Diese dunklen Nächte waren mir immer ein wenig unheimlich. Vor allem dann, wenn ich alleine zuhause war, was zum Glück ziemlich selten vorkam. Aber heute hatten meine Eltern einen Tisch in einem der Touristen-Restaurants unten an der Strandpromenade reserviert, sie wollten dort ihren Hochzeitstag mit einem besonderen Abendessen feiern.
Der Hund in der Nachbarschaft hatte schon ein paar Mal angeschlagen, als er gegen Mitternacht endlich Ruhe gab. Es war sehr windig (so wie die meiste Zeit hier auf der Insel). Ich wälzte mich noch eine Weile hin und her. Bob, so nannten wir unser altes Wohnmobil, ächzte und knarrte. Irgendwann übermannte mich endlich der Schlaf.
Kurz danach spürte ich, dass es ganz hell geworden war. Es war ein seltsames, unbekanntes Gefühl, das mich schließlich wach werden ließ. Ich öffnete die Augen und sah eine fremde Farbe, eine, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Vorsichtig richtete ich mich auf. Das Heulen des Windes war verschwunden, es hatte einfach aufgehört. Eine unheimliche Stille breitete sich aus, sie verschluckte sogar das Rauschen des Meeres, welches man sonst trotz der Entfernung gut hören konnte. Mit einem Ruck öffnete sich der Vorhang vor meinem Fenster – was ich mit einem Aufschrei quittierte – und gab den Blick auf eine gespenstische Szene frei. Irgendetwas stimmte nicht mit den Caminos, diesen dreißig kleinen Terrakottafiguren im Kreisverkehr an der Einfahrt nach Jandia. Seit Jahrzehnten standen sie dort, die Köpfe im Nacken mit ihrem vom Universum gefesselten Blick in die Unendlichkeit. Diese lebensnahen Nachbildungen kleiner Kinder aus dem nahen Fischerdorf Morro Jable hatte eine Künstlerin vor vielen Jahren in Szene gesetzt.
Eine seltsame Magie ging von den Figuren aus. Seltsamerweise war draußen alles Lebendige verschwunden, es fuhren keine Autos auf der Straße und es waren auch keine Menschen unterwegs. Das sonderbare Licht beleuchtete die Kinder mit dieser fremdartigen, unbekannten Farbe. Es gab keinen Schatten, wo es welchen hätte geben müssen.
Irgendwas stimmte hier nicht. Dann plötzlich wusste ich, was es war: die Caminos hatten sich gedreht. Schon immer hatten ihre Gesichter zum Meer hinaus gezeigt. Stattdessen blickten sie nun in meine Richtung, landeinwärts, ohne mich anzuschauen, da ihr Blick immer noch zum Himmel wies.
Was war das? Zuerst nur ein Flüstern, dann aber ein Hauch von Stimmen. „Cielo, Cielo, Cielo!“, riefen die Stimmen. Sie riefen mich! Zunächst sehr freundlich, dann immer fordernder. Noch konnte ich mich widersetzen. Was würde passieren, wenn ich nicht mehr dagegenhalten könnte? Ich begann zu frieren. Zum seltsamen Leuchten gesellte sich nun ein leises Knirschen, das langsam lauter wurde.
Ein lauter Knall – und Bobs Türe sprang auf. Ein Schrei entfuhr meinen Lippen. Fast hätte ich mir vor Angst in die Hose gemacht. Leandro stürzte hinein und schlug die Tür mit einem ebenso lauten Knall wieder zu.
„Cielo, was ist das? Was ist da draußen los?“ Mit weit aufgerissenen Augen starrte er mich an. „Was passiert da draußen?“
„Ich weiß es nicht. Ich war gerade eingeschlafen, da fing es an und ich wurde wieder wach.“ Das Knirschen wurde lauter.
„Bei mir war es genauso. Keine Ahnung, was da vorgeht. Aber als ich hierüber gelaufen bin, war alles wie im Traum. Es gab keine Geräusche – nicht mal meine Schritte waren zu hören. Dabei bin ich gerannt.“
Leandro blickte aus dem Fenster. „Kein Mensch ist auf den Straßen … Wo sind deine Eltern?“
„Die haben Hochzeitstag und sind unten an der Promenade, essen. Was machen wir jetzt?“
Leandro zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung – meine Eltern sind auch weg. Einfach verschwunden. Ich habe schon versucht, sie anzurufen, ich kriege einfach kein Netz.“ Er wirkte ziemlich ratlos. „Warte, ich versuche es mal. Wo ist mein Handy?“ Nach einigem Suchen fand ich es auf dem Boden neben meinem Bett. Seltsamerweise war es ausgeschaltet.
„Moment, muss das Ding erstmal hochfahren.“
Leandro war ungeduldig.
„Warte, Leandro, nur noch die PIN, dann rufe ich an.“
Meine Eltern würden wissen, was zu tun war, sie hatten immer eine Lösung.
„Mist. Ich habe auch kein Netz. Seltsam.“ Langsam bekam ich es mit der Angst zu tun. Das Knirschen war noch lauter geworden. Leandro starrte gebannt aus dem Fenster.
„Komm her, Cielo, schau dir das an! Unglaublich!“
Ich blickte aus dem Fenster. Das fremde, helle Leuchten war immer noch da. Die Caminos starrten nicht mehr in den Himmel! Sie blickten uns direkt an, ihre Blicke trafen uns. Ihre Augen waren von seltsamer Lebendigkeit, von einer Lebendigkeit, die es nicht hätte geben dürfen. Fast schien es, als ob sie lächelten und uns etwas sagen wollten.
„Das war das Knirschen – als sie die Köpfe gesenkt haben, hat das Terrakotta gekracht.“ Ich wollte einfach nur noch weg.
„Cielo, Leandro – kommt her!“
Ich blickte Leandro an. „Sie haben uns gerufen.“
Er wandte den Kopf zur Tür und antwortete nicht.
„Leandro, was ist los?“
Er sagte nichts. Dann stand er plötzlich auf – viel zu langsam, viel zu ruhig.
„Wo willst du hin?“
Wieder keine Antwort, stattdessen wandte er sich um und ging los. Ich versuchte aufzustehen, aber meine Beine waren unendlich schwer. Ich kam einfach nicht hoch.
„Bleib hier, Leandro, geh nicht! Wer weiß, was passiert. Das ist viel zu gefährlich.“
Die Hand am Türgriff, wandte er sich zu mir um. Ich erschrak. Das war nicht Leandro. Er wirkte wie einer der Caminos dort draußen. Er lächelte, nein, er grinste. Dann wurde sein Blick sehr ernst.
„Ich gehe jetzt, Cielo, ich muss gehen. Die Caminos haben mir gesagt, dass sie mir alles zeigen, dass sie mir alles erklären. Deshalb gehe ich.“
Dabei bewegten sich seine Lippen nicht einmal. Er drehte den Knauf. Die Tür öffnete sich, Leandro trat hinaus ins Licht. Die Tür schlug zu. Dann wurde alles dunkel …
„Cielo, aufstehen, es ist beinahe schon neun, wir fahren nachher zum Fischmarkt, du wolltest helfen.“ Mama zog mir mit einem Lächeln die Decke weg. „Komm jetzt, es ist Zeit.“
War alles nur ein Traum? Fast fühlte es sich so an. Ich war erleichtert. Aber nur beinahe. Alles wirkte so wie immer. Die Sonne schien, der Wind frischte auf wie jeden Morgen, Papa bereitete draußen unter der Markise den Frühstückstisch vor, Mama sah aus wie jeden Morgen. Nichts hatte sich verändert.
„Okay, komme schon.“
Mama gab mir einen Kuss auf die Stirn.
„Cielo, komm mal her! Schau mal!“, rief Papa. “Da ist eine neue Figur bei den Caminos.“
Ich erstarrte, eine Gänsehaut lief mir über den Rücken. Dann stürzte ich hinaus, an Papa vorbei und rannte in Richtung des Kreisverkehrs. Schon von weitem sah ich die neue Figur. Sie stand am Rande der anderen und blickte genauso fasziniert in den Himmel wie sie. Ich erkannte ihn sofort. Die neue Figur, die ins Unendliche blickte, war Leandro.
Der Hund in der Nachbarschaft hatte schon ein paar Mal angeschlagen, als er gegen Mitternacht endlich Ruhe gab. Es war sehr windig (so wie die meiste Zeit hier auf der Insel). Ich wälzte mich noch eine Weile hin und her. Bob, so nannten wir unser altes Wohnmobil, ächzte und knarrte. Irgendwann übermannte mich endlich der Schlaf.
Kurz danach spürte ich, dass es ganz hell geworden war. Es war ein seltsames, unbekanntes Gefühl, das mich schließlich wach werden ließ. Ich öffnete die Augen und sah eine fremde Farbe, eine, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Vorsichtig richtete ich mich auf. Das Heulen des Windes war verschwunden, es hatte einfach aufgehört. Eine unheimliche Stille breitete sich aus, sie verschluckte sogar das Rauschen des Meeres, welches man sonst trotz der Entfernung gut hören konnte. Mit einem Ruck öffnete sich der Vorhang vor meinem Fenster – was ich mit einem Aufschrei quittierte – und gab den Blick auf eine gespenstische Szene frei. Irgendetwas stimmte nicht mit den Caminos, diesen dreißig kleinen Terrakottafiguren im Kreisverkehr an der Einfahrt nach Jandia. Seit Jahrzehnten standen sie dort, die Köpfe im Nacken mit ihrem vom Universum gefesselten Blick in die Unendlichkeit. Diese lebensnahen Nachbildungen kleiner Kinder aus dem nahen Fischerdorf Morro Jable hatte eine Künstlerin vor vielen Jahren in Szene gesetzt.
Eine seltsame Magie ging von den Figuren aus. Seltsamerweise war draußen alles Lebendige verschwunden, es fuhren keine Autos auf der Straße und es waren auch keine Menschen unterwegs. Das sonderbare Licht beleuchtete die Kinder mit dieser fremdartigen, unbekannten Farbe. Es gab keinen Schatten, wo es welchen hätte geben müssen.
Irgendwas stimmte hier nicht. Dann plötzlich wusste ich, was es war: die Caminos hatten sich gedreht. Schon immer hatten ihre Gesichter zum Meer hinaus gezeigt. Stattdessen blickten sie nun in meine Richtung, landeinwärts, ohne mich anzuschauen, da ihr Blick immer noch zum Himmel wies.
Was war das? Zuerst nur ein Flüstern, dann aber ein Hauch von Stimmen. „Cielo, Cielo, Cielo!“, riefen die Stimmen. Sie riefen mich! Zunächst sehr freundlich, dann immer fordernder. Noch konnte ich mich widersetzen. Was würde passieren, wenn ich nicht mehr dagegenhalten könnte? Ich begann zu frieren. Zum seltsamen Leuchten gesellte sich nun ein leises Knirschen, das langsam lauter wurde.
Ein lauter Knall – und Bobs Türe sprang auf. Ein Schrei entfuhr meinen Lippen. Fast hätte ich mir vor Angst in die Hose gemacht. Leandro stürzte hinein und schlug die Tür mit einem ebenso lauten Knall wieder zu.
„Cielo, was ist das? Was ist da draußen los?“ Mit weit aufgerissenen Augen starrte er mich an. „Was passiert da draußen?“
„Ich weiß es nicht. Ich war gerade eingeschlafen, da fing es an und ich wurde wieder wach.“ Das Knirschen wurde lauter.
„Bei mir war es genauso. Keine Ahnung, was da vorgeht. Aber als ich hierüber gelaufen bin, war alles wie im Traum. Es gab keine Geräusche – nicht mal meine Schritte waren zu hören. Dabei bin ich gerannt.“
Leandro blickte aus dem Fenster. „Kein Mensch ist auf den Straßen … Wo sind deine Eltern?“
„Die haben Hochzeitstag und sind unten an der Promenade, essen. Was machen wir jetzt?“
Leandro zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung – meine Eltern sind auch weg. Einfach verschwunden. Ich habe schon versucht, sie anzurufen, ich kriege einfach kein Netz.“ Er wirkte ziemlich ratlos. „Warte, ich versuche es mal. Wo ist mein Handy?“ Nach einigem Suchen fand ich es auf dem Boden neben meinem Bett. Seltsamerweise war es ausgeschaltet.
„Moment, muss das Ding erstmal hochfahren.“
Leandro war ungeduldig.
„Warte, Leandro, nur noch die PIN, dann rufe ich an.“
Meine Eltern würden wissen, was zu tun war, sie hatten immer eine Lösung.
„Mist. Ich habe auch kein Netz. Seltsam.“ Langsam bekam ich es mit der Angst zu tun. Das Knirschen war noch lauter geworden. Leandro starrte gebannt aus dem Fenster.
„Komm her, Cielo, schau dir das an! Unglaublich!“
Ich blickte aus dem Fenster. Das fremde, helle Leuchten war immer noch da. Die Caminos starrten nicht mehr in den Himmel! Sie blickten uns direkt an, ihre Blicke trafen uns. Ihre Augen waren von seltsamer Lebendigkeit, von einer Lebendigkeit, die es nicht hätte geben dürfen. Fast schien es, als ob sie lächelten und uns etwas sagen wollten.
„Das war das Knirschen – als sie die Köpfe gesenkt haben, hat das Terrakotta gekracht.“ Ich wollte einfach nur noch weg.
„Cielo, Leandro – kommt her!“
Ich blickte Leandro an. „Sie haben uns gerufen.“
Er wandte den Kopf zur Tür und antwortete nicht.
„Leandro, was ist los?“
Er sagte nichts. Dann stand er plötzlich auf – viel zu langsam, viel zu ruhig.
„Wo willst du hin?“
Wieder keine Antwort, stattdessen wandte er sich um und ging los. Ich versuchte aufzustehen, aber meine Beine waren unendlich schwer. Ich kam einfach nicht hoch.
„Bleib hier, Leandro, geh nicht! Wer weiß, was passiert. Das ist viel zu gefährlich.“
Die Hand am Türgriff, wandte er sich zu mir um. Ich erschrak. Das war nicht Leandro. Er wirkte wie einer der Caminos dort draußen. Er lächelte, nein, er grinste. Dann wurde sein Blick sehr ernst.
„Ich gehe jetzt, Cielo, ich muss gehen. Die Caminos haben mir gesagt, dass sie mir alles zeigen, dass sie mir alles erklären. Deshalb gehe ich.“
Dabei bewegten sich seine Lippen nicht einmal. Er drehte den Knauf. Die Tür öffnete sich, Leandro trat hinaus ins Licht. Die Tür schlug zu. Dann wurde alles dunkel …
„Cielo, aufstehen, es ist beinahe schon neun, wir fahren nachher zum Fischmarkt, du wolltest helfen.“ Mama zog mir mit einem Lächeln die Decke weg. „Komm jetzt, es ist Zeit.“
War alles nur ein Traum? Fast fühlte es sich so an. Ich war erleichtert. Aber nur beinahe. Alles wirkte so wie immer. Die Sonne schien, der Wind frischte auf wie jeden Morgen, Papa bereitete draußen unter der Markise den Frühstückstisch vor, Mama sah aus wie jeden Morgen. Nichts hatte sich verändert.
„Okay, komme schon.“
Mama gab mir einen Kuss auf die Stirn.
„Cielo, komm mal her! Schau mal!“, rief Papa. “Da ist eine neue Figur bei den Caminos.“
Ich erstarrte, eine Gänsehaut lief mir über den Rücken. Dann stürzte ich hinaus, an Papa vorbei und rannte in Richtung des Kreisverkehrs. Schon von weitem sah ich die neue Figur. Sie stand am Rande der anderen und blickte genauso fasziniert in den Himmel wie sie. Ich erkannte ihn sofort. Die neue Figur, die ins Unendliche blickte, war Leandro.