Das Gesicht

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D

Donna_mobile

Gast
Sie schaute schon nicht mehr hoch, als er aufstand und das Lokal verließ. Sie wußte, dass es zu spät war hinzublicken; dafür war es zu spät, und es war zu spät für alles. Das wußte sie jetzt wieder, als er aufstand und fortging.

Durch Zufall war er in dieses Lokal gekommen und er hatte noch Wein dazu getrunken, den er anderswo schon getrunken hatte, und einmal, als er den Blick anhob, sah er in ihr Gesicht. Auch sie hatte Wein getrunken, weniger freilich, aber getrunken mit anderem Zugriff; und wenn sie ihr Glas zurück auf die hölzerne Tischplatte setzte, scheinbar sanft, doch nur müde: da wünschte sie zuweilen, das Glas zerspränge. Und sie blickte hinüber zu dem Tisch, wo er saß. Und irgendwann später kam es, dass er mit ihr tanzte; drei- oder vier- oder fünfmal tanzte er mit ihr, er drehte und bog und wirbelte sie herum. Und er sprach mit ihr, sprach Worte ohne Belang, ohne Absicht, ohne Zweck; Worte so elegant wie er selber, wie jede seiner Bewegungen mit denen er sie in den Bann geschlagen hatte, in den Bann des Glücks. Und für diese kurze Weile vergaß sie alles, sie tanzte zurück um all die Jahre, die in ihrem Gesicht verzeichnet standen wie Einnahmen und Ausgaben einer Bilanz; und sie vergaß, dass es längst zu spät war für irgendein Leben der Art, wie der Mann, der sie tanzend dahin entführte, es anbot; zu spät, doch zu spät seit wann? Irgendeinmal mußte etwas geschehen sein in ihrem Leben, irgend etwas, das nicht mehr rückgängig, nicht mehr ungeschehen zu machen war. Irgend etwas, das damals gewiß noch kein Geschehen war, aber eben doch schon der Anfang eines Geschehens. Ein Anfang, aber noch nicht offenbar: eine erste schadhafte Stelle im Gewebe des Glücks; jene Stelle, wo es viel später einmal reißen wird. Niemand vermag zu sagen, wann etwas wirklich begonnen hat. Der Verfall eines Gebäudes, beginnt nicht erst damit, dass ein Stück Putz von der Decke fällt, und ein Mensch beginnt nicht erst dann unglücklich zu sein, wenn ihm die erste Enttäuschung wiederfährt. Und so sah er in ihrem Gesicht nicht nur Spuren ihres Lebens, sondern er sah darin auch, was ungelebt hatte bleiben sollen. Doch unter all den unauslöschlich eingegrabenen Zeichen und Chiffren, stand unversehrt ihre Schönheit. Ihm schien, als brauche er nur einen Vorhang beiseite zu ziehen, um diese Schönheit ans Licht zu bringen. Er fühlte sich fähig, alles zu tun und alles zu lassen, um dieses Gesicht zu retten vor dem Ruin. Und so vergaß er für eine kurze Weile, dass die Welt eine Scheibe ist, eine Scheibe, mit einer Oberseite und einer Unterseite, zwischen denen es keine Verbindung gibt. Aber es gibt keine Möglichkeit, Geschehenes ungeschehen zu machen, das wußte er ja. Aber noch wehrte er sich gegen dieses bittere Wissen, und als er am nächsten Morgen mit dem Geschmack von Kupfer auf der Zunge erwachte, war sein erster Gedanke: wie sich zu wehren dagegen und ob es der Liebe nicht doch gelänge, die Welt so rund zu machen, wie sie sein sollte. Doch er wußte, dass er sie nur hochgehoben hatte und dass sie jetzt nur um so tiefer fallen würde. Er hörte auf, sich Rechenschaft darüber zu geben. Er erinnerte sich gerade noch ihres Gesichts, in dem die Schönheit noch einmal aufgeleuchtet hatte, ihres Gesichts mit den auf ihn gerichteten Augen. Sie aber wußte, noch ehe er aufstand und das Lokal verließ, dass es zu spät war für alles, zu spät auch dafür, sich zu erinnern, wann es begonnen hatte, was hier nun so enden mußte. Und wenn er sich, ehe er ging, noch einmal umgedreht hätte, so hätte er ihr Gesicht schon nicht mehr gesehen; denn sie saß am Tisch und beugte den Kopf über das Weinglas und blickte hinein wie ein Blinder in einen blinden Spiegel.
 

Traveller

Mitglied
puhhhh ....

... wie langatmig ! Dazu sehr viele Wortwiederholungen und dazwischen eine überflüssige Erklärung.

Also ich würde den Text auf die Hälfte zusammen streichen.
Verdichtet, käme das Bild besser rüber.
 
Hallo Donna Mobile (klasse Internet-Name!)
Bin sehr angetan von deiner Geschichte.
Hier ein paar kleine Anmerkungen.

Die Wiederholung im Intro würde ich vermeiden:
Vorschlag:
Sie schaute schon nicht mehr hoch, als er aufstand und das Lokal verließ. Sie wußte, dass es zu spät war hinzublicken zu spät war für alles.

„Niemand vermag zu sagen...“ könnte man auch streichen. Einfach: „Wann aber hat etwas wirklich begonnen?“

Den ganzen Abschnitt:
„Er fühlte sich fähig, alles zu tun und alles zu lassen, um dieses Gesicht zu retten vor dem Ruin“
würde ich aus der Sicht der Frau weiterbeschreiben, z.B. so: Wahrscheinlich würde er sich sogar fähig fühlen, alles zu tun.... usw...

Was meinst du? Das hält die ganze Story näher bei ihr.

Ansonsten: herzlichen Dank! Starke Bilder und Emotionen. Gipfelnd in dem Schlussbild:
Ein Blinder, der in einen blinden Spiegel blickt. Dabei ist mir, anders als „ Rainer“, der ja eher unwillkürlich lachen mußte, eine Träne gekommen...

Sehr hohes Niveau.

dd
 



 
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