Das Dorffest

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Anonym

Gast
Keine Wolke war am Himmel zu sehen, als Kolja und Nele mit dem Pick-up auf den Dorfplatz in Holzhausen rumpelten. Es war jene verzauberte Stunde zwischen sechs und sieben, in der die ganze Welt zu erglühen schien. Die backsteinroten Häuser um den Platz hoben sich gestochen scharf gegen das Grün der Kastanien und das Blaue des Himmels ab. Kolja liebte diese Tageszeit. Es gab Leute, die behaupteten, das Morgen- und das Abendlicht seien einander äquivalent. Aber der Abend hatte eine eigene Atmosphäre, die sich mit der Energie des Tages aufgeladen hatte. Ebenso wie die Lust, dachte Kolja, sie baut sich auch über den Tag aus. Er küsste Nele und stellte das Auto hinter einer Currywurstbude ab. Sie stiegen aus und schlenderten Hand in Hand über den Platz.
Beeindruckt ließ er seinen Blick über den Platz schweifen. Besucher kamen und gingen, Autos parkten und fuhren wieder los, alte Leute standen zusammen und diskutierten. Und was nicht alles aufgebaut war! Der Maibaum, die Tanzfläche, die Schießbuden, die Weinstände. An einer Schiffsschaukel machten sich Uli und Charlie zu schaffen und sie erzählten von einer Gaudiregatta, die morgens am See stattgefunden hatte – der Marina Holzhausen, wie Uli und Charlie sie nannten. Die Vorgabe war gewesen: Sowohl die Teilnehmer als auch die Gefährte sollten schwimmfähig sein. Zur Freude aller hatte Pfarrer Abstein aus dem benachbarten Freibach gewonnen.
„Schau mal, Kolja“, sagte Nele, „da, die Ferkel im Gehege ... ich wusste gar nicht, dass zu dem Fest auch eine Landwirtschaftsausstellung gehört ... die Hühner ... zwei Ochsenbullen ... also so wird Schafskäse gemacht! ... ein Käse-Olivenhäppchen, Kolja? ... Probier mal ... und eine Horoskopdeuterin ... Was bist du für ein Sternzeichen?“ Neugierig blickte sie ihn an.
Kolja glaubte nicht an Horoskope, aber bereitwillig gab er Auskunft. „Ich bin im Dezember geboren!“, antwortete er lächelnd.
„Und ich im Februar.“ Nele gab der indigoblauen Frau einen Fünf-Euro-Schein. „Sagen Sie uns, wie Schütze und Wassermann zusammenpassen?“
Sie lachte.
"Was für eine Frage! Ausgezeichnet! Eine spannungsreiche Verbindung! Optimismus und Idealismus ... glückliche Symbiose ... eigene Wesensart bewahrt ... rege Anteilnahme ... sehr bereichernd!"
Koljas Blick ruhte während der Ausführungen amüsiert auf Pete, der gestikulierend auf einen Feriengast einredete. Als er ihn entdeckte, winkte er ihm zu.
„Wieder da, Kolja?“
„Ja!“
Seltsam. Er hatte ihn vermisst. Ganz Holzhausen hatte er vermisst, merkte er gerade. Aber auf dem Land leben? Eine absurde Idee.
"Die geistige Flexibilität und das Wissen um größere Zusammenhänge macht die Verbindung offen für Fortschritt ... schnell im Tempo ... manchmal etwas wechselhaft ... sogar zwiespältig ... aber in der Regel loyal!"
Feixend zeigte Pete auf die Horoskopdeuterin. „Also davon halte ich ja gar nichts! Sandra und ich wären schon längst geschieden, wenn es nach den Sternenguckern ginge! Aber wie war Hamburg?“
Kolja hörte der Horoskopdeuterin nur mit halbem Ohr zu. „Hamburg? Toll!“
Der Kneipenbesitzer wurde wieder von dem Feriengast abgelenkt und Kolja konzentrierte sich auf seine Beziehungsvorhersage.
"Die Ziele manchmal zu hoch gesteckt ... aber intellektuell flexibel ... Wissen um größere Zusammenhänge ..."
Der Feriengast hatte sich entfernt und Pete gesellte sich zu ihnen. Unsicher sah er an sich herunter. „Was ist los, Kolja? Du guckst so komisch! Steht mein Hosenlatz offen?“
Kolja lachte. „Aber nein! Ich freue mich nur, dich zu sehen!“
"Tüchtig ... erfolgreich .... fasziniert von Großveranstaltungen!"
Pete begrüßte Nele, die einen Computerausdruck in der Hand schwenkte. „Die Sterne stehen gut für uns, Kolja!“, rief sie.
„Tatsächlich?“ Er drückte ihren Arm. „Was bist du noch mal für ein Sternzeichen, Nele?“
„Ich bin Wassermann!“ Sie hatte bemerkt, dass er nicht zugehört hatte.
„Wohl eher eine Wasserfrau!“, scherzte Pete und erzählte, dass sie beide einiges verpasst hätten – letzte Nacht habe es einen Sonnensturm in Holzhausen gegeben!
„Einen Sonnensturm?“ Kolja erinnerte sich an den November des vorangegangenen Jahres, als es zwei parallele Eruptionen auf der Sonne gegeben hatte – zwei Millionen Kilometer voneinander entfernt.
„Habt ihr nicht die Polarlichter gesehen?“
“In Hamburg sieht man doch nachts keine Sterne ... das funktioniert nicht unter Großstadtlichtern“, redeten Kolja und Nele sich heraus.
„Grandios! Mit grünen Wolken! Dauernd hat es aufgeleuchtet. Überall war der Radarbetrieb gestört ... der Flugverkehr beeinträchtigt ... habt ihr denn keine Nachrichten gesehen?“
Nein, hatten sie nicht. Sie waren in der Stadt herumgelaufen oder hatten im Bett gelegen und sich geliebt.
Auf der anderen Seite des Platzes sah Kolja Fritz, den Neufundländer, der ihn mit weit aufgerissenen Augen und hochgestellten Plüschohren anstarrte. Dann stürzte er sich zusammen mit einem Irish-Setter und einem Schäferhund auf ihn.
„Meine Güte“, sagte Nele und brachte sich mit Pete hinter einem kleinen Zelt in Sicherheit, während Kolja von der Meute zu Boden geworfen und bejapst und beschleckt wurde.
„Hilfe!“
Pete und Nele und die Horoskopdeuterin bogen sich vor Lachen.
„Hilfe!“
Endlich konnte er sich befreien. Kolja rappelte sich hoch und befahl den Hunden mit fester Stimme, sich ordentlich hin zu setzen.
„Ich weiß nicht, wie du das siehst, Kolja“, lachte Pete, „aber ich glaube, es wird nicht so einfach für dich sein, hier wieder abzureisen.“
 



 
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