Brief an das Ich

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Basti50

Foren-Redakteur
Teammitglied
Endlich in den Prosabereich verschoben wo es hingehört.

Liebes Ich,

Ich fühle mich bereits dümmer als sonst, dir dies hier zu schreiben. Nicht weil ich damit etwas Perplexes tue, oder gar gegen die allgemeine Norm verstoße mal wieder mit sich selbst zu sprechen. Vielmehr geht es mir hierbei mich ein wenig zu sammeln, deine Teile zusammenzusuchen und zu einem Bild zusammenzufügen. Dich kennen zulernen, sozusagen.
Ich tue das in vollem Risiko mich von deinem Antlitz wegzudrehen, sollte mich das unerwartete Glück ereilen bevor ich selbst es tue. Tatsächlich ist meine Geschichte wohl in seiner Form nicht weniger tragisch als das Anderer. Ich wurde durch die Gesellschaft gestoßen, verunsichert, verängstigt. Alles was man sich vorstellen konnte. Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich noch nie verprügelt wurde.
Jedenfalls nicht zu einem Punkt wo ein Menschenrechtler eingreifen würde. Das Schlimmste war wohl immer ich selbst gewesen. Nicht die Furcht die dich trieb sondern mein eigener Wille, mein Fehler. Dabei scheint Fehler ein wichtiges Wort unseres alltäglichen Lebens zu sein. Zumindest wird es damit am meisten in Verbindung gebracht. Ja, ich weiß, dass das jetzt überheblich kling.
Ich, der vorgibt zu wissen wie alles um mich herum aussieht, wie du aussiehst. Bestimmt ist es wieder nur die übliche Ansammlung verworrener Gedanken, die weder Wahrheit noch Logik kennen, doch sollte ich sie brauchen um das hier zu erklären, dann soll es so sein. Sie haben mich schließlich auch dazu getrieben dies hier zu schreiben und heißt es nicht immer noch irgendwo, dass die Feder mächtiger ist als das Schwert? Indem wir uns mit diesen elektrischen Entladungen beschäftigen die Tag für Tag durch unseren Kopf kreisen werden wir gelegentlich gewahr was wir sein könnten und entwickeln so etwas für uns sehr wichtiges: ein Individuum.
Bestimmt sagst du nun wie töricht es ist. Schließlich hast du dich selbst erschaffen, aus dem Dreck gezogen, nackt und mit Schlamm verkrustetem Körper. Doch wer oder besser was war es letztendlich was dich überhaupt aus dem Dreck trieb, kanntest du doch zuvor nichts anderes? Wer sagte, dass es besser sein würde, dass es dort Licht gab und ob dort die Hoffnung existierte die dir nie gegeben wurde? Suche die Antwort und du wirst erfolglos zurückkehren. Waren es nicht die Gedanken, dass es etwas anderes sein würde als der Schmutz der dich umgab, etwas was man erstreben konnte? Bestimmt hattest du Vorstellungen, die von dem was du hier gesehen hast enttäuscht wurden. Es wurde schwerer und teilweise unerbittlich. Überall liefst du in Gefahr wieder in dem nächsten Schlammloch zu verschwinden, gelegentlich sogar aus freiem Stücken. Vielleicht bist du auch wieder dort und ich schreibe dies vergebens. Aber auch falls nicht, wird das was ich schreibe dafür bei mir seinen Preis fordern. Ich habe Angst davor. Du kannst dir nicht vorstellen in welche Panik mich jeder einzelne kurze Lichtblick versetzt. Wie du werde ich geblendet. Schmerzen zucken durch meinen Körper vor allem durch meinen Kopf.
Für einem Moment wünsche ich mir alles wäre vorbei. Ich könnte mich wieder in einem Zustand der Nichtigkeit davon treiben lassen auf dem sanften Wellen des Vergessens.
Doch tief im Herzen spüre ich, dass es nichts weiter als ein weiteres Schlammloch aus, dass ich dich mit mir in eine weitere, unerbittliche Welt zerre. Warum sollten wir sonst so vor all dem fürchten, was uns Schaden zufügen kann? Was uns schier lähmt und uns dazu verleitet sich gegenseitig den Schädel einzuschlagen.
Ist das alles? Die Furcht vor einer weiteren Prüfung? Und was dann? Erneut die Angst vor einem Schicksal voller Elend, immerfortwährend in einem Teufelskreis der Qual? Nein, liebes Ich. Ich glaube an das Licht am Ende des Tunnels. Daran, dass es irgendwo einem Ort gibt an dem uns zumindest eine Rast geboten wird und wir Zeit haben uns gemeinsam neu zu formen. Der Glaube eines Blauäugigen, ich weiß. Und falls nicht das, dann zumindest der Glaube eines geisteskranken Lyrikers der verzweifelt versucht in dem Chaos seiner stümperhaften Worte eine für ihn akzeptable Antwort zu finden. Wie ich bereits schrieb, es war eine verrückte Idee.
Doch will ich sie noch auskosten so weit wie nur eben möglich ist. Bitte verzeih mir.
Denk doch einmal darüber nach was du über uns schon alles weißt? Ich meine damit nicht dich sondern noch allgemeiner. Wir sind in den Büchern der Wissenschaft offiziell als Homo Sapiens aufgelistet. Unsere Lebensspanne beträgt 0 bis ca. 120 Jahre. Allesfresser mit dem besonderen Talent durch Hände und Verstand Dinge zu formen, die uns in der Geschichte der Evolution so ausgezeichnet haben.
Ironisch daran zu denken, dass das meiste davon eigentlich nicht einmal im Ansatz mit einer Evolution in Verbindung stand. Ich will hier nicht das verschmähen was wir waren oder das was wir nun sind. Ist es am Ende doch nur wieder ein hohler Protest der nichts verändern kann. Wir vermögen vieles am Beispiel zu Lernen. Dich zu finden während du orientierungslos durch die Lande schreitest ist jedoch eine Aufgabe, die uns niemand erleichtern oder gar abnehmen kann.
Vielleicht vermögen Worte oder Taten uns in die richtige Richtung zu stoßen. Der Rest ist aber vollkommen den Ratlosen überlassen wie es so oft der Fall war. Viele unserer Schritte werden die sein, die wir bereuen werden. Ich mache keinen Hehl daraus. Und noch schlimmer als das ist die Einbildung dich gefunden zu haben. Doch macht uns dieser Glaube nicht etwa stärker. Er wird zu unserer größten Schwäche. Ein verzerrtes Bild des Daseins, das des Öfteren wie ein Kartenhäuschen in sich zusammenbricht nur um wieder und wieder aufgebaut zu werden. Grausame Bilder tun sich immer wieder vor meinem Auge auf. Ich sehe mich in einem kleinen viereckigen Raum mit nichts anderem als einer Tür direkt vor mir. Doch wenn ich durch diese Tür schreite, stehe ich wieder dort wo ich vorher stand, wieder derselbe Raum mit derselben Tür. Ein Horrorszenario ohne Ausweg. Doch das schlimmste dabei ist immer die Gewissheit es mir selbst erbaut zu haben. Mein Wille ist mein Fehler. Aber was soll ich nun tun um dich zu finden? Ich schreie in die Welt hinaus ohne über einen Mund zu verfügen und meine dich mit verbundenen Augen zu sehen. Was bleibt mir übrig? Ich habe dich überall gesucht in mir und in der Welt da draußen.
Und hier war dieser bizarre Kurzschluss der sich in meinem Kopf abspielte. Vielleicht hatte ich dich nie gefunden weil ich nicht wusste wie du aussiehst? Ähneln wir uns überhaupt? Hörst du auch Rock’n’roll so gerne wie ich? Schließlich habe ich mich dazu durchgerungen, dass wir uns doch in irgend einer Form ähneln müssen oder etwa nicht? Zumindest ist das die plausibelste Antwort, die ich hätte. Falls das wirklich die Antwort sein sollte bin ich mir nicht ganz so sicher ob ich dich wirklich finden will, denn ich halte mich, ohne dabei auszuschweifen, als unangenehme Persönlichkeit. Ich habe gelogen, betrogen und Menschen die mir nahe standen so schmerzlich wehgetan, dass ich es fast selbst gespürt habe.
Was sollte es bringen, einem schlechten Menschen ein ebenso schlechtes Ich zu verpassen? Sei bitte jetzt nicht böse, dass ich dich wie ein Gegenstand handhabe, ich bin schlicht verzweifelt. Aber was soll es nun? Geld? Macht? Erfreut zumindest den inneren Frieden gefunden zu haben, während man seinem schändlichen Handwerk nachgeht, vielleicht sogar mordet? Kann ich dich wirklich so einschätzen?
Wieder dieses optimistische Sträuben aber dieses mal ein wenig schwächer als zuvor. Vielleicht ist es ja auch meine Aufgabe dich loszuwerden oder vor dir wegzulaufen.
Ich merke schon, dass das nicht den nähernden Effekt hatte wie ich ihn eigentlich habe einfliesen lassen wollen. Tatsächlich fürchte ich neben dem Tod, Schmerzen, meinen Mitmenschen, BSE, AIDS und anderen diversen Sachen die das Leben so lebenswert machen, dich am meisten.
Was wirst du sein oder bist du bereits jetzt geformt? Geprägt wie man es bei den Pädagogen so schön umschrieben wird. Es würde für uns bedeuten, dass alles bereits vorbei ist bevor es begonnen hat. Denn solange mein Körper atmet werde ich dich suchen. Auch falls das was ich finde nicht weiteres ist als ein wahnsinnig grinsendes Ungeheuer. All diese göttlichen Mächte stehen uns bei wenn so etwas kommen sollte.
Meine Hoffnungen bestehen nun darin dich entweder hiermit zu erreichen oder dich für immer zu vergessen und zu begraben. Denk bei dem was du nun tust immer daran, was an unserer Zusammenkunft so wichtig sein könnte. Wenn du nicht das Ziehen spürst welches mich immer wieder schmerzhaft aus meiner Realität reißt und mich zu solchen Taten verleitet wie dieses Schriftstück hier, dann kannst du gehen. Finde einen der dich nicht abstoßen wird oder bleibe einsam wie ich es wohl immer sein werde. Falls du nun doch zu mir finden solltest freue ich mich schon auf eine gute Zusammenarbeit. Egal, wie es nun für uns beide ausgeht, entsende ich hier meine wärmsten Grüße und wünsche dir eine gute Reise. Tut mir leid, dass das hier nicht so aufbauend geworden ist, wie ich gehofft hatte.

Auf Wiedersehen

Der Absender
 
B

bonanza

Gast
eine wunderbare idee: der brief an das ich.
in der mitte zieht es sich allerdings. du suhlst etwas
zuviel im morast des (subjektiven) seelenlebens.
aber fantastische gedanken zwischendurch und nicht
unbedingt übel geschrieben. da läßt sich was draus machen.

bon.
 

Basti50

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo bonanza

Na ja, das mit den Ausschweifungen muss ich wirklich entschuldigen. Der Brief leidet vor allem stark darunter, dass er eigentlich am Anfang als bloße Fingerübung gedacht war, um mich ein bisschen mehr mit der Perspektive des Ich-Erzählers vertraut zu machen. Demzufolge war es mir vor allem wichtig möglich viel Text zu verfassen, der gleichzeitig auf einem Thema aufbaut ohne dabei eine 'echte' Geschichte zu erzählen.
Also entschied ich mich durch gepflegten Briefkontakt mit dem Ich die für den Text nötige analytische Distanz zu finden als auch mir selbst die erzählerische Souveränität zu sichern.
Indem ich den Verfasser noch einmal von seinem eigenen Bewusstsein zu trennen versuchte und ihn als neuen Maßstab aller Dinge (oder zumindest als deren Betrachter) benutze, wurden eigentlich schon zwangsläufig Fragen über die Existenz und den Wert von Individualismus zu Tage gebracht, die viel älter sind als ich selbst. Genug Materie also um ein, zwei Seiten zu füllen.
Was wohl leider den Text im Morast versinken lässt, ist meine Entscheidung den Absender als Pessimisten auftreten zu lassen (denn meiner Erfahrung nach sind es im Schnitt immer die so genannten 'negativ Denkenden', die die größeren Textmassen produzieren ;) ), der sich hier dreist als Optimist tarnt. Also verliert es sich an vielen Stellen in Selbstbeweihräucherung und Langatmigkeit.
Da gebe ich dir vollkommen Recht. Außerdem denk ich merkt man ziemlich schnell, dass sich das Ganze in recht kurzer Zeit und sehr unkoordiniert entwickelt hat.
Trotzdem hoffe ich, dass dieses Experiment nicht gänzlich daran gescheitert ist.
 



 
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