Das Leben entwickelt sich spiralförmig vorwärts

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das Leben entwickelt sich spiralförmig aufwärts

„Warum glaubst du nicht an Gott, Papa?“ – „Aber ich glaube doch an Gott, mein Kind, nur nicht an diese dämliche Schöpfungsgeschichte. Die haben sich die Menschen damals zurechtgelegt.“ – „Warum sollten sie das tun, Papa?“ – „Weil sie eine Erklärung dafür suchten, warum das alles existiert, was auf Erden lebte. Da musste eben ein Gott her. Das kam auch nicht von heute auf Morgen, mein Kind, das kam ganz allmählich. Zuerst hatten die Menschen viele Götter und jeder war in ihren Augen für etwas anderes zuständig. Dann kam irgendwer – man nannte diese Leute damals Propheten – auf die Idee, dass es überhaupt nur einen einzigen Gott gab, der alles erschaffen hat und also für alles, aber auch alles, verantwortlich ist. Die anderen Götter hatten nur Altäre, diesem Übergott aber wurden wahre Paläste errichtet. Über all dem Prunk und dem Raffen vergaßen die Gottesdiener oft den Gott und dienten in Wahrheit dem Golde. Auch das steht schon in der Bibel, mein Kind. Ich hoffe, du liest oft darin.“ – „Ja, Papa, das tue ich. Aber die Bibel beginnt doch mit der Schöpfungsgeschichte, also muss ich doch auch daran glauben, oder?“ – „Ach, Kind, da hat dir wohl einer so eine alte, übriggebliebene Bibel gegeben, eine Bibel der Menschen. Wir wollen nicht so sein wie sie, wir wollen nicht unsere Herkunft verleugnen. Wissenschaftler fanden heraus, dass der Mensch vom Affen abstammte und sich durch die Evolution entwickelt hatte und nicht durch einen Schöpfungsakt entstand. Das empörte die Gläubigen und Bibeltreuen. Zum Glück waren die Menschen aber schon zivilisierter als zu jener Zeit, wo jemand entdeckte, dass die Erde keine Scheibe ist, sondern eine Art Kugel und dass sie sich um die Sonne bewegt und nicht im Weltall festgenagelt ist. Den, der die Bewegung der Erde feststellte, hat man bei lebendigem Leibe verbrannt, so grausam waren die Menschen im Namen Gottes. Aber es heißt: Gott ist die Liebe, er hätte niemals gewollt, dass dem Manne so viel Leid angetan wird. Und er hätte niemals gewollt, dass Krieg stattfindet. Ich habe dir erzählt, was Krieg ist.“ – „Ja, Papa. So etwas Furchtbares werden wir Ratten niemals tun. Erzähle mir doch bitte noch einmal, wie wir rosa geworden sind, ja? Bitte, bitte!“ – „Gern, mein Kind. Es war in den letzten Kriegstagen, da verwandelte sich die kleine Tochter einer jungen Frau vor aller Augen in einen Fisch. Damit wollte Gott ein Zeichen setzen, aber niemand erkannte das, alle waren nur mit sich selbst beschäftigt. Sie waren in einer großen Stadt, weit und breit war kein Wasser, wo hinein man den Fisch hätte tun können. Der, der viel Wasser hatte, gab keines ab, er sagte, dass er es zum Trinken braucht und nicht, um einen dämlichen Fisch zu benetzen, der sowieso krepieren wird. Er riet, den Fisch zu schlachten und zu essen, denn Nahrung war auch schon knapp in der Stadt. Die junge Mutter weinte und musste zusehen, wie das geliebte Kind in ihren Armen starb. Kurz vor dem letzten Atemzug sprang der Geist Gottes, der ja bekanntlich in Form der Seele in jedem Menschen lebendig war, von dem kleinen Mädchen, das nun ein Fisch war, auf eine zufällig vorbei schleichende junge Ratte über. Gott der Allmächtige wusste, dass die Menschen gerade dabei waren, sich selbst und viele andere Lebewesen auszulöschen in einem schrecklichen Atomkrieg. Auch unsere Zahl wurde damals stark dezimiert. Aber du weißt ja, wie rasch unsere Art sich vermehrt. Jedenfalls veranlasste Gottes Selbsterhaltungstrieb ihn, auf ein anderes Geschöpf über zu gehen. Nun sind wir die höchstentwickelte Art auf diesem Planeten. Und wir wollen Gottes Gebote einhalten und außerdem nicht unsere Herkunft vergessen. Auch, wenn wir jetzt aufrecht gehen, Werkzeuge benutzen, lesen und schreiben können und was sonst nicht noch alles. Damit wir unsere Herkunft nicht vergessen, haben wir zwar unser Fell verloren und müssen unsere rosige Haut bekleiden, wie es einst die Menschen taten, aber wir haben immer noch die typische Kopfform der Ratten. Gott und der Mensch haben gewollt, dass wir die Erde übernehmen. Warum sonst hätte der Mensch uns so überreich gefüttert? Wir müssen nur aufpassen, dass uns die zu Riesen mutierten Ameisen nicht überflügeln. Wir müssen sie schlagen, wo immer wir können. Das hat Vorrang vor allem anderen.“ – „Ja, Papa. Haut se, haut se, haut se in de Schnauze, haut se mit vergnügtem Sinn immer in de Schnauze rin!“ –„Brav, mein Kind.“
 



 
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