Das Haus zur besonderen Verwendung

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hermannknehr

Mitglied
Sie kamen kurz nach Mitternacht, als sie uns holten. Tatiana wollte noch ihr neues Kleid. Doch Mutter trieb zur Eile, sie schien sehr besorgt. Nur schnell das Nötigste gepackt, Schmuck und Juwelen tief ins Mieder. Wir sollten vorbereitet sein auf alles.
Wie lange hatten wir gewartet auf die Hilfe aus dem Ausland, auf eine Möglichkeit, nach England auszureisen. Jetzt war es wohl soweit. Die Briefe meines Vaters an Onkel Georg hatten endlich Erfolg gehabt. Ich war zu dieser Reise nur allzu bereit, auch wenn wir Russland niemals wieder sehen sollten. Alles war besser als gefangen zu sein in diesem alten Haus, in dem wir alle in zwei Zimmern hausen mussten, in dem wir keine Fenster öffnen durften und das sie gleich nach unserer Ankunft mit meterhohen Holzbohlen umzäunten, damit man uns nur ja nicht sähe und auch wir zu niemanden auch nur das kleinste Zeichen geben konnten. Am Ende bestrichen sie die Fenster noch mit weißer Farbe, so dass wir nur ganz oben ein kleines bisschen Himmel sehen konnten, sonst nichts, kein Baum, kein Haus, nur Himmel.
Die Wachen waren mürrischer als sonst. Nur kurze barsche Worte und Kommandos. „Davai, davai“, sie drängten uns. Doch Mutter tat sich schwer mit ihrem Rheuma. Und Vater trug den Bruder, Alexej. Er konnte weder stehen noch gehen. Sein Knie war wieder angeschwollen, Blut floss in das Gelenk und er litt furchtbar unter Schmerzen. Wir Schwestern scharrten uns um Olga. Olga war unsere Große, die Schöne, die Überlegene; sie wusste Rat in jeder Lebenslage. Auch jetzt war sie es, die in Ruhe, ja fast gelassen den Soldaten folgte. Tatiana, die sonst frech den Ton bestimmte und selbst den dreisten Übergriffen der Bewacher Kontra bot, war eingeschüchtert, ging ganz still. Ich nahm Maria fest an meine Hand. Sie war die Liebe von uns Schwestern, die Scheue, arglos gegen jedermann. Man musste sie ganz einfach schützen und behüten, auch wenn sie schon 2 Jahre älter war als ich.
Jetzt ging es also fort. Endlich heraus aus dem Gefängnis. Doch wozu diese Eile und warum in den Keller?
 
Hallo Hermann,

Mir hat deine kurze Erzählung über das Ende der Zarenfamilie gefallen. Du hast offenbar auch etwas Recherche betrieben um gewisse historische Details in deine Geschichte einzuarbeiten. Nur über den ersten Satz bin ich gestolpert:
Sie kamen kurz nach Mitternacht, als sie uns holten.
Müsste das nicht heissen: Sie holen uns kurz nach Mitternacht. Oder: Es war kurz nach Mitternacht, als sie uns holten.

mit müdem Gruß
 

hermannknehr

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Es war kurz nach Mitternacht, als sie uns holten. Tatiana wollte noch ihr neues Kleid. Doch Mutter trieb zur Eile, sie schien sehr besorgt. Nur schnell das Nötigste gepackt, Schmuck und Juwelen tief ins Mieder. Wir sollten vorbereitet sein auf alles.
Wie lange hatten wir gewartet auf die Hilfe aus dem Ausland, auf eine Möglichkeit, nach England auszureisen. Jetzt war es wohl soweit. Die Briefe meines Vaters an Onkel Georg hatten endlich Erfolg gehabt. Ich war zu dieser Reise nur allzu bereit, auch wenn wir Russland niemals wieder sehen sollten. Alles war besser als gefangen zu sein in diesem alten Haus, in dem wir alle in zwei Zimmern hausen mussten, in dem wir keine Fenster öffnen durften und das sie gleich nach unserer Ankunft mit meterhohen Holzbohlen umzäunten, damit man uns nur ja nicht sähe und auch wir zu niemanden auch nur das kleinste Zeichen geben konnten. Am Ende bestrichen sie die Fenster noch mit weißer Farbe, so dass wir nur ganz oben ein kleines bisschen Himmel sehen konnten, sonst nichts, kein Baum, kein Haus, nur Himmel.
Die Wachen waren mürrischer als sonst. Nur kurze barsche Worte und Kommandos. „Davai, davai“, sie drängten uns. Doch Mutter tat sich schwer mit ihrem Rheuma. Und Vater trug den Bruder, Alexej. Er konnte weder stehen noch gehen. Sein Knie war wieder angeschwollen, Blut floss in das Gelenk und er litt furchtbar unter Schmerzen. Wir Schwestern scharten uns um Olga. Olga war unsere Große, die Schöne, die Überlegene; sie wusste Rat in jeder Lebenslage. Auch jetzt war sie es, die in Ruhe, ja fast gelassen den Soldaten folgte. Tatiana, die sonst frech den Ton bestimmte und selbst den dreisten Übergriffen der Bewacher Kontra bot, war eingeschüchtert, ging ganz still. Ich nahm Maria fest an meine Hand. Sie war die Liebe von uns Schwestern, die Scheue, arglos gegen jedermann. Man musste sie ganz einfach schützen und behüten, auch wenn sie schon 2 Jahre älter war als ich.
Jetzt ging es also fort. Endlich heraus aus dem Gefängnis. Doch wozu diese Eile und warum in den Keller?
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo müder Dichter,
vielen Dank für dein Interesse. Du hast natürlich recht, "sie kamen und holten" ist doppelt gemoppelt. Ich habe es geändert. Ja, ich habe mich schon immer für die Romanows interessiert. Die Beschreibung der letzten Stunden aus Sicht der jüngsten Tochter Anastasia ist mir ganz spontan eingefallen.
Viele Grüße
Hermann
 

Blumenberg

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Lieber herrmannknehr,

eine kurze und knappe Geschichte, die das Ende der Zarenfamilie schildert und dabei aus der Sicht eines Familienmitgliedes einen Blick auf diesen verhängnisvollen Abend wirft.
Man merkt das du dir Mühe gegeben hast historische Details zu recherchieren und es gelingt dir diese gewinnbringend in die Geschichte einzubetten.
Ich habe ohnehin einen Faible für das Vergangene, was sich auch in etlichen meiner eigenen Geschichten widerspiegelt, daher hat mir dein Text wirklich gut gefallen. Auch sprachlich finde ich ihn durchaus gelungen.

Beste Grüße

Blumenberg
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Blumenberg,
vielen Dank für Deinen freundlichen Kommentar. Es freut mich, dass Dir mein Versuch gefallen hat, in wenigen Zeilen die Atmosphäre der letzten Stunden vor dem Massaker wiederzugeben.
Insbesondere die Arglosigkeit der Kinder vor dem unmittelbaren Tod.
Beste Grüße
Hermann
 



 
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