Das Leben der Natur

TheRealRonny

Mitglied
Augen zu – Augen auf

Augen zu. Augen auf. Einatmen. Ausatmen. Mund auf. Mund zu. Augen zu. Einatmen. Augen auf. Ausatmen. Jede Geschichte hat einen Anfang. Meine nicht. Jede Geschichte hat einen Helden, etwas was sonderbar ist. Meine nicht. Jede Geschichte hat ein Ziel. Meine nicht. Meine Geschichte ist anders. Sie läuft nur vor sich her ohne ein klares Ziel. Die Verwirrtheit des Menschen ist etwas sonderbares, insofern ist meine Geschichte doch etwas sonderbar. Ich lebe in… ja wo lebe ich eigentlich? Wie alt bin ich? Wer bin ich? Das letzte an das ich mich erinnere ist meine Mutter. Wir stritten uns. Ich weiß nicht wieso, aber ich wünschte ich wüsste wieso. Sie schrie mich die ganze Zeit an und ich reagierte nicht auf sie. Sie schmiss mit Geschirr um sich, nur um meine Aufmerksamkeit zu bekommen, doch sie bekam sie nicht. Sie versuchte alles. Sie schüttelte mich und riss mich umher, doch ich schenkte ihr keine Aufmerksamkeit. Nicht mal einen winzigen Augenblick lang. Und ja, nun bin ich hier. In irgendeinem Wald.
Lauter Bäume. Große Bäume, kleine Bäume und da ein Hase. Dort hinten sehe ich 2 Rehe, sie sehen traurig aus. Ich spüre den kalten Wind um meine Nase wehen und fühle die Ruhe. Niemand ist hier. Nichts ist hier. Nur ich und die unberührte Schönheit der Natur. Dort oben, hoch in der Baumkrone sehe ich ein großes und ein kleines Eichhörnchen.
Die beiden scheinen sich zu streiten. Das kleine Eichhörnchen hat eine Nuss fallen gelassen und das Große guckt es böse an und sagt etwas. Das Kleine ist total verwirrt und weiß nicht wie es reagieren soll. Es versucht die ganze Zeit über etwas zu sagen, doch es weiß nicht was. Ich wüsste es auch nicht. Was sagt man in solch einer Situation. Es gibt viele Möglichkeiten. Man kann sagen, was man denkt, doch ist das das Richtige? Man kann nichts sagen, doch ist das das Richtige? Das Große Eichhörnchen will eine Antwort. Es schaut das Kleine mit großen runden Augen an. Der Kopf ist leicht nach vorne geneigt und die Ohren sind gespitzt. Das Kleine steht in einer eingeschüchterten Haltung. Es hat Tränen in den Augen. Es will dem Großen so gerne eine Antwort geben, doch es findet nicht die richtigen Worte. Immer wieder landen ein paar Worte auf seiner Zunge, doch sie verschwinden direkt wieder wie Rauch im Wind. Sie sind zum Greifen nah und doch so fern.
Ich laufe durch den Wald und nehme alles in mich auf. Dort eine Spinne, die gerade ihr Netz baut. Dort ein Kaninchen, dass sich in seinem Bau versteckt. Dort eine Ameisenkolonie, die ihre Nahrung nach Hause bringt. Nach und nach wird mir klar, was sie haben und ich nicht. Sie haben ein Zuhause, eine Familie, einen Ort zu dem sie gehören. Ich gehöre nicht hierher und trotzdem bin ich hier. In der Schule war ich nie besonders gut und werde es wahrscheinlich auch niemals sein. Das will ich auch gar nicht. Ich will mich nicht für so etwas verausgaben, es gibt wichtigere Dinge in meinem Leben. Was interessiert mich meine Zukunft. Das hier und jetzt ist viel wichtiger. Ich will leben. Wer weiß denn schon was morgen, übermorgen oder gar überübermorgen ist. Vielleicht bin ich morgen schon tot. Vielleicht auch nicht. Es interessiert mich auch nicht, das was zählt ist das hier und jetzt, nicht das Morgen oder das was in ein paar Jahren mal sein könnte.
Dort oben. Ein Vogel. Er sitzt auf einem Ast. Er schaut zu mir hinunter. Was vermag er zu denken? Ist er auch allein? Hat er eine Familie? Ein Vogel hat alle Freiheiten der Welt. Er kann sich frei in der Luft bewegen, hinfliegen wohin er will. Er muss sich nicht mit den Problemen hier auf der Erde befassen. Er wird nicht belastet, mit Dingen die wehtun. Er ist frei und doch ist er allein. Der Himmel ist so groß und er ist ein kleiner Vogel. Vielleicht ist er einsam. Vielleicht ist er traurig, weil er jemanden verloren hat. Ich kann ihn verstehen. Vielleicht haben wir ja etwas gemeinsam. Oh...

Er ist doch nicht alleine…
Da kommt ein anderer Vogel und setzt sich neben ihn. Jetzt schauen sie mich gemeinsam an. Warum? Was bin ich für sie? Bin ich für sie ein Feind? Bin ich für sie einfach nur ein jemand? Oder sehen sie gar nicht mich an? Da.. Jetzt schauen sie sich gegenseitig an. Dieser Blick in ihren Augen. Er sagt so vieles. Es scheint fast als würden sie lächeln. Sie schauen sich einfach nur an und ich schaue beide an. Mehrere Minuten geschieht nichts. Nicht die kleinste Regung. Doch jetzt kommen sie sich näher und näher. Und da! Sie küssen sich. Ich schaue jetzt nicht mehr hin. Dieser Moment gehört nur ihnen.
Ich erinnere mich. Auch ich hatte einen solchen Moment. Ich war nicht immer allein. Es gab dieses eine Mädchen. Wie alt war sie? Wo wohnte sie? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur, dass sie wundervolle Augen hatte. Sie waren hellblau und immer wenn ich in ihre Augen sah, sah ich Glück und Freude. Das Strahlen ihrer Augen wenn sie fröhlich war, war das Schönste was ich jemals sehen durfte. Ich wünschte sie wäre jetzt hier dann wäre ich nicht alleine.
Ich gehe weiter. Dort seht ihr das? 2 Kaninchen. Sie sehen sich nicht. Das eine hat ein aufgeplustertes Fell und ist sehr groß und kräftig. Das andere hat ein schönes glattes Fell und sieht eher zierlich aus. Sie bewegen sich aufeinander zu ohne es zu merken. Sie existieren nebeneinander so dicht zusammen und doch bemerken sie nicht, dass der andere existiert. Die Entfernung zwischen den beiden ist nicht nennenswert. Sie müssten sich schon atmen hören und doch bemerken sie sich nicht. Es liegt an dem Baumstamm der zwischen ihnen liegt. Ein Element, dass die beiden voneinander trennt und vielleicht auch von einer gemeinsamen Zeit. Ein Baumstamm kann alles verändern. Doch was wäre, wenn dieser Stamm eine Lücke hätte? Nur einen kleinen Riss, durch den sich die beiden sehen könnten? Sie wüssten von der Existenz des anderen und würden sich immer wieder an dieser Lücke treffen und nach und nach würde die Lücke größer werden. Nach und nach würden sie noch näher zusammenkommen und schließlich wären sie nicht mehr getrennt. Sie würden sich treffen und zusammen sein. Sie würden sich lieben.
Ich weiß es wieder. Damals war ich noch ein Schüler. Ich war auf der Herrentoilette und wusch meine Hände. Da sah ich ein Loch in der Wand und hinter dieser Wand war die Mädchentoilette. Ich versuchte nicht hindurchzuschauen und zu spannen, doch durch dieses Loch gelang eine Stimme in mein Ohr. Diese Stimme hatte einen sanften Klang und verzauberte mich von vorn bis hinten. Ich bekam eine Gänsehaut und war wie erstarrt. Ich lauschte dieser Stimme die ganze Zeit. Ich weiß nicht mehr, was sie sagte, aber das interessierte mich auch nicht. Ich wollte einfach nur die Stimme hören. Bei ihr fühlte ich mich geborgen, sicher und weniger einsam. Tag für Tag ging ich auf die Toilette nur in der Hoffnung wieder ihre Stimme zu hören, doch sie kam nicht. Eines Tages ging ich nach draußen. Ich wollte den Müll aus meinem Zimmer zur Mülltonne bringen. Da hörte ich sie wieder. Ich ließ den Beutel fallen und versuchte sie zu finden und ich fand sie.
Sie war vielleicht 1,72 Meter groß und hatte langes braunes Haar. Sie war normal gebaut und trug ein rotes Top und eine kurze Hose. Ich mochte diese Kleidungsstücke immer besonders. Sie war zusammen mit einer Freundin und die beiden lachten. Ihr Lachen werde ich nie mehr vergessen. Es war so ehrlich und unschuldig. Es war als würde sie mit ihrem Lachen versprechen, dass sie immer aufrichtig war. Dann schaute sie zu mir herüber und ich erstarrte. Was sollte ich tun? Wie sollte ich sie ansprechen? Sie schaute mich lange und lächelte. In meinem Herzen ging die Sonne auf und nie wieder unter. Alles schlechte was mir passierte oder was ich erlebt hatte, war für diesen einen Augenblick verschwunden. Es war ein solches Lächeln, welches man höchstens zwei vielleicht dreimal im Leben sieht.
Ich glaube, dass es Liebe auf den ersten Blick war.
Ich konnte die darauffolgenden Tage einfach nicht mehr aufhören an sie zu denken. Abends, wenn ich im Bett lag, da sah ich ihr Lächeln und hörte ihr wundervolles lachen. In der Schule malte ich sie auf meine Matheaufgaben und beim Essen legte ich ihr Gesicht aus Nudeln zusammen. Sie nahm einen Platz in meinem Herzen ein, ob ich es nun wollte oder nicht. Ich traf sie erst kurze Zeit später wieder, doch da entschied ich mich auf sie zuzugehen.
Ich war in der Einkaufspassage und sie war in einem Klamottenladen für Frauen. Ich ging gerade auf sie zu und sagte: „Hi.“ Im Nachhinein wird mir klar, dass dies vielleicht nicht die beste Aussage war, aber das war mir in der Situation auch egal. Ich weiß, dass sie auch Hi sagte und ich sie auf ein Eis einlud. Auch das war nicht die beste Entscheidung, aber da es sehr warm war, vielleicht die nachvollziehbarste.
Ich weiß nicht mehr was wir sagten, ich weiß nur, dass wir uns sehr gut verstanden. Wir trafen uns danach regelmäßig und auch immer sehr lange. Es waren die schönsten Zeiten in meinem Leben. Nach einigen Monaten kamen wir zusammen.
Wir waren ins Kino gegangen und mitten im Film lehnte sie ihren Kopf an meine Schulter und ich strich ihr sanft über den Kopf. Ich fühlte mich so glücklich und musste ihr einfach sagen, dass ich sie liebe. Es war vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, aber in dieser Situation vielleicht der nachvollziehbarste. Sie schaute nach oben und sah mir in die Augen. Wir schauten uns ein paar Minuten einfach nur an. Ich dachte, es wäre falsch gewesen und sie geht weg, doch dem war nicht so. Wir kamen uns immer näher und küssten uns, genau wie die 2 Vögel hoch oben auf dem Ast des Baumes. Danach schaute sie mich an und sagte:
„Ich liebe dich auch!“
Ich weiß nicht was wir alles Erlebten ich weiß nur, dass wir lange zusammen waren. 4 vielleicht 5 Jahre. Ich weiß nur, dass ich sie immer noch unheimlich liebe. Meine Liebe zu ihr wird auch nicht verblassen.
Ich bin weiter im Wald gelaufen und habe einen Fluss entdeckt. Ich habe schon lange nichts mehr getrunken und mein Hals ist staubtrocken. An der anderen Seite des Flusses sehe ich eine Straße. Es scheint nur eine einfache Landstraße zu sein. Ich suche nach einem Weg rüber aber es gibt keinen. Also gehe ich durch den Fluss. Er ist nicht sehr tief. Einen Meter vielleicht. Mehr nicht. Ich gehe auf die Straße.
Die Straße ist sehr lang und auf dieser sind weiter hinten ein paar Reifenspuren. Ich gehe dorthin und schaue in den Wald. Es ist der Wald, in dem ich die ganze Zeit über war. Ich folge den Reifenspuren, doch ich finde nichts. Vielleicht bin ich in die falsche Richtung gelaufen. Also gehe ich wieder in die andere. Dort! Dort liegt ein Auto. Ein schwarzer Golf. Er ist vollkommen zerstört und überall liegt Blut. Glas liegt auf der Straße und neben dem Auto. Keine 5 Meter links neben dem Auto liegt ein Hirsch. Er ist tot. Er ist komplett zerplatzt, wahrscheinlich vom Aufprall des Autos als er den Hirsch traf. Er scheint der Vater von den 2 Rehen aus dem Wald zu sein.
Auch ich habe keinen Vater. Er ist vor langer Zeit im Krieg gestorben. Meine Mutter sagte immer, dass er wieder kommen würde. Er sei nur im Urlaub. Als ich klein war, glaubte ich ihr natürlich, doch als ich älter wurde und er noch nicht da war wurde ich stutzig. Ich schaute im Internet nach und fand heraus, dass er im Krieg starb. Als ich meine Mutter darauf ansprach stritt sie es ab und ich sagte, dass sie von nun an für mich gestorben sei. Ein paar Tage später schrie sie mich an und wollte Aufmerksamkeit von mir, aber ich gab sie ihr nicht. Ich zog zu meiner Freundin mit dem wundervollen Lächeln, doch auch das konnte mich nicht mehr aufheitern.
Ein paar Wochen später hatte ich mich beruhigt und wollte nach Hause zu meiner Mutter fahren. Ich hatte bereits mit ihr telefoniert und ihr gesagt, dass ich mit ihr reden wolle. Sie schien sich zu freuen und sagte, dass sie einen Kuchen besorgen würde. Ich freute mich und fuhr zu ihr. Meine Freundin wollte unbedingt mit, denn sie und meine Mutter kamen immer gut klar und auch sie vermisste meine Mutter. Wir fuhren zusammen los. Es war nicht weit. Wir mussten nur über die Landstraße fahren. Vielleicht 30 Minuten nicht länger. Meine Freundin und ich redeten viel auf dem Weg und ich war sichtlich nervös. Was sollte ich zu ihr sagen? Würde sie mich verstehen? Und vor allem würde sie mir verzeihen? Ich liebe sie. Ich wollte ihr nicht so sehr wehtun. Sie bedeutet alles für mich. Meine Mutter und ich haben so viel zusammen erlebt.
Als ich klein war und zur Schule musste, wollte ich nicht ohne meine Mutter gehen. Sie sagte, dass das nicht möglich sei. Ich müsse alleine gehen und groß werden. Ich wollte aber nicht und so kam sie mit. Sie saß zwischen den anderen Kindern und neben mir. Eines Tages sagte sie im Unterricht sie müsse auf die Toilette. Sie kam nicht wieder, aber das merkte ich gar nicht. Ich hatte Freunde gefunden und konnte nun auf mich selbst aufpassen, was heißt ich konnte ohne meine Mutter in der Schule sein.
Meine Freundin und ich fuhren also zu ihr und ich kannte den Weg in und auswendig. Ich wusste auch, dass neben der Straße ein Wald ist und man vorsichtig sein muss, doch ich war so aufgeregt und passte nicht auf, da war es auch schon zu spät. Ein Hirsch sprang aus dem Wald heraus und 2 Rehe waren hinter ihm. Ich traf den Hirsch mit einer Geschwindigkeit von 110 KM/H. Der Hirsch war sofort tot. Die 2 Rehe erschraken und rannten zurück in den Wald. Mein Auto überschlug sich 3-4mal und kam auf dem Dach auf. Als wir uns überschlugen sah ich, dass meine Freundin sich den Kopf gestoßen hatte und extrem blutete. Als ich aufwachte, war ich schon im Wald.
Ich gehe zum Auto und schaue hinein. Ich sehe dort 2 Personen in den Stühlen und erschrecke mich. Ich renne auf die Straße, ganz weit weg. Nach einem Kilometer bleib ich stehen und schaue an mir hinunter, denn erst jetzt merke ich, dass ich gar keinen Körper mehr habe.
 



 
Oben Unten