Busfahrer. Alltag. Und der Abend schwieg.

Ingwer

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Alltag

Das reflektierte Licht brannte in seinen Augen.
Es war die siebte Runde heute, und es reichte ihm, definitiv. Er hatte zwischendurch zwar immer mal ein paar Minuten Zeit gehabt, aber nie hatte es für eine gemütliche Zigarette gereicht. Schließlich musste der Mensch auch seine Notdurft verrichten, wenn ihm das Wasser fast bis zum Hals stand, oder sich ab und an mal ein belegtes Brötchen am Kiosk kaufen.
Die Fahrgäste grummelten vor sich hin, wenn er mal ein paar Minuten Verspätung hatte. Termine hier. Zu spät da. Unverschämtheit.
Mit der Zeit war er immer stumpfer geworden, genau wie sein langsam schütteres Haar. Die Falten gruben sich tiefer in seine Augenwinkel, und leider waren es nicht nur Lachfalten.
Er war müde.

Ein rascher Blick auf seinen kleinen Kalender am Armaturenbrett- und ein Lächeln, das scheu über sein Gesicht huschte.
An der nächsten Haltestelle würde sie einsteigen.
Wenn genug Platz war, saß setzte sie sich immer so, dass er sie im Rückspiegel sehen konnte. Sie trug braunen Kunstpelz im Winter und weiße oder blaue Kleider im Sommer. Die Haare immer offen- bis auf einmal. Da trug sie eine Hochsteckfrisur, die ihr überhaupt nicht stand. Irgendjemand musste sie darauf aufmerksam gemacht haben-
in der Woche danach sah sie aus wie sonst.
Sie war ihm vertraut geworden, diese Einmal-in-der-Woche-Geld-kassieren-und-im-Rückspiegel-betrachten-Bekanntschaft.
Aber ansprechen würde er sie nicht, nein.
Er fürchtete sich nur vor dem Mittwoch, an dem sie nicht mehr einsteigen würde.

Heute sah er sie von weitem leuchten, in einem neuen, geblümten Kleid, das sich im Wind aufbauschte, mit wirren Haaren und wirrem Lächeln, das nicht ihm galt.
Sie lächelte für den Mann, der bei ihr stand und sie umarmte.
Und sie verpasste das Einsteigen, weil sie den Mann küsste.


Fahrpläne müssen eingehalten werden, und er fuhr weiter und fuhr und fuhr und fast über eine rote Ampel und fuhr weiter und hielt und fuhr und hielt. Zuletzt am großen Bushof, wo seine Schicht endete.
Er stieg aus und wühlte in seiner Tasche nach Zigaretten.
Er wollte nach Hause.
Er ging zu Fuß, stundenlang durch die kalte Stadt.
Es war weit- seine Frau wartete.

Der Abend schwieg.
 



 
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