Das Ende vom Lied

Wir heirateten im September. Es war ein stürmischer, verregneter Tag. Meine Freundin sagte: jeder Tropfen Regen bringt Glück und Segen. Ich klammerte mich an diesen Spruch und freute mich auf ein Leben mit Jan. Ich, die nie hatte heiraten wollen, sagte Ja! Mit diesem Ja! versprach ich mir mein Glück auf Lebenszeit und ich sah meinem Mann in die Augen und wusste endlich: er liebte mich!

Wenn ich heute zurück blicke, sehe ich mich am Fenster stehen, Nacht für Nacht, und ich höre mich grübeln und lese die wenigen Worte, die ich mit rascher Handschrift in meinen Notizblock kritzelte: „Und meine Haut fühlte sich stumpf und trocken an unter seiner Hand, ich spürte es, und meine Hüfte war dick – dort lag seine andere Hand. Ich war dick und hässlich geworden.“ Oder ich schrieb in mein Reisetagebuch: „Jan kann nicht genießen. Er hat es wahrscheinlich nie gelernt. Unruhig hastet er von einem Reisepunkt zum nächsten und ist doch nur besorgt, eine möglichst gute, am besten wohlhabende Figur zu machen. Er spielt falsch – und schlecht.“ Ich fragte mich oft: Was machst du hier, Caroline? Warum gehst du nicht einfach weg? Alle Liebe, die du brauchst, musst du dir ergaunern, mal trotzig, mal schmeichelnd.
Genau zwei Monate nach unserem ersten Hochzeitstag sagte mein Mann zu mir: „Ich liebe dich nicht mehr. Trennen wir uns.“ Ich ging in die Knie und erbrach mich auf dem Küchenboden.

Wir haben geweint, wir haben geredet, wir haben versucht normal zu sein. Wenn ich zurück blicke, dann sehe ich das Ufer nicht, von dem wir aufgebrochen sind. Unser Boot ging verloren in all den hysterischen Stromschnellen und wir warfen zügig die Rettungsringe über Bord, als sehnten wir ein schnelles Ende herbei. Ich flehte, schrie, zankte, jammerte, warf ihm eine Geliebte vor – er stand traurig vor mir, schüttelte immer wieder den hängenden Kopf, wollte und konnte mich nicht mehr ertragen. Einem Freund erzählte er später, seine Liebe zu mir hätte ihm die Luft zum atmen genommen, hätte ihn so sehr in die Enge getrieben, dass er selbst nicht mehr wusste, wer er eigentlich war.

Ein glühendes Eisen legt sich auf Brust und Arme. Immer wieder. Die Hitze fährt in die Beine hinab und dann empor zum Kopf. Immer die rechte Seite. Ich muss das mal untersuchen lassen. Immer die rechte Seite. Ist das die Gehirnhälfte der Frau, habe ich F. gefragt. Aber sie konnte mir keine Antwort geben; weiß selbst nicht, bin ich Frau, gehöre ich nach links oder rechts, was hat das mit dem Gehirn zu tun? Ich sage, gar nichts, und trinke Rotwein und morgen, weiß ich, wird mir beim Erwachen die rechte Schädelhälfte sieden und ich werde nicht wissen, hat es das mit Frausein zu tun oder mit Alkohol.
 
A

annabelle g.

Gast
hallo katrin,

wer hat dir denn da die "1" reingedrückt - also ich finde eine "1" ohne kommentar nur wie einen faustschlag in die magengegend, dann macht doch eine zwei, dass der autor wenigstens noch atmen kann!

vergiss die eins, das ist gut geschrieben und pointiert. mit der "wohlhabenden figur" kann ich nichts anfangen, wohlhabender eindruck?, und wer da was falsch spielt? keine ahnung. "ich muss das mal untersuchen lassen" würde ich rauslassen, "hat es da mit" (?) und es GIBT keine gehirnhälfte der frau, ich verstehe was du meinst, komm jetzt aber auch nicht auf die richtige formulierung, vielleicht ist ja einer da, dem es einfällt.

das "wir weinten" würde ich auch weglassen, die beiden anderen wirken kraftvoll.

in der dritten zeile steht "ich klammerte mich an den spruch"; wenn das ein schlüssel dazu sein sollte, dass sie ihn von anfang an einschnürte, aha. dann hätte ich aber gern noch ein paar lebendige szenen da drin, die beleuchten, dass auch die frau ihren anteil an dem scheitern der beziehung hat.

HÄTTE sie es nicht, wäre es mir zu eindimensional erklärt und dann sowieso zu kurz!

schöne grüße annabelle
 

Antaris

Mitglied
Schulnote

Hallo Katrin,

da hat wohl jemand die Punktevergabe mit Schulnoten verwechselt! Mir gefällt Dein Text inhaltlich wie sprachlich sehr gut.

Mit feurigen Grüßen

Antaris
 
M

Monfou

Gast
sprache und geschichte

Liebe Katrin,

auch ich finde deinen Text ziemlich gelungen, wohltuend ist, dass hier nicht der Zwang zur Konstruktion spürbar ist, also es ist leger vom Erzähler berichtet, kein Zwang zu einer überkommenen Gestaltung mit Pointe ect.
Schön finde ich die Sprunghaftigkeit der Geschichte, das Dahinerzählte, das zuweilen völlig Unvermittelte und Unvorbereitete, die Sprache ist in sich so wie die Geschichte, schön!


@annabelle g.
Liebe annabelle,

ich empfinde deine Einwände als ein wenig von oben herab gesprochen (sie sind sicherlich nicht so gemeint), vielleicht hat der Text hier und da sprachliche Mängel, aber was du im Ton der Gewissheit aussprichst, trifft für meinen Eindruck nicht zu. Die Redewendungen spiegeln die (Sprach-)Haltung der Erzählerin wider. Warum sollte es keine Gerhirnhälfte der Frau geben?, es ist doch keine medizinische Abhandlung, sondern die authentisch wirkende Ich-Erzählerin macht sich in ihrer neurotischen Haltung Gedanken...

Gut, besser kann man jeden Text machen. Was sprachlich auch für die Sprachkritikerin zutrifft.

Liebe Grüße
Monfou

PS: Ein Punkt heißt "eins": sehr gut. So sehe ich es in diesem Fall.
 
S

Sanne Benz

Gast
Liebe Katrin,
das ist wirklich gut geschrieben und mir gefällt es darum,weil es in dieser Kürze auch noch so gut geschrieben ist.
Was man NICHT liest..das sind die EIGENTLICHEN Probleme.
Nur,das es etwas gab,was IHM wohl die Luft nahm zu leben und zum LIEBEN..
Es ist eigentlich eine SEHR gut geschrieben Inhaltsangabe einer Ehe..
Aus der Sicht derer,die verlassen wird..
Warum EIGENTLICH..das weiss diese Frau selbst (noch) nicht..
Ich kann nur hoffen,das sie dieses Muster erkennen wird..
sonst wird sie immer wieder verlassen.
Ich schreibe das..weil darin das mit der vermeintlichen..Geliebten vor kommt (also besteht eine unbegründete Eifersucht)

Ich kann..mit meinen eigenen Erkenntnissen heute,keinen Mitleid haben mit der Frau.Mitleid bringt nicht weiter. Sondern das ERKENNEN.

So,ich mach mal lieber Schluss..
aber es ist dennoch..verdammt gut geschrieben.

lG
Sanne
 
A

annabelle g.

Gast
nee, nicht von oben herab,

oder eigentlich doch, ich drucke die texte nicht aus -d.h.ich versuche es,aber aus irgendeinem grund druckt bei mir nur farbkatusche, wenn mir da einer einen tip geben kann - und deshalb habe ich den text nie danebenliegen und schreibe aus dem gedächtnis auf, was mir aufgefallen ist.

neurotisch, monfou?

monfou ... verflixt, mein französisch. mein narr? meine narrheit? dasistfalsch.

aber ich freue mich, dass wir uns einig sind, dass sich die kappe mit der eins vertan hat.

schöne grüße annabelle

gehirnhälfte der frau, da steckt doch was anderes dahinter, oder nicht.
 

GabiSils

Mitglied
auffallend..

.. finde ich folgende Passage:

>> seine Liebe zu mir hätte ihm die Luft zum atmen genommen

Das sieht für mich so aus, als ob gar nicht "ihre" Klammer-Haltung, sondern "seine" Bindungsängste im Vordergrund stehen. Ist es so gemeint? Das könntest Du vielleicht etwas klarer herausarbeiten.

Mir gefällt der Text gut, die Gefühle der Frau werden vermittelt und doch wirkt er emotionslos, kühl, das paßt zu ihrer inneren Leere.

Gruß
Gabi
 
M

Monfou

Gast
beinahe kafkaesk

beklemmende Perspektive

Ja, was hier an zwei Stellen gesagt wurde, finde ich wichtig. Was Sanne Benz sagt: Dass nichts über die eigentlichen Hintergründe mitgeteilt wird. Das macht die kleine Geschichte so abgründig, "unverständlich". Das ist ja die berühmte Kafka-Perspektive. Fakten, Fakten, schlimme Fakten, aber man begreift nie warum. Und GabiSils spricht von der kühle und "inneren Leere", ja, das ist wohl so, man könnte vielleicht von Schickalsergebenheit sprechen, ich sehe hinter der Ich-Erzählerin eine Kunstfigur (Bitte Katrin Volkmann enttäusch mich nicht), es geht hier in dem Fall weniger um Psychologie, sondern um ein fast überhöhtes Bild einer fragwürdig gewordenen und indirekt als absurd vorgeführten "Institution" (Ehe) und dieses Bild ist eines der Beklemmung, was in der Geschichte geschieht, geschieht nach unbegreiflichen Regeln. So, das war jetzt etwas hochgestochen.

Liebe Schöne, was Monfou heißt, lässt sich in meinem Profil nachlesen, ich hoffe auf innigsten Frieden mit dir, annabelle, auch ich will diesen Text nicht in den Himmel heben. Aber er hat für mich einen Ansatz, der über alle etwaigen Schwächen hinaus große Möglichkeiten bietet. D'accord? Und dennoch war mein Eindruck der des Von-oben-Herab.

Liebe Grüße
Monfou
 
A

annabelle g.

Gast
meine schöne,

fou heißt also schöne?
nein, steht im profil, annabelle ...!

na ja, irgendwas muss man schon sagen können, oder? ich schreibe auch noch lichtdurchflutetes licht, ohne dass mir ein licht aufgeht und bin froh, wenns mir einer sagt, dafür ist das doch hier da. außerdem ist das ding in die gänge gekommen. und katrin sagt bestimmt auch noch was.

bis bald a´belle, ich geh mal ins profil
 

GabiSils

Mitglied
@monfou

Hallo monfou,

im vorigen Posting sprichst Du von der authentisch wirkenden Inhaltsangabe einer Ehe, jetzt von einer Kunstfigur, der Beschreibung der Institution Ehe. Ist das nicht widersprüchlich, und liegt der Widerspruch im Text selbst begründet? Einerseits beschreibt der dritte Absatz den (lautlosen) Aufschrei der Frau, ihre Qual angesichts des Scheiterns, andererseits ist da der der distanzierte Erzählton der ersten Absätze. Ich finde das sehr gut beobachtet, "sie" hat sich und anderen schon hundertmal erzählt und tut das jetzt ohne innere Beteiligung, spult es sozusagen ab; doch die Wunde ist nicht verheilt und wird es noch lange nicht sein.

Gruß
Gabi
 
M

Monfou

Gast
erst fragen, dann meckern

Liebe Annabelle,

dein Witz ist etwas bemüht, da mein Satz, „Liebe Schöne....“ weitergeht und die Bezüge eindeutig sind. Du entschuldigst dich vorher lang und breit mit „Druckerprobleme“, natürlich hätte ich einen Absatz nach "Liebe Schöne" machen sollen, was ich bei der Eingabe nicht genau an meinem Notebook mit relativ kleinem Bildschirm erkannte. Außerdem hast du meine Bemerkung erst durch deine mangelnden Französischkenntnisse herausgefordet.
Ich darf dir sagen, dass der „siebzigprozenter“ weitaus unangenehmer ist und selbst wenn er ironisch gemeint ist, empfinde ich den Titel als grammatisch missglückt.

Und zur Geschichte:

Gewiss gibt es da Widersprüche und die Kafkaperpektive ist auch nicht durchgehalten, in einem Absatz ist es so, in dem nächsten anders. Kann man schwer alles in der Kürze erläutern. Ich halte ja auch vor allem den Ansatz der Geschichte für gut, die Ausführung könnte mehr Stringenz haben.

Also, allen herzliche Grüße, auch der schönen Pedantin,

Monfou
 
A

annabelle g.

Gast
katrin, wir bitten dich um erleuchtung.
monfou, kannst du mir bitte das wort knalltüte ins französische übersetzen, damit ich es dir an den kopf werfen kann?
t`a`belle
 
Einseitig

WEnn euch die Geschichte zu einseitig ist: lest nemo's Beitrag. Das ist die Sicht des Mannes. Beide für einander geschaffen, beide zu stolz nachzugeben, beide jeder für sich ein störrischer Esel. Sie liebten sich wohl, doch wagte SIE es nicht zu zeigen, weil sie befürchtete, sie liebte ihn mehr und er schwieg ebenso, aus purem Selbstschutz. Die Leute reden zu wenig miteinander. Sie gehen kaputt am Schweigen. Statt lauthals zu streiten, nähren sie stumm ihren Hass. Was ist dabei, wenn mal die Türen fliegen? Immer noch besser als das Haus, das dir Schutz gewährt, in einem einzigen kopflosen Moment, anzuzünden. Die Episode ist nur ein Ausschnitt aus einer längeren Erzählung. Sie gibt aber schnell einen Einblick in die Zerrissenheit der Ich-Erzählerin. Und auch der Mann ist nicht frei von Schuld und Selbstzweifeln. Vielleicht wird alles gut. Die Zeit hilft, wie immer.
 



 
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