Das Edelproletariat

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Kaiser Nero

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Das Edelproletariat

In den letzten 2 Jahren hatte ich in den Ferien die Ehre, die Straßen meiner kleinen Heimatstadt zu kehren, öffentliche, oft bekotete, Grasflächen zu mähen - und ich könnte euch viel davon erzählen, wie unschön es ist mit dem Rasenmäher über einen mordsgroßen Haufen von frischer Hundescheisse zu fahren - stinkende, wespenbewohnte und wahrscheinlich auch oft krebsfördernde Müllsäcke wegzuräumen, einfach mal am Beifahrersitz halbschlafend einige Stunden durch die Gegend zu fahren und schließlich noch die abwertenden Blicke der anderen Leute zu ernten.
Heuer sitze ich für ein Monat lang in Wien in einem Büro. Typische Ferialpraktikantenarbeit. Und es ist nicht nur langweilig. Nein. Mir waren diese freundlichen, schimpfenden Proleten, welche während sie bereits um 9 Uhr morgens das 3. Bier leerten auf der Ladefläche des Gemeindeautos sich vor dem Chef versteckend in einem Park sitzen, sich die Eier kratzen und allen, ja, wirklich allen Frauen nachpfeifen um einiges sympathischer und angenehmer, als die New- Economy- Anzugträger, die jeden Tag pünkltich um 8 mit ihrem Porsche vor'm 'Starbucks' einparken.

Diese Edelproleten, wie ich sie einfach mal nennen will, halten sich selbst für etwas Besseres, weil Sie im Laufe ihrer "Kariere", wie sie es selbst - aber wirklich nur sie selbst - nennen, unzählige Titel gesammelt haben. Vom guten alten Magister und Doktor bis hin zu diesen verschrobenen, neuen und vollkommen unnötigen Titelbezeichnungen, welche, meist in englisch, einfach nur da sind, um das Ego des Titeltragenden zu stärken und - angeblich - gut zu klingen. Also gegen einen Magister- oder sogar Doktortitel hätte ich ja auch nichts einzuwenden, aber sollte eines Tages auf meinem Namensschild - sowas is ja in diesen Branchen ganz modern - Sales Manager für die Abteilung creative irgendwas stehen, dann mögen meine Freunde bitte auf mich schießen. Schnell und wenn möglich tödlich.
Meist sind diese Leute ja nur halbgebildet. Das Schlimme daran ist; sie wissen es nicht. Ein einfacher Straßenkehrer weiß ganz genau, dass er dumm ist.

Aber er gibt sich zufrieden mit seinem kühlen Bier, perversen, niveaulosen Witzen, einer dicken Frau zu Hause, sonderschulbesuchenden, schon mit 13 Jahren meist besoffenen Kindern und 1er Woche Urlaub irgendwo an einem nicht zu weit entfernten See, oder einfach nur im nächsten Gasthaus. Die Edelproleten jedoch wissen vielleicht so Einiges von HTML-Programmierung, Mergers & Acquisitions, Steuerlehre oder sonstigem Blödsinn, von Politik, Weltgeschehen oder einfach nur Allgemeinwissen haben die oft jedoch null Ahnung.

Während der 3 Wochen Urlaub, die sie sich ja oft gar nicht nehmen, da sie ja schließlich dauernd im Arbeitsstress sind und Geld- und Imageanhäufung ihr einziges Ziel sind, fliegen Sie immer noch einige Kilometer weiter weg, als der wenige Tage vorher zurückgekehrte Kollege. Denn schließlich will sich ein Edelprolet im Gegensatz zu anderen Menschen im Urlaub nicht erholen, die Sau rauslassen, sich entspannen oder Abenteuer erleben. Nein. Ein Urlaub eines Edelproleten ist meist genauso stressig wie die Arbeit.

Es gilt nämlich möglichst viele berühmte Orte zu besuchen, Ansichtskarten an Freunde und Arbeitskollegen zu verschicken und Fotos zu schießen, die man dann schließlich zu Hause allen Bekannten zeigen kann, welche während sie die Fotos mit einem aufgesetzen Lächeln und dauerndem Nicken und "Jaja, sehr schön,.." betrachten, insgeheim sich schon im Kopf notieren, nächstes Jahr noch mehr Fotos zu schießen, noch mehr Pyramiden zu besuchen, noch mehr Souvenirs zu kaufen, auch wenn es noch so viel Stress ist und auch wenn sie meist nicht einmal Ahnung davon haben wo sie gerade sind und was sie überhaupt tun, "in Kaira, oder wie heisst die Stadt hier überhaupt?"

...Achja, habe ich schon erwähnt, dass ich Menschen hasse die in Paris sind und den Eiffelturm fotografieren, oder die Freiheitsstatue in New York? Am besten gleich noch mit der blöd grinsenden, sonnenverbrannten, hut- und souvenirshirttragenden Familie davor, fotografiert von einem netten, zufällig danebenstehenden Japaner, dem man dann noch 3 mal dankt, für dieses "unvergessliche Foto". Was soll der Scheiss? Jeder kennt diese Sehenswürdigkeiten aus Filmen oder sonstwoher. Und wenn ich ein schönes Foto vom "Weißen Haus" haben will, dann suche ich im Internet danach und nicht in Familie Meiers viel zu großem und unnötigem Fotoarchiv, in dem alle Fotos nicht nur eingeklebt, nein, auch noch betitelt und datiert sind. Schrecklich. Schrecklich diese Menschen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Zurück zu den Edelproleten. Die Geburtstage werden immer - wirklich immer - im Rahmen eines Grillfestes veranstaltet, bei welchem es dann dieses ganze komische Zeug zu essen gibt. Irgendein Fleisch aus Indien oder neue Früchte aus Afrika. Und natürlich auch - verdammt scheisse schmeckende - Soßen, die niemandem schmecken aber jeder isst. Kein Maurer würder eine Leberkäs-Semmel des Image wegen essen. Aber diese Yuppie-Typen stopfen Speisen mit ausgefallenen Namen in sich hinein. Warum weiß ich auch nicht.
Natürlich haben sie am Grillabend alle Kleidung von Springfield, Peek&Cloppenburg oder sogar irgendwelchen Stardesignern. Mit Sicherheit kaufen die aber in solchen Geschäften ein, wo man die Frauen heutzutage nur noch mit so komischen Sandalen die aussehen als würde man die Schuhe nicht richtig angezogen haben, und Männer mit lederenen, spitzen Stiefeln, kurzen aufgegeelten Haaren und Sonnenbrillen in den verschiedensten Farben, aber mit Sicherheit nicht schwarz, herauskommen sieht.

Edelproleten reden immer abwertend über "die versoffenen und heruntergekommenen Bettler auf der Straße", obwohl sie selbst nächtelang koksen, um durcharbeiten zu können. Gleich neben dem Aschenbecher steht dann irgendein Salat, Joghurt mit verdammten lactobacilluscasei-Irgendwas, oder ein Wellness-Mineralwasser, von welchem die Werbung "Seelenruhe und innere Balance" verspricht, dass aber in Wahrheit ungesünder als Leitungswasser ist. Über diese Menschen könnte ich weinen und lachen zugleich. Versteht ihr? Da koksen und rauchen sie sich durch den Arbeitstag und dann essen sie nur Pseudogesundheitssachen. Das ist doch lächerlich. Entweder konsequent oder gar nicht. Glaubt ihr Kurt Cobain hat sich nach der Spritze einen "Ginseng-Drink" eingeschoben?

Ich kann alle da draußen nur davor warnen, sich dem Edelproletariat anzuschließen. Ja, ihr habt vielleicht viel Geld, schöne Frauen und große Autos, aber ist es wirklich das was ihr wollte? Ein ungebildetes Leben in einer verdammt heuchlerischen, realitätsfernen und vor allem humorlosen - ok. höchstens ihr mögt die Witze a la 'Hat der doch glatt Magister zu mir gesagt, verstehen Sie, Magister, dabei bin ich doch Dr., hahaha...' - Welt? Natürlich gibt es auch sympathische Menschen in den Büros dieser Welt, aber gut und gerne 80% dieser Yuppies sind 'total heavy verwirrt und mit ihnen ist einfach nicht easy umzugehen.', wie es in ihrer Sprache heisst.

PS: Ich bin mir darüber im Klaren, dass "das Proletariat" die Arbeiterklasse bedeutet und der Wortgebrauch von "Edelproleten" im Zusammenhang mit den Bürohengsten eigentlich nicht stimmt. Da das Wort "Prolet" aber im Sprachgebrauch sich eher auf eine bestimmte Art von Mensch bezieht und nicht auf seinen Beruf, möchte ich hier keine oberlehrerhaften Belehrungsversuche in der Kommentarbox sehen. Passt!!
 
Was soll das sein? Eine Generalabrechnung? Oder Laberei? Eine zusammengewürfelte Ansammlung von Gemeinplätzen paßt am Besten. Solltest mal über einen Beitrag in der Plauderecke nachdenken, da würde dieser Text hinpassen.
 



 
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