Das Haus

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EnyaSK

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Terry schaute auf ihr Handy. Sieben zwanzig. Sie war spät dran und schuld daran war nur Bobby, ihr verdammter Ehemann, der vergessen hatte, den Trockner einzuschalten. Er hatte die Wäsche gewaschen; darunter auch Terrys Uniform, welche sie für ihren Job an der Rezeption des Holiday Inn brauchte; hatte die fertig gewaschene Wäsche in den Trockner getan und dann war er einfach zur Arbeit gegangen. Als Terry ihre Uniform aus dem Trockner holen wollte, musste sie feststellen, dass alles noch nass war. Nun, nachdem der verdammte Trockner endlich fertig war, war sie spät dran. Hastig griff Terry nach ihrem Rucksack und warf einen letzten Blick in den Garderobenspiegel, dann huschte sie aus der Wohnung, die Tür hinter sich abschließend. Mit schnellem Schritt hastete sie die Treppen hinunter, sie wohnte im dritten Stock, riss die Haustür auf und rannte – gegen eine Mauer. Eine unsichtbare!
„Au!“, schrie Terry und rieb sich die Stirn, mit der sie gegen das unsichtbare Hindernis geprallt war. Sie fühlte etwas Feuchtes, Klebriges. Ungläubig starrte sie erst auf das Blut an ihrer Hand, dann zu der offenen Tür, durch die sie einen einwandfreien Blick auf die Straße hatte. Absolut kein Hindernis zu erkennen. Vorsichtig streckte sie die Hand aus, bis sie an eine Barriere stieß. Es fühlte sich nicht an wie Glas. Es fühlte sich eigentlich wie gar nichts an, es war einfach nur eine Grenze, wo es nicht weiter ging, doch es war weder kalt, warm, glatt oder rau. Es war – nichts!
Terry schrie auf und das Blut gefror ihr in den Adern. Genau vor ihr, wo sie das Nichts berührt hatte, war ein blutiger Abdruck –mitten in der Luft. Ein Abdruck, den ihre Hand hinterlassen hatte.
„Heilige Scheiße! Was zur Hölle ist hier los?“
Terry holte ihr Handy aus der Tasche und wählte Bobby an. Keine Verbindung, nicht mal ein Tuten. Nichts! Das Handy war tot. Sie schaute auf das Display. Kein Empfang.
„Was ist das wieder für ein Scheiß?!“
Sie überlegte, was sie jetzt tun sollte. Ausgerechnet, wo sie eh schon zu spät war. Sie hätte vor Wut schreien können. Fluchend hastete sie die drei Stockwerke wieder hinauf, fummelte den Schlüssel aus der Jackentasche und versuchte, ihn ins Schloss zu stecken, doch im Eifer des Gefechtes fiel ihr der Schlüsselbund aus der Hand und landete klirrend auf dem Boden. Genervt hob Terry die Schlüssel auf und versuchte es erneut. Erst beim fünften Versuch schafften es ihre mittlerweile zitternden Hände, das Schloss zu öffnen. Sie stürmte in die Wohnung, ihren Rucksack in die Ecke werfend, geradewegs auf das Telefon zu, das neben dem Kühlschrank an der Wand hing. Hastig wählte sie erneut Bobbys Nummer. Wieder kein Freizeichen, kein Ton. Auch dieses Telefon war tot.
„Das gibt es doch nicht!“, murmelte Terry und ließ den Hörer fallen.
Nachdem sie eine Weile wie hypnotisiert auf den an der Schnur baumelnden Hörer gestarrt hatte, gab sie sich einen Ruck und setzte sich in Bewegung. Sie würde zu John gehen. Er wohnte direkt unter ihr.

Aufgeregt hämmerte Terry an die Tür.
„John!“, brüllte sie. „John, bist du da?“
Es kam keine Antwort.
„JOHN!“, schrie sie nun noch lauter. Ihrer Stimme war eine leichte Hysterie anzuhören. So langsam wurde es ihr ziemlich mulmig zumute. „John! Wenn du da bist, dann mach bitte auf!“
„Bitte“, schickte sie flüsternd hinterher und legte die Stirn an die Tür. Ihr Atem ging heftig und ihr Herz schlug wild in ihrer Brust. Irgendetwas stimmte hier absolut nicht.
„Mrs. Beard!“, schoss es ihr durch den Kopf.
Mrs. Beard wohnte im obersten Stockwerk, dem sechsten, Sie war schon alt und konnte schlecht laufen, weswegen sie eigentlich nie ihre Wohnung verließ. Sie würde bestimmt zu Hause sein.
Etwas zuversichtlicher wandte sich Terry von Johns Tür ab und erklomm die Treppen bis zum sechsten Stock. Außer Atem klopfte sie an die Tür der alten Dame.
„Mrs. Beard?!“, rief sie hoffnungsvoll. „Sind sie da?“
Sie klopfte erneut. Lauter. Doch nichts tat sich.
„Scheiße!“
Sie versuchte es an der gegenüberliegenden Tür, dann alle Stockwerke durch an allen Türen, bis sie unten an der Wohnung des alten Mr. Smith angekommen war. Nirgends hatte sie Erfolg. Das Haus war wie ausgestorben.

Zitternd saß Terry auf ihrer Couch und rauchte eine Zigarette. Sie fühlte sich wie in einem nicht enden wollenden Albtraum. Sie hatte alle Türen versucht. Die Hintertür, die Kellertür und noch mal die Eingangstür. Überall stieß sie auf diese eigenartige Barriere. Sogar wenn sie die Fenster öffnete, war es da. Sie hatte versucht, die unsichtbare Wand mit einem Hammer zu durchbrechen. Nichts! Ihr Handy, das Haustelefon und nicht einmal das Internet funktionierte. Sie war in diesem Haus gefangen und sie war allein. Ein klaustophobisches Gefühl beschlich sie. Erst leise, dann immer eindringlicher. Stunden vergingen. Es wurde Abend. Es wurde Nacht. Irgendwann schlief sie erschöpft ein.

Das Telefon schrillte. Terry schreckte aus dem Schlaf. Sie sprang von der Couch und schaute mit klopfendem Herzen auf den an der Wand hängenden Apparat.
„Das Telefon klingelt?“
War der Spuk jetzt endlich vorbei? Schnell hastete sie vorwärts und riss den Hörer von der Gabel.
„Hallo?“, gab sie krächzend von sich.
„Hallo Schatz! Ich glaube, ich hab vergessen, den Trockner einzuschalten. Schau mal nach. Du brauchst schließlich deine Uniform, wenn du zur Arbeit gehst. Nicht, dass du zu spät kommst.“
Terry hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Was ging hier vor? Wie lange hatte sie geschlafen? Was war jetzt Wirklichkeit? Hatte sie alles nur geträumt?
„Schatz? Ist alles in Ordnung? Antworte doch!“
„Ja, ich ...“, Terry versuchte, sich zu sammeln und atmete tief durch. „Was für einen Tag haben wir?“
„Donnerstag! Was denn sonst? Stimmt was nicht?“
„Donnerstag!“, flüsterte sie. Es war Donnerstag gewesen, als sie zur Arbeit gehen wollte und gegen diese Barriere stieß. Jetzt hätte demnach Freitag sein müssen. Wenn aber Donnerstag war, dann war all das gar nicht passiert! Sie hatte ... es nur geträumt?
„Ist alles o.k.“, sagte sie schließlich. „Ich war nur eingeschlafen und bin noch ein wenig verpennt. Sonst nichts. Danke, dass du angerufen hast.“
„Bis später dann. Ich liebe dich!“, sagte Bobby.
„Ja. Bis dann. Ich liebe dich auch.“
„Bye!“

Pünktlich war Terry angezogen und warf einen letzten, prüfenden Blick in den Spiegel. Sie erstarrte. Auf ihrer Stirn prangte eine kleine, aber deutlich sichtbare Platzwunde.
 
Hallo EnyaSK,

da hast du ja eine gute Schreibe. Ließ sich exzellent lesen. Natürlich ist der Inhalt nix. Aber für eine Fingerübung ist es ausgezeichnet gelungen. Lies Dir mal von lipschitz den preußischen Reiter durch. Da hast du einen netten Vergleich. Die Grundidee seiner Geschichte ist auch relativ einfach, zwei Menschen kommen immer wieder an der gleichen Stelle an - albtraumhaft, aber eben doch simpel von der Idee. Aber lipschitz macht für mich etwas außergewöhnliches daraus - er entwirft ein Universum und sortiert die Geschichte wie ein Puzzleteil in das große Unbekannte.

Das alles fehlt bei deiner Geschichte. Ich lehne den Inhalt nicht komplett ab, natürlich müßte das ganze Traumgetue weg. Träume sind Schäume. Aber wenn in deiner Geschichte Menschen interagieren würden und nicht nur alle verschwunden wären, wenn sich Gründe oder Vermutungen äußern würden - aber da sind schon ganz weit weg von deiner Geschichte.

Trotzdem gerne gelesen.
Grüße Marcus
 

EnyaSK

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Lieber Marcus,

vielen Dank für Lob und Kritik.
Zum Thema Traum hast Du vielleicht etwas Kleines, wenn auch Entscheidenes überlesen. Nämlich den Schlusssatz. War es wirklich nur ein Traum? ;-)
Was die verschwundenen Leute oder fehlenden agierenden Leute in der Geschichte angeht, so geht in dieser Story der Horror von der gänzlichen Abgeschlossenheit aus. Sie kann das Haus nicht mehr verlassen. Niemand ist da, nicht mal die alte Dame aus dem Obergeschoss, die sonst nie weg geht, weil sie schon zu alt ist. Keine Möglichkeit mit der Aussenwelt zu kommunizieren. Das ist die Geschichte.
Zum anderen gebe ich zu, dass Kurzgeschichten nicht mein Ding sind und nur zur Fingerübung dienen. Ich schreibe sonst nur Romane. Somit hast Du mich kalt erwischt :))
LG
Enya
 
Ich weiß, ich hasse auch diese ganz kurzen Sachen. Und da mir dein Text schon nicht so zusagt, obwohl er ja wirklich gut geschrieben ist, wie würde ich erst meinen eigenen kurzen Text finden, der ich ja schlechter schreiben kann als du? Mal ehrlich. Also belasse ich es dabei, dass mir die Kürze nicht so zusagt, denn hättest du mehr Seiten gehabt, hättest du mehr schreiben müssen ..., wäre alles ... und an Ende...

Frohe Weihnachten und Grüße, Marcus
 

brain

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Wow.

Hat mir sehr gefallen. Die Wunde hat mich zuerst a Weng an Harry Potter erinnert, aber im Verlauf fand ich sie nur logisch.
 

brain

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PS:

Gerade das offene Ende, also nicht zu wissen, ob es ein Traum war, fand ich gut.

Vielleicht würden ein paar Absätze den Text zugänglicher machen?

MfG:)

Alex
 



 
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