Danach

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Er konnte ihr etwas geben, das sie so nicht von ihm erwartet hätte und das noch niemand zuvor geschafft hatte. Wenn er sie in die Arme nahm, sie seine warme Haut spürte, dann war es für Anna, als sei die Welt dort draußen abgeschaltet. Sie war einfach nicht mehr vorhanden und es existierten nur noch dieser Mann und sie. Anna war dann wunschlos. Danach hatte sie sich immer gesehnt und sie hatte nicht gedacht, dass sie das einmal erleben würde.

Wenn sie bei ihm war, war sie frei. Einmal hatte sie bei ihm übernachtet, ein kompliziertes Unterfangen, denn ihr Gewissen hatte ihr tagelang zu schaffen gemacht. Und dann war sie einfach nicht nach Hause gefahren, sondern zu ihm. Es war schon spät gewesen und er hatte sie einfach aufgefordert, in sein Bett zu klettern und dort einzuschlafen. Und dann lag sie dort, lauschte auf seinen regelmäßigen Atem, sie hatte ihre Arme um ihn geschlungen und konnte nicht glauben, was sie da tat. Sie fühlte sich wie vor dreißig Jahren, als hätten die Jahre dazwischen nie existiert. Und auch ihr bisheriges Leben nicht. In ihrem Kopf schwirrte es, ihre Gedanken gaben keine Ruhe. Zum einen war es so unglaublich schön, zum anderen zu schön, um es auszuhalten. Das hatte sie nicht verdient und sie bekämpfte den Impuls, sich wieder anzuziehen und nach Hause zu fahren, dort hin, wo sie hingehörte.

Als sie nach dieser Nacht nach Hause kam, fragte ihr Mann, wo sie gewesen sei. Er sah traurig aus und hatte einen ruhigen Tonfall. Sie sagte: „Weg.“ und ging in die Küche, um sich eine Tasse Kaffee zu holen. Dann kam von ihrem Mann nichts mehr und sie atmete auf. Er wusste es. Er wusste, was sie tat und er wusste auch, wo sie gewesen war, da war sie ganz sicher. Und es hätte nichts geändert, wenn sie es ihm gesagt hätte. Sie waren aufeinander angewiesen, sie und ihr Mann. Und deshalb kam es auch nicht mehr zur Sprache.

Anna duschte zwei Tage nicht, um Carstens Geruch nicht zu verlieren. Und sie hatte keinen anderen Gedanken mehr als diese eine Nacht, die die einzige bleiben würde. Von da an ertappte sie sich oft dabei, dass ihre Gedanken aus dem üblichen Karussell ausbrachen. Sie hatte ständig Carstens Augen im Kopf, braune, wunderbare, mit einem zärtlichen Blick. Wenn sie ihre Augen schloss, konnte sie seine Haut fühlen, warm und mit kleinen weichen Härchen bedeckt, sie konnte fühlen, wie sie seinen Kopf berührte (das mochte sie wirklich), das millimeterkurze Haar streichelte, die Konturen seines schönen Gesichts nachzog und dann sein Mund! Diese perfekt geformten Lippen, die viel zu selten lächelten, die sie so gerne auf ihrem Körper fühlte. Sie fragte sich jeden Tag, ob sie verliebt war. Das wäre schlecht, denn Carsten sollte nur ihre Affäre sein, ihre Insel im Alltag, auf die sie sich flüchten konnte. Sie befand sich in einer tiefen Lebenskrise, so schlecht war es ihr noch nie ergangen. Sie hatte ihre berufliche Existenz verloren, die Beziehung zu ihrem Mann war mehr freundschaftlich als partnerschaftlich, und wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, wollte sie eigentlich nur noch, dass dieses Leben aufhörte, aber selbst dazu war sie zu feige.

Erst dachte sie, Carsten würde ihr Trost spenden in ihrem Unglück. Aber so war es nicht. Sie wünschte sich auf einmal, zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl zu haben, angenommen zu sein und geborgen. Und das konnte Carsten ihr geben und er ahnte das bestimmt nicht einmal. Und selbst wenn, war es ihm mit Sicherheit gleichgültig. Er suchte nur eine Affäre, hatte er klar gestellt, zwar langfristig, aber sein Herz könne sie nicht haben, da ließe er nie wieder eine Frau hinein. Dass das stimmte, hatte sie schon längst festgestellt. Denn eines Tages fing er an zu erzählen, von seiner ehemaligen Lebensgefährtin und sie hatte danach den Eindruck, er sei von dieser Frau besessen. Es machte ihr nicht aus und so war sie sich ganz sicher, nicht verliebt zu sein. Sie war nämlich überzeugt davon, das gar nicht zu können, sich zu verlieben, zu lieben. Oft haderte sie mit sich, irgendetwas mit ihr sei nicht in Ordnung. Jeder konnte sich verlieben, sie selbst konnte das nicht. Sie konnte wohl Zärtlichkeit geben, weil es ihr ein Bedürfnis war, zu Carsten zärtlich zu sein. Aber ihr Herz rührte sich nicht. Und das machte sie eigentlich noch trauriger, als sie es ohnehin schon war.
Dann änderte sich etwas. Carsten fing an, ihr seltsame Nachrichten zu schicken. Er sei furchtbar traurig und verzweifelt, er fragte sich, was er auf dieser Welt eigentlich verloren hätte und er wünsche ihr Alles Gute, er wollte nicht mehr. Anna war erschrocken, als sie das las, wie versteinert wartete sie, ob noch eine Nachricht folgte. Aber erst nach ein paar Tagen kam ein Herzchen und sie wusste, es war wieder gut. Sie atmete auf. Der Gedanke, ihn nicht mehr umarmen zu können, hatte ihr sehr zugesetzt und sie hatte sich gefragt, wie sie das bloß aushalten sollte, ihn nie wieder zu sehen. Sie verabredeten sich ein paar Mal, aber jedes Mal sagte Carsten kurz vorher den Termin ab und Anna wurde krank.
Sie litt seit über 20 Jahren an einer Erkrankung, mit der sie bisher gut leben konnte und sie kaum beeinträchtigte, aber diesmal war es so schlimm, dass sie das Haus nicht verlassen konnte. Sie war so geschwächt, dass ihr die Tränen kamen und sie meist den Tag verschlief. Hatte sie ihren Alltag bisher wenigstens einigermaßen geregelt bekommen, funktionierte jetzt nichts mehr. Sie musste sich vollkommen auf ihren Mann verlassen, der alles regelte, der ihr Medikamente besorgte und den Haushalt erledigte, während sie dumpf vor sich hinbrütend auf der Couch lag und nicht mehr sprach. Sie fühlte sich minderwertig und schuldig, dass sie ihm alles aufbürdete und sie selbst zu schwach war, überhaupt nur zum Briefkasten zu gehen. Sie fühlte sich von ihrem Körper im Stich gelassen und hasste die ganze Welt und ihr Dasein im Besonderen.
Sie schrieb mit Carsten, erwähnte jedoch ihre Krankheit mit keinem Wort. Carsten schrieb, er habe eine schwere Depression. Frag mich mal, dachte sie verächtlich. Wie kann man nur so rumjammern! Anna jammerte nicht, sie sprach einfach nicht, sie sah ihren Mann nur mit großen Augen an und zog sich dann die Decke über den Kopf. Dann ging es ihr nach ein paar Wochen etwas besser, sie konnte wieder stundenweise die Wohnung verlassen. Und wenn sie in den Spiegel sah, hätte sie am liebsten gespuckt. Sie sah aus wie ein Gespenst, als sei sie schwer krank gewesen. Das war sie ja auch, aber sie war nicht zum Arzt gegangen, weil sie ja nicht rausgehen konnte. Das war allerdings nur der offizielle Grund. Eigentlich wünschte sie sich, einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen. Aber anscheinend hatte sie es nicht verdient, einfach abzutreten und so musste sie sehen, wie sie mit ihrem „Restleben“, wie sie es bei sich nannte, klar kam.
Dann meldete sich Carsten vier Wochen nicht. Zuerst hatte sie gedacht, er sei mutiger als sie und hätte seinem Leben ein Ende gesetzt, immerhin hatte er dauernd davon gesprochen. Aber sie sah sich nicht in der Lage, sich seines Schmerzes anzunehmen, weil ihm das nicht helfen würde und sie sowieso nur Kraft für sich selbst hatte. Also schrieb sie seinem Freund eine Nachricht, er sollte bitte nach Carsten schauen, sie selbst könne es nicht. Und dann kam die Krankheit wieder mit aller Kraft und Carsten verschwand aus ihrem Gedächtnis, nur manchmal, wenn sie nachts wach lag, wünschte sie sich, in seinem Bett zu liegen.

Nach diesen vier Wochen und acht Wochen nach Beginn ihrer Krankheit kam eine Nachricht. Er vermisse sie so sehr. Ob sie sich noch einmal sehen könnten. Anna dachte, warum nicht, ich bin wieder in der Lage dazu und es wäre ja schön, sich von ihm lieben zu lassen, damit sie sich begehrt und geborgen fühlte und sie sagte zu. Sie fuhr morgens in aller Frühe zu ihm, er erwartete sie ungeduldig an der Wohnungstür und als er sie heftig umarmte, fühlte sie, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Was ist das? fragte sie sich verwundert. Und dann sagte er, er liebte sie. Er liebte sie so sehr. Anna konnte damit nichts anfangen, sie selbst hatte noch nie zu jemandem gesagt, ihn zu lieben. Auf diese Idee wäre sie gar nicht gekommen, Liebe fand in ihrem Leben nicht statt. Also die Liebe, von der die Welt sprach und die so unglaublich wichtig schien. Sie kannte das nicht. Und oft hatte sie schon überlegt, ob sie damit anderen Menschen, die an der Liebe verzweifelten, etwas voraus hatte.

Sie liebten sich stundenlang, zärtlich, leidenschaftlich und sie fühlte einen Anflug von Glück. Oder das, was sie dafür hielt. Jedenfalls war es ein schönes Gefühl. Und als er sagte, sie sei seine und er gehöre ihr, legte sie den Kopf an seine Brust und wünschte sich, nie wieder woanders zu sein. Dieses Spielchen, sich gegenseitig zu gehören, hatte sie einmal entzückend gefunden. Aber jetzt fühlte sie, dass es etwas anderes war als ein Spiel. Sie hörte ihm einfach nur zu und streichelte ihn. Er wüsste, sie würde ihn lieben und irgendwann könne sie ihm das auch sagen. Er liebte sie und wüsste, sie glaubte ihm nicht, aber er würde es ihr beweisen. Er hat es gut erkannt, dachte sie, als sie die Tätowierung küsste, die sie besonders mochte. Sie glaubte ihm nicht. Allerdings hatte sie noch keinen Grund dafür gefunden. Es war ein Gefühl. Er wollte etwas von ihr. Etwas, das sie ihm nicht freiwillig geben wollte. Sie wusste nur nicht, was es war.
Sie dachte noch tagelang darüber nach, sie trafen sich und jedes Mal beteuerte er seine Liebe zu ihr so plakativ, dass es einfach gelogen sein MUSSTE. Und dann erfuhr sie, was es war. Er bat sie, ihn zu schlagen. Mit einem Gürtel. Sie konnte es nicht glauben und wäre fast in Tränen ausgebrochen. Dann tat sie es, weil er sie darum gebeten hatte. Nachher hätte sie am liebsten vor sich ausgespuckt. Sie hatte dem Mann, zu dem sie nur zärtlich sein wollte, Schmerz zugefügt, weil er es so wollte.
Beim nächsten Treffen tat sie es wieder und sie trauerte dem nach, warum sie eigentlich hierher gekommen war und es jetzt nicht mehr bekam. Dann, er lag in ihrem Arm, sagt er, er würde in Therapie gehen. Sie sagte, Depressionen, und er antwortete, nein, Drogen. Sie erstarrte. Und dann erzählte er ihr seine Lebensgeschichte und sie dachte, er sieht es nicht. Er sieht nicht, was er gemacht hat, er sieht nur seine Depression. Wie kann das sein? Er hat bereits einen Entzug hinter sich und sieht nicht, was ihn wieder dazu getrieben hat.

Sie traf ihn trotzdem noch einmal. Sie konnten den ganzen Tag miteinander verbringen, weil sie den erneuten Anflug der Krankheit unterdrückt hatte mit einem Medikament, dass sie sich von jemandem erbeten hatte. Ich bin auch nicht besser als er, dachte sie, als sie ihn sah. Nachdem sie sich geliebt hatten, bat er sie um etwas, das nicht ihrer Neigung entsprach. Sie habe das noch nie gemacht, sagte sie schaudernd. Ach, er würde es ihr schon beibringen. Er habe es jeder bisher beigebracht. Jeder? Ja, du bist quasi im Trainingslager. Was? Nimm die Hand von mir. Was fällt dir ein? Ich bin eine von Vielen? Willst du mir das sagen? Ich bin besonders, merk dir das. Und sie zog sich wortlos an und fuhr nach Hause.

Sie beschimpfte ihn in ihren Nachrichten und er schrieb, das würde er sich nicht gefallen lassen, das wäre es dann gewesen. Ich hatte Recht, dachte sie. Er schrieb, er sei einer von den Ehrlichen, warum solle er sie belügen. Nein, dachte sie, du bist einer von den Blöden. Du magst ehrlich sein, aber bist völlig empathielos. Deine Strategien sind noch kindlicher als meine und wir würden ein feines Paar abgeben, einer dümmer als der andere. Sie holte ihre Sachen ab, die sie noch bei ihm hatte. Sie war nämlich abergläubisch. Es würde erst vorbei sein, wenn sie nichts mehr verband. Er sah schlecht aus, konnte sie nicht ansehen und als sie sich kurz zu ihm setzte, legt er seinen Kopf an ihre Brust. „Es ist eben so.“ sagte sie teilnahmslos. „Ich wünsch Dir alles Gute.“ „Meldest du dich mal, wie es Dir geht?“ rief er hinter ihr her. „Seit wann interessiert dich das?“ antwortete sie müde und ohne sich noch einmal umzusehen, verließ sie die Wohnung.

Er schrieb ihr schon, da war sie noch auf dem Heimweg. Und sie tippte zurück, sie würde ihn immer lieben. Sie würde ihn immer lieben. Und dann wollte er sich mit ihr verabreden, er wolle ihr gehören. Er wolle Schmerz fühlen. Sie überlegte lange, was sie antworten sollte. Und als sie auf der Couch lag, schwach, in Tränen aufgelöst, schrieb sie, er solle sich erst nach der Therapie wieder melden, das wäre in ungefähr drei Monaten. Dann würde er sie vergessen haben, da war sie sicher. Sie fühlte sich frei, als sie die Nachricht abgeschickt hatte. In drei Monaten würde sie sowieso nicht mehr leben, dachte sie und zog sich die Decke über den Kopf.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Susanne,

tut mir leid, aber diese Geschichte weckt in mir keinerlei Emotionen, keinerlei Mitgefühl für die Prota, zu glatt ist das alles beschrieben. Stellenweise klingt der Text für mich oberflächlich wie aus einem Groschenroman. Man kommt nicht an die Charaktere heran, vieles bleibt im Unklaren, was vielleicht Aufschluss geben könnte über das Verhalten der Prota, z. B.: Warum funktioniert ihre Ehe nicht mehr? Unter welcher Krankheit leidet sie? Das möchte man als Leser doch wissen, um Situationen nachvollziehen zu können.

Dann noch eine Formulierung, die mir überhaupt nicht gefällt:
Sie schrieb mit Carsten
Ist vielleicht neudeutsch, aber grammatikalisch sicherlich falsch.

Ganz ehrlich: Ich habe bessere Geschichten von Dir in Erinnerung.

Gruß Ciconia
 

herziblatti

Mitglied
Hallo Susanne, der Text fängt gut an, hält aber nicht durch. Der Text will zuviel und ist sehr ungenau gearbeitet. Beispiel:
Einmal hatte sie bei ihm übernachtet, ein kompliziertes Unterfangen, denn ihr Gewissen...
was war daran kompliziert? Die Gewissensbisse kommen erst hintennach, sind demnach keine Erklärung für das komplizierte Unterfangen - das ist ungenau, und solche Ungereimtheiten ziehen sich durch den ganzen Text, schade.
LG - herziblatti
 



 
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