kälte, Distanz und Sprachlosigkeit die zwischen ihnen herrscht, spürbar wird. Warum Hannah am Ende des Besuchs die Mutter nicht fragt, und bedauert, überhaupt gekommen zu sein!

Lomil
 

Lomil

Mitglied
Hannahs Mutter hat sich gefreut, als sie plötzlich vor ihr in der Türe stand. Sie umarmt die knochigen Schultern der Mutter. Streift die lose, alte Haut der Wangen.

- Du hättest dich anmelden können. Schließlich gibt es Telefon. Ich bin nicht auf Besuch vorbereitet. Ich hätte Sauerbraten machen können, den isst du doch so gerne. Rindfleischsuppe mit Nudeln hab ich noch auf dem Ofen, hat Hannahs Mutter gesagt.
Hannah sagt, dass sie keinen Hunger hat.
- Die Mutter sagt, dass sie so gut wie gar nichts mehr isst.
Hannahs Mutter deckt den Tisch. Weiße Leinendecke. Frisch gestärkt. Mit messerscharfen Falten. Hannahs Mutter ist stolz auf ihre Tischdecken.

Hannah setzt sich an den Tisch. Hinter den leeren Teller. Sie streicht mit der Hand über die Decke. Die Decke ist eiskalt. Sie spürt die Hohlsaumstickerei. Hannah hat Angst um sich. Sie nimmt die Hände vom Tisch. Übertreib ihr Gefasstsein.

Die Mutter trägt die Suppe auf. Mit sicherer Hand. Die Suppe ist heiß. Hannah bläst in den Löffel.
- Suppe muss heiß gegessen werden. Kalt schmeckt sie nicht, sagt die Mutter.
Hannah stört die vollkommene Ruhe und Unberührtheit im Gesicht der Mutter.
Die Zeiger der Küchenuhr stehen still.

- Möchtst du etwas trinken? fragt die Mutter.
- Sie selbst trinkt nichts. Man kann keine Suppe essen und gleichzeitig trinken. Ungeachtet dessen trinkt sie sowieso zu wenig, für ihr Alter. Im Alter muss man viel trinken, sonst trocknet man aus, sagt die Mutter.

Das Wasser schießt ins Glas. Sprudelt im Glas. Hannahs Zunge ist dick und pelzig. Das Wasser bizzelt auf der Zunge. Schäumt Spucke auf. Schwächt ihre Verzweifelung ab.
Die Suppe ist zu heiß. Das Wasser zu kalt. Die Nudeln in der Suppe zu weich. Das Faltengeflecht im Gesicht der Mutter zu dicht. Die Musik im Radio zu laut.
Das Lieblingslied der Mutter. Sie hat ihr Hörgerät nicht an. Beklagt die Zuzahlung für ihr Hörgerät. das sie nicht trägt.

- Wir geht es dir? fragt die Mutter.
Ein fetter Sonnenbalken streift das Gesicht der Mutter. Einen Wimpernschlag lang. Ihre Lider zucken. Sie hält die Hand vor die Augen. Das Sonnenlicht kann sie nicht mehr vertragen. Sie hat eine Brille mit getönten Gläsern beantragt.

- Wie geht es Dir? Du siehst schlecht aus. Zu blass. Die Blässe kleidet dich nicht. Die Haut am Hals altert am Schnellsten. Du musst rechtzeitig etwas dagegen unternehmen, sagt die Mutter.
Sie spannt ihre Halssehnen wie die Speichen an einem Regenschirm. Fährt mit der Hand darüber. Hält die Augen geschlossen.

- Du siest gut aus, sagt Hannah.
Die Mutter widerspricht.
- Es geht einem nicht gut, wenn man alt ist. Es ist absehbar wie lange man noch lebt.
Hannah widerspricht.
Die Mutter bemüht die Statistik und die natürliche Reihenfolge beim Sterben.
Hannah drückt die Hände auf den Mund. Wischt sich den schlechten Geschmack von den blutleeren Lippen.

Die Mutter hat sich abgedreht. Streichelt hin und wieder über die Sessellehne. Sie klopft auf die Sessellehne. Hannah folgt dem Ruf des Klopfens. Setzt sich auf die Sessellehne. Die Mutter zieht die Hand zurück.
Die Äpfel in der Schale sehen gesund aus. Rotwangig.
- Du solltest mehr Obst essen. Wegen der Vitamine. Sie isst viel Obst, sagt die Mutter.
Die Zeit des Apfelessens mit gesunden Zähnen ist vorbei. Das Messer teilt die gewachste Haut des Apfels. Teilt die roten Wangen. Kauen, Stille.

- Mit vollem Mund spricht man nicht, sagt die Mutter.
Hannah hört die Gedanken hinter der Stirn. Weit und langsam, wie aus anderen Tagen. Heute ist Gestern. Morgen wird es nicht geben. Die Mutter kaut laut und langsam. Alleingelassen mit ihrem Apfelstück in ihrem Mund. Der Anschnitt läuft braun an.
Sein Blut kann man nicht sehen. Nur wenn man sich verletzt. Das Hämoglobin färbt es rot. Rote Blutkörperchen. Von denen Hannah zu wenig hat. Sie hat zuviel Weiße. Die Weißen sind zu Räubern geworden. Gehorchen den Gesetzen nicht mehr.
Die Mutter Blutsverwandt. Von gleichem Blut.

Hannah hört sich atmen. Die Mutter schnauft. Kurzatmig. Ein dünner Ton. Ein Ton der reißt. Das Gezweig am Fensterkreuz schlägt gegen die Scheibe. Grüne Blätter, hartes Rauschen.
Der lange Schatten der Nachmittagssonne zeichnet Muster auf die weiße Wand.
Langsam in dem verblassten Muster versinken unsichtbar werden, denkt Hannah.

Der Mutter sind diese Stunden des Tages die liebsten. Wenn ich nur nicht immer so alleine wäre. Allein sein ist furchtbar. Im Nachbarhaus haben sie einen Toten gefunden, der schon zwei Monate lang tot war.
- Wie lange bleibst du? fragt die Mutter.

Die Mutter kocht Kaffee. Laut zählt sie die Anzahl der gehäuften Kaffeelöffel die sie in den Filter füllt.
Magst du deinen Kaffee lieber stark oder nicht so stark? fragt die Mutter.
Hannah mag keinen Kaffee, trinkt lieber Tee. Von Kaffee wird ihr übel, schon immer.
- Nicht so stark, antwortet Hannah.
Die Mutter zählt weiter gehäufte Kaffeelöffel in den Filter.
Hannah sitzt hinter ihrem Kaffee.
Milch hat die Mutter nicht.
- Kaffee muss schwarz wie die Nacht und süß wie die Sünde sein.
Es hat lange nicht geregnet. Es vertrocknet alles. Der wilde Wein trägt dieses Jahr nicht, sagt die Mutter.

Hannah erinnert sich an ihre Kindheit.
Der Sommer ist heiß.
Das Kind steht in der halb offenen Tür. Der Spalt macht den Raum klein.
Die Mutter trägt eine weiße Kittelschürze. Darunter ist sie nackt. Sie lehnt sich an am Küchentisch. Sie kühlt die Stirn mit der flachen Hand. Vor der Mutter steht der Nachbar. Ganz nah. Sein Gesicht ist blass und schwammig im vertikalen Licht. Seine Hand unter der Kittelschürze der Mutter. Nah an ihrer Heimlichkeit. Das nackte Bein neben dem Bein der Mutter.
Die Hand der Mutter zwischen den nackten Beinen des Nachbarn. Nah an seiner Heimlichkeit.
Die Mutter sieht schön aus. Die Mutter lächelt. Ihr Mund ist geöffnet.
Der Nachbar keucht. Die Mutter stöhnt. Die Mutter steift das Kinn. Der Nachbar leckt den Hals der Mutter. Der Nachbar bewegt sich schnell. Auf Zehenspitzen. Die Narbe auf seiner Wange leuchtet rot. Die Haare der Mutter sind nass vom Schweiß.
Die Zeiger der Küchenuhr begegnen sich. Enrfernen sich. Die Küchenuhr schlägt.
Der Nachbar richtet seinen Krawattenknoten. In das Echo. Der Nachbar geht. Die Hände tief in die Taschen gesteckt. Den Kopf geneigt.
Das Kind geht. Bis die Mauern aufhören. Die Wege friedlich in der Erde liegen.

Die Schatten stehen tief. Die Bäume tragen schwer an ihrenm Lauf.
Die Zeiger der Uhr teilen das Zifferblatt.
Müdigkeit steht im Schritt des Vaters.
Er kommt mit langem Schatten. Das Kind tritt in den Schatten
des Vaters. Der Vater nimmt es an seine Hand.
- Der Sommer ist zu trocken. Der wilde Wein trägt dieses Jahr nicht, sagt der Vater
Die Mutter steht in der geöffneten Tür. Mit Wind im Haar.

- Wie lange bleibst du? fragt die Mutter.
Ihre Stimme eingehüllt in wattige Gleichgültigkeit.
- Die Mutter schließt das Fenster.
Besser es bleibt zu. Lässt die Hitze draußen, sagt die Mutter.
Die sengende Sonne war ein Schwindel. Die Sonne die Leben bringen sollte, trug den Tod in den unbarmherzigen Tag.
Die Zeiger der Küchenuhr stehen still.
Bewegen sich nicht.
Begegnen sich auf der vier.

Hannah denkt; ich hätte nicht kommen sollen!
 



 
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