Dann ist ja gut...

Dann ist ja gut...


Durch das kleine Fenster fiel schon etwas Licht in das Zimmer. Zeit zum Aufstehen, dachte sich Paula und blinzelte. Sie hatte vorzüglich geschlafen, legte sich auf die Seite und zog den nackten Schlafsack über ihre kühlen Schultern.
Das beruhigende Geklapper des alten Wasserkessels und die grazilen Schritte des schwarzgelockten Adonis, der mit dem Rücken zum Herd stand und die Rückenpartie, seines makellosen, gebräunten Körpers, unfreiwillig zur Schau stellte, hatten sie wohl geweckt. Sie rieb sich versonnen die Augen und sog den süßlichen Geruch von Geschlechtlichkeit aus der verbrauchten Luft, streckte, dehnte sich, wie eine Katze, und stöhnte kaum hörbar. Ein wohliges Kribbeln durchströmte ihren Körper. Sie hatte seit ein paar Tagen Schmetterlinge im Bauch. Jean-Marie umflatterte und bestäubte ihre Sinne und gab ihren Gefühlen Sinn und Glanz. Glück und Freiheit sind siamesische Zwillinge, die man nicht trennen darf. Wer einmal in seinem Leben das Gefühl des Glücksmoments empfunden hat, weiß um die grelle Sprengkraft, hofft diese Energien, im Sinne von Befreiung, einsetzten zu können. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich unabhängig, erwachsen, konnte entscheiden, was zu tun oder zu lassen sei. Niemand sagte ihr, befahl ihr etwas. Sie konnte hier liegen bleiben oder auch nicht, das war ganz allein ihre Entscheidung. Und Paula war sicher, dass sie diesen Entschluss nie bereuen würde.
Noch vor wenigen Tagen saß sie in einer Sparkasse und addierte Zahlen. Bis sie die Arroganz ihrer Kollegen erkannte, die Konsequenz zog und fristlos kündigte. Sie ging einfach zum Schalter löste das Konto auf und verschwand. Lebendig begraben, ohne sie!
Irgendwann lernte sie dann Jean-Marie kennen und war hingerissen von der Vorstellung, selbständig zu arbeiten. Er versuchte sich im freien Unternehmertum. Die Idee war denkbar einfach. Er bezog von einem Typen Waschklammern, Kernseife, Shampoos und Fichtennadelnschaumbäder, die er in den umliegenden Dörfern gegen Bares verscherbelte. Der Clou an der Sache war, dass sich Jean-Marie als Student ausgab, der die Produkte, die von Behinderten in diversen Werkstätten in Deutschland hergestellt würden und nur deshalb, auf diese Art verkaufte, weil sie den Behinderten selbst, in Form von neuen Rollstühlen und so, wieder zugute kämen.
Die Realität sah ganz anders aus. Der Ausweis einer Behindertenwerkstatt in Sowieso, den er an der Tür den ahnungslosen Hausfrauen vorzeigte, war natürlich, bis auf das Passbild, gefälscht. Der feiste Typ, der ihm die normal hergestellte Ware lieferte, hatte kein offizielles Gewerbe, sondern arbeitete schwarz, so schwarz, wie Jean-Maries Teint war. Es ging um die Kohle, und das rastlose Geschäft war einträglich, weil der Herstellungspreis pro Produkt wenige Pfennige betrug, und der Verkaufspreis, von damals 12 DM, nur möglich war, weil der karitative Aspekt eine wesentliche Rolle spielte. Den fetten Reibach teilten sie sich fifty-fifty. Das gefiel ihr, alles war unkompliziert, ja, einfach.
Und Paula erlebte in den Tagen, die sie jetzt hier war, mehr, als in der gesamten Zeit ihrer Ausbildung bei der Sparkasse.
So auch letzte Woche.
Sie waren, wie immer, sehr spät dran, doch schon nach kurzer Zeit erreichten sie ihr Ziel. Ein idyllisch gelegenes Straßendorf, äußerst günstig für den schnellen Verkauf. Jean-Marie ging schnurstracks auf das erste Haus zu, Paula immer hinterher, sie sollte zuerst nur mal mitgehen und sehen, wie der Hase so läuft. Er öffnete die Gartentür und lief gemächlich zum Eingang, um zu klingeln, doch es gab keine Klingel. Er klopfte und rüttelte, aber nichts passierte. Doch er war kein heuriger Hase mehr, gab Paula zu verstehen, dass sie ihm folgen sollte und ging ums Haus herum und prüfte, ob vielleicht ein Fenster offen stünde, das eindeutige Zeichen auf dem Dorf, dass jemand zu Hause ist. Auch diese Variante schlug fehl. Wer aber jetzt denkt, Jean-Marie hätte jetzt frustriert aufgegeben, täuscht sich gewaltig, denn der wahre Verkäufer gibt nie auf. Also, weiter nach hinten, vielleicht kommt man doch irgendwie rein, wäre ja gelacht. Tatsächlich, die hintere Tür stand sperrangelweit offen. Ohne zu zögern ging er rein. Ein dunkler Flur mit einer steilen Holztreppe nach oben wurde sichtbar. „Ist da jemand?“ Rief Jean-Marie, mit einem freundlichen Singen in der Stimme. „Ist gar niemand da? Wiederholte er und lächelte zu Paula rüber. - Stille. - „... ist gar niemand, gar niemand da!“ Echote es, kaum hörbar, aus den oberen Gemächern. - „Dann ist ja gut, dass wir nicht vorbeigekommen sind!“ Entfuhr es Paula ganz spontan.
 



 
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